Is it cake?

Aus­stel­lung „Fake Food: Essen zwi­schen Schein und Sein“

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Fake Food
Fischförmige Gefäße, Foto: Silke Heimerl, Museen der Stadt Bamberg
Essen ist nicht ein­fach nur Essen. Schon seit hun­der­ten Jah­ren wird es nicht nur ser­viert, son­dern auch insze­niert. Teil­wei­se geht es ohne eine gewis­se Thea­tra­lik drum­her­um kaum. In der Aus­stel­lung „Fake Food“ beleuch­tet die Samm­lung Lud­wig im Alten Rat­haus „Essen zwi­schen Schein und Sein“ mit heu­ti­gen Mit­teln und Barock-Fayencen.

Ein bekann­ter Strea­ming-Anbie­ter hat eine Quiz-Sen­dung im Pro­gramm, in der die Teil­neh­men­den unter dem Namen „Is it cake?“ raten müs­sen, ob ein all­täg­li­cher Gegen­stand, der ihnen prä­sen­tiert wird, echt oder täu­schend echt aus Kuchen geba­cken ist. Schrei­tet der Mode­ra­tor zur Auf­lö­sung und setzt ein Mes­ser an etwas an, das zum Bei­spiel eine Bow­ling­ku­gel oder ein Schuh ist, bezie­hungs­wei­se ihnen gleicht, ist die Über­ra­schung nicht sel­ten groß, wenn die Klin­ge durch den Gegen­stand fährt und das geba­cke­ne Inne­re eines Kuchens entblößt.

Ähn­li­chen Rate­spie­len gab man sich bereits in den baro­cken Zei­ten des 18. Jahr­hun­derts hin. Damals wur­den Tisch­de­ko­ra­tio­nen in höher­ge­stell­ten Häu­sern zu beson­de­ren Anläs­sen Kera­mik­ge­gen­stän­de, soge­nann­te Fay­en­cen, hin­zu­ge­fügt. Die­se gli­chen ihrer­seits ver­schie­dens­ten Lebens­mit­teln täu­schend echt. Zwar hat­ten die Fay­en­cen nicht den Sinn, wie bei der Kuchen­sen­dung, ange­schnit­ten zu wer­den, um ihre (Un-)Echtheit zu prü­fen. Damals stand eher eine gewis­se der Zeit ent­spre­chen­de thea­tra­li­sche Insze­nie­rung der Tafel und das Zur­schau­stel­len von Wohl­stand im Vor­der­grund. Zu Dis­kus­sio­nen dar­über, ob das Prä­sen­tier­te nun echt oder nicht ist, kam es gewoll­ter­wei­se aber gleichermaßen.

„Auf baro­cken Tisch­ta­feln herrsch­te gro­ßer Bedarf nach Fay­en­cen“, sagt Kris­tin Kne­bel, Direk­to­rin der Bam­ber­ger Muse­en. „Es war lan­ge Zeit üblich, gan­ze Land­schaf­ten dar­aus auf­zu­bau­en, um damit Gesprächs-Anläs­se zu schaf­fen. Denn oft saßen an sol­chen Tafeln Frem­de bei­ein­an­der, die mit­ein­an­der ins Gespräch kom­men und auch ein biss­chen gefoppt wer­den sollten.“

Die Samm­lung Lud­wig hat dut­zen­de sol­cher Fay­en­cen in ihrem Bestand – aller­dings ohne sie jemals alle öffent­lich gezeigt zu haben. Mit der Aus­stel­lung „Fake Food: Essen zwi­schen Schein und Sein“, die noch bis 26. Novem­ber in der Samm­lung Lud­wig im Alten Rat­haus zu sehen ist, wur­de das nun geändert.

Auf den bei­den Stock­wer­ken der Samm­lung zeigt die Aus­stel­lung inter­ak­ti­ve Mul­ti­me­dia-
instal­la­tio­nen, Geruchs- und Geschmacks­tests und 50 Nah­rungs­mit­teln nach­emp­fun­de­ne Keramikstücke.

