Löwenköpfe, Skulpturen aus Geldscheinschnipseln, ein Corona-Chor – aus dem Werkstoff Papier lässt sich einiges herausholen. Die Jahresausstellung des Kunstvereins zeigt in der Villa Dessauer, wie verschiedene Künstlerinnen und Künstler die gestalterischen Möglichkeiten von Papier ausloten. Die tagesaktuellen Öffnungszeiten sind online auf der Homepage des Kunstvereins einzusehen. Dort wird die Ausstellung darüberhinaus unabhängig von den Öffnungsperspektiven auch digital begleitet, beispielsweise durch Interviews mit den ausstellenden Künstlern. Das Webecho hat mit Barbara Kahle, Vorsitzende des Kunstvereins, gesprochen.
Gedrucktes und Papier, heißt es, seien tot und alles wird nur noch online und elektronisch gemacht. Warum haben Sie für die Jahresausstellung des Kunstvereins den Werkstoff Papier als Grundvoraussetzung gewählt?
Barbara Kahle: Gerade deshalb! Papier verschwindet durchaus im allgemeinen Bewusstsein, Papier als Speichermedium geht zurück und die digitale Veränderung ist unumkehrbar – das erkennen wir an. Aber Papier könnte in der Zukunft auch vor dem Hintergrund des Themas Umweltschutz wieder mehr Bedeutung gewinnen. Es wird viel geforscht, um zum Beispiel Verpackungen aus Plastik abzuschaffen und wieder viel stärker auf Papier zu setzen. Auf der anderen Seite hat Papier in der Kunst immer eine große Rolle gespielt. Um das wieder ins Bewusstsein zu bringen, machen wir diese Ausstellung. Als Skizzenpapier, als Vorstufe der Leinwand, wurde Papier schon seit Jahrhunderten genutzt. Seit dem 20. Jahrhundert diente es vermehrt als eigenständiges künstlerisches Medium. Das ist eine Errungenschaft, die der Kunst der Moderne zuzurechnen ist. Dazu gehört auch der Ansatz, den so gut wie alle Werke, die wir zeigen, verfolgen, unter Beibehaltung des Materials Papier, die plane Fläche ins Dreidimensionale hinein zu erweitern, bis man zwischen Bild und Skulptur kaum mehr unterscheiden kann.
Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Künstler*innen für die Ausstellung ausgewählt?
Barbara Kahle: Die Ausstellung war schon für das Jahr 2020 geplant, aus bekannten Gründen musste sie verschoben werden. Wir haben nach Künstlern gesucht, die mehr oder weniger ausschließlich mit Papier arbeiten. Ein ganz großer Ankerpunkt dabei waren die Werke von Andreas von Weizsäcker, dessen Löwenkopfskulpturen im Ausstellungsraum der Villa Dessauer auch sehr viel Raum einnehmen. Dann haben wir uns überlegt, wen wir noch dazunehmen könnten. Es geht uns darum zu zeigen, welche Gestaltungsmöglichkeiten mit Papier möglich sind. Wir zeigen unter anderem verschiedene Falttechniken, so hat etwa Simon Schubert Räume der Villa Dessauer in Papier gefaltet, Skulpturen, Papierschmuck, Prägedruck und im Begleitprogramm etwa ein Konzert mit Klanginstrumenten aus Papier und ein szenisches Erzählstück des Papiertheaters mit Johannes Volkmann.
Die vier Papierskulpturen von Andreas von Weizsäcker nennen Sie Ihren Corona-Chor. Was hat es damit auf sich?
Barbara Kahle: Diese vier Skulpturen sind eigentlich Wasserspeiern des Münchner Rathauses abgeformt. Aber weil sie mit ihren offenen Mündern so einen klagenden, gemeinsam über möglicherweise die Pandemie heulenden Eindruck machen, erinnert mich das an einen Chor.
Begleitend zur Ausstellung haben Sie ein vielfältiges Rahmenprogramm entworfen. Ein Termin ist der 13. Juni, an dem anhand der Werke von Erwin Hapke die Seele des Papiers beleuchtet werden soll. Was ist die Seele des Papiers?
Barbara Kahle: Wir hatten das Glück, einen kleinen Zuschuss für die Erstellung eines Begleitprogramms aus dem Neustart-Kultur-Kunstfonds zu bekommen.
