Neu­er Vor­stand des MIB

“Die Her­aus­for­de­run­gen der Inte­gra­ti­on wer­den nicht kleiner”

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Mitra Sharifi und Marco Depietri leiten seit März als Doppelspitze den Migrantinnen- und Migrantenbeirat der Stadt Bamberg. Foto: Sebastian Quenzer
Der Migran­tin­nen- und Migran­ten­bei­rat der Stadt Bam­berg (MIB) hat sei­nen neu­en Vor­stand gewählt. Seit Anfang März lei­ten, wie sie es im zurück­lie­gen­den Jahr bereits kom­mis­sa­risch taten, Mitra Sha­ri­fi und Mar­co Depiet­ri als Dop­pel­spit­ze den MIB. Wir haben mit den bei­den über die kom­men­den Auf­ga­ben, die Aus­wir­kun­gen der Pan­de­mie auf Inte­gra­ti­on und Iden­ti­täts­po­li­tik gesprochen.

Frau Sha­ri­fi, Herr Depiet­ri, wie­so sind Sie zur Wahl als Dop­pel­spit­ze angetreten?

Mitra Sha­ri­fi: Als unser ehe­ma­li­ger Vor­sit­zen­der Moha­med Adda­la 2018 zurück­ge­tre­ten ist, habe ich den Vor­schlag gemacht, mit einer Dop­pel­spit­ze wei­ter­zu­ma­chen. Ers­tens weil ich fin­de, dass der Vor­sitz des MIB eine Auf­ga­be ist, die sich auch gut von zwei Leu­ten machen lässt und zwei­tens, weil wir auch im Vor­stand, und in unse­ren Struk­tu­ren, Diver­si­tät haben möch­ten. Und in der Zeit, in der Herr Depiet­ri und ich als Dop­pel gear­bei­tet haben, haben wir fest­ge­stellt, dass die­se Kon­stel­la­ti­on sehr gut funk­tio­niert. Wir ergän­zen uns und kön­nen gut mit­ein­an­der. Des­halb wur­de die Sat­zung des MIB dahin­ge­hend geän­dert, dass auch zwei Leu­te den Vor­stand inne­ha­ben kön­nen, und wir haben uns gemein­sam zur Wahl gestellt.

Mar­co Depiet­ri: Ich muss sagen, dass ich am Anfang ein biss­chen skep­tisch gegen­über der Sat­zungs­än­de­rung war, weil wenn immer zwei Leu­te zur Wahl antre­ten müs­sen, aber der Fall ein­tritt, dass sie sich nicht ver­ste­hen, müss­te man die Sat­zung wie­der zurück­än­dern. Eine Dop­pel­spit­ze kann nur funk­tio­nie­ren, wenn man sich gut ver­steht. Dar­um sieht die Sat­zung jetzt vor, dass auch ande­re Sze­na­ri­en ohne Dop­pel mög­lich sind und bei Bedarf eine Per­son Vorsitzende*r wer­den kann.


Wer hat wel­che Aufgaben?

Mitra Sha­ri­fi: Ganz genau haben wir die Auf­ga­ben noch nicht fest­ge­legt. Aber Herr Depiet­ri über­nimmt zum Bei­spiel schon jetzt sehr viel unse­re Online-Arbeit. Gera­de in der Pan­de­mie hat er uns damit sehr gehol­fen. Auch im Bereich Stadt­teil­ar­beit, in dem wir noch mehr machen wol­len, ist stär­ker Mar­cos Auf­ga­be. Die Orga­ni­sa­ti­on der Inter­na­tio­na­len Wochen gegen Ras­sis­mus, die gera­de zu Ende gegan­gen sind, habe hin­ge­gen ich über­nom­men. Abge­se­hen von uns zwei haben wir im Vor­stand sehr kom­pe­ten­te und enga­gier­te Kolleg*innen, mit denen wir die Auf­ga­ben tei­len werden.


Bei der Wahl gab es kei­ne Gegenkandidat*innen. Trotz­dem gin­gen, bei einer ungül­ti­gen Stim­me, nur 13 von 20 Stim­men an Sie. Sechs Per­so­nen haben also gegen Sie gewählt. Wie gehen Sie mit die­ser Ableh­nung um?

