Zwischen 6. und 9. Juni findet die zehnte Wahl zum Europäischen Parlament, die Europawahl, statt. In Deutschland wird am 9. Juni gewählt. Wir haben im Vorfeld örtliche, oberfränkische und bayerische Kandidatinnen und Kandidaten von CSU, FDP, Freien Wählern, Grünen, SPD und Volt zur Wahl interviewt und zur zusätzlichen Einordnung mit Professor Ulrich Sieberer von der Universität Bamberg gesprochen. Im zweiten Teil unserer Kandidierenden-Interviews zeigen wir Ihnen die Antworten von Michaela Reimann (Grüne), Martin Lücke (SPD), Hans-Günter Brünker (Volt) und Professor Sieberer.
Grüne: Michaela Reimann,
Listenkandidatin
Frau Reimann, warum möchten Sie die hiesige Politik verlassen und Europapolitik machen?
Michaela Reimann: 70 bis 80 Prozent unserer nationalen Gesetze basieren auf EU-Gesetzgebungen und diese haben somit einen direkten Einfluss auf unseren Alltag. Für mich gibt es eine direkte Verbindung von EU-Politik in die Länder, in die Bundesländer, in die Regionen und Kommunen. Dort, vor Ort, wird die EU-Politik kommuniziert und wirksam gemacht. Auf der anderen Seite werden Rückmeldungen aus den Städten, Kommunen und Regionen von den Parlamentarier:innen aufgenommen und ans Europäische Parlament adressiert. Diese Brückenfunktion würde ich gerne übernehmen.
Welche oberfränkischen Interessen möchten Sie einbringen?
Michaela Reimann: Ich sehe da viele Ansatzpunkte. Zum Beispiel sind wir in Oberfranken eine sehr touristische Region, entsprechend sind Natur- und Umweltschutz sehr wichtig. Dazu kann EU-Politik wesentlich beitragen. Da die EU in den letzten Jahren in Oberfranken allerdings zu wenig gefördert hat, möchte ich mich dafür einsetzen, mehr Projekte und Fördermittel für Naturschutz- und Kulturprojekte zu beantragen. Auch haben wir in der Region Zulieferer für die Automobilindustrie. Dort weiter daran zu arbeiten, dass die Transformation zur E‑Mobilität weiter vorangetrieben wird, wäre ein Punkt, den wir aus Brüssel auch mitnehmen könnten. Denn die Industrie braucht Sicherheit in Bezug auf die Rahmenbedingungen für ihre Produktion. Mit dem Green Deal in der EU haben wir dahingehend viel erreicht.
Manfred Weber hat angekündigt, das Verbrenner-Aus kippen zu wollen. Würde Sie das bei der hiesigen Industrie in Erklärungsnot bringen?
Michaela Reimann: Das, was die EVP fordert, übrigens entgegen den vorherigen Vorstellungen der Kommissionspräsidentin von der Leyen, die den Green Deal eingeführt hat, ist ein Rückschritt. Alte Lösungen sollen für aktuelle Probleme herangezogen werden. Meine grüne Forderung ist dagegen eine enkeltaugliche Europapolitik. Eine Politik, die die europäischen Klimaziele erreichen will und die Konsequenzen heutiger Weichenstellungen für zukünftige Generation in den Mittelpunkt stellt.
Die deutschen Grünen stehen in Umfragen im Vergleich zur letzten Europawahl 2019 derzeit um etwa 6 Prozentpunkte schlechter da. Woran liegt diese Entwicklung?
Michaela Reimann: Wir haben die Debatte über Klimawandel und Umweltschutz zu einem zentralen Thema der Politik gemacht. Das war in der Veränderungsgeschwindigkeit für manche vermutlich zu viel und zu schnell. Es gibt aber keinen Zweifel daran, dass wir ernsthafte und gute Lösungen für die Transformation mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, dem Kohleausstieg, einer nachhaltigen Verkehrs‑, Wirtschafts- und Wohnungspolitik, mit dem echten Schutz unserer Lebensgrundlagen sowie rechtliche Rahmenbedingungen für eine vielfältige und offene Gesellschaft brauchen.
