Immer deutlicher und drängender wurden in den vergangenen Wochen Forderungen aus der Wirtschaft, die gesellschaftlichen Beschränkungen sobald wie möglich wieder aufzuheben. Doch auch nun, nachdem diese Beschränkungen nach und nach gelockert werden, bleibt das Dilemma bestehen, dass die Gesundheit der Bevölkerung und die der Wirtschaft wohl nicht gleichzeitig garantiert werden können. Dr. Björn Asdecker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktion und Logistik an der Universität Bamberg. Mit ihm haben wir über diesen Konflikt, Hamsterkäufe und die Zukunft des Bamberger Handels gesprochen.
Die Maßnahmen, die in Deutschland zur Eindämmung der Corona-Infektionszahlen verhängt wurden, haben nicht nur persönliche, sondern auch wirtschaftliche Einschränkungen zur Folge. Wie und in welchem Umfang leidet die bayerische Wirtschaft darunter?
Björn Asdecker: Fragen über die Höhe des entstandenen Schadens lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös beantworten. Klar gibt es aktuell Verdienst- und Erlösausfälle, aber die Konsequenzen der Krise gehen weit darüber hinaus. Corona stellt die gesamte Lebensweise auf den Kopf. Wobei ich betonen möchte, dass dies langfristig nicht immer schlecht sein muss, sondern viele überfällige Entwicklungen beschleunigt. Ich glaube beispielsweise, dass man künftig nicht mehr schief angeschaut wird, wenn man gerne mehr aus dem Home-Office arbeiten möchte.
Hätten Sie eine andere Vorgehensweise, die nicht auf Beschneidung persönlicher Freiheiten, Schließungen und soziale Distanz, sondern unter anderem auf vermehrte Tests und individuelle Isolierung setzt, vorgezogen?
Björn Asdecker: Ich bin kein Virologe. Deswegen möchte ich keine Wertung zur Vorgehensweise verschiedener Staaten vornehmen. Es ist aus meiner Sicht zudem nicht sinnvoll, weil zu viele Parameter mit hineinspielen. Die asiatischen Staaten haben beispielsweise andere Erfahrungswerte bezüglich der Ausbreitung von Virusinfektionen, weshalb die Bevölkerung Warnungen ernster nimmt und sich an kommunizierte Empfehlungen beziehungsweise Verhaltensregeln hält. Nachdem man gesehen hat, wie leichtfertig weite Teile der Bevölkerung Mitte bis Ende März in Bamberg mit der Thematik umgegangen sind, bin ich der Meinung, dass man um die jetzigen sehr strengen Regelungen fast schon gebettelt hat und dass es da auch keine realistische Alternative gab.
Wie kann Ihrer Meinung nach das Dilemma gelöst werden, dass, je länger der Lockdown andauert, desto mehr schadet es der Wirtschaft, je früher die Beschränkungen aber aufgehoben werden, umso größer ist das Risiko für die Gesundheit?
Björn Asdecker: Gar nicht. Da muss man nicht lange um den heißen Brei reden. Es gibt hier ganz klar einen Zielkonflikt, um den ich keinen Politiker beneide.
Wie sehen Sie die sogenannten Hamsterkäufe?
Björn Asdecker: Die Frage ist, wie man „Hamstern“ definiert. Klar, es gibt Negativbeispiele, bei denen man nur mit dem Kopf schütteln kann. Aber abgesehen davon habe ich im Lebensmitteleinzelhandel vor allem Bevorratungskäufe beobachtet. Auch ich habe meine Vorräte aufgestockt, weil ich in der aktuellen Lage nicht mehrmals wöchentlich in den Supermarkt möchte. Das ist aus meiner Sicht kein asoziales Hamstern, sondern ein vernünftiger Beitrag zur Wahrung der physischen Distanz. Außerdem ist es aktuell nicht so, dass das Angebot an Lebensmitteln grundsätzlich gefährdet ist, wir also hungern müssten. Deshalb sehe ich die Hamsterkäufe – sofern man sie denn unbedingt so nennen mag – als nicht dramatisch an. Ich bitte außerdem darum, die Dinge richtig einzuordnen. Es gibt aktuell wahrlich größere Probleme als wenn man tatsächlich vor einem leeren Regal steht und nach Alternativen suchen muss.
Manche Händler haben zum Beispiel im Fall von Toilettenpapier veranlasst, dass pro Kunde nur ein Pack gekauft werden darf, andere Händler haben mit Preiserhöhungen ab dem zweiten Pack reagiert. Was halten Sie von solchen Maßnahmen?
Björn Asdecker: Das sind durchaus Maßnahmen, die dazu beitragen können, Nachfrageschwankungen zu glätten, um die kurzfristige Warenverfügbarkeit zu verbessern. Als kundenfreundlichere Alternative empfinde ich allerdings die Definition von Höchstabgabemengen. Eine Staffelung mit steigenden Preisen erweckt bei mir eher den Eindruck als ginge es dem Händler nicht primär um die Aufrechterhaltung des Warenangebots, sondern vielmehr um die Maximierung seines Gewinns.
