Der Berliner Künstler Sven Drühl hat sich der Darstellung von Naturansichten verschrieben, vornehmlich zeigen seine Werke Berge, Wassermotive und Wald. Zur Motivsuche für seine Gemälde aus ungewöhnlichen Werkstoffen wie Öl, Lack und Silikon begibt er sich aber nicht ins Gebirge. Bereits bestehende Abbildungen von Natur, wie die europäische oder japanische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, dienen ihm als Vorlage. Im Interview haben wir mit ihm über seine Ausstellung in der Villa Dessauer (bis 27. Oktober), seine Technik, Aneignung, die Abwesenheit von Menschen, die Spuren der Romantik und Computerspielwelten gesprochen.
Herr Drühl, was bedeutet der Ausstellungs-Titel „All Over“? Handelt es sich um einen Abschluss oder eine Retrospektive?
Sven Drühl: Ich kenne die Villa Dessauer bereits von einer Ausstellung aus dem Jahr 2013. Damals wurde allerdings nur das untere Stockwerk bespielt und als ich dem Bamberger Kunstverein für meine aktuelle Ausstellung zusagte, habe ich mich ein bisschen verschätzt. Ich dachte nämlich, mir stünde auch nur die untere Etage zur Verfügung. Diesmal geht die Ausstellung aber über zwei Stockwerke – in diesem sehr großen Haus. Also haben wir beschlossen, nicht nur aktuelle Arbeiten zu zeigen, sondern Arbeiten aus meinen unterschiedlichen Werkphasen. Der Titel bezieht sich also auf eine Überblickausstellung.
Was wird entsprechend zu sehen sein?
Sven Drühl: Ich zeige unterschiedliche Serien. Es gibt zum Beispiel die Shin Hanga-Serie, bei der ich mich auf japanische Holzschnitte aus dem frühen 20. Jahrhundert beziehe. In einem Raum zeige ich zudem erstmals alle meine Lithografien, also auch solche, die ich noch nie museal gezeigt habe. Und einige ältere Architekturarbeiten, die ich mit nach Bamberg bringe, habe ich auch schon acht Jahre nicht mehr ausgestellt.
Warum haben Sie sich für Ihre Landschaftsdarstellungen für das Vorgehen des Abmalens entschieden?
Sven Drühl: Abmalen ist der falsche Begriff. Es geht um Remixe. Ähnlich wie DJs in den Clubs der 1990er Jahre anfingen, Remixe von bestehenden Songs anzufertigen, und oftmals Dinge zusammenbrachten, die vorher so nicht zusammengehörten, gehe auch ich vor. Zum Beispiel basiert ein fünf Meter breites Triptychon auf drei unterschiedlichen Holzschnitten des japanischen Künstlers Kawase Hasui. Von diesen Werken nehme ich mir Teile und kompiliere sie malerisch zu einem neuen Bild.
Sie bilden die Vorlagen allerdings nicht in Gänze ab. Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie Ausschnitte aus, die sie zitieren?
Sven Drühl: Bis vor vier oder fünf Jahren habe ich in der Regel Kompositionen mit Vordergrund, Hintergrund, Himmel und so weiter gesetzt, um die Gemälde präzise als Landschaftsansichten zu markieren. Dann habe ich aber zum Teil angefangen, so weit reinzuzoomen, dass es keine Himmel-Linie mehr gab. Daran reizt mich, dass das Motiv nicht mehr auf den ersten Blick eindeutig zum Beispiel als Berg erkennbar ist, sondern eher ein abstraktes Muster von einem Berg entsteht. 20 Jahre lang war bei meinen Gemälden sofort klar: Das ist Wasser, das ein Berg. Nun habe ich diese Eindeutigkeit manchmal aufgelöst und die Leute stehen davor und fragen: Du machst jetzt Abstraktes? Dann sage ich Ihnen, dass sie näher hinschauen sollen und meist verstehen sie.
Worin besteht der Reiz, abzubilden, was bereits abgebildet wurde?
Sven Drühl: Auch in früheren Zeiten nahmen Künstler bereits Bezug auf Gemälde, die es schon gab. Das tue ich auch – ich beziehe mich auf Werke, die schon existieren, um den Blick auf sie zu erweitern. Und durch meine Materialien wie Silikon, Lack und Öl wird es sowieso immer etwas ganz anderes. Es ist ein Neudurchspielen und Neu-in-Kontext-Setzen. Auch reizvoll dabei ist, dass ich Dinge aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten zusammenbringen kann. Ich kann ein Gemälde des Matterhorns aus dem 19. Jahrhundert mit einem japanischen Holzschnitt der 1930 Jahre verbinden und so etwas Neues herstellen. Im Zuge meiner Shin Hanga-Serie habe ich das kulturelles Pingpong genannt, weil dabei überhaupt nicht mehr klar ist, worum es sich bei den Originalen handelt. Hinzu kommt, dass die Künstler der Shin Hanga-Kunstrichtung ihren Werken bereits Zitate westlicher Kunst beigemischt hatten. Sie kannten das Licht des Impressionismus und der Romantik. Gleichzeitig gab es in der westlichen Kunst den Japonismus, etwa bei Gustav Klimt oder Egon Schiele. Die Bälle fliegen hin und her und man kann nicht mehr auflösen, wo was herkommt.
Geht das nicht in Richtung dessen, was man heute kulturelle Aneignung nennt?
Sven Drühl: Als ich in den frühen 2000er Jahren mit diesem Ansatz anfing, gab es den Begriff und die dazugehörige Debatte noch nicht. Damals wurde das, was man heute Aneignung nennt unter dem Begriff „Zitat“ gefeiert. Da ging es darum, dass man die Vorlagen auf- und stark macht. Man verstand das Zitat nicht als Ausnutzen von etwas, sondern als Hommage. Und in der Bildenden Kunst oder der Malerei hat es den Rückgriff auf bestehende Motivik wie gesagt eigentlich immer schon gegeben. Dieser Blick hat sich natürlich mittlerweile gewandelt, aber ich wurde mit dieser Debatte bisher nicht konfrontiert, weil sie für meine Werke auch nicht wirklich greift.
Wieso haben Sie sich für Landschaftsmalerei und speziell Gebirgsansichten als Vorlagen für Ihre Gemälde entschieden?
Sven Drühl: Das Remixen würde tatsächlich auch mit anderen Vorlagen funktionieren, aber ich wollte so wenig Narration in den Arbeiten haben, wie möglich. Sobald man Menschen mit abbildet oder Architektur hat man eine Erzählung drin. Ich wollte alles erzählungsfrei halten, offen, sodass jeder in dem Gemälde etwas erblicken und es mit eigenen Emotionen füllen kann. Diese Motive stellen einfach ein sehr neutrales Feld dar.
Was für ein Menschenbild steckt dahinter?
Sven Drühl: Es ist mir wichtiger, keine Narration zu haben, als keine Menschen. Wenn ich einen Menschen in der Landschaft habe, fragt man sich sofort, was der da macht, wo er hingeht und so weiter. Das will ich nicht. Ich will, dass man über Landschaft nachdenkt, nicht über den Menschen. Sonst ist man wieder in diesem Romantik-Ding: Der kleine Mensch in der erhabenen Landschaft und so weiter. Ich will einen reinen Blick, weswegen das Landschaftsthema auch so gut geeignet ist. Als ich damit anfing, war Landschaft das uncoolste Thema, das man machen konnte. Alles in der Kunst war zynische und ironische Provokation oder es dominierten Fotografie und Video. Das mit der provokativen Malerei wie bei Martin Kippenberger und Co. war mir aber irgendwann zu kindisch und ich vollzog einen Schwenk, reduzierte alles, auch die Provokation, und bin in das Landschaftsthema eingestiegen.
Wollen Sie entsprechend auch verhindern, dass in Ihren Werken diese romantischen Naturdarstellungen und ihre Erhabenheit erkannt wird?