Bei der Ausstellung ist es uns wie immer wichtig, Objekte zu präsentieren, die sich die Leute im ganz traditionellen Sinne anschauen können. Daneben haben wir aber ein vielfältiges Interaktions- und Vermittlungsprogramm entwickelt, um sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise dem Thema Papier annähern zu können. Am 13. Juni etwa wollen wir uns speziell mit den gefalteten Papierarbeiten von Erwin Hapke beschäftigen. Papier ist auf der einen Seite sehr haptisch. Man kann damit arbeiten, es falten, es zerknüllen oder damit kruscheln, wie es Lore Bert macht. In dem angesprochenen Faltwerk kann man darüber hinaus eine explikative Metapher unseres Daseins sehen. Das komplexe Falten wird zum Modell unseres Weltverstehens.
Der verstorbene Erwin Hapke, promovierter Biologe und ein Sonderling und Besessener, hat sozusagen mit dem Papier gelebt und ein gefaltetes Universum hinterlassen. Alle Formen des Seins sind in das zarte Papier eingeschrieben, die wahrzunehmen uns Muße und Verweilen abverlangt. In diesem Zusammenhang spricht der Philosoph und Neffe von Hapke, Matthias Burchardt, von der Seele des Papiers.
Papier ist ein nicht besonders widerstandfähiger und fragiler Werkstoff. Wie gehen Sie zum Beispiel beim Aufbau der Ausstellung, damit um?
Barbara Kahle: Ja, da ist ein Problem, mit dem die Künstler und auch Nachlassverwalter oder Nachfahren von Papierkünstlern zu kämpfen haben. Zum Beispiel die Löwenköpfe von Weizsäcker sind ziemlich empfindlich und als er sie geschaffen hat, tat er dies sicherlich nicht, damit man sie ständig auf- und abbaut. An einigen Stellen mussten sie bereits restauriert, verstärkt und mit Magneten, die die Teile zusammenhalten, versehen werden.
Die Ausstellungseröffnung am 23. April musste wegen der Pandemie bereits abgesagt werden. Wie steht es um die folgenden Termine?
Barbara Kahle: Die Regelungen für den Museumsbereich sehen ja derzeit so aus, dass man bei einem Inzidenzwert zwischen 50 und 100 öffnen und Publikum, nach Voranmeldung, empfangen kann. Mitte April liegt die Inzidenz in Bamberg bei 112 – ob die Villa Dessauer Ende April geöffnet werden kann, müssen wir also schauen. Versammlungen, wie bei einer Vernissage, sind aber absolut tabu.
Wie schwer würde es den Kunstverein treffen, wenn keine der Begleitveranstaltungen stattfinden kann?
Barbara Kahle: Sehr schwer. Finanzielle Nachteile hätten wir keine, möchte ich an dieser Stelle sagen. Die Gelder sind uns unter anderem von der Stadt Bamberg zugeflossen. Aber wir haben die Ausstellung mit solch einer Begeisterung, und auch körperlicher Anstrengung, vorbereitet und aufgebaut und denken, dass sie den Besuchern großen Spaß machen würde, dass uns ein Ausfall sehr leidtun würde. Wir werden die Schau ganz bewusst länger als die üblichen sechs Wochen laufen lassen, damit wir auf den Sommer und bessere Inzidenzzahlen hoffen können. Vielleicht können wir zur Finissage die Begegnung von Besuchern und Künstlern nachholen.
Gäbe es online ein Ausweichangebot?
Barbara Kahle: Ja, wir werden die Ausstellung auch digital begleiten. Wenn wir nicht öffnen können, möchten wir die Ausstellung zumindest multimedial begleiten. Wir sind auf Facebook, Instagram und Youtube unterwegs und bieten dort zum Beispiel Interviews mit den Künstlern und Einblicke in ihre Werke. So haben wir wenigstens einen Bruchteil von Ausstellungsbegleitung. Das ist natürlich kein Ersatz für den Besuch einer Ausstellung, aber ein interessantes ergänzendes Angebot.
Weitere Informationen:
Ausstellung “Papier”, 24. April bis 27. Juni, Villa Dessauer
Außerdem:
Ausstellung von Jürgen Wilhelm “Abstraktion Photographie”, 3. bis 31. Mai, Schützenstraße 4