Im Wahlprogramm der Grünen steht unter „Wohlstand und Gerechtigkeit“ der Satz: „Für eine Politik, die den Kompromiss sucht und bereit ist, über ihren Schatten zu springen.“ In der heimischen Regierungsbeteiligung mussten die Grünen bereits einige Ideale reduzieren (Einwanderungspolitik, Energieversorgung, Umweltschutz, Rüstung). Ist das mit „über den Schatten springen“ gemeint?
Michaela Reimann: Wir machen als Grüne eine „beidhändige Politik“. Das heißt, einerseits streiten wir für unsere Überzeugungen. Anderseits sind wir gesprächs- und dialogbereit. Politik machen heißt ja immer, Dinge nicht nur angemessen voranzutreiben und zu kommunizieren, sondern auch den Gruppierungen, mit denen man verhandelt, zuzuhören und anderslautende Argumente aufzunehmen. Dabei kommen oft keine 100-Prozent-Lösungen heraus – auch wenn wir uns das wünschen. Was zum Beispiel die Pflichtbrachflächen in der Landwirtschaft betrifft, die Verwendung des Düngemittels Glyphosat, die Kennzeichnungspflicht für genmanipulierte Pflanzen oder die Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes – da haben wir tatsächlich schon einige Kröten schlucken müssen.
Wo sehen Sie die größten Probleme auf die EU zukommen?
Michaela Reimann: Die größte Bedrohung sehe ich für unsere europäische Demokratie von innen und außen. Einerseits durch globale Systemkämpfe, die ausgetragen werden. China versucht als Weltmacht auch in Europa immer mehr Einfluss zu bekommen und der russische Diktator Putin greift in der Ukraine die europäische Demokratie mit hybrider Kriegsführung an. Wir müssen mit unserem demokratischen Modell in Europa zeigen, dass wir für die Menschen die besseren Lösungen haben. Was ich gefährlich finde, ist, dass rechtsextreme Parteien inzwischen in 13 von 27 Ländern der EU in den Nationalparlamenten sitzen. Das ist eine ernste Bedrohung der Demokratie von innen. In Deutschland stimmt es mich aber sehr positiv, dass die Leute zum Demonstrieren auf die Straße gehen und zeigen, dass sie sich einem Rechtsrutsch aktiv entgegenstellen.
SPD: Martin Lücke, Spitzen-
kandidat für Oberfranken
Herr Lücke, warum möchten
Sie Europapolitik machen?
Martin Lücke: Ich glaube, dass die europäische Ebene die wichtigste gestalterische Ebene ist für die Zukunft sehr vieler Menschen. Wir haben uns in Europa nach dem 2. Weltkrieg für ein gigantisches Friedens- und Versöhnungsprojekt zusammengefunden. Ich möchte dazu beitragen, dass sich dieses Europa weiterhin positiv entwickelt.
Was heißt das konkret?
Martin Lücke: Ich setze mich ein für ein Fortschreiben der Völkerverständigung, des sich gegenseitig Besuchens zum Beispiel oder von Schüleraustauschprogrammen. Das schafft ein gegenseitiges Verständnis und betont die Gemeinsamkeiten. Unter sozialdemokratischen Gesichtspunkten stehe ich für die großen SPD-Prinzipen: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Wiederfinden kann man diese Dinge etwa in Chancengleichheit, in einer stabilisierten Rechtsprechung, in Sicherheit im Internet oder im Beistand für die sozial Schwachen – all das geht am besten im europäischen Kontext.
Welche oberfränkischen Interessen möchten Sie vertreten?
Martin Lücke: Oberfränkische Interessen beziehen sich für mich etwa auf die Frage: Wie schaffen wir es, den Strukturwandel in sich verändernden Produktionsformen zum Beispiel in der Autoindustrie hinzukriegen? Ein zweites wichtiges Thema ist die regionale Agrarförderung. Wenn ich zum Beispiel im Frankenwald sehe, wie der Borkenkäfer gewütet hat – das schreit direkt nach einer Europaförderung zur Renaturierung unserer Wälder.