Mitra Sha­ri­fi: Ich glau­be, dass die­se sechs Leu­te im MIB immer noch star­ke Pro­ble­me mit dem Wahl­brief der SPD von 2019 haben, der mög­li­cher­wei­se gegen den Daten­schutz ver­sto­ßen hat. Die­ser mög­li­che Ver­stoß hat aber nichts mit dem MIB zu tun. Der Bei­rat hat­te nichts falsch gemacht, son­dern die Stadt­ver­wal­tung hat­te die Daten an die SPD gege­ben. Das ist nach dem Wahl­ge­setz erlaubt, aller­dings nur nach Alter und Adres­se sor­tiert. Ver­wal­tung und Ober­bür­ger­meis­ter hat­ten ange­nom­men, dass die Sor­tie­rung von Adres­sen auch nach dem Merk­mal der Natio­na­li­tät erlaubt sei, was nun von einem Gericht anders gese­hen wur­de. Aber der MIB hat­te mit dem Gan­zen gar nichts zu tun. Im Übri­gen war Herr Adda­la auch mit 13 Stim­men gewählt worden.


Wer­den Sie ver­su­chen, die­se sechs Leu­te umzustimmen?

Mar­co Depiet­ri: Das ist auf jeden Fall unser Wunsch. Ob wir das hin­krie­gen, wird sich zei­gen. Aber das Ver­trau­en wie­der her­zu­stel­len, ist kei­ne Ein­bahn­stra­ße – es muss auch etwas von die­sen Leu­ten kom­men. Wir wer­den aber nicht ver­su­chen, die kri­ti­schen Stim­men zu iso­lie­ren. Es gibt viel zu tun und wir kön­nen unse­re Auf­ga­be nur gemein­sam bewältigen.

Mitra Sha­ri­fi: Wir haben uns dar­um bemüht, die Beden­ken die­ser Kolleg*innen aus­zu­räu­men. Lei­der haben wir das noch nicht geschafft. Mir scheint, dass sich die Ver­hält­nis­se bei die­sem The­ma ein biss­chen fest­ge­fah­ren haben. Es gab auch For­de­run­gen, Mar­co sol­le nicht zur Wahl antre­ten oder die Wahl zu ver­schie­ben, bis der Pro­zess gegen den OB geklärt ist. Aber eine gro­ße Mehr­heit im Bei­rat hat dies abge­lehnt und will nach vor­ne schau­en. Wir arbei­ten dar­an, dass Ver­trau­en wie­der ent­steht. Ich hof­fe, dass Mar­co an sei­nen Taten beur­teilt wird und Stadt­rat, Par­tei­en und Medi­en uns die Chan­ce geben, unse­re Arbeit zu machen.


Aber fin­den Sie die Beden­ken bezie­hungs­wei­se Anschul­di­gun­gen an sich falsch?

Mar­co Depiet­ri: Ich habe die Sache schon in der öffent­li­chen Sit­zung vom April 2020 erläu­tert und geklärt und mich für die Irri­ta­tio­nen ent­schul­digt. Das habe ich dann auch in ande­ren Sit­zun­gen sowie zuletzt in der Wahl­sit­zung wie­der­holt. Man konn­te im Vor­feld nicht wis­sen, wel­che Aus­wir­kun­gen der Wahl­brief hat. Es gibt im MIB zwar auch Mit­glie­der, die den Brief nicht für einen Feh­ler hal­ten, aber ich habe auch gesagt, dass jede Irri­ta­ti­on eine Irri­ta­ti­on zuviel ist. Es ist natür­lich berech­tigt, dass ande­re anders den­ken. Aber ich habe in lan­gen Son­der­sit­zun­gen jede Fra­ge zum The­ma beant­wor­tet und wir möch­ten es been­den und im MIB ein neu­es Kapi­tel aufschlagen.


Vor­her haben Sie die Dop­pel­spit­ze des MIB kom­mis­sa­risch aus­ge­füllt, jetzt sind Sie wirk­lich an der Macht. Was hat sich seit der Wahl geändert?

Mitra Sha­ri­fi: Eigent­lich nicht viel. Aber man wird vom MIB mehr hören – auch in der Kom­mu­nal­po­li­tik. Wir haben uns vor­ge­nom­men, weil wir ja auch unse­re Aus­schüs­se neu gewählt haben, mehr The­men gründ­li­cher zu bear­bei­ten und auch mehr Anträ­ge in der Poli­tik ein­zu­brin­gen, um die Inter­es­sen von Migrant*innen noch deut­li­cher zu artikulieren.

Mar­co Depiet­ri: Mitra hat es schon erwähnt – die Stadt­teil­ar­beit wird in den nächs­ten Jah­ren grund­le­gend für uns. Wir wol­len nicht, dass die Migrant*innen zu uns kom­men müs­sen, son­dern wir kom­men zu ihnen.


Was sind die drän­gends­ten Pro­ble­me, die der MIB ange­hen will?

