CSU, FDP, Frei­en Wäh­lern, Grü­nen, SPD und Volt

Euro­pa­wahl 2024: Kan­di­die­ren­de im Inter­view – Teil 2

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Europawahl
Symbolbild, Foto: Pixabay
Zwi­schen 6. und 9. Juni fin­det die zehn­te Wahl zum Euro­päi­schen Par­la­ment, die Euro­pa­wahl, statt. In Deutsch­land wird am 9. Juni gewählt. Wir haben im Vor­feld ört­li­che, ober­frän­ki­sche und baye­ri­sche Kan­di­da­tin­nen und Kan­di­da­ten von CSU, FDP, Frei­en Wäh­lern, Grü­nen, SPD und Volt zur Wahl inter­viewt und zur zusätz­li­chen Ein­ord­nung mit Pro­fes­sor Ulrich Sie­be­rer von der Uni­ver­si­tät Bam­berg gespro­chen. Im zwei­ten Teil unse­rer Kan­di­die­ren­den-Inter­views zei­gen wir Ihnen die Ant­wor­ten von Michae­la Rei­mann (Grü­ne), Mar­tin Lücke (SPD), Hans-Gün­ter Brün­ker (Volt) und Pro­fes­sor Sieberer.
Grü­ne: Michae­la Rei­mann,
Lis­ten­kan­di­da­tin
Frau Rei­mann, war­um möch­ten Sie die hie­si­ge Poli­tik ver­las­sen und Euro­pa­po­li­tik machen?

Michae­la Rei­mann: 70 bis 80 Pro­zent unse­rer natio­na­len Geset­ze basie­ren auf EU-Gesetz­ge­bun­gen und die­se haben somit einen direk­ten Ein­fluss auf unse­ren All­tag. Für mich gibt es eine direk­te Ver­bin­dung von EU-Poli­tik in die Län­der, in die Bun­des­län­der, in die Regio­nen und Kom­mu­nen. Dort, vor Ort, wird die EU-Poli­tik kom­mu­ni­ziert und wirk­sam gemacht. Auf der ande­ren Sei­te wer­den Rück­mel­dun­gen aus den Städ­ten, Kom­mu­nen und Regio­nen von den Parlamentarier:innen auf­ge­nom­men und ans Euro­päi­sche Par­la­ment adres­siert. Die­se Brü­cken­funk­ti­on wür­de ich ger­ne übernehmen.

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Michae­la Rei­mann, Foto: Hayat Caidou
Wel­che ober­frän­ki­schen Inter­es­sen möch­ten Sie einbringen?

Michae­la Rei­mann: Ich sehe da vie­le Ansatz­punk­te. Zum Bei­spiel sind wir in Ober­fran­ken eine sehr tou­ris­ti­sche Regi­on, ent­spre­chend sind Natur- und Umwelt­schutz sehr wich­tig. Dazu kann EU-Poli­tik wesent­lich bei­tra­gen. Da die EU in den letz­ten Jah­ren in Ober­fran­ken aller­dings zu wenig geför­dert hat, möch­te ich mich dafür ein­set­zen, mehr Pro­jek­te und För­der­mit­tel für Natur­schutz- und Kul­tur­pro­jek­te zu bean­tra­gen. Auch haben wir in der Regi­on Zulie­fe­rer für die Auto­mo­bil­in­dus­trie. Dort wei­ter dar­an zu arbei­ten, dass die Trans­for­ma­ti­on zur E‑Mobilität wei­ter vor­an­ge­trie­ben wird, wäre ein Punkt, den wir aus Brüs­sel auch mit­neh­men könn­ten. Denn die Indus­trie braucht Sicher­heit in Bezug auf die Rah­men­be­din­gun­gen für ihre Pro­duk­ti­on. Mit dem Green Deal in der EU haben wir dahin­ge­hend viel erreicht.

Man­fred Weber hat ange­kün­digt, das Ver­bren­ner-Aus kip­pen zu wol­len. Wür­de Sie das bei der hie­si­gen Indus­trie in Erklä­rungs­not bringen?

Michae­la Rei­mann: Das, was die EVP for­dert, übri­gens ent­ge­gen den vor­he­ri­gen Vor­stel­lun­gen der Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin von der Ley­en, die den Green Deal ein­ge­führt hat, ist ein Rück­schritt. Alte Lösun­gen sol­len für aktu­el­le Pro­ble­me her­an­ge­zo­gen wer­den. Mei­ne grü­ne For­de­rung ist dage­gen eine enkel­taug­li­che Euro­pa­po­li­tik. Eine Poli­tik, die die euro­päi­schen Kli­ma­zie­le errei­chen will und die Kon­se­quen­zen heu­ti­ger Wei­chen­stel­lun­gen für zukünf­ti­ge Gene­ra­ti­on in den Mit­tel­punkt stellt.

Die deut­schen Grü­nen ste­hen in Umfra­gen im Ver­gleich zur letz­ten Euro­pa­wahl 2019 der­zeit um etwa 6 Pro­zent­punk­te schlech­ter da. Wor­an liegt die­se Entwicklung?