Die SPD steht in Umfragen derzeit fast 10 Prozentpunkte schlechter da als bei der Bundestagswahl. Wie wollen Sie es bewerkstelligen, nicht auch von diesem negativen Trend erfasst zu werden?
Martin Lücke: Umfragen kümmern mich eher wenig. Wenn ich mir aber etwa anschaue, wie viele Menschen in den letzten Monaten für die Demokratie und gegen rechts auf die Straßen gingen, sehe ich, wie viele Menschen aufgewacht sind und inzwischen auch verstehen, dass es Gründe hat, dass die SPD bereits 160 Jahre alt ist. Denn wir halten bestimmte soziale Themen immer wieder auf der Tagesordnung. Dafür steigt im Moment das Verständnis – was mir gut gefällt.
In den Umfragen ist das aber noch nicht angekommen. An welchen Punkten müssen Sie sich von der Bundes-SPD fernhalten, um in Europa erfolgreich zu sein?
Martin Lücke: Wie soll ich mich fernhalten, wenn ich sage, dass wir zu unseren Grundwerten stehen und das halten, was wir versprechen? Wenn ich zum Beispiel sehe, wie Olaf Scholz im Hintergrund ganz konsequent bestimmte Themen durchhält, sehe ich ihn wie den Chef einer Band, der alle beim Grundrhythmus hält. Es gibt natürlich immer wieder Solopartien, vielleicht wenn Kollege Lindner vorschnell irgendwelche dummen Sachen in die Welt setzt oder die Grünen, die ihrerseits etwas unabgestimmt hinausposaunen. Am Ende ist es aber der Kanzler, der zusammenführt und voranbringt. Das macht mich relativ gelassen.
Auch international hat das Ansehen der SPD gelitten, zum Beispiel die Taurus-Entscheidung des Kanzlers hat zuletzt für Unverständnis geführt. Wie ließe sich das Ansehen bessern?
Martin Lücke: Dieses Bild des Kanzlers ist Teil der veröffentlichten Meinung, um nicht zu sagen des öffentlichen Klamauks um die Taurus-Entscheidung. Ich halte diese Diskussionen für verantwortungslos in Bezug auf die Sicherheit unseres Landes. Am Ende geht es darum, dass wir deutsche, sehr ausgefeilte Verteidigungstechnologie nicht einfach so aus der Hand geben können und wollen. Anders als die Heißsporne in anderen Parteien, hat unser Bundeskanzler immer klar gemacht, dass es eine Grenze gibt, nämlich: Deutschland tritt in den Krieg in der Ukraine nicht aktiv ein. Andererseits möchte ich aber auch betonen: Nach den USA unterstützt wirtschaftlich kein Land die Ukraine so stark wie Deutschland – mit deutlichem Abstand zu anderen europäischen Ländern.
Andere Länder wie Frankreich oder Großbritannien stellen aber dem Taurus-System sehr ähnliche Systeme zur Verfügung ohne Kriegspartei zu werden.
Martin Lücke: Das stimmt, aber dass müssen deren nationale Sicherheitsberater entscheiden. Außerdem ist Deutschland im Gegensatz zu den beiden Ländern keine Atommacht. In dieser Liga der Atommächte kann man anders auftreten.
Die Probleme der EU sind zahlreich – wo sehen Sie die größten Herausforderungen auf die EU zukommen?
Martin Lücke: Eine ganz große Herausforderung im Angesicht von Russland oder China ist sicherlich eine gut abgestimmte gemeinsame Sicherheitspolitik und eine Stärkung der europäischen Komponente der Nato – nicht zuletzt im Hinblick auf die anstehende US-Wahl. Hinzu kommt der Klimawandel. Wir müssen uns auf die Folgen einstellen, wozu es auch ein gemeinsames europäisches Handeln brauchen wird. In dieser EU-Wahl wird es zudem darum gehen, ob es gelingt, Nationalismus und Rechtsnationalismus soweit einzugrenzen, dass Europa durch nationale Interessen nicht zerteilt wird, sondern das große Gemeinschaftsprojekt weiterbesteht. Eine diesbezügliche Abgrenzung nach rechtsaußen haben Manfred Weber und die EVP in der nun zu Ende gehenden Wahlperiode allerdings vermissen lassen.
