Sichtbarkeit ist in der Kunst (fast) alles. In den zurückliegenden Monaten war es damit jedoch schwer – Konzerte, Aufführungen oder Ausstellungen konnten kaum stattfinden. Um dem ein wenig entgegenzuwirken, hat das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia für seine Stipendiatinnen und Stipendiaten die noch bis Dezember laufende Aktion „Art Bus Stop“ ins Leben gerufen.
Unter dem Motto „Sichtbar auch aus der Distanz“ sind die Künstlerinnen und Künstler in Zusammenarbeit mit einem Grafikbüro eingeladen worden, großflächige Plakate zu gestalten, auf denen sie sich und ihre Arbeit mal mehr, mal weniger abstrakt und interpretationsoffen präsentieren. Jedes Plakat hängt jeweils zehn Tage lang an den beiden Bamberger Bushaltestellen „Ludwigstraße Hbf“ und „Rodelbahn“. Nora-Eugenie Gomringer, die Direktorin des Künstlerhauses, hat uns Auskunft über die Aktion “Art Bus Stop” gegeben.
Wie geht es dem Internationalen Künstlerhaus nach mehreren Monaten kulturellen Stillstands?
Nora-Eugenie Gomringer: Nachdem wir für die Villa Concordia ein Hygiene- und Sicherheitskonzept zusammengestellt haben, freuen wir uns sehr, mit diesem Corona-Auflagen-Programm überhaupt Veranstaltungen und Stipendiatenbetrieb aufnehmen und jetzt erproben zu können.
Stand die Entscheidung, 2020 Stipendiaten aufzunehmen, jemals auf der Kippe?
Nora-Eugenie Gomringer: Tat sie. In den ersten drei Monaten der Pandemie war es wacklig und nicht ganz klar, ob wir Stipendiaten aufnehmen werden. So ein Künstlerhaus lebt ja davon, dass sich die Künstler auch mal begegnen und miteinander ins Gespräch kommen. Das mussten wir aber per Weisung unterbinden. Allerdings war der Sommer sehr hilfreich und hat sehr viele schöne
Möglichkeiten im Freien eröffnet.
Hat der Freistaat Bayern, der das Künstlerhaus finanziert, finanzielle Streichungen unternommen, die die Villa Concordia betreffen?
Nora-Eugenie Gomringer: Bisher überhaupt nicht, das wäre auch äußerst unüblich, weil das den laufenden Haushalt betreffen würde. In einem der ersten Telefonate, die mich aus dem Ministerium erreichten als die Lockdown-Phase begann, wurde mir geraten, bloß nicht bereits vergebene Aufträge an Handwerker abzusagen. Die Handwerker müssen weiterhin bezahlt werden. Insofern merken wir noch nichts von irgendwelchen Einschränkungen. Aber für das
nächste Haushaltsjahr erwarte ich das. Allgemeiner gesprochen glaube ich, dass
wir dem Sterben einiger freier kultureller Einrichtungen entgegensehen.
Erreichen Sie Hilferufe um finanzielle Unterstützung aus der freien kulturellen Szene?
Nora-Eugenie Gomringer: Eher Berichte aus der Szene, weniger Hilferufe. Den Leuten ist schon klar, dass wir sie finanziell nicht unterstützen können, weil wir damit die Tür öffnen würden zur Hilfe des Freistaats Bayern. Ich habe einen ganz klaren Auftrag, was ich mit den Geldern tun soll, weswegen der Spielraum nicht groß ist.
Eine Plakat-Aktion wie „Art Bus Stop“ zur Unterstützung der freien Szene wäre also nicht möglich?
Nora-Eugenie Gomringer: No way. Wir können nur unsere Stipendiatinnen und Stipendiaten, die der Freistaat mit dem Stipendium ja auch ausgezeichnet hat, unterstützen, nach außen zeigen und bekannt machen.
In welcher Stimmung befinden sich die Stipendiaten?
