Am 5. November, dem Tag der Präsidentschaftswahl in den USA, lädt die Bamberger Universität zur Informationsveranstaltung „American Election Night“. Auf dem Programm stehen Vorträge und Diskussionen zum Wahlkampf zwischen Kamala Harris und Donald Trump, zur politischen Landschaft der USA und eine Live-Schaltung zum Wahlgeschehen in Boston. Wir haben mit Prof. Dr. Christine Gerhardt, Initiatorin der „Election Night“ und Inhaberin der Professur für Amerikanistik, über die Veranstaltung, die beiden Kandidierenden und die Auswirkungen auf hiesige Politik gesprochen.
Frau Gerhardt, im Jahr 2012 haben Sie an der Bamberger Universität zum ersten Mal die „American Election Night“ veranstaltet, damals trat Barack Obama gegen Mitt Romney an. Wie kam es zu der Veranstaltung?
Christine Gerhardt: Das Format der „American Election Night“ habe ich aus Freiburg mitgebracht, wo ich das Deutsch-Amerikanische Institut der Stadt geleitet hatte. Als ich 2010 nach Bamberg an die Universität wechselte, dachte ich, diese Veranstaltung würde auch gut an unsere Hochschule passen. Denn hier gibt es bereits die Tradition, besonders an weltpolitisch wichtigen Tagen und zu aktuellen Themen, das interessierte Publikum einzuladen, mit Expertinnen und Experten ins Gespräch zu kommen. Die amerikanische Wahlnacht ist dabei aber keine rein akademische Veranstaltung. Wir starten mit einem Vortrag der bekannten Journalistin Natascha Strobl und einer Podiumsdiskussion, haben aber auch ein Quiz und einen Kurzfilm im Programm – und ein Büfett, zu dem alle etwas beisteuern können. Insgesamt hoffen wir auch, den Dialog zwischen Universität und Stadt weiter zu intensivieren.
Sie kündigen Analysen, Live-Debatten und kritische Gespräche über die amerikanischen Präsidentschaftswahlen an. Was wird man dabei Neues erfahren können?
Christine Gerhardt: Wir bieten zum Beispiel eine Live-Schaltung nach Boston, von dort wird unsere Mitarbeiterin Yıldız Aşar die Stimmung in Amerika in den letzten Wochen und am Wahltag selbst schildern. Auf dem Podium kommentiert Spiegel-Redakteur Malte Göbel den Endspurt im Rennen um das Weiße Haus und Natascha Strobl vergleicht den Rechtsruck in den USA mit jüngsten Entwicklungen in Deutschland. Vor allem kann das Publikum mit diesen Gästen direkt in Dialog treten und die Fragen stellen, die alle am meisten interessieren.
Natascha Strobl spricht zum Thema „Wie der radikalisierte Konservatismus die Demokratie in den USA bedroht“. Bedroht ein solcher Konservatismus nicht bereits auch Deutschland? Die CDU hat Kontakte geknüpft mit dem rechtskonservativen Think Tank „Heritage Foundation“, dem auch Donald Trump nahesteht, und vom US-Populisten Steve Bannon hat man die „Flood the zone with shit“-Strategie übernommen, also etwa zur Diskreditierung des politischen Gegners die größten Unwahrheiten zu behaupten, in dem Wissen, dass sie irgendwo in den Medien und der potenziellen Wählerschaft schon verfangen werden.
Christine Gerhardt: Ja, der Ton hat sich verschärft. Das verbale Schüren von Hass und Gewalt verändert die politische Dynamik auch in Europa signifikant. Das ist ein Grund, warum wir Natascha Strobl eingeladen haben. Sie ist dafür bekannt, die Strategien der neuen Rechten in den USA und Europa bloßzulegen und zu beleuchten. Das wird, glaube ich, kein optimistischer Vortrag – aber ihre neuesten Analysen werden auch aufzeigen, wie man rechte Hetze erkennt und vor allem, wie man sie entkräftet.
Kamala Harris lag im Oktober in den Prognosen leicht vor Donald Trump. Wie glauben Sie, wird die Wahl ausgehen?