Volt: Dr. Hans-Günter Brünker, Listenkandidat
Herr Brünker, warum möchten Sie Europapolitik machen?
Hans-Günter Brünker: Weil wir Europa dringend benötigen. Denn die großen Fragen der heutigen Zeit können wir nur gemeinsam bewältigen. Und dafür brauchen wir ein besseres, reformiertes Europa. Mit einer echten, demokratisch gewählten Regierung. Ohne Veto-Recht für einzelne Länder, die sonst die ganze EU erpressen. Was mir dabei zum Beispiel besonders am Herzen liegt, sind seit jeher Energie- und Sicherheitspolitik. Das sind Themen, die vor zweieinhalb Jahren noch niemanden interessiert haben, nun aber sehr präsent geworden sind.
Volt steht für eine nukleare Teilhabe der EU an französischen Atomwaffen. Wäre das auch ein Thema, das interessanter wird?
Hans-Günter Brünker: Ja. Denn wir brauchen eine gesamteuropäische Sicherheitspolitik. Die Sicherheitsausgaben der EU sind sehr hoch, aber im Vergleich zum Beispiel zu den USA bekommen wir dafür relativ wenig. Das liegt an unfassbar komplexen Strukturen, die auf der nationalen Vielfalt beruhen, die an dieser Stelle aber einfach nicht hilft. Durch eine konsequente, gemeinsame Beschaffung und Entwicklung, könnten wir mit viel weniger Geld viel mehr Sicherheit erreichen.
Wo sehen Sie entsprechend die größten Probleme auf die EU zukommen?
Hans-Günter Brünker: Kurzfristig sehe ich die größten Probleme bei der Sicherheit und in der Wirtschaftspolitik. Bei dem Verlust unserer industriellen Strukturen und unseres Wohlstandes. Langfristig , ist das größte Problem der Klimawandel – das steht über allem. Etwas, das wir übrigens auch nur gesamteuropäisch lösen können. Wir geben in Deutschland zum Beispiel sehr viel Geld für nachhaltige Energieerzeugung aus, was sehr gut ist. Aber wenn wir für das gleiche Geld zum Beispiel Photovoltaik in Südeuropa bauen und Windenergie in Nordeuropa, und ein vernünftiges europäisches Energienetz schaffen, dann bekommen wir für das gleiche Geld viel mehr nachhaltige Energie. Und zusätzlich würde es uns strategisch deutlich unabhängiger machen.
Um welche oberfränkischen Interessen geht es Ihnen?
Hans-Günter Brünker: Als Stadtrat in Bamberg denke ich natürlich auch an die Belange der Stadt. Oberfranken profitiert an der einen oder anderen Stelle bereits von diversen EU-Strukturfonds. Volt unterstützt darüber hinaus eine EU-weite Initiative, dass sich Kommunen auch direkt für europäische Förderung bewerben können. Bislang geht so etwas nur über nationale Töpfe. Eine Entsprechende Resolution haben wir mehrheitlich inzwischen auch im Bamberger Stadtrat verabschiedet.
Ihr Programm unterscheidet sich im Großen und Ganzen kaum von dem anderer eher linker Parteien. Warum sollte man Volt wählen, wenn man etwa die erfolgversprechenderen Grünen wählen kann?
Hans-Günter Brünker: Weil wir es ernst meinen mit Europa.
Das sagen die anderen auch.
Hans-Günter Brünker: Aber sie tun es nicht! Im Vorfeld der Europawahl 2019 las ich mir die Programme der deutschen Parteien durch. Bei der CSU war ich beispielsweise ganz verwundert, wie viele proeuropäische und auch durchaus sinnvolle Dinge da drin standen. Und so wird das auch diesmal sein. Aber umgesetzt wird davon dann, wie von den anderen Parteien auch, erneut kaum etwas. Ich nenne die CSU, weil wir, was Zusammenarbeit oder Koalitionen angeht, pragmatisch sind. In Köln sind wir in der Regierung zusammen mit den Grünen und der CDU, in Bamberg anfangs mit rot-grün und der ÖDP. Ich sehe also durchaus auch konservatives Wählerpontenzial, Leute, die von der CSU die Nase voll haben, aber auch nicht links wählen wollen. Und, ohne den Grünen zu nahe treten zu wollen: Ich würde mir wünschen, dass es die einen europäischen Grünen gäbe. Aber die Unterschiede zwischen zum Beispiel deutschen oder französischen Grünen sind immer noch viel zu groß. Wir hingegen sind eine gesamteuropäische Partei, aktiv in 30 Ländern, mit einem gemeinsamen Programm. Bei den anderen Parteien stehen stattdessen am Ende doch immer nationale Interessen im Vordergrund. Und das führt nicht zu den besten Lösungen.