Nora-Eugenie Gomringer: Ich war gerade mit einer Stipendiatin essen und sie sagte, sie sei total überrascht von der hohen Kollegialität und dem geduldigen Umgang miteinander, weil die Stipendiaten zurzeit dazu aufgefordert sind, zum Beispiel Verhandlungen um Besuchszeiten von Verwandten miteinander zu führen. Hinzu kommt der Bamberger Sommer, der immer so barock
und glücklich machend daherkommt und einiges zur Stimmung beigetragen hat, dass die Aufenthaltszeit einen entspannten Start hatte.
Kann man sagen, dass es unabhängig von fehlenden Auftritts- oder Ausstellungsmöglichkeiten, eigentlich kaum eine bessere Zeit für ein Stipendium gibt als diese? Das Geld fließt und man kann in Ruhe arbeiten.
Nora-Eugenie Gomringer: Eigentlich ja. Ich habe mit ehemaligen Stipendiaten gesprochen, die sagen, dass sich an ihrem Leben eigentlich gar nichts geändert hat. Sie wohnen irgendwo auf dem Land, schreiben zum Beispiel und bekommen es gar nicht mit, was mit der Welt passiert. Aber man
merkt es natürlich spätestens dann trotzdem, wenn es keine Auftritts- oder Ausstellungsmöglichkeiten gibt. Es ist ein schöner Gedanke, dass diese Zeit eine gute Zeit für ein Stipendium ist. Ich stelle allerdings fest, dass sich die Künstler bei uns im Haus derzeit weniger auf ihre Arbeit konzentrieren können, weil sie übermäßig Familienangelegenheiten organisieren und auffangen müssen.
Was passiert mit Kuratoriumsmitglied Christian Lange, nachdem er angekündigt hat, sich aus der Politik zurückzuziehen?
Nora-Eugenie Gomringer: Er ist bereits aus dem Kuratorium ausgeschieden und wer jetzt qua Amt von der Stadt Bamberg drin ist, ist Ulrike Siebenhaar.
Wie sind Sie auf die Plakat-Aktion „Art Bus Stop“ gekommen?
Nora-Eugenie Gomringer: Teilweise habe ich es mir gewünscht, teilweise hatte ich mir die Aktion, Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit zu schenken, an großen Plakatwänden sichtbar zu werden, von der freien Nürnberger Szene abgeschaut. Dann wollte ich aber etwas machen, was an sich schon Kunst ist. In Nürnberg war die Aktion eher visitenkartenmäßig angelegt und gab
Auskunft darüber, wer was bietet. Ich wollte, dass die Plakate durch ihre Gestaltung immer auch ein bisschen ein Rätsel bleiben, so dass man vielleicht Lust bekommt, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Im Moment sind Werbeflächen außerdem günstig, und wir konnten von Mitte August bis Ende Dezember zwei Wände an Bushaltestellen mieten. Normalerweise erscheint einmal im Jahr unser Concordi.A.-Magazin, aber dieses Jahr war ich auf der Suche nach einer anderen Möglichkeit des Nach-außen-Wirkens.
Hätte die Aktion also auch ohne die Beschränkungen der Corona-Eindämmung
stattgefunden?
Nora-Eugenie Gomringer: Nein, wahrscheinlich wäre ich an der Idee nicht so drangeblieben. Es geht ja auch darum, verantwortungsvoll mit unseren Geldern umzugehen. Zu sehen, dass alle anderen um einen herum struggeln, erzeugt einen gewissen Druck, Werbemaßnahmen nicht zu protzig, aber trotzdem effektvoll zu machen. Wir leisten uns die Aktion nur deswegen, weil Werbeflächen in diesem Jahr billiger als sonst sind.
Wie haben die Künstlerinnen und Künstler die Aktion “Art Bus Stop” aufgefasst?
Nora-Eugenie Gomringer: Sie sind begeistert. Es ist nicht so, dass ihnen schon oft so große Flächen für eine Selbst-Image-Kampagne zur Verfügung gestellt wurden. Alle haben sich der Herausforderung gestellt und etwas designt.
Warum haben Sie Bushaltestellen für die Aktion ausgewählt?