Was bedeutet die Krise für das Verhältnis zwischen Online- und stationärem Konsum? Wird ersterer noch weiter zunehmen?
Björn Asdecker: Absolut. Ich bin davon überzeugt, dass der langfristige Gewinner der Onlinehandel ist. Wir sehen diese Verschiebung von Umsätzen aus dem stationären Handel in den Onlinehandel ja bereits seit Jahren. Es ist einfach so, dass das Geschäftsmodell des Internethandels in vielerlei Hinsicht dem stationären Handel überlegen ist. Dazu tragen die unbeschränkten Öffnungszeiten, die größere Auswahl, die bessere Preistransparenz und die rechtlich gesicherten Rückgabemöglichkeiten bei. Die Ausgangsbeschränkungen führen nun dazu, dass viele zurückhaltende Bevölkerungsgruppen den Onlinehandel ausprobieren. Und wenn die Kunden erstmal verloren sind, wird es für den stationären Handel aufgrund der genannten strukturellen Nachteile schwer, diese zurückzugewinnen. Je länger die Phase der Geschäftsschließungen dauert, desto größer wird die Problematik. Trotzdem gibt es auch im Onlinehandel Licht und Schatten.
Welche Branchen werden da speziell profitieren, welche weniger oder gar nicht?
Björn Asdecker: Schwer getroffen sind aktuell beispielsweise die Modeversender. Durch die Ausgangsbeschränkungen ist die Motivation gering, sich neue Bekleidung und Schuhe anzuschaffen. Wozu auch? Man kann sie ja schließlich nicht ausführen. Einen echten Boom erleben Onlineapotheken, der Lebensmittelversand und alle Shops, die das Zurückziehen in die eigenen vier Wände bedienen. Darunter fällt dann alles von Spielekonsolen über Hanteln, bis zu hin zum Kochzubehör.
Welche Chancen sehen Sie für den Bamberger Handel, nach der Krise wieder auf die Beine zu kommen?
Björn Asdecker: Ich bin kein Freund von Horrorszenarien. Ich glaube nicht, dass es nach der Krise plötzlich keinen Bamberger Einzelhandel mehr geben wird. Für mich ist die Coronakrise ein Katalysator. Ein Ereignis, das die Veränderungsgeschwindigkeit erhöht. Das, was wir nun in ein bis zwei Jahren sehen werden, hätte unter normalen Umständen vielleicht fünf bis zehn Jahre gebraucht. Es geht nun also schneller, aber gekommen wäre vieles sowieso. Ich glaube das Schlimmste, was man aktuell machen kann, ist, sich zurückzulehnen und abzuwarten – in der Hoffnung, dass alles wieder so wird wie vor der Krise. Handel ist Wandel. Das war schon immer so, nur geht es jetzt nochmal deutlich schneller.
Welche Maßnahme könnte der Bamberger Handel dazu selbst ergreifen, welche Maßnahmen von außen könnten helfen?
Zunächst einmal sollte jeder natürlich bei sich selbst anfangen. In gewisser Weise heißt es deshalb ja auch „SELBSTständigkeit“. Eine solch einschneidende Krise zerstört vieles Bekanntes, bietet aber gleichzeitig Chancen, neue Wege zu gehen beziehungsweise neue Ansätze zu verfolgen. Bleiben Sie beispielsweise mit Ihren Kunden über WhatsApp, Facebook und Co. in Kontakt, erlauben Sie telefonische Bestellungen, setzen Sie sich mit den vielfältigen Online-Verkaufsplattformen auseinander, probieren Sie diese aus, versuchen Sie ein lokales Liefermodell zu etablieren. Es gibt diesbezüglich in Bamberg einige Best Practice-Beispiele, an denen man sich orientieren kann. Ich möchte zum Beispiel auf die Buchhandlung Collibri verweisen, die trotz Amazon als stationärer Händler nicht erst seit Corona ausliefert. Ebenso verdient das Bamberger Projekt „Liefert.Jetzt“ eine lobende Erwähnung, das darüber informiert, welche stationären Händler in Bamberg zusätzlich ausliefern. Darüber hinaus rückt man in Krisenzeiten bekanntlich enger zusammen. Vielleicht ergibt sich die Möglichkeit für ungewöhnliche Kooperationen. Viele haben ja ähnliche Probleme. Könnte man beispielsweise die Bamberger Taxiunternehmen dafür gewinnen, statt Personen nun Waren zu befördern? Eventuell können an dieser Stelle die lokale Politik und die IHK Impulse geben und die entsprechenden Kontaktpunkte schaffen.
Was machen Sie als erstes, wenn die Ausgangsbeschränkung aufgehoben ist?
Ich freue mich riesig, aus dem Home-Office wieder in mein Büro zurückzukehren. Das hat jetzt weniger mit meinem Büro zu tun, als mit dem Umstand, dass ich meine Studierenden wirklich vermisse. Ich hoffe inständig, dass dies keine einseitige Wahrnehmung ist, sondern auf Gegenseitigkeit beruht.