Das oberfränkische Bischofsgrün hat eine ungewöhnliche Tradition. Jedes Jahr bauen Leute aus dem Örtchen kurz vor Fasching auf dem Marktplatz ein meterhoher Schneemann.
In den Morgenstunden des 9. Februars wird sich auf dem Marktplatz von Bischofsgrün eine ungewöhnliche Szene abspielen. Dann rückt eine Gruppe von etwa zehn einheimischen Männern an, dick eingepackt und ausgerüstet mit allerlei Schneeschaufeln, und beginnt, mehrere LKW-Ladungen Schnee aufzuschütten und zu formen. Denn das knapp 2.000 Einwohner:innen zählende Städtchen, gelegen im Fichtelgebirge im Landkreis Bayreuth, hat eine ungewöhnliche Tradition. Jeden Winter wird seit knapp 40 Jahren kurz vor Fasching vor der Matthäuskirche ein riesiger Schneemann aufgebaut. Die meterhohe Figur mit Zylinder und spitzer Nase trägt den Namen Jakob.
Den Anstoß zu dieser Tradition gab 1985 der Skilehrer Horst Heidenreich. An einem Schlechtwetter-Tag im Februar, als Skifahren im Gebirge nicht möglich war, saß er im Gasthaus am Marktplatz und langweilte sich. Um dem entgegenzuwirken, kam Heidenreich auf die Idee, zusammen mit einigen Freunden auf dem Platz einen Schneemann zu bauen. Als die Arbeit einige Stunden später fertig war, war diese erste Ausgabe des heutigen Bischofsgrüner Aushängeschilds fast drei Meter groß geworden. „Viele dachten damals: Was ist das für ein Unsinn?“, sagt Wilhelm Zapf von der örtlichen Tourismusinformation. „Andere erkannten aber auch gleich das touristische Potenzial. Und seit diesem Jahr wird der Schneemann immer wieder gebaut.“
In den ersten Jahren trug der Schneemann allerdings noch keinen Namen, erst 1989 änderte sich dieser Zustand. Bischofsgrüns damaliger Bürgermeister Franz Sieber wurde von einem Fernsehreporter gefragt – medial war der Schneemann bereits angekommen – wie die Figur denn heiße. Und aus einer Laune heraus sagte der Bürgermeister einfach: „Jakob.“ „Wie er darauf gekommen ist, weiß allerdings niemand“, sagt Wilhelm Zapf.
Aufbau des Schneemanns
2024 sind Jakob, sein Aufbau und ein ihm gewidmetes Schneemannsfest längst fest im örtlichen Veranstaltungskalender verankert. Auch die Gruppe der Schneemann-Bauer ist seit einigen Jahren dieselbe. „Das sind seit Jahren mehr oder weniger immer dieselben ehrenamtlichen Bischofsgrüner“, sagt Wilhelm Zapf, „die sich Urlaub nehmen, um an diesem Tag Jakob zu bauen – – übrigens immer noch zusammen mit dem mittlerweile 85-jährigen Horst Heidenreich.“
Sind die Schneemassen herbeigeschafft, unter tätiger Mithilfe des Bauamtes und seines Fuhrparks aus Baggern und so weiter, beginnen die Erbauer, die drei kugeligen Körperteile der Figur zu formen. Die Dimensionen des letztlichen Resultats mögen größer sein, ansonsten unterscheidet sich dieser Schneemannbau grundsätzlich aber kaum von der Vorgehensweise bei herkömmlichen Schneemännern. Eine Schnee-Kugel, die größte und unterste, gibt den Rumpf ab. Auf diese setzen die Männer den mittleren Brustteil, ehe sie zum Abschluss den Kopf platzieren. Wobei, die mittlerweile fachmännische Begleitung des Ganzen das Bischofsgrüner Bau-Projekt zusätzlich ungewöhnlich macht.
„Wir haben von der Universität Bayreuth einen Professor für Statik dabei, Peter Schmidt. Er stammt aus Bischofsgrün und berechnet jedes Jahr die Standfestigkeit des Schneemanns, damit Jakob nicht einstürzt und gerade steht.“ Auch wird zusätzlich eine Art Verschalung um die drei Bestandteile gelegt, um sie in Form zu pressen und stabiler zu machen.