Dazu gehö­ren alle mög­li­chen Früch­te- und Gemü­se­sor­ten und ver­schie­dens­te Tie­re wie Fische, Vögel oder Schild­krö­ten. Man­che der Fay­en­cen könn­ten mit etwas gefüllt wer­den, etwa um Sup­pe aus ihnen zu ser­vie­ren – ande­re dien­ten aus­schließ­lich der Augen­täu­schung. „In der Aus­stel­lung geht es um eine Ver­bin­dung der his­to­ri­schen Dar­stel­lun­gen von Essen anhand der Fay­en­cen und der Dar­stel­lung von Essen heu­te. Hier und da stellt sich die Fra­ge, was ist echt und was unecht.“

Das Auge isst mit

Von Strea­ming-Shows abge­se­hen – wor­in besteht der Schein heu­ti­gen Essens? „Der Schein am heu­ti­gen Essen“, sagt Kris­tin Kne­bel, „hat kaum mehr die Absicht, Ver­wir­rung bei Tisch zu schaf­fen. Heu­te besteht er eher dar­in, dass zum Bei­spiel ande­re Inhalts­stof­fe ange­ge­ben wer­den als drin sind. Oft wird etwa sug­ge­riert, dass spe­zi­el­le Nah­rung beson­ders gesund sei, was dann aber nicht immer der Fall ist.“

Meter­ho­he drei­di­men­sio­na­le Papp­auf­stel­ler von rie­si­gen Tört­chen ver­sinn­bild­li­chen das gleich zu Beginn der Aus­stel­lung. Steht man direkt davor, sieht man den Schein, also ihre Gemacht- und Unecht­heit sofort. Aus eini­ger Ent­fer­nung betrach­tet könn­ten die Papp­tor­ten – lässt man ihre Grö­ße außer acht – aber auch echt sein.

Wobei ein biss­chen Schein beim Essen schon sein muss. Denn was ist das Zube­rei­ten oder Anrich­ten von Essen ande­res, als die Nah­rung nicht nur in eine ess­ba­re, son­dern auch in eine ess­bar erschei­nen­de Form zu brin­gen. „Wir ken­nen den Spruch: das Auge isst mit. Das hat man sich mit opu­lent gedeckt Tafeln und Fay­en­cen schon im Barock zunut­ze gemacht. Und auch heu­te, wenn wir Gäs­te zum Essen emp­fan­gen, rich­ten wir den Tisch beson­ders schön her. In ande­rer Atmo­sphä­re nimmt man Essen anders wahr.“

Essen und Identität

Essen ist und war aller­dings nie ein­fach nur Essen. Zu sehr ist es poli­tisch, emo­tio­nal und kul­tu­rell auf­ge­la­den. Aktu­el­le Dis­kus­sio­nen über Nach­hal­tig­keit von Lebens­mit­tel­her­stel­lung, nicht zuletzt vor dem Hin­ter­grund der Aus­wir­kun­gen auf das Kli­ma, bele­gen dies. Auch kul­tu­rel­le Prä­gung oder Iden­ti­tät haben oft einen kuli­na­ri­schen Ein­schlag. Vie­le Orte hal­ten ihre Küche für bemer­kens­wert, vie­le Men­schen iden­ti­fi­zie­ren sich zum Bei­spiel über Veganismus.

Kaum grund­le­gend anders war es im Barock. „Damals konn­te man durch das Essen sei­ne Stan­des­zu­ge­hö­rig­keit zei­gen“, sagt Kris­tin Kne­bel. „Gera­de im Adel gab es prunk­vol­le Essens­ge­wohn­hei­ten, die durch­aus immer zur Schau gestellt wur­den. Man woll­te sich dabei prä­sen­tie­ren und sich unterscheiden.“

Im Gegen­satz zu heu­ti­gen Iden­ti­täts­schlach­ten kamen sol­che Zur­schau­stel­lun­gen vor 250 Jah­ren aber wohl ohne Ver­bis­sen­heit aus und setz­ten dafür eher auf eine spie­le­ri­sche Note. Denn, sol­che Tisch­de­ko­ra­tio­nen soll­ten nicht nur zur Dis­kus­si­on anre­gen, son­dern auch für ein paar Lacher oder viel­leicht sogar ein wenig woh­li­gen Ekel bei Tisch sor­gen. „Es kam zum Bei­spiel vor, dass der Tisch mit Tel­lern gedeckt wur­de, die mit lebens­echt aus­se­hen­den Insek­ten oder Ähn­li­chem bemalt waren. Auch haben wir in unse­rer Samm­lung eine lebens­gro­ße Fay­en­cen-Eidech­se, die auf einem Tel­ler sitzt. Bei­des dien­te wohl dazu, das Ekli­ge und das Ange­neh­me zu verbinden.“

Fake Food
Mit VR an die baro­cke Tafel

Im Zen­trum von „Fake Food: Essen zwi­schen Schein und Sein“ steht eine sozu­sa­gen begeh­ba­re Vir­tu­al-Rea­li­ty-Anwen­dung. Die­se macht den Schein von damals erleb­bar. An einem meter­lan­gen Tisch kann man Platz neh­men und per VR-Bril­le in eine baro­cke Insze­nie­rung die­ses Tisches eintauchen.