Prof. Dr. Ulrich Sieberer, Leiter Empirische Politikwissenschaft, Universität Bamberg
Herr Sieberer, die Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl lag 2019 in Deutschland bei knapp 61 Prozent, weniger als zum Beispiel bei der letzten Bundestagswahl (76 Prozent). Wie kommt dieser Unterschied im Interesse zustande?
Ulrich Sieberer: Viele Bürgerinnen und Bürger messen den EU-Wahlen eine geringere Bedeutung bei und bleiben deshalb eher zu Hause – ein Phänomen, das wir auch von Landtagswahlen kennen, wo die Beteiligung meist auch deutlich unter der der Bundestagswahl liegt. Dazu kommt speziell bei der Europawahl, dass viele Wahlberechtigte keine klare Vorstellung davon haben, was die EU konkret tut und wofür das Europaparlament zuständig ist.
Die SPD sank in den Umfragewerten zuletzt ab. Kann sich eine Partei für eine internationale Wahl von einem heimischen Abwärtstrend fernhalten oder muss sie sich zwangsläufig auch bei der EU-Wahl auf einen Stimmenverlust einstellen?
Ulrich Sieberer: Zwangsläufig nicht, aber es wäre schon eine große Überraschung, wenn diese Parteien nicht ebenfalls abgestraft würden. Beide haben den kleinen „Vorteil“, dass ihr Ergebnis bei den letzten Europawahlen 2019 bereits sehr schwach war, vor allem bei der SPD, die nur knapp über 15 Prozent der Stimmen lag. Insofern wird der direkte Vergleich zur letzten Wahl auf den ersten Blick nicht so schlimm ausfallen.
Volt hat als gesamteuropäische Partei nicht das Problem, nationale Einstellungen und Absichten vereinen zu müssen. Verspricht sich die Partei davon zurecht einen Vorteil bei der Wahl?
Ulrich Sieberer: Das kann attraktiv sein für Wählende, die eine wirklich europäische Perspektive einnehmen und sich mit den europapolitischen Vorhaben der Parteien ernsthaft auseinandersetzen. Allerdings ist diese Gruppe nicht sonderlich groß. Ich glaube nicht, dass Volt über einen kleinen Achtungserfolg hinauskommen wird.
Die Grünen mussten in der Ampelkoalition bereits schmerzhaft einige Ideale einschränken, etwa in Sachen Klimaschutz, Energieversorgung, Migration oder Rüstungsexporte. Inwiefern muss sich die Partei darauf einstellen, von ihrer Wählerschaft für diese Identitätseinbußen bei der EU-Wahl abgestraft zu werden?
Ulrich Sieberer: Das größte Problem für die Grünen ist ihr großer Erfolg bei den letzten Europawahlen, als sie mit über 20 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl erreicht haben. Die damalige Wahl stand ganz unter dem Eindruck der Klimadebatte und einer unpopulären großen Koalition. Heute ist die Ausgangsposition grundsätzlich anders – bei den dominanten Themen, gerade im Bereich Migration, tun sich die Grünen schwer mit dem Spagat zwischen Parteibasis, Koalitionspartnern und öffentlicher Meinung, und als Mitglied der Ampel werden sie für deren schlechtes Image zu einem gehörigen Teil mitverantwortlich gemacht. Unter diesen Umständen wäre ein Ergebnis zwischen 10 und 15 Prozent schon ein Erfolg – aber so oder so wird bei den Grünen am Wahlabend ein dicker roter Balken im Vergleich zu 2019 stehen.