Remsi Al Khalisi wird im Juli das ETA Hoffmann Theater verlassen und ab der Spielzeit 2022/2023 am Theater Münster als Schauspieldirektor für Dramaturgie, Ensemble, Finanzen und Spielplanerstellung der Sparte zuständig sein. Bis dahin wird er die Spielzeit in Münster vorbereiten und das Ensemble zusammenstellen. In Bamberg bekleidet er seit 2015 die Stelle des Chefdramaturgen. In Münster wird er als Schauspieldirektor für Dramaturgie, Ensemble, Finanzen und Spielplanerstellung der Sparte zuständig sein. Mit dem Webecho blickt er auf seine Zeit in Bamberg zurück.
Herr Al Khalisi, haben Sie sich für die Stelle in Münster beworben oder wurde Sie abgeworben?
Remsi Al Khalisi: Ich habe die designierte Generalintendantin Katharina Kost-Tolmein, die 2022 am Theater Münster neu anfängt, kennen gelernt, als sie sich für das Haus bewerben wollte. Es ist ein Mehrspartenhaus und sie wollte in ihrer Bewerbung schon jemanden für die Schauspielsparte präsentieren.
Aus welchen Gründen wollte Frau Kost-Tolmein Sie?
Remsi Al Khalisi: Sie kannte meinen Namen unter anderem aus der Jury des Doppelpasses, ein Fonds der Kulturstiftung des Bundes, mit dem Kooperationen zwischen institutionellen Theatern und freien Theatergruppen gefördert werden. Außerdem hatte sie wohl viel von dem, was wir in Bamberg tun, in der überregionalen Presse gelesen.
Wie lange mussten Sie nachdenken, bis Sie das Angebot annahmen?
Remsi Al Khalisi: Gar nicht! Die Stelle in Münster ist die nächstgrößere Aufgabe. Zuzusagen fiel mir nicht schwer.
Gab es seitens der Bamberger Theaterleitung Versuche, Sie in Bamberg zu halten?
Remsi Al Khalisi: Nein, zum einen, weil mein Entschluss feststand. Zum anderen, weil auch Sibylle Broll-Pape sofort klar war, dass eine eigene Sparte überantwortet zu bekommen, für mich richtig ist.
Wie hat das ETA-Ensemble Ihre Entscheidung zur Kenntnis genommen?
Remsi Al Khalisi: Mit Applaus und Traurigkeitsbekundungen gleichermaßen.
Hatten Sie schon länger den Plan, sich beruflich neu zu orientieren?
Remsi Al Khalisi: Eigentlich nicht. Aber die Möglichkeit, nach Münster zu gehen, kam zu einer Zeit, in der ich zumindest daran gedacht hatte, dass es an anderer Stelle weitergehen könnte, ich nochmal aufsteigen und größere Verantwortung übernehmen will.
Wie sehen die Reaktionen aus Münster aus?
Remsi Al Khalisi: Gut erstmal. Wir haben das ja erst vor zwei Wochen bekanntgegeben. Ich war auch schon da und habe sehr positive, willkommen heißende Reaktionen erfahren.
Wer wird in Bamberg nach Ihnen die Leitung der Dramaturgie übernehmen?
Remsi Al Khalisi: Die Theaterleitung wird die Organisation der künstlerischen Leitung umbauen. Das heißt, dass sie in Zukunft von Sybille Broll-Pape, den Dramaturginnen Victoria Weich und, neu im Team, Petra Schiller übernommen wird.
Wie sieht das Fazit Ihrer Zeit in Bamberg aus?
Remsi Al Khalisi: Es war eine sehr aufregende und beglückende Zeit. Sibylle Broll-Pape und ich konnten sehr viel von dem, was wir uns bei unserem Antritt 2015 vorgenommen hatten, umsetzen und haben sehr großen Zuspruch dafür bekommen. Und zwar sowohl bei Publikum als auch beim überregionalen Feuilleton. Wir wurden damals gewarnt, dass unser eher anspruchsvolles Programm in Bamberg nicht funktionieren und das Haus füllen würde – es sei zu großstädtisch und man wolle hier eher die leichte Muse. Im ersten Jahr gab es zwar noch Kritik, ich wurde zum Beispiel mal gefragt, ob es wirklich nötig sei, dass der Schauspieler bei seinem Monolog in „Prinz Friedrich von Homburg“ auf einer Toilettenschüssel sitzt. Aber die Menschen waren dann doch bereit, einen Weg mit uns zu gehen. Es war auch nicht klar, ob wir das Theater Bamberg in der deutschen Feuilleton-Landschaft neu positionieren könnten. Das ist uns aber schneller gelungen als ich gedacht habe. Außerdem gab es einen sehr regen und nahen Austausch mit dem Publikum. Das war ich von meinen vorherigen Stationen in anderen Städten nicht so gewöhnt – dort war es sehr viel anonymer. Ich hatte immer das Gefühl, dass man mich in der Stadtgesellschaft kennenlernen möchte und das Gespräch mit mir sucht.
Man hört immer mal wieder von einer bleiernen Stimmung hinter den Kulissen. Wie sehen Sie das?
Remsi Al Khalisi: Hier ist nichts bleiern, sondern im Gegenteil: lebendig, offen, kreativ, professionell und oft auch familiär, das heißt, dass es auch Konflikte gibt, die aber konstruktiv ausgetragen werden. Es ist vorgekommen, dass man mit einem Gast-Regisseur zum Beispiel künstlerisch nicht einer Meinung war. Aber alle haben sich immer bemüht, auf den letzten Metern doch noch einen gemeinsamen Weg zu finden. Am Anfang meiner Zeit im ETA war es nicht leicht im Haus. Der Übergang war für alle Seiten schwieriger als gedacht. Aber das ist vielleicht normal, wenn ein Haus vorher so lange Zeit wenig bewegt wurde. Ich habe damals viel gelernt über diese Prozesse. Und wir sind uns ja alle miteinander doch näher gekommen im Laufe der Zeit.
Was werden Sie an Bamberg vermissen?
Remsi Al Khalisi: Ich werde vor allem die Freunde vermissen, die ich hier gefunden habe. Auch die Hainbadestelle vor der Abendprobe und das Bier im „Rückel“ nach den Proben. Und vieles mehr.
Was nicht?
Remsi Al Khalisi: Das schwere fränkische Essen mit Schweinefleisch und das Rauchbier sind nicht so meins.
Die letzte Inszenierung der Spielzeit 2020/2021 ist die der Calderón-Spiele. Besteht die Gefahr, dass bei Ihnen bis dahin die Spannung durch den bevorstehenden Abschied raus sein könnte?
Remsi Al Khalisi: Ja, die Spannung ist insofern raus, als dass ich keine Abschlussproduktion haben werde. Nichts, wovon ich wissen könnte, dass es meine letzte Premiere sein wird. Um dieses Erlebnis bin ich, wie so viele andere auch, durch die Pandemie betrogen worden. Das ist schade. Es gibt eine andere Dynamik, wenn man etwas hat, auf das man hinarbeiten kann.
Sie sind seit 2015 am ETA Theater. Wie hat sich in dieser Zeit die Theaterwelt verändert?
Remsi Al Khalisi: Ein großer Unterschied ist, dass die jungen Künstler*innen, die anfangen, am Theater zu arbeiten, sich heute für andere Themen interessieren. Identitätspolitik ist zum Beispiel viel wichtiger geworden – nicht nur gesellschaftlich, auch in der Kunst. Entsprechend schaut die Theaterlandschaft kritischer auf die eigenen Strukturen und möglicherweise überkommene Machtverhältnisse. Wie kann man den Theaterbetrieb so reformieren, dass er dabei keinen Schaden nimmt?
Wie stehen Sie zur Identitätspolitik?
Remsi Al Khalisi: Ich bin kein Fan von bestimmten Dynamiken, die damit zusammenhängen und manchmal fast blutrauschhaft vonstattengehen. Aber ich sehe keine Alternative zur Identitätspolitik. Ich finde es notwendig und richtig, dass ehemals diskriminierte Gruppen ihre Stimme stärker einbringen, um diskriminierende Strukturen zu verändern. Das ist eine gesellschaftliche Chance.
Geht eine Entwicklung am Theater entsprechend in die Richtung, die alte Arbeitsteilung aufzugeben, bei der eine Regisseurin oder ein Regisseur bei der Inszenierung alles vorgibt und der Rest der Beteiligten folgt – zugunsten von größerer Teilhabe und Mitsprache des Ensembles am künstlerischen Prozess?
Remsi Al Khalisi: Ja, in gewisser Hinsicht. Obwohl auch die jüngeren und woken Künstler*innen durchaus geneigt sind, jemandem, der zum Genie erklärt wurde, zu folgen. Aber ich glaube nicht, dass die grundsätzliche Funktion der Regie wegfällt. Die Art und Weise, wie der künstlerische Prozess miteinander ausgehandelt wird, wandelt sich eher. Die Arbeitsteilung sehe ich auch bei den jüngeren Leuten nicht aufgegeben. Die Weise, wie sich darüber verständigt wird, ändert und öffnet sich. Ich erinnere mich aus meinen Anfangszeiten am Theater an Proben, bei denen man nicht mal sprechen durfte, wenn man nicht Regisseur*in oder Schauspieler*in war. Das geht mit den jungen Menschen heute zum Glück nicht mehr. Es ist ein Missverständnis, dass nur über Trietzerei und Leiden Kunst entstünde. Diese Haltung ist aber zum Glück nicht mehr weit verbreitet.