Mitra Sha­ri­fi: Wir stel­len fest, dass poli­ti­sche Ent­wick­lun­gen, und auch Coro­na, die gesell­schaft­li­che Spal­tung zwi­schen migran­ti­schen und nicht-migran­ti­schen Bevöl­ke­rungs­tei­len ver­tie­fen. Zum Bei­spiel im Bil­dungs­be­reich. Das ist zwar kein rein kom­mu­na­les Pro­blem, son­dern ein struk­tu­rel­les, aber hier wer­den wir aktiv wer­den. Kin­der mit Migra­ti­ons­ge­schich­te ste­hen noch zu oft vor struk­tu­rel­len Bar­rie­ren, die ihnen den Zugang zu Bil­dung erschwe­ren. Wir wol­len den Zusam­men­halt stär­ken und auf kom­mu­na­ler Ebe­ne die Mög­lich­kei­ten aus­schöp­fen, damit Kin­der mehr Chan­cen­gleich­heit haben. Ein ande­rer wich­ti­ger Bereich, ist der Ein­satz für eine Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le, damit Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rung erns­ter genom­men wer­den. Wir möch­ten Betrof­fe­ne stär­ken, ihnen mehr Sicht­bar­keit und Selbst­be­wusst­sein in der Stadt­ge­sell­schaft ermög­li­chen und grund­le­gend mehr prä­ven­ti­ve Arbeit machen. Die Stadt­teil­ar­beit wäre wie­der ein gutes Bei­spiel. Gera­de in der Begeg­nung zwi­schen Kul­tu­ren kann man Vor­ur­tei­le abbau­en und Men­schen errei­chen, die sonst viel­leicht von Rechts­po­pu­lis­ten erreicht wer­den wür­den. Wir wol­len auch die Mehr­heits­ge­sell­schaft anspre­chen und gera­de in den Stadt­tei­len ist es nicht so wich­tig, woher man kommt, son­dern was ein Stadt­vier­tel braucht, um das Leben dort bes­ser zu machen.


Aber wie sind Begeg­nun­gen in der begeg­nungs­lo­sen Pan­de­mie­zeit möglich?

Mitra Sha­ri­fi: Unmög­lich ist es nicht. Wir haben uns fast ohne Pau­se in der gan­zen Pan­de­mie­zeit digi­tal getrof­fen und Ver­an­stal­tun­gen durch­ge­führt. Aber natür­lich haben wir die Hoff­nung, dass es bald wie­der bes­ser wird. Aller­dings habe ich die Sor­ge, dass das ohne­hin begrenz­te Bud­get für Anti-Dis­kri­mi­ni­nie­rungs-Pro­jek­te oder im sozia­len Bereich durch Coro­na noch klei­ner wird. Inte­gra­ti­on ist eine frei­wil­li­ge Auf­ga­be und sol­che Din­ge sind immer die ers­ten, die gestri­chen wer­den, wenn gespart wer­den muss.


Macht die Pan­de­mie Inte­gra­ti­on schwieriger?

Mitra Sha­ri­fi: Die Her­aus­for­de­run­gen der Inte­gra­ti­on wer­den nicht klei­ner. Wir wis­sen, dass Migrant*innen von Coro­na und den wirt­schaft­li­chen Fol­gen der Pan­de­mie­be­kämp­fung stär­ker betrof­fen sind, weil sie viel öfter in beeng­ten Wohn- und pre­kä­ren Arbeits-Ver­hält­nis­sen leben und kei­ne Reser­ven haben. Auch Schüler*innen mit Migra­ti­ons­ge­schich­te, die noch Sprach­för­de­rung brau­chen, aber kaum Zugang zu digi­ta­len Unter­richts­mög­lich­kei­ten haben, haben ein ver­lo­re­nes Jahr hin­ter sich. Wir machen uns gro­ße Sor­gen, wie die­se Lücken geschlos­sen wer­den können.


Das zuletzt rat­los wir­ken­de und nur wenig wir­kungs­vol­le Vor­ge­hen der Bun­des­re­gie­rung in der Pan­de­mie­be­kämp­fung wird auch noch beglei­tet von einem Hin und Her der kon­kre­ten Maß­nah­men und der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Wie kommt das poli­ti­sche Vor­ge­hen in migran­ti­schen Krei­sen an?

