Vor 150 Jahren meldete der gebürtige Buttenheimer Levi Strauss das Patent für eine mit Nieten verstärkte Hose an – die Jeans war geboren. Im Mai begeht das Levi Strauss Museum Buttenheim das Jubiläum mit einer Sonderausstellung. Diese zeigt unter anderem die geschichtliche, kulturelle und politische Vielseitigkeit des Kleidungsstücks. Wir haben mit Museumsleiterin Dr. Tanja Roppelt über die Geschichte der erstaunlicherweise nie aus der Mode geratenen Hose gesprochen.
Frau Roppelt, patentiert wurde die Bluejeans am 20. Mai 1873. Wie kam dieses Ereignis damals zustande?
Tanja Roppelt: Levi Strauss wurde 1829 als Sohn eines jüdischen Hausierers in Buttenheim geboren. Nach dem Tod des Vaters wanderte die Familie 1848 in die USA aus, wo sie sich in San Francisco niederließ.
Dort gründete der erwachsene Levi ein Großhandelshaus und verkaufte Stoffe und Kurzwaren und alle möglichen Dinge, die die Pioniere des sogenannten wilden Westens brauchten. Als er bereits ein wohlhabender Geschäftsmann geworden war, erhielt er 1872 einen Brief von einem anderen europäischen Einwanderer, Jacob Davis aus Riga. Davis war Schneider in Reno/Nevada und auf die Idee gekommen, diejenigen Stellen an Hosen, die immer wieder kaputtgehen, etwa weil Werkzeug reingesteckt wird, also zum Beispiel die Hosentaschen, mit metallenen Nieten zu verstärken. Diese vernieteten Hosen waren haltbarer als alles andere, was es damals gab. Aber Davis brauchte einen Geschäftspartner, der ihm half, auch finanziell, seine Erfindung zu vermarkten und vor allem zu patentieren. Strauss holte Davis nach San Francisco und gemeinsam entwickelten sie ein Patent auf die Verstärkung von strapazierten Stellen von Kleidung mit Nieten. Das war die Geburtsstunde der Jeans.
Gab es jemals Streitereien zwischen Strauss und Davis um das Patent? Der eine hatte die Idee dazu, der andere das Geld.
Tanja Roppelt: Mister Davis stand zeit seines Lebens mit dem Levi’s‑Konzern in Verbindung und hat kurz vor seinem Tod 1908 seine Anteile am Patent an die Firma verkauft. Auch ist es überliefert, dass er mit seiner Familie ein Haus in guter Lage in San Francisco bewohnte. Strauss führte sein Handelshaus weiter, Davis überwachte die Produktion der Hosen. Es scheint also, als hätten die beiden in Harmonie zusammengearbeitet.
Warum war die Jeans von Anfang an blau?
Tanja Roppelt: Das ist eine Frage, die ich bisher nicht vollständig ergründen konnte. Blau ist in gewisser Weise die Farbe der Arbeiterschaft – siehe der Blaumann. Ich denke, die Färbung liegt daran, dass blau eine lichtunempfindliche und schmutz-unempfindliche Farbe ist, die man leicht herstellen kann. Ursprünglich stammte sie vom Pflanzenfarbstoff Indigo.
Wie sahen die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die neuartige Hose aus – herrschte zuerst Ablehnung oder sofort Nachfrage?
Tanja Roppelt: Eher zweiteres. Die Nachfrage war sogar sehr groß, weil diese Hosen strapazierfähiger waren als andere auf dem Markt. Ein Jahr nach dem Patent mussten Strauss und Davis auch schon den ersten Rechtsstreit gegen Fälscher führen.
Gab es auch unter modischen Gesichtspunkten Reaktionen?
Tanja Roppelt: Da ist mir nichts bekannt und ich halte es auch für unwahrscheinlich, weil die Jeans in ihren Anfängen reine Arbeitskleidung waren. Das blieb lange Zeit so und der Blick wurde in erster Linie auf die Strapazierfähigkeit gerichtet. Der modische Aspekt kam erst viel später, in den 1930er Jahren, zum Tragen.
Wie verbreitete sich die Jeans von der amerikanischen Westküste?
Tanja Roppelt: In den ersten Jahren gab es sie tatsächlich nur dort, in den Goldgräbergebieten. Erst in den 1930er Jahren änderte sich das. In der Weltwirtschaftskrise konnten sich die reichen Ostküsten-Amerikaner ihre Europareisen nicht mehr leisten und machten darum im Westen Urlaub, oft auf sogenannten Dude Ranches. Das waren ehemalige Viehranches, die begonnen hatten, sich auf Urlauber zu spezialisieren, weil sich der Viehhandel nicht mehr lohnte. Für Touristen wurden eine Art von romantisierten Ranch-Erlebnissen inszeniert, mit Reiten, Lagerfeuer und so weiter. Und als Souvenir nahm man Cowboyhüte und Jeans mit nach Hause. So kamen die Hosen auch an die Ostküste. Als dann Anfang der 1930er Jahre die Modezeitschrift „Vogue“ die Jeans in einer Fotostrecke als „True Western Chic“ vorstellte, und erste Filmstars die Hose trugen, war der Siegeszug nicht mehr aufzuhalten. Das war der Sprung von der Arbeitshose zur Freizeithose.