Ohne Bril­le bie­tet der Tisch dem Publi­kum einen unspek­ta­ku­lär und karg gedeck­ten Anblick. Mit Bril­le sieht man eine auf­wän­dig her­ge­rich­te­te Tafel vor sich – inklu­si­ve der Fay­en­cen der Aus­stel­lung –, die in einem eben­so präch­ti­gen Spei­se­saal steht. Und man sitzt nicht allein an die­sem vir­tu­el­len Tisch.

Mit Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­lern auf­ge­nom­me­ne Gesprä­che wer­den in den vir­tu­el­len Anblick ein­ge­speißt, die vir­tu­el­len Figu­ren unter­hal­ten sich also mit­ein­an­der, und per Augen­be­we­gung in der Bril­le kann man den Fort­lauf der Gesprä­che beeinflussen.

„Die­se Anwen­dung ver­setzt uns zurück in die baro­cke Zeit“, sagt Kris­tin Kne­bel. „Im Rok­ko­ko­saal des Alten Rat­hau­ses haben wir die Sze­nen gedreht mit Schau­spie­lern, die sich über die Inhal­te der Aus­stel­lung unter­hal­ten. Die Nut­zer erle­ben dabei alle eine ande­re Geschich­te, weil sie sich wahr­schein­lich für ande­re Ver­läu­fe des Tisch-Gesprächs ent­schei­den. Und hin­ter­her kann man sich, wie­der­um als Gesprächs­an­lass, über das vir­tu­ell Gese­he­ne unterhalten.“

Wobei die Aus­stel­lung an die­ser Stel­le nicht ver­gisst, auch eine heu­ti­ge Mög­lich­keit auf­zu­grei­fen, Essen zu insze­nie­ren: Nur weni­ge The­men wer­den in sozia­len Medi­en so zahl­reich und häu­fig mit Posts bedient, wie Fotos von Essen hoch­zu­la­den – dies kann man direkt unter dem Hash­tag der Aus­stel­lung tun. Denn oft scheint der Wert einer Mahl­zeit nur dann voll­stän­dig sein zu kön­nen, wenn man ein Foto der­sel­ben mit sei­ner Com­mu­ni­ty geteilt hat. Die Nah­rung ver­spricht nicht nur Nähr­stof­fe, son­dern auch Likes. Eines davon ist wich­tig, das ande­re scheint wichtig.

Wie geht es dem Hamburger?

Im Aus­stel­lungs­teil im zwei­ten Stock­werk wird es kon­kre­ter, soll hei­ßen, es gibt etwas Rea­les zu essen. Wie­der­um unter dem Gesichts­punkt des Schein­ba­ren ser­viert das Muse­um für einen Jel­ly­be­ans-Geschmacks­test dut­zen­de der klei­nen Gelee­boh­nen. Die­se schme­cken aber bekannt­lich nicht immer nach dem, was ihre fruch­tig-bun­ten Far­ben nahelegen.

Auch kann man an ver­schie­de­nen kuli­na­ri­schen Rate­spie­len teil­neh­men. Ein­mal bie­tet sich die Mög­lich­keit, in einem Quiz anhand von Ess­ge­räu­schen zu erra­ten, was geges­sen wird, und in einem Schnup­per­test ist das Publi­kum ange­hal­ten, ver­schie­de­ne Gewür­ze zu erschnüffeln.

Und dann stellt sich noch die Fra­ge: Wie geht es dem Ham­bur­ger? Ein sol­cher wur­de zum Beginn der Aus­stel­lung im April fer­tig gekauft, erhitzt und dann in eine Vitri­ne plat­ziert. Auf nicht unbe­dingt appe­tit­för­dern­de Wei­se ans Ver­gäng­li­che mah­nend, hat­te sich Mit­te Sep­tem­ber eine nicht zu über­se­hen­de Schim­mel­schicht auf dem Bur­ger aus­ge­brei­tet. Kon­ser­vie­rungs­stof­fe machen Lebens­mit­tel zwar ziem­lich lan­ge halt­bar, aber das Alter der meh­re­re 100 Jah­re alten Fay­en­cen wird das Fleisch­bröt­chen wohl nicht mehr erreichen.

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