Mitra Sha­ri­fi: Am Anfang der Pan­de­mie waren die Leu­te sehr dank­bar, dass es hier kla­re­re und bes­se­re Rege­lun­gen gab als in ihren Hei­mat­län­dern. Aber man hat auch in migran­ti­schen Krei­sen begon­nen, die deut­schen Maß­nah­men mit denen ande­rer Län­der zu ver­glei­chen und sieht, wie lang­sam zum Bei­spiel die Impf­kam­pa­gne vor­an­kommt. All­ge­mei­ne Regeln wie das Tra­gen von Mas­ken oder Abstand­hal­ten zu kom­mu­ni­zie­ren ist kein Pro­blem. Wenn wir aber spe­zi­fi­sche Rege­lun­gen wei­ter­ge­ben wol­len, die an loka­len Zustän­den oder Inzi­den­zen fest­ge­macht und alle paar Tage ange­passt wer­den müs­sen, wird es schwe­rer. Wir haben beim baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­ri­um ver­sucht, schnell Infor­ma­tio­nen in ver­schie­de­nen Spra­chen über Regeln, die sich schnell ändern, zu bekom­men. Da gibt es zum Teil immer noch Probleme.


Ein The­ma, das in den letz­ten Wochen einen gro­ßen Teil der Bericht­erstat­tung aus­mach­te, ist die soge­nann­te Iden­ti­täts­po­li­tik. Die einen loben sie als eman­zi­pa­to­ri­sche Bewe­gung dis­kri­mi­nier­ter Grup­pen, die Men­schen eine Stim­me und Ein­fluss ver­leiht, die geschicht­lich unter­drückt waren und ihre Bedürf­nis­se und For­de­run­gen bis­her poli­tisch-gesell­schaft­lich nicht ein­brin­gen konn­ten. Ande­re kri­ti­sie­ren sie als debat­ten­feind­lich, weil sie die Gül­tig­keit von Argu­men­ten zu oft an Betrof­fen­heit von Dis­kri­mi­nie­rung und/​oder Haut­far­be anstatt am Inhalt der Argu­men­te fest­macht. Wie ste­hen Sie zur Identitätspolitik?

Mitra Sha­ri­fi: Ich freue mich dar­über, dass Ras­sis­mus seit eini­gen Mona­ten viel mehr öffent­li­che Auf­merk­sam­keit bekommt und viel deut­li­cher ange­pran­gert wird – dass auch mar­gi­na­li­sier­te und von Dis­kri­mi­nie­rung betrof­fe­ne Grup­pen ihre Stim­me erhe­ben kön­nen. Es gibt gesell­schaft­li­che Macht-Struk­tu­ren, die Benach­tei­li­gung ver­ur­sa­chen. Die­se Struk­tu­ren muss eine Gesell­schaft sehen und aner­ken­nen, um sie ändern zu kön­nen. Wenn Men­schen aller­dings nur über ihre Merk­ma­le, sei­en es Geschlecht, Haut­far­be oder Sexua­li­tät, defi­niert wer­den und der­art extrem getrennt wird, dass über, zum Bei­spiel, Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund der Haut­far­be nur mit­re­den darf, wer davon betrof­fen ist, fin­de ich das nicht gut. Ich fin­de es gut, wenn man, wie aktu­ell beim Bei­spiel der Über­set­zung des Tex­tes von Aman­da Gor­man, zuerst schaut, ob es für die Auf­ga­be nicht eine schwar­ze Über­set­ze­rin gibt. Schlecht ist aber, wenn Haut­far­be oder Geschlecht die Iden­ti­tät allei­ne bestim­men. Wir befin­den uns noch in einer sol­chen gesell­schaft­li­chen Ungleich­heit, dass wir noch eine gan­ze Zeit lang Gleich­stel­lungs­po­li­tik machen müs­sen. Die­se Poli­tik bedeu­tet unter ande­rem, ein gesell­schaft­li­ches Bewusst­sein der struk­tu­rel­len Ungleich­heit zu ent­wi­ckeln und struk­tu­rell benach­tei­lig­te Grup­pen zu för­dern. Dafür müs­sen dis­kri­mi­nier­te Grup­pen ihre Stim­me erhe­ben und ihre Iden­ti­tät behaup­ten, wäh­rend gesell­schaft­lich pri­vi­le­gier­te Grup­pen die­se Bestre­bun­gen aus­hal­ten und akzep­tie­ren müs­sen, einen Teil ihrer Pri­vi­le­gi­en abzu­ge­ben. So, hof­fe ich, kann man eine Gesell­schaft dahin­ge­hend ändern, dass alle Men­schen gleich sein können.

Mar­co Depiet­ri: Men­schen mit bestimm­ten Merk­ma­len, wie nicht-wei­ßer Haut­far­be, machen ande­re Erfah­run­gen im Leben als Wei­ße. Wir müs­sen ihnen zuhö­ren und offen für ihre Sicht sein. Des­halb fin­de ich es gut, wenn die­se Leu­te ihre Rech­te ver­lan­gen. Aber nicht alle gegen alle, son­dern gemeinsam.

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