Levi Strauss starb 1902. Hat er diesen Sprung noch miterlebt, beziehungsweise trug er als Geschäftsmann selbst Jeans?
Tanja Roppelt: Nein, weder noch. Zu seiner Zeit signalisierte Kleidung noch zu stark den sozialen Stand. Als erfolgreicher Geschäftsmann trug man noch Gehrock und Zylinder.
Wann kam sie in Europa an?
Tanja Roppelt: In den 1940er Jahren im Gepäck der amerikanischen Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Und auch in Europa hat sie einen wahren Run ausgelöst. Jugendliche wollten alle eine Jeans haben, weil sie ein Stück weit amerikanischen Lebensstil verkörperte – Freiheit, Unabhängigkeit und Lässigkeit. Filmstars wie Marlon Brando oder James Dean taten das Übrige. Sie verkörperten die Jugend, die in den 1950ern im Generationenkonflikt mit ihren konservativ gekleideten Eltern steckte. Das heißt, die Halbstarken der Nachkriegszeit war die erste Jugendkultur, die Jeans trug, um eine Aussage zu treffen. Auch alle weiteren Jugendkulturen konnten sich mit ihr einzigartig fühlen. Ein Beispiel sind die Hippies der 1960er Jahre. Hier zeigte die oft mit Schlag ausgestattete Jeans die Sehnsucht nach Frieden und Naturverbundenheit beziehungsweise eine Distanzierung von atomarem Aufrüsten und Technikgläubigkeit an.
War an der Jeans während ihrer Anfänge in Europa noch etwas von ihrer ursprünglichen Bestimmung für die Arbeiterklasse übrig?
Tanja Roppelt: Ich würde sagen, in Europa war sie von Anfang an Modeobjekt. Nur in den USA stand sie lange Zeit mit Arbeit in Verbindung und galt als Kleidung ärmerer Schichten. Erst in den 1940er Jahren begann man, die Jeans freiwillig und nicht mehr aus wirtschaftlicher Not zu tragen. In Europa hatte sie dann eher den Hauch des wilden Westens.
Heute kosten Levi’s‑Jeans oft mehr als 100 Euro. Ab wann wollte der Konzern keine Hosen mehr für Menschen mit geringerem Budget herstellen?
Tanja Roppelt: Diese Entwicklung war etwa ab den 1940er Jahren das Ergebnis von Verselbstständigung, weil die Nachfrage immer größer wurde.
Am Jubiläumstag, dem 20. Mai, eröffnen Sie im Levi Strauss Museum die Ausstellung „The greatest story ever worn – 150 Jahre Jeans“, die auf die Bedeutung der Jeans für verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen eingeht, wie die bereits erwähnte Jugendkultur der 1950er und 1960er Jahre. Stimmt es, dass sie auch schon viel früher, in der amerikanischen Sklaverei, eine Rolle spielte?
Tanja Roppelt: Ja, die Jeans beziehungsweise ihre Vorgängerin, die Denimkleidung, war auch die Kleidung der Sklaven. Sie bekamen von Plantagenbesitzern billigen, einfachen Denimstoff und nähten sich daraus selbst zum Beispiel Hosen. Als Martin Luther King 1963 bei einer Demonstration in Birmingham, Alabama, verhaftet wurde, trug er Jeanshemd- und ‑hose. Das war eine Bezugnahme auf die Zeit der Sklaverei. In der Folge taten es ihm viele Aktivisten der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gleich, weil sich die Jeans mit ihrer Strapazierfähigkeit zudem auch für Demonstrationen eignete.
Auch auf die Rolle der Jeans in der Frauenbewegung geht die Ausstellung ein.
Tanja Roppelt: Die Hose allgemein ist für Frauen ein relativ junges Kleidungsstück. In Kriegszeiten – im Ersten und Zweiten Weltkrieg – arbeiteten Frauen in der Rüstungsindustrie, weil die Männer im Krieg waren, und trugen dabei Hosen. Das waren die ersten Berührungspunkte für Frauen mit Hosen. War der Krieg vorbei, verschwanden Frauen aber wieder aus der Industrie und es wurde erwartet, dass sie sich auch wieder vermeintlich weiblicher, also nicht mehr mit Hosen, sondern wieder mit Röcken kleideten. Aber irgendwann machten weibliche Filmstars wie Greta Garbo oder Marlene Dietrich Hosen für Frauen salonfähiger, emanzipierten sich von althergebrachten Kleidungsregeln und inspirierten andere Frauen, es ihnen gleichzutun. Etwa ab den 1960er war der Kampf um die Hose und die Jeans auch für die Frauen entschieden.
