Seit 1970 unterhalten Bamberg und das südfranzösische Rodez eine Städtepartnerschaft. Seit 1976 kultiviert der Deutsch-Französische Club Bamberg e.V. als einer der Hauptakteure dieser Partnerschaft französische Kultur in Bamberg. Prof. Dr. Kai Nonnenmacher ist Professor für Romanische Kultur- und Literaturwissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität und seit Juli 2020 1. Vorsitzender des Vereins. Mit ihm haben wir über das Angebot des Clubs, das deutsch-französische Verhältnis, Kanzlerkandidaten und Klischees zwischen beiden Nationen à la Sandalen-in-Socken-Deutsche oder Louis-de-Funès-Temperament gesprochen.
Herr Nonnenmacher, als Romanistikprofessor und Vorsitzender des Deutsch-Französischen Clubs Bamberg haben Sie sicherlich eine gewisse Bewunderung für Frankreich.
Kai Nonnenmacher: Ja, das kann man sagen. Ich hatte schon in der 5. Klasse das Glück, mit dem Französischunterricht beginnen und die Sprache dann neun Jahre durchgehend lernen zu können. Und da war schon Lust von Anfang an da. Außerdem stammt mein Vater aus Kehl in Baden-Württemberg an der Grenze zu Frankreich. Als ich später Französisch und Deutsch auf Lehramt studierte, hatte ich einen Professor aus der französischen Schweiz, der sein Französisch-Sein in Deutschland sehr kultiviert hat. Das fand ich faszinierend. Von meiner diesbezüglichen Sozialisation her bin ich eigentlich nicht typisch deutscher Romanist, sondern ich habe sehr stark eher die französische Idee von Literatur und Kultur aufgesogen, die sich näher an den Künsten bewegt. So wie die Gastronomie in Frankreich nicht nur zur Sättigung da ist, so ist auch das Fach nicht nur für pragmatische Bedürfnisse des Lernens einer Sprache da.
Gibt es Aspekte der französischen Kultur, die Sie an der deutschen vermissen?
Kai Nonnenmacher: Sie ist gesellschaftlich tiefer verwurzelt. In der französischen Gegenwarts-Literatur zum Beispiel werden politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Fragen stark aufgenommen, Debatten werden anhand von Literatur in der Öffentlichkeit geführt. Es gibt auch Minister oder Präsidenten, die selbst Gedichte publizieren. Stellen Sie sich das bei unseren Ministerinnen oder Ministern vor. Die Trennung von Entscheidern und dem, was man in Deutschland Bildungsbürger nennen würde, ist in Frankreich nicht so stark, und die Verbindung von Macht und Kultiviertsein ist enger. Es gibt eine formale Höflichkeit, Humor, Eleganz, in denen immer noch eine gewisse Hofkultur aus dem zentralistischen Frankreich mitschwingen. Das erleichtert den Umgang miteinander, finde ich, es ist aber auch die Abgrenzung der französischen Eliten zur Mehrheit.
Mit welchem Ziel wurde der Deutsch-Französische Club Bamberg 1976 gegründet?
Kai Nonnenmacher: Die Deutsch-Französische Städtepartnerschaftsbewegung wurde ja schon kurz nach dem Krieg zwischen Ludwigsburg und dem westfranzösischen Montbéliard als eine der ersten Versöhnungsgesten ins Leben gerufen. Mitte der 1960er Jahre wurde eine Niederlassung von Bosch in Rodez aufgebaut, und es kam zum Austausch von Angestellten der Bosch-Werke. Außerdem existieren sämtliche Deutsch-Französische Clubs in Deutschland im Geiste eines kulturellen Austauschs und als Idee von Kontakt zwischen den Zivilgesellschaften – auf allen Ebenen, etwa Musiker, Handwerker, Künstler et cetera. Der Club Bamberg bringt entsprechend, als einer der Träger der Städtepartnerschaft, Bamberg die Kultur der Partnerstadt näher und den Menschen in Rodez Bamberger Kultur, gerade etwa im Schüleraustausch. Das Ziel des Clubs ist also die Förderung der deutsch-französischen Verständigung durch Pflege der Beziehungen mit und Kenntnis von Frankreich.
Anhand welcher aktuellen Projekte geschieht das?
Kai Nonnenmacher: Eine gute Möglichkeit des Austauschs besteht immer im Gastronomischen. Ein aktuell anstehendes Beispiel wäre der kulinarische Austausch zwischen dortigen und hiesigen Weihnachtsmärkten. In Rodez gibt es dann Würstchen, Kraut, Bier oder Glühwein – wobei die Leute in Rodez genauso einen Bierstolz wie die in Bamberg haben. Ein weiteres Projekt ist eine Kooperation, die wir derzeit mit der Universität Toulouse, mit Ableger in Rodez, zum studentischen Austausch vereinbaren. Durch die Verschulung des Studiums gehen Lehramtsstudierende leider nicht mehr so viel ins Ausland wie früher, aber sie sollen ja im Französischunterricht unseren Nachbarn anschaulich machen, angehende Lehrerinnen und Lehrer brauchen eine gewisse Street Credibility, die man nur vor Ort erwerben kann.
