Stu­die der Uni­ver­si­tät Bamberg

Deutsch­land auf dem Weg in eine Poli­tik der Lügen?

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Universitätsstandort An der Weberei in Bamberg. Foto: Jürgen Schabel / Universität Bamberg
Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker hören immer wie­der die Unter­stel­lung, dass sie lügen – auch aktu­ell im Bun­des­tags­wahl­kampf. Erst­mals hat eine Stu­die der Uni­ver­si­tät Bam­berg unter­sucht, wie ver­brei­tet post­fak­ti­sche Annah­men in der deut­schen Poli­tik und im Jour­na­lis­mus sind.
„In einer post­fak­ti­schen Poli­tik wer­den Fak­ten und ein Wahr­heits­be­zug zuneh­mend unwich­ti­ger“, erläu­tert Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler Prof. Dr. Olaf Hoff­jann von der Uni­ver­si­tät Bamberg.

„Dies ist in Deutsch­land empi­risch bis­lang kaum erforscht. Auch welt­weit lie­gen hier­zu nur weni­ge empi­ri­sche Befun­de vor.“
Des­halb haben er und Lucas See­ber vom Insti­tut für Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft eine Umfra­ge durch­ge­führt. Ein zen­tra­les Ergeb­nis der bis­lang unver­öf­fent­lich­ten Stu­die ist, dass sich rund die Hälf­te der Befrag­ten als Teil einer post­fak­ti­schen Demo­kra­tie sieht. Zugleich erwar­ten mehr als 90 Pro­zent eine Poli­tik, die ernst­haft, auf­rich­tig und mit Wahr­heits­an­spruch auftritt.

Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler Olaf Hoff­jann lei­tet die Stu­die zu post­fak­ti­schen Annah­men. Foto: Uni­ver­si­tät Bamberg 

Bewuss­te Täu­schung gilt als kritikwürdig

Die bei­den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler haben von Okto­ber 2020 bis Janu­ar 2021 ins­ge­samt 758 Per­so­nen aus drei Grup­pen online befragt: Bun­des­tags- und Land­tags­ab­ge­ord­ne­te, Pres­se­spre­che­rin­nen und ‑spre­cher sowie Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten. Die Aus­wer­tung der Umfra­ge hat ins­be­son­de­re zu fol­gen­den Ergeb­nis­sen geführt:

Die Befrag­ten unter­stel­len Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern sel­ten Lügen (15 Pro­zent). Über­ra­schend: Poli­ti­ker unter­stel­len ande­ren Poli­ti­kern häu­fi­ger (21,8 Pro­zent) Lügen, als dies deren Pres­se­spre­cher (5,1 Pro­zent) und sogar Jour­na­lis­ten tun (14,3 Pro­zent). Nur 1,2 Pro­zent den­ken, dass Lügen in der Poli­tik legi­tim sind. Dage­gen hal­ten rund 32 Pro­zent soge­nann­ten „Bull­shit“ – das Ergän­zen von unge­prüf­ten Aus­sa­gen, die wahr sein könn­ten, um die The­se einer Aus­sa­ge zu unter­stüt­zen – für weit ver­brei­tet. Rund 5 Pro­zent der Befrag­ten hal­ten „Bull­shit“ für legi­tim. Die Über­trei­bung in der Poli­tik wird als weit ver­brei­tet (rund 78 Pro­zent) und gleich­zei­tig von rund einem Drit­tel (33,8 Pro­zent) als eher legi­tim beschrie­ben. Olaf Hoff­jann inter­pre­tiert: „Die bewuss­te Täu­schung gilt offen­bar als kri­tik­wür­di­ger als ein gleich­gül­ti­ges Ver­hält­nis gegen­über der Wahrheit.“

50,8 Pro­zent der Befrag­ten sehen sich als Teil einer post­fak­ti­schen Demo­kra­tie. Das heißt, sie unter­stel­len Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern, dass ihnen der Wahr­heits­ge­halt ihrer Aus­sa­gen eher unwich­tig sei. Von den drei befrag­ten Grup­pen glau­ben vor allem Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker nicht an eine fak­ti­sche Poli­tik (rund 55 Pro­zent). „Poin­tiert for­mu­liert: Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten glau­ben eher an den Wahr­heits­ge­halt der Aus­sa­gen von Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern als die­se selbst“, sagt Lucas Seeber.

Mehr als neun von zehn Befrag­ten ver­ur­tei­len Lügen und „Bull­shit“ (rund 94 Pro­zent). Akteu­re, die Emo­tio­na­li­sie­rung sowie Lügen und Bull­shit als eher nicht legi­tim bezeich­nen, wer­den in der Stu­die als „fak­ti­sche Akteu­rin­nen und Akteu­re“ bezeichnet.

Fast alle Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter der AfD glau­ben an eine post­fak­ti­sche Poli­tik (88,9 Pro­zent) – mit Abstand der höchs­te Anteil unter den Befrag­ten. Zugleich hal­ten auch 90 Pro­zent der AfD-Befrag­ten Lügen, „Bull­shit“ und Emo­tio­na­li­sie­rung für eher nicht legitim.


Wahr­heits­kri­se in der Poli­tik wird verurteilt

„Die Ergeb­nis­se zei­gen ins­ge­samt, dass eine knap­pe Mehr­heit von Abge­ord­ne­ten und Jour­na­lis­tin­nen oder Jour­na­lis­ten eine Wahr­heits­kri­se in der Poli­tik wahr­nimmt“, inter­pre­tiert Olaf Hoff­jann. „Aber eine sehr deut­li­che Mehr­heit ver­ur­teilt dies. Mit ande­ren Wor­ten: Fast alle Befrag­ten, die sich als Bür­ge­rin­nen und Bür­ger einer post­fak­ti­schen Poli­tik sehen, sind dar­über nicht glück­lich.“ Wie aber reagie­ren Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker, die der Kon­kur­renz unter­stel­len, sie wür­de unrecht­mä­ßi­ge Metho­den ein­set­zen? „Unter­su­chun­gen in ande­ren Betrugs­fel­dern argu­men­tie­ren spiel­theo­re­tisch, dass dies dazu füh­ren kön­ne, dass auch ande­re zu sol­chen Metho­den grei­fen, um ‚Waf­fen­gleich­heit‘ her­zu­stel­len“, erklärt Olaf Hoff­jann. „Und den­noch: Das über­wäl­ti­gen­de Aus­maß, mit dem Prak­ti­ken wie Lüge und ‚Bull­shit‘ abge­lehnt wer­den, stimmt mich optimistisch.“


Befragt wur­den ins­ge­samt 758 Abge­ord­ne­te des Bun­des­ta­ges und aller Land­ta­ge, Mit­glie­der der Bun­des­pres­se­kon­fe­renz und aller Lan­des­pres­se­kon­fe­ren­zen sowie Pres­se­spre­che­rin­nen und ‑spre­cher von Par­tei­en, Frak­tio­nen und Minis­te­ri­en auf Bun­des- und Lan­des­ebe­ne. Die Umfra­ge­da­ten nähern sich an die rea­len Ver­hält­nis­se an, kön­nen streng genom­men jedoch nicht als reprä­sen­ta­tiv gelten.

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