Wenn diese Arbeit nach einigen Stunden erledigt ist und die Schalen wieder entfernt sind, beginnt die Verzierung. Wie in den Jahren zuvor soll Jakob auch 2024 wieder einen blauen Zylinder auf dem Kopf, einen bunten Schal um den Hals und ein Lächeln im Gesicht tragen. Eine Fliege, eine Knopfleiste und eine Reisig-Rute vervollständigen die Bischofsgrüner Attraktion. Allerdings fehlen Jakob Arme oder Hände, um die Rute zu halten. Darum hatte bereits Horst Heidenreich die Idee, wie auch immer geartete Gliedmaßen hinzuzufügen. Zustande kam der Einfall in Jakobs bald 40-jähriger Geschichte jedoch noch nie. „Die anderen Scheemannbauer finden, dass Arme anzubringen, zu kompliziert ist“, sagt Wilhelm Zapf. Darum wolle man auch diesmal spontan entscheiden. „Aber wir lassen uns überraschen.“
Nur einmal konnte Jakob nicht gebaut werden
Ein Merkmal des Schneemanns, das von den Vorgaben des Marktplatzes und vor allem des Wetters abhängt, ist unterdessen seine Höhe. „Je mehr es schneit“, sagt Wilhelm Zapf, „umso größer kann der Schneemann werden. 2015 haben wir die Rekordhöhe von 12,65 Meter erreicht.“ Seitdem konnte Bischofsgrün dieses Ausmaß jedoch nicht mehr übertreffen und viel höher kann die Figur ohnehin nicht werden. „Denn je höher der Schneemann wird, umso breiter muss sein unterstes Bestandteil sein, damit er sicher steht. Dafür müsste aber ab einem gewissen Durchmesser der Kugel die Straße am Marktplatz gesperrt werden. Da das nicht geht, denke ich, ist bei 13 oder 13,5 Meter Höhe Schluss.“
Eine natürliche Maßgabe, die Jakobs Wachstum nach oben begrenzt, ist die zur Verfügung stehende Menge seines Baumaterials. Hat es viel geschneit, kann er höher werden als bei wenig Schnee. Vornehmlich versuchen die Erbauer, für die jährliche Errichtung auf Schnee, den das Bauamt aus dem Dorf herbeigeschafft hat, zurückzugreifen. Aber dort hatte es zuletzt, der Grund dafür könnte die globale Erwärmung sein, nicht mehr ausreichend geschneit. „In den letzte Jahren mussten wir Schnee aus dem höher gelegenen Fichtelgebirge herbeischaffen“, sagt Wilhelm Zapf. „Und voraussichtlich werden wir das 2024 wieder machen müssen.“
Da das eigentliche Ziel aber darin bestehe, dass der Schneemann überhaupt gebaut werden kann und gut aussieht, „ist es letztendlich aber fast zweitrangig, ob er neun zehn oder elf Meter hoch ist. Und wenn wir einmal sehr wenig Schnee hatten, haben wir ihn eben kleiner gebaut. Dann war Jakob nur sechs oder sieben Meter groß.“
Auf den Fall völliger Schneelosigkeit ist Bischofsgrün, wie Wilhelm Zapf zugibt, bisher aber noch nicht vorbereitet. „Wenn es wirklich einmal überhaupt nicht schneien sollte, auch nicht im Gebirge, dann weiß ich nicht, was wir tun. Das müssen wir dann den Schneemannbauern überlassen. Die lassen sich etwas einfallen.“
Wäre Kunstschnee eine Alternative? „Das haben wir auch schon diskutiert. Die Schneemannbauer wären aber dagegen, weil sie Kunstschnee nicht als authentisch empfinden würden. Es soll Naturschnee sein.“
Vielleicht müsste dann wiederholt werden, was sich bereits im Winter 2021 zutrug. Damals konnte zum ersten und bisher einzigen Mal beziehungsweise durfte der Schneemann nicht aufgebaut werden. Das Corona-Versammlungsverbot stand dem im Wege.
Schneemannsfest als alternative Faschingsveranstaltung
Wenn alles gutgeht, soll heißen, wenn es am Aufbautag Anfang Februar genug Schnee gibt, ist in etwa zehn Stunden alles geschafft. Um sieben Uhr am Morgen geht es los, um 17 Uhr ist Jakob fertig. Am nächsten Tag kommen die ersten Schaulustigen. Denn das erwähnte touristische Potenzial weiß Bischofsgrün durchaus zu nutzen.
Tatsächlich scheint der Schneemann sogar weit über die Grenzen Frankens hinaus bekannt zu sein. „Wir haben Zeitungsausschnitte aus ganz Deutschland und Frankreich, China, den USA oder Australien, die über ihn berichten“, sagt Wilhelm Zapf. „Und die Sendung mit der Maus war auch schon da.“
In Zahlen ausgedrückt kommen jährlich tausende Tagesgäste wegen des Schneemanns in den Ort, etwa um erst Fotos zu machen, dann womöglich noch etwas zu essen oder am Ochsenkopf, dem nahegelegenen, zweithöchsten Berg im Fichtelgebirge, Ski zu fahren. Auch gibt es viele, die zusätzlich übernachten. „Wir sind ausgebucht in dieser Zeit. Wir haben Jakob pro Saison 600 bis 700 Übernachtungen zu verdanken.“
Und das fränkische Bischofsgrün wäre nicht das fränkische Bischofsgrün, wenn es nicht auch irgendwo noch um Bier ginge. So gibt es ein eigens gebrautes Schneemannsbier, eine Erfindung des Schneemannbauers Jürgen Greiner. Bis auf wenige Ausnahmen, werde es aber erst getrunken, versichert Wilhelm Zapf, wenn der Schneemann steht.
Wenn einige Tage nach dem Aufbau am Rosenmontag aber das Bischofsgrüner Schneemannsfest rund um den Marktplatz beginnt, schließt sich die ganze Dorfgemeinschaft den Feierlichkeiten an. Essensstände und Geschenkstände werden aufgebaut, ein Kinderprogramm veranstaltet – so zeigen Kinder der örtlichen Grundschule zusammen mit ukrainischen Kindern dieses Jahr eine Tanznummer – ab 19 Uhr gibt es Musik samt Festumzug und Gesangeinlagen. „Das Schneemannsfest ist so etwas wie eine alternative Faschingsveranstaltung, weswegen viele auch verkleidet kommen.“
Drei oder vier Wochen, wiederum abhängig von den Temperaturen, bleibt der Schneemann stehen. Zusammengestürzt ist er noch nie, aber wenn es zu warm wird und er zu schmelzen beginnt, wird er aus Sicherheitsgründen abgebaut.