Welche Angebote für Frankreichfreunde machen Sie in Bamberg?
Kai Nonnenmacher: Wir wollen wieder einen französischen Stammtisch aufbauen, Literaturabende oder Filmabende, bei denen wir Französisch sprechen. Und gerade kommen wir von einer Gruppenreise nach Rodez zurück, organisiert von der Stadt. Mit dem Beirat des Clubs wollen wir außerdem stärker Kontakt zu verschiedenen Bereichen der Stadt Bamberg aufnehmen, um in ihre diversen Strukturen hineinzuwachsen, etwa Jugend, Volkshochschule, Franzosen, die in Bamberg leben.
Macht der Club Angebote auch speziell für jüngeres Publikum?
Kai Nonnenmacher: Ja, ein weiteres erklärtes Ziel des Clubs – sobald wir nach der Pandemie wieder vermehrt Veranstaltungen haben können – besteht auch darin, Angebote nicht nur für die Generation 40 Plus, sondern auch für Jüngere zu machen. Darum sitzt im Beirat auch eine Jugendbeauftragte. Ein Beispiel ist ein Frankreichtag, den wir im November zusammen mit dem Dientzenhofer Gymnasium machen, bei dem wir Schülerinnen und Schüler an die Uni einladen, um ihnen die romanistischen Fächer und das universitäre Angebot zu zeigen.
Warum können Sie ein Französisch-Studium empfehlen?
Kai Nonnenmacher: Die Gründe, sich für ein Studium des Französischen zu entscheiden, sind evident: Es ist Deutschlands wichtigstes Wirtschaftspartnerland in Europa, mit einem riesigen Arbeitsmarkt. Es geht in diesem Sinne nicht nur darum, die Sprache zu lieben. Es ist auch wichtig, dass die deutsch-französische Wirtschaft von dieser Doppelsprachigkeit profitieren kann, ich glaube, die Epoche der sogenannten Erbfeindschaft beider Länder haben wir glücklicherweise überwunden.
Da Sie jetzt wiederholt wirtschaftliche Aspekte erwähnt haben – vertritt der deutsch-französische Club Bamberger Wirtschaftsinteressen in Rodez? Betreiben Sie Lobbyarbeit?
Kai Nonnenmacher: Nein, aber das war eben in Bamberg der Ursprung der Städtepartnerschaft. Es waren tatsächlich Bosch-Mitarbeiter, die ursprünglich die Verbindung von Bamberg und Rodez lanciert haben. Die Ursprungsidee war also durchaus zwischen zwei Fabriken. Aber Lobby-Aufgaben haben wir nicht. Obwohl nichts dagegen spräche, wenn sich auch deutsche und französische Unterehmen der beiden Regionen austauschen würden.
In welchem Zustand befand sich das deutsch-französische Verhältnis im Gründungsjahr des deutsch-französischen Clubs 1976?
Kai Nonnenmacher: Die schlimmen Erinnerungen an die deutsche Besatzung und davon Betroffene waren damals noch präsenter, und entsprechend pflegte man in Frankreich stärker als heute anti-deutsche Ressentiments. Es wurde noch öfter abfällig von den „Boches“ gesprochen, oder deutsche Touristen wurden in Frankreich spöttisch mit militärischem Gruß empfangen. Der Versöhnungsdiskurs zwischen den Nationen ergab damals noch mehr Sinn und war nötiger.
Wie steht es um das Verhältnis heute?
Kai Nonnenmacher: Auch wenn sich zuletzt zum Beispiel bei Emmanuel Macron ein wenig Enttäuschung darüber breitgemacht hat, dass Angela Merkel so wenig auf seine europapolitischen Vorstellungen und Angebote eingegangen ist, gab es historisch, glaube ich, schon vor dem Aachener Vertrag, der den Elysée-Vertrag von 1963 ergänzt, noch nie einen so tiefen Austausch und eine so dichte Vernetzung auf allen Ebenen, zum Beispiel anhand gemeinsamer Kabinettssitzungen oder regelmäßiger Treffen und Zusammenarbeit auf ministerialer Ebene. Was die Stereotype voneinander angeht, glaube ich, dass die Deutschen ihnen heute nicht mehr so deutlich entsprechen und etwas lockerer sind in Bezug auf die berühmten Sekundärtugenden, die man ihnen vorwarf oder über die man in Frankreich lachte – also das Strenge, Disziplinierte, Humorlose oder die Socken in Sandalen. Aber eigentlich habe ich es mit solchen Gegenüberstellungen nicht so. Gerade als Kulturwissenschaftler möchte ich sagen, dass eine Überbetonung dieser Tiefengeschichte, also die der Erbfeinde, die auf den Deutsch-Französischen Krieg von 1870 zurückgeht, im Allgemeinen oder auch in deutsch-französischen Studiengängen nichts bringt.
Wie meinen Sie das?
Kai Nonnenmacher: Oft ist es so, dass sich in den gleichen Milieus Deutsche und Franzosen viel ähnlicher sind als man glaubt. Es gibt natürlich Empfindlichkeiten, national-empfindliche Themen, die weitergereicht werden über die Generationen, wie die Besatzung, aber das Verhältnis hat sich normalisiert. Das bedeutet aber auch, dass in gewisser Weise das Feuer zwischen den beiden Nationen verschwunden ist. Aufgrund des Schengen-Abkommens sind die Grenzen offen und mit dem Euro gibt es eine gemeinsame Währung. Das ist gut, aber ein Stück weit ist deswegen die Alterität, das Anderssein, perdu – das vielleicht irritierende, aber auch faszinierende Anderssein ist verschwunden. Denken Sie an ein Liebespaar, das streitet. Es fliegt Geschirr, es gibt Geschrei, aber hinterher steht die temperamentvolle Versöhnung an. Dann gibt es Paare, deren Beziehung sich eingependelt hat, man kennt die Stärken, aber auch die Schwächen des anderen. Heute ist nicht mehr die Zeit des Geschirrwerfens, aber auch nicht die der heißen Küsse. Das soll aber nicht heißen, dass ich mir ein Kanzler-Präsidenten-Duo wünsche, das sich entfremdet.
Wie hat man in Frankeich den ruhigen, fast schon zu ruhigen Wahlkampf und die Bundestagswahl in Deutschland verfolgt?
Kai Nonnenmacher: Bernard-Henri Lévy, einer der bekanntesten Philosophen Frankreichs, hat nach der Wahl in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung von einem guten demokratischen Beispiel geschrieben. Er freut sich über die hohe Wahlbeteiligung von 76 Prozent, die für ihn eine Lebendigkeit der deutschen Demokratie bezeugt. Außerdem gefällt ihm, dass die Linke nicht die Fünf-Prozent-Hürde schaffte und die Rechte zwar immer noch zu stark, aber doch schwächer als in Frankreich ist. Außerdem lobt er den grundlegend respektvollen und angenehmen Umgang der Kandidatin und der Kandidaten miteinander. Auch in Bezug auf Angela Merkel blickt man in Frankreich manchmal ein wenig sehnsüchtig auf ihre Uneitelkeit. Man nehme Nicolas Sarkozy oder auch Macron – da ist oft viel Louis-de-Funès-Haftigkeit dabei, möchte ich sagen – große Show und Bling-Bling. Es gibt in Frankreich zwar durchaus mehr Toleranz als in Deutschland für eine gewisse Grandezza, die man Politikerinnen und Politikern durchgehen lässt, aber mein Eindruck ist schon, dass Franzosen von uns mehr Sachlichkeit, wie sie es bei Merkel oder jetzt bei Scholz oder Laschet gesehen haben, erwarten.
Olaf Scholz wird aller Wahrscheinlichkeit nach der nächste deutsche Kanzler werden. Wen hätte man sich in Frankreich mehr gewünscht, ihn oder Armin Laschet?
Kai Nonnenmacher: Frankreich ist seit der Französischen Revolution soziologisch tief gespalten in ein linkes, republikanisches und ein bürgerliches, immer noch stärker katholisch, lange Zeit auch noch royalistisch, geprägtes Frankreich. Erstere Seite wird für Scholz sein, bei den Bürgerlichen bevorzugt man natürlich Laschet. Die französischen Präsidentschaftswahlen 2022 werden zwischen Macron und Marine Le Pen im bürgerlichen Lager ausgefochten werden, so bewegte sie sich in Richtung der Mitte und Macron in den letzten Jahren deutlich weg von seinen Anfängen als Minister des Linken Hollande.
Der erste Staatsbesuch eines neugewählten deutschen Kanzlers geht traditionellerweise nach Paris. Wem trauen Sie sozusagen weniger Socken-in-Sandalen-Haftigkeit beim Auftritt im Élysée-Palast zu: Scholz oder Laschet?
Kai Nonnenmacher: Jenseits politischer Inhalte traue ich es Olaf Scholz zu, die bessere Figur zu machen, aber jetzt nicht so sehr aus politischen Gründen, sondern wegen seiner trockenen, vielleicht norddeutsch begründeten Zurückhaltung, die nicht so sehr zu Pannen neigt wie der rheinländische Frohsinn von Armin Laschet.
Generationen von deutschen Schülerinnen und Schülern wehren sich dummerweise dagegen, Französisch zu lernen. Ich selbst gehörte dazu. Was möchten Sie diesen Leuten entgegenrufen?
Kai Nonnenmacher: Das Französische ist nicht nur eine schöne Sprache und eine lebendige Erbin der lateinischen Kultur. Französisch sprechen bedeutet auch, dass man Dinge anders sieht und anders ausdrückt. Französisch lernen, heißt in die französische Kultur eintauchen. Dieses Anderssein macht uns zu Europäern, nach dem Brexit wird das Französische wichtiger in Europa, Internationalisierung ist bei uns nicht nur englisch, sondern soll mehrsprachig sein. Es gibt pragmatische Gründe, historische und Gefühlsgründe.
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