Sven Drühl: Ich will sie verhindern, bediene sie aber gleichzeitig. Es ist so ein Inbetween. Ich will keine Erzählung, weiß aber, dass sobald man ein Dreieck malt mit einer blauen Fläche darüber, das Publikum einen Berg zu erkennen meint. Dabei können natürlich auch diese großen Gefühle auftauchen, wie sie vielleicht im Angesicht eines Gemäldes aus der Romantik entstehen. Ich verstehe mich als konzeptueller Maler. Konzeptkunst ist allerdings oft sehr spröde und bietet nicht so viel an, außer den Theorie-Überbau. Darum möchte ich in meinen Werken, neben der theoretischen Ebene, die ich durchaus auch einziehe, mit dem, was abgebildet ist, ebenso eine Art Verführungsqualität haben. Dabei stört es mich nicht, wenn die Leute sagen: Was für ein wunderschönes Bergbild, das macht mich ganz ruhig – ein Kommentar, bei dem viele zeitgenössische Künstler übrigens eine Krise kriegen würden. Und wer sich tiefer mit meinen Gemälden auseinandersetzen möchte, bekommt auf einer zweiten Ebene, auf der ich die jeweilige Vorlage zitiere und zum Beispiel Fragen nach kultureller Zusammensetzung stelle, Theorie dazu geliefert.
Vor fast genau 250 Jahren (5. September 1774) wurde Caspar David Friedrich geboren. Im ganzen Land gibt es derzeit sehr erfolgreiche Ausstellungen mit seinen Gemälden. Bedeutet das nicht, dass es im Publikum nach wie vor ein Bedürfnis nach den guten alten Darstellungen von natürlicher Erhabenheit oder Natur als Seelenlandschaft gibt?
Sven Drühl: Ja, natürlich, so eine Sehnsucht besteht, aber eine Romantik-Renaissance gab es auch schon in den 1990ern. Mit den Impressionisten und Expressionisten funktioniert es genauso. Das sind Blockbuster-Schauen. Mir geht es aber nicht um die Romantiker, ich zitiere nicht nur Friedrich oder andere Große dieser Zeit. Ich zitiere auch Maler des 19. Jahrhunderts, die keiner kennt. Ich möchte nicht so ein Museumshighlight oder einen Best-of-Katalog der Romantik erstellen.
Legen Sie dabei auch den eigenen Gefühlshaushalt hinein?
Sven Drühl: Ja, manchmal. Also nicht die eigenen Gefühle im Sinne von, mir ist gerade nach der und der Stimmung. Bei den Lackgemälden habe ich meistens zuerst den Unterbau eines Berges fertig, dann füge ich noch den Himmel hinzu. Dabei denke ich sehr lange über die Farbgebung nach. Denn mit Farben lassen sich Emotionen transportieren. Mache ich den Himmel blau, wirkt er anders, als wenn ich ihn orange färbe. Wobei ich gerne Farben wähle, die eine eher unterkühlte Ausstrahlung habe. So holen die Gemälde das Publikum nicht allzu sehr rein. Deshalb muss ich mir zwar öfter Vorwürfe anhören, bei mir sei Vieles so unterkühlt, aber das ist eine bewusste Setzung.
Fügen Sie auch selbst gestaltete Teile hinzu?
Sven Drühl: Ganz selten. Von meinen etwa 400 Gemälden habe ich vielleicht in fünf Eigenes eingearbeitet.
Gibt es bei Ihnen dann trotzdem so etwas wie eine künstlerische Handschrift?
Sven Drühl: Ja natürlich, eine ganz Deutliche. Es ist in der zeitgenössischen Malerei zwar schwer, einen erkennbaren Stil zu etablieren. Aber ich denke, meine Handschrift ist ganz klar meine Herangehensweise: Landschaftsdarstellungen aus Silikon, ÖL und Lack. Das sind keine klassischen Verfahren der Malerei, solche Materialien verwendet sonst niemand. Dieses Vorgehen habe ich quasi erfunden und damit ein so starkes Alleinstellungsmerkmal erreicht, dass die Leute schon vor 20 Jahren meine Bilder erkannt haben. Auch meine neueren Werke der zweiten großen Serie der Lackbilder – entstanden in den letzten acht Jahren –, die ohne Silikon auskommen und keine kunsthistorischen Zitate verwenden, haben eine spezielle Technik, die sich kaum nachmachen lässt. Bei diesen Gemälden beziehe ich mich auf Hintergründe aus Computerspielwelten.