Nora-Eugenie Gomringer: Ich gebe zu, das ist eine rein persönliche Auswahl, denn ich empfinde diese Bushaltestellen als kleine Villa Concordias. Es geht aber auch um gute Fotografierbarkeit. Gerade die Haltestelle Rodelbahn ist so eine typische Bushaltestelle – zwei Sitze, Überdachung. Und wenn man aus ein bisschen Distanz darauf schaut, sieht man das Plakat mitten in der Landschaft. Das hat eine sehr schöne schräge Wirkung. Die Haltestelle am Bahnhof auszuwählen, ist außerdem einer urbanen Kommunikation geschuldet. Dort ist viel los und es wird am wenigsten auf Plakate geachtet. Wenn an diesem Ort ein Plakat funktioniert, also angeschaut wird, hat es eine Chance.
Aber machen Sie sich keine Sorgen, dass Passanten, die ja bereits wissen, wo ihnen Werbung begegnen wird, zum Beispiel an einer Bushaltestelle am Bahnhof, die Plakate keines zweiten oder vielleicht nicht einmal eines ersten Blickes würdigen werden?
Nora-Eugenie Gomringer: Absolut, aber Werbung als Kommunikation ist ein sehr herausforderndes Feld, eben weil der Markt so überschwemmt ist und Werbung meistens nur en passant konsumiert wird.
Warum haben Sie die am Stadtrand liegende und nur von einer Buslinie frequentierte Haltestelle Rodelbahn ausgewählt? Hier scheint die Gefahr, dass niemand die Haltestelle sieht, ebenfalls groß.
Nora-Eugenie Gomringer: Nein, von dort bekommen wir die meisten Rückmeldungen, Fotos der Haltestelle, zugeschickt. Und sie ist meine absolute Lieblingshaltestelle und hat viel mit meinem Verständnis von Wirkung zwischen Kunst und dem Ort, an dem sie sich befindet, zu tun.
Wann ist die Aktion ein Erfolg?
Nora-Eugenie Gomringer: Wenn einerseits die Gestalter, also die Stipendiaten und Grafiker, glücklich sind. Und andererseits, wenn die Rückmeldungen interessant sind. Aber gerade in diesen Zeiten sind solche Aktionen ja ergebnisoffen.
Ist „Art Bus Stop“ eher eine Kunst- oder eine Werbeaktion?
Nora-Eugenie Gomringer: Was alle Stipendiaten akzeptieren mussten, ist, dass es auf jedem Plakat einen Hinweis auf die Villa Concordia gibt und eine Bezeichnung des jeweiligen künstlerischen Genres. Alles andere ist frei. Manche nutzen es als Werbung, manche nicht.
Noch bis 7. September sind die Plakate von Komponist Vito Zuraj zu sehen. Darauf ist er vor einer seiner Partituren und im Hintergrund eingefügten Begriffen und Symbolen aus der Gastronomie abgebildet. Was hat es mit dieser Gestaltung auf sich?
Nora-Eugenie Gomringer: Vito Zuraj hat ein Stück namens „Hors d’oeuvre“ für einen Sternekoch geschrieben. Die Gestaltung des Plakats ist eine Hommage oder ein Anzitieren dieser Komposition.
Wurden bei der Gestaltung der Plakate mögliche Wechselwirkungen mit umliegenden Werbeflächen berücksichtigt? Denn Vito Zurajs Plakat am Bahnhof, auf dem er in seinem roten Polohemd ein wenig an einen Baumarktmitarbeiter erinnert, hängt direkt neben einem Plakat vom toom-Baumarkt.
Nora-Eugenie Gomringer: Das sind die schönen Zufälle, auf die die Werbung trifft. Manchmal ergeben sich neue Narrative oder Kontexte, die aber willkommen sind. Ich warte auf den ersten Sprayer, der sich auf einem der Plakate verewigt. Aber in Bamberg sind ja alle sehr brav.
Weitere Informationen zu “Art Bus Stop” und Interviews mit den Künstlerinnen und Künstlern unter: