In jeder Ausgabe des Stadtechos legen wir einer Bamberger Persönlichkeit einen Fragebogen vor. Diesmal hat Victoria Weich die Fragen beantwortet. Ab der Spielzeit 2021//2022 ist sie Leitende Dramaturgin am ETA Hoffmann Theater.
Frau Weich, was braucht gutes Theater?
Ein politisch geschärftes und dem Unerklärlichen zugewandtes Bewusstsein. Die Liebe zur Schauspielkunst und zur Literatur. Einen Platz in der Stadt. Talente. Geld.
Was mögen Sie am Theater?
Dass Schreinerinnen, Schlosser, Maskenbildner, Malerinnen, Schauspieler und Regisseurinnen unter einem Dach und für eine gemeinsame Sache arbeiten. Dass wir das Publikum mit unserer Kunst erfreuen, berühren, wütend machen oder zur Reflexion auffordern dürfen und damit ein Teil einer lebendigen Gesellschaft sind. Dass ich mich in meinem Beruf um literarische, künstlerische, philosophische, soziale, politische, musikalische und emotionale Inhalte kümmern darf – das macht mich demütig und glücklich. Dass es hier mal intensiv, laut und wild zugeht, wir nachdenklich, präzise und für uns sein können. Die Aufregung vor Premieren! Das Stimmengewirr im Foyer! Das Gefühl, mit der Kunst und an der Welt gemeinsam lernen zu können.
Welches Buch haben Sie zuletzt nicht zu Ende gelesen?
Vor „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace habe ich nach einem Drittel kapituliert; bis heute schaue ich mit Reue auf den Buchrücken in meinem Regal und muss mit lauter losen Enden der Erzählung leben. Normalerweise bin ich aber streng und lese zu Ende.
Zahlen Sie gern Rundfunkgebühren?
Ja, unbedingt. Privat wie beruflich bin ich angewiesen auf unabhängige Berichterstattung und zum Beispiel Features über das Leben am anderen Ende der Welt.
Töten Sie Insekten?
Nur wenn sie mich sehr stören. Spinnen und andere Krabbeltiere trage ich nach draußen, Mücken und Motten müssen dran glauben.
Darf man in Ihrem Schlafzimmer rauchen?
Verboten ist bei mir sehr wenig.
Wie viele Apps sind auf Ihrem Smartphone? Welche benutzen Sie am meisten?
63, das Meiste – und Meistgenutzte – ist Organisatorisches wie die DB App, Mails, natürlich diverse Messenger und Instagram.
Wovon waren Sie zuletzt überrascht?
Beim CSD in Bamberg waren doppelt so viele Menschen wie angedacht – ist das nicht eine tolle Überraschung?
Was ist Ihr größter Wunsch?
Selbstständig und integer handeln und gleichzeitig langfristige, tiefe Beziehungen halten zu können.
Wie sieht ein perfekter Tag für Sie aus?
Früh aufwachen, lesen und allein sein, während alles noch schläft. Vielleicht schwimmen, flanieren oder in die Natur gucken. Abends ein rauschendes Dinner mit Freund*innen, ein faszinierender Theaterabend, und im Moment ganz dringend: nachts in einen Club oder eine vollgestopfte Bar.
Worüber haben Sie sich zuletzt geärgert?
Oh, über Armin Laschet. Dass die CDU sich öffentlich dazu bekennt, mit der AfD einer Meinung zu sein, er null Konsequenzen erfährt, während Annalena Baerbock kaum zu Inhalten kommt, weil sie von einem Dreck in den nächsten gezogen wird. Misogynie at its best.
Wovor haben Sie Angst?
Ich habe Angst vor Wissenschaftsfeindlichkeit im Diskurs, vor dem Verlust der Fähigkeit zur Dialektik; dass wir Menschen die Erde und das gesellschaftliche Gefüge zerstören, weil lebensfeindliche, kapitalistische Entscheidungen getroffen werden. Vor Kunstfeindlichkeit.
Welchen Luxus leisten Sie sich?
Ich überlege nicht mehr, ob ich mir dieses oder jenes Buch leisten kann – ich kaufe es einfach. In der Mittagspause ins Hainbad gehen ist Luxus, gehoben Essengehen auch. Und mir radikal Zeit nehmen für wichtige Menschen ist – in diesem Job – manchmal Luxus, der aber sein muss.
Haben Sie ein Lieblingsgeräusch?
Eine laufende Spülmaschine, die Schritte der Person im Treppenhaus, auf die man wartet, das Öffnen von Klettverschluss.
Wann haben Sie zuletzt geflirtet?
Letzte Woche mit meiner Lieblingsbäckerin.
Wann und warum hatten Sie zum letzten Mal Ärger mit der Polizei?
Ich kenne die Polizei hauptsächlich von Demonstrationen. Friedlich in Köln bei „bunt statt braun“ oder Tanzdemos standen wir behelmten und berittenen Polizist*innen gegenüber, das hat sich teilweise angespannt angefühlt; staatlich ausgeführte Gewalt wurde körperlicher erfahrbar, aber Ärger hatte ich zum Glück nicht.
Was war Ihr schönster Theatermoment?
Unser Ensemble (bei Premieren besonders) auf der Bühne zu sehen, ist immer wieder ein schönster Moment, der mich stolz macht. Jeder Theatermoment birgt die Möglichkeit, mich neu zu faszinieren – das ist ein Geschenk.
Mit welcher großen Theaterregisseurin oder welchem großen Theaterregisseur können Sie gar nichts anfangen?
„Große“ Theaterregisseure – es sind ja dann doch bis dato viele Männer – haben ihre Bühnensprache gefunden und können an sehr gut ausgestatteten Häusern mit faszinierenden Künstler*innen arbeiten. Das ist kein Garant für gutes Theater, aber der Respekt und die Bewunderung überwiegen bei mir trotzdem. Castorf findet nach bewährtem Prinzip kein Ende in ewigen Erzählschleifen, die mich irgendwann langweilen. Dafür gibt es vielleicht die eine Schauspielerin, die an die Rampe tritt, und mir mit ihrer Stimme und ihrer Sprachbehandlung die Schuhe auszieht. Mir hat mal eine kluge Kollegin geraten, wenn ich nicht wisse, was ich mit dem Abend anfangen soll, könne ich doch ganz genau beobachten, was wer wie macht. Das kann dazu führen, dass ich eine Aufführung dann trotzdem nicht leiden kann. Aber mit dem Abend eine Überlegung, eine Beobachtung oder eine Haltung zu üben, das finde ich für mich selbst immer erstrebenswert.
Was ist Ihre schlechteste Angewohnheit?
Zuweilen befällt mich die innere Besserwisserin. Ich bin mir zum Beispiel sehr sicher, dass ich weiß, wie Möhren zu schneiden sind, oder ab und zu wie überhaupt die Dinge laufen sollen. Mit dieser Möhrenschnittdiktatorin möchten Sie sicher nicht kochen!
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?
Eingestandene Fehler eh, und sonst: Die meisten Dinge, die schieflaufen, sind multifaktoriell schief gelaufen, also muss ich dem Misslungenen wohl auch bei mir selbst auf den Grund gehen.
Ihre Lieblingstugend?
Großzügigkeit, vor allem im Miteinander.
Ihr Hauptcharakterzug?
Begeisterungsfähigkeit oder Ernsthaftigkeit, abwechselnd und gleichzeitig.
Was mögen Sie an sich gar nicht?
Naja, die Möhrenschnittdiktatorin, die könnte sich mal entspannen!
Haben Sie ein Vorbild?
Carolin Emcke wegen ihrer versöhnlichen und gleichzeitig entschiedenen Analysen.
Was lesen Sie gerade?
„Ministerium der Träume“ von Hengameh Yaghoobifarah, „Schreibtisch mit Aussicht“ mit Texten von diversen Schriftstellerinnen, die mich begleiten: Siri Hustvedt, Joan Didion, Elena Ferrante und Elfride Jelinek.
Welche Musik hören Sie nur heimlich?
Das gibt´s nichts zu verheimlichen, ich habe auch manchmal mit Schlagern und Kölschem Liedgut Spaß!
Was ist Ihr liebstes Smalltalk-Thema?
Klatsch und Tratsch aus der Glamourwelt. Aber leider bin ich immer viel zu schlecht darüber informiert.
Mit wem würden Sie gerne eine Nacht durchzechen?
Susan Sontag.
Wovon haben Sie keine Ahnung?
Oh, von vielem! Ich finde vor allem ärgerlich, dass ich keine Ahnung von Geldanlagen, Autos und Türkisch habe.
Was finden Sie langweilig?
Inzwischen: Spazierengehen!
Was ist Ihre Vorstellung von Hölle?
Wenn es einen spirituellen Weltzusammenhang gibt, gibt es definitiv keine Hölle. Auf der Erde ist es für manche und manchmal schlimm genug.
Wie glauben Sie, würde Ihr Pendant von vor zehn Jahren auf Ihr heutiges Ich reagieren?
Überrascht, dass zehn Jahre so viel ausmachen. Glücklich, dass ich mich geoutet habe. Erleichtert, dass Erwachsensein heißt, dass man unabhängiger wird. Berührt, dass die Freundschaften gehalten haben. Ein bisschen stolz, dass ich am Theater gelandet bin.
Ich kann nicht leben ohne…
Andere.
Sind Sie Tänzerin oder Steherin?
Tänzerin!
Welches Problem werden Sie in diesem Leben nicht mehr in den Griff bekommen?
Ich wäre ja schön blöd, wenn ich jetzt schon kapitulieren würde…
Das Stadtecho gibt eine Runde aus. Was trinken Sie?
Ist es die ersehnte Bar? Dann einen Whisky Sour.
Victoria Weich, Leitende Dramaturgin am ETA Hoffmann Theater, Juli 2021.