Wie kam der Schritt weg von historischen Gemälden hin zu Computerspielwelten als Vorlage?
Sven Drühl: Ich fragte mich nach so vielen Jahren mit Landschaften, wo es noch Potenzial für Innovation im künstlerischen Zugriff auf diese Motive gibt. In der zeitgenössischen Kunst gibt es diesen meiner Meinung nach aber schon lange nicht mehr. Wenn in einem Computerlabor aber 50 Nerds sitzen und für ein Computerspiel Landschaften programmieren, führt das dazu, dass ein völlig neues Bild von Landschaft generiert wird.
Woher bekommen Sie diese Hintergründe?
Sven Drühl: Ich arbeite mit zwei Firmen aus den USA zusammen, die mir Zugriff auf Zwischenschritte ihrer Vektordateien geben. Wenn in so einem Spiel zum Beispiel ein Hubschrauber durch eine Landschaft fliegt, muss diese natürlich generiert werden. Das geschieht, indem tausende Landschaftsfotos eingespeist werden. Aus einem dann generierten Fundus rein virtueller Vorlagen übersetze ich Fragmente in Malerei. Der Witz dabei ist, dass diese Landschaftsgemälde realistischer scheinen als die, die ich aus historischen Gemälden gemixt habe, die also eine reale Vorlage hatten. Aber diese virtuellen Landschaften, die ich jetzt verwende, gibt es nicht. Die Vorlagen meiner vorherigen Arbeiten waren Abstraktionen von Realität, die ich ein zweites Mal abstrahiert habe. Eine Abstraktion zweiter Ordnung könnte man sagen. Nun gibt es keine Vorlagen mit realem Vorbild mehr, sondern nur noch virtuelle. Diese male ich aber so, als würde die Landschaft existieren.
Sind Sie also der Retter der Landschaftsmalerei?
Sven Drühl: Nein, so sehe ich mich gar nicht, ich bin kein Retter und will auch keiner sein. Es macht mir aber unglaublich Spaß, Landschaften zu malen. Ich gehe immer noch sehr gerne ins Atelier und denke darüber nach, wie ich das Konzept vorantreiben und wie ich Vorlagen erneuern kann. Denn Landschaftsdarstellungen haben immer noch eine Relevanz, wenn auch nicht mehr mit den alten Mitteln. Ich kann mich heute nicht mehr in die Landschaft setzen und losmalen, das ging im 19. Jahrhundert besser. Also gehe ich neu ran und mache Kunst über Kunst.
Ihre jüngsten Schöpfungen sind dreidimensionale Darstellungen von Gebirgszügen. Was hat es damit auf sich?
Sven Drühl: Oft hat man riesige Ausstellungsräume, kann seine Gemälde aber nur flach an die Wand hängen. Das ist als Maler oft frustrierend. Darum habe ich diesen Schritt hin zum Dreidimensionalen unternommen, um den Raum besser in den Griff zu bekommen und das Konzept der Landschaftsmalerei erneut zu erweitern. Dafür erschaffe ich Bronzwerke nach Gipsreliefs. Diese Gipse werden mir von einem Geologen angefertigt, der Ähnliches zum Beispiel auch für große Alpin-Museen macht. Sind die Reliefs fertig, komme ich mit Fräse, Hammer und Meißel und verfremde beziehungsweise zerstöre Teile davon, um den Eindruck zu erwecken, dass ein Blick in die Zukunft gezeigt wird: Alles Eis und Hänge sind abgerutscht und der Berg durch den Klimawandel erodiert. Für diese Arbeiten gehe ich allerdings von realen Bergen aus und nicht von kunstgeschichtlichen Darstellungen.
Betreiben Sie Bergsteigen?
Sven Drühl: Das kann ich nicht behaupten. Ich bin schon gerne in den Bergen unterwegs, bin aber kein Bergsteiger oder Bergwanderer. Das macht mein Knie nicht mit.