Ein weiterer Aspekt der Ausstellung bringt Jeans und die Gay Rights Movement in Verbindung. Was hat es damit auf sich?
Tanja Roppelt: Lange Zeit waren von vermeintlichen Normen abweichende sexuelle Orientierungen kriminalisiert. Oft hat man sich dann über die Erscheinung geoutet, was mit der Jeans gut funktionierte, weil sie ein Unisex-Kleidungsstück ist.
Wie sah es in der DDR aus?
Tanja Roppelt: Dort war die Jeans jahrelang verboten, weil sie als öffentliches Bekenntnis zum Westen und seinen Werten galt. Diese „westliche Unkultur“ wollte man aber nicht haben, was jedoch schwierig durchzusetzen war. Auch Jugendliche im Osten wollten ihre Jeans haben. Die DDR reagierte darauf so, dass eigene Jeans produziert wurden – unter dem Namen „Nietenhose“ und „Doppelkappnahthose“. Aber Materialknappheit und Planwirtschaft kamen mit der Produktion nicht hinter der Nachfrage her. Außerdem erreichte die Ost-Jeans auch nie den Status der West-Jeans. Darum wurden dann 1978 ganz offiziell eine Million Levi‘s‑Jeans importiert und verkauft. Dann war der Siegeszug der Jeans auch im Osten nicht mehr zu bremsen.
Inwiefern spielt in der Geschichte der Jeans Vereinnahmung der Gegenkultur durch den Markt eine Rolle? Heute bietet Levi’s Jeans an, bei denen der Stoff an den Knien bereits löchrig ist und nicht mehr wie früher, wie etwa in den 1990er Jahren, als Zeichen des Protests selbst aufgeschnitten werden musste.
Tanja Roppelt: Das ist wohl ein Schicksal aller Gegenkultur, dass, wie in diesem Fall, Kleidungsmerkmale irgendwann in den Mainstream übergehen. Sei es mit Blumenmustern der Hippies, mit der Baggy Jeans des Hip-Hops oder eben zerrissenen Hosen des Punk. Aber auch darauf geht die Ausstellung ein.
Wurde die Jeans auch jemals von rechts vereinnahmt? Die genannten Kulturen sind ja eher links.
Tanja Roppelt: Ja, durchaus – auch Skinheads haben die zum Beispiel Jeans zu ihrer Hose gemacht.
Was hat diese Hose, dass sie nie aus der Mode gekommen oder altbacken geworden ist?
Tanja Roppelt: Das habe ich für mich noch nicht klären können, aber das macht den Mythos um die blaue Hose aus. Es gibt den Ausspruch: Jeans verkörpern den Glauben an das, was wir sein können, nicht das was wir gerade sind. Normalerweise sind Modeerscheinungen auf jeden Fall extrem kurzlebig, aber die Jeans hat sich in kaum veränderter Form erhalten – auch was den Schnitt angeht. Bis vor etwa zwei Jahren war der sogenannte Skinny-Schnitt in Mode, derzeit herrschen wieder weitere Formen vor, aber den klassischen geraden Schnitt gibt es nach wie vor. Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass sie sich nochmal 150 Jahre halten wird.
Aber hat die Jeans heute auch noch politische Ausstrahlung?
Tanja Roppelt: Ich denke, heute ist sie ein relativ neutrales Kleidungsstück geworden. Man kann sie zum Rockkonzert tragen oder mit Sakko kombinieren ohne anzuecken.
Existieren noch 150 Jahre alte Jeans?
Tanja Roppelt: Wir haben im Museum keine, unsere ältesten stammen aus den 1930er Jahren. Soweit ich weiß, besitzt aber der Konzern Modelle von 1878. Die man heute übrigens immer noch tragen könnte, ohne dass sie auseinanderfallen. Von den allerersten existiert meines Wissens nach aber keine mehr.
Was werden Sie im Museum am 20. Mai außerdem veranstalten?
Tanja Roppelt: An der Levi’s‑Zentrale in Offenbach starten die Mitarbeiter eine Radtour, um 5:01 Uhr in der Früh – wie das Jeans-Modell 501 –, die 150 Meilen nach Buttenheim geht – wie die Jubiläumszahl – und um 17:01 Uhr, also wieder 5:01 Uhr, ankommen soll. Hier vor Ort erwarten wir die Teilnehmer mit Musik, Cocktails, Jubiläumsbier, der Ausstellung und Aktionen für Kinder.