Christine Gerhardt: Ich glaube, und hoffe auch, dass Kamala Harris gewinnt. In den letzten Wochen hat sie eine sehr erfolgreiche Kampagne hingelegt. Es ist ihr gelungen, das Momentum des Neuen für sich zu nutzen, und mit Enthusiasmus und Optimismus die Debatte zumindest zum Teil zu dominieren. Sie hat sich Veränderung und den Blick nach vorn auf die Fahnen geschrieben und schafft es auch, gegen die Strategie von Donald Trump, mit immer aberwitzigeren Aussagen Unruhe und Spaltung zu schüren, zu bestehen. Harris geht darauf nicht ein und präsentiert sich souverän und präsidial. Dabei kann man Parallelen zu erfolgreichen früheren demokratischen Kampagnen ziehen, wie der von Obama, aber auch von Franklin D. Roosevelt in den 1930ern. Beide schlugen in sehr krisenhaften Zeiten einen optimistischen Ton an. Auch ist es schon lange ein Prinzip der Demokratischen Partei, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenzubringen, anstatt die einen gegen die scheinbar anderen aufzuwiegeln. So gelingt es Harris sogar, bei einem der wenigen Themen, die Trump dominiert – Migration –, zu punkten.
Wird das Momentum für Harris bis zum 5. November reichen oder muss sie sich noch steigern?
Christine Gerhardt: Ich denke, sie muss wahrscheinlich jeden Tag nachlegen. Zum Beispiel in Wirtschaftsfragen. Denn eine Stärke von Trump, so nehmen es zumindest die Wählenden wahr, ist die Wirtschaft. In seiner Amtszeit stand die US-Wirtschaft recht gut da, allerdings primär als Folge der positiven Trends aus den Obama-Jahren. Mit der Pandemie erlebte die Wirtschaft unter Trump einen Einbruch. Bei Fragen der Abtreibung manipuliert Trump die negativen Folgen seiner Politik ähnlich. In der Abtreibungsdebatte liegt Harris derzeit klar vorn, zu Fragen von Immigration und Wirtschaft muss es ihr noch gelingen, eine starke, griffige Geschichte zu entwickeln, die überzeugt.
Wo liegen die Schwächen von Kamala Harris?
Christine Gerhardt: Sie hat wenig Zeit und viele Menschen haben das Gefühl, sie nicht zu kennen, nicht zu wissen, wofür sie steht. Außerdem könnte es nachteilig für sie sein, dass sie nicht populistisch genug agiert. Und es ist eine strukturelle Schwäche der Demokraten, sich häufig selbst zu kritisieren. Hinzu kommt, dass auch eher liberale Medien teilweise sehr kritisch über die Demokraten berichten. Das würde bei den eher rechten Kanälen wie Fox News und den republikanischen Kandidaten nicht passieren.
In Deutschland scheint Pragmatismus – Bundeskanzler Scholz nennt es Besonnenheit – im Wahlkampf erfolgversprechend. Kann es sein, dass im US-Wahlkampf ein bisschen mehr Charisma nicht schadet?
Christine Gerhardt: Ja, es geht immer auch um die Persönlichkeit der Kandidierenden. Oft wird dabei versucht, aus der eigenen Lebensgeschichte eine größere kulturelle Geschichte zu konstruieren. Bei Trump konnte man sehen, dass sein Wir-gegen-die-da-oben trotz großer Widersprüche verfängt. Bei Harris funktioniert es auf andere Art. Sie hat in ihren Reden bisher wenig über ihr Frausein oder ihren familiären Migrationshintergrund gesprochen. Das braucht sie auch nicht, das ist offensichtlich, und damit verkörpert sie die Idee vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Harris hat zugleich – das ist der deutschen Politik dann doch wieder nicht unähnlich – mit einem gewissen Pragmatismus gepunktet. Sie geht nicht auf Trumps Provokationen ein, sondern argumentiert inhaltlich. Der Wahlkampf in den USA ist viel persönlicher als hierzulande, aber die demokratischen Kandidierenden versuchen, auf persönliche Anfeindungen zu verzichten. Außerdem bedient Harris klar die amerikanischen Narrative von Hoffnung und Fortschrittsglauben. Trump versucht, diese Zukunftsorientiertheit in eine Sehnsucht nach der Vergangenheit zu verwandeln, indem er Angst vor dem Neuen verbreitet, obwohl das nicht Teil der amerikanischen kulturellen Tradition ist.
Dabei produziert Donald Trump ständig Entgleisungen und Skandale. Wieso wenden sich die Leute nicht von ihm ab?
Christine Gerhardt: Es funktioniert nach einem Muster, das auch in vielen anderen Ländern verfängt: Es werden Spaltungsfantasien bedient, die man dann politisch nutzen kann. Obwohl er durch das Vermögen seines Vaters Milliardär ist, lange in den Kreisen der Clintons verkehrte und US-Präsident war, behauptet er, für diejenigen zu stehen, die sich abgehängt und von der Politik nicht gehört fühlen. Zu diesem Zweck schürt er Ängste – vor selbstbestimmten Frauen oder vor Einwanderern, die einem angeblich wegnehmen, was einem angeblich zusteht. Wenn man so eine Welle reitet, versucht man, Chaos zu verbreiten und sich selbst als Retter darzustellen. Die Entgleisungen und Skandale bringen die nötige mediale Aufmerksamkeit und stärken das Image, gegen das Establishment anzugehen. Das funktioniert aber nur, weil die klassischen Medien in Zeiten von Social Media nicht mehr so stark rezipiert werden, dass sie als Korrektiv wirken.
Ist die US-amerikanische Gesellschaft also tatsächlich so gespalten und aufgeheizt, wie es von außen immer heißt?
Christine Gerhardt: Ja, es gibt durchaus ein Lagerdenken. Aber gerade der trumphörige Teil der Republikanischen Partei versucht bewusst, den Eindruck von kompletter Unversöhnlichkeit zu erzeugen. Der Gouverneur von Ohio hat zum Beispiel kürzlich gesagt, die Leute sollen aufschreiben, bei wem ein Harris-Wahlplakat im Garten steht. Wenn die Bevölkerung tatsächlich so tief gespalten wäre, müsste man dieses Feind-Denken jedoch nicht schüren. Tatsächlich sprechen sich nämlich viele Republikaner und Republikanerinnen für das Recht auf Abtreibung aus, und Parteigrößen wie Liz und Dick Cheney oder Mitt Romney unterstützen Kamala Harris. Offensichtlich versucht der rechte republikanische Flügel, die Idee von der unüberwindlichen Spaltung zu benutzen, um Wählende im eigenen Lager zu halten.
Werden Trumps Positionen Platz in der „American Election Night“ der Universität haben?
Christine Gerhardt: Wir haben Mitglieder der „Republicans Overseas“ und der „Democrats Abroad“ eingeladen, das sind Vereinigungen von Amerikanern und Amerikanerinnen im Ausland. Sie werden bei unserer Wahlnacht sicherlich mitdiskutieren. Und unsere „Test-Wahl“ mit allen Gästen wird zeigen, wie viele der Anwesenden für Trump wählen würden.
Welche Auswirkungen könnte die eine oder andere Präsidentschaft auf Deutschland oder Europa haben?
Christine Gerhardt: Trump hat ja bereits angekündigt, europäischen Ländern, die ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber der NATO nicht nachkommen, die militärische Unterstützung zu versagen. Auch hat er die Hilfe für die Ukraine infrage gestellt. Das würde den Druck in Europa erheblich erhöhen. Und seine Drohung, an Tag eins seiner Präsidentschaft Diktator zu sein, sollte man ernst nehmen, zumal er bereits den Schulterschluss mit verschiedenen Diktatoren gesucht hat. Harris hat sich stattdessen für eine weitere Unterstützung der Ukraine ausgesprochen und zur NATO bekannt. Sie steht generell für Stabilität in Bezug auf internationale Beziehungen und Außenhandel – was die Welt dringend brauchen kann.