Michae­la Rei­mann: Wir haben die Debat­te über Kli­ma­wan­del und Umwelt­schutz zu einem zen­tra­len The­ma der Poli­tik gemacht. Das war in der Ver­än­de­rungs­ge­schwin­dig­keit für man­che ver­mut­lich zu viel und zu schnell. Es gibt aber kei­nen Zwei­fel dar­an, dass wir ernst­haf­te und gute Lösun­gen für die Trans­for­ma­ti­on mit dem Aus­bau erneu­er­ba­rer Ener­gien, dem Koh­le­aus­stieg, einer nach­hal­ti­gen Verkehrs‑, Wirt­schafts- und Woh­nungs­po­li­tik, mit dem ech­ten Schutz unse­rer Lebens­grund­la­gen sowie recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen für eine viel­fäl­ti­ge und offe­ne Gesell­schaft brauchen.

Im Wahl­pro­gramm der Grü­nen steht unter „Wohl­stand und Gerech­tig­keit“ der Satz: „Für eine Poli­tik, die den Kom­pro­miss sucht und bereit ist, über ihren Schat­ten zu sprin­gen.“ In der hei­mi­schen Regie­rungs­be­tei­li­gung muss­ten die Grü­nen bereits eini­ge Idea­le redu­zie­ren (Ein­wan­de­rungs­po­li­tik, Ener­gie­ver­sor­gung, Umwelt­schutz, Rüs­tung). Ist das mit „über den Schat­ten sprin­gen“ gemeint?

Michae­la Rei­mann: Wir machen als Grü­ne eine „beid­hän­di­ge Poli­tik“. Das heißt, einer­seits strei­ten wir für unse­re Über­zeu­gun­gen. Ander­seits sind wir gesprächs- und dia­log­be­reit. Poli­tik machen heißt ja immer, Din­ge nicht nur ange­mes­sen vor­an­zu­trei­ben und zu kom­mu­ni­zie­ren, son­dern auch den Grup­pie­run­gen, mit denen man ver­han­delt, zuzu­hö­ren und anders­lau­ten­de Argu­men­te auf­zu­neh­men. Dabei kom­men oft kei­ne 100-Pro­zent-Lösun­gen her­aus – auch wenn wir uns das wün­schen. Was zum Bei­spiel die Pflicht­brach­flä­chen in der Land­wirt­schaft betrifft, die Ver­wen­dung des Dün­ge­mit­tels Gly­pho­sat, die Kenn­zeich­nungs­pflicht für gen­ma­ni­pu­lier­te Pflan­zen oder die Aus­ge­stal­tung des Lie­fer­ket­ten­ge­set­zes – da haben wir tat­säch­lich schon eini­ge Krö­ten schlu­cken müssen.

Wo sehen Sie die größ­ten Pro­ble­me auf die EU zukommen?

Michae­la Rei­mann: Die größ­te Bedro­hung sehe ich für unse­re euro­päi­sche Demo­kra­tie von innen und außen. Einer­seits durch glo­ba­le Sys­tem­kämp­fe, die aus­ge­tra­gen wer­den. Chi­na ver­sucht als Welt­macht auch in Euro­pa immer mehr Ein­fluss zu bekom­men und der rus­si­sche Dik­ta­tor Putin greift in der Ukrai­ne die euro­päi­sche Demo­kra­tie mit hybri­der Kriegs­füh­rung an. Wir müs­sen mit unse­rem demo­kra­ti­schen Modell in Euro­pa zei­gen, dass wir für die Men­schen die bes­se­ren Lösun­gen haben. Was ich gefähr­lich fin­de, ist, dass rechts­extre­me Par­tei­en inzwi­schen in 13 von 27 Län­dern der EU in den Natio­nal­par­la­men­ten sit­zen. Das ist eine erns­te Bedro­hung der Demo­kra­tie von innen. In Deutsch­land stimmt es mich aber sehr posi­tiv, dass die Leu­te zum Demons­trie­ren auf die Stra­ße gehen und zei­gen, dass sie sich einem Rechts­rutsch aktiv entgegenstellen.

SPD: Mar­tin Lücke, Spit­zen-
kan­di­dat für Oberfranken
Herr Lücke, war­um möch­ten
Sie Euro­pa­po­li­tik machen?

Mar­tin Lücke: Ich glau­be, dass die euro­päi­sche Ebe­ne die wich­tigs­te gestal­te­ri­sche Ebe­ne ist für die Zukunft sehr vie­ler Men­schen. Wir haben uns in Euro­pa nach dem 2. Welt­krieg für ein gigan­ti­sches Frie­dens- und Ver­söh­nungs­pro­jekt zusam­men­ge­fun­den. Ich möch­te dazu bei­tra­gen, dass sich die­ses Euro­pa wei­ter­hin posi­tiv entwickelt.

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Mar­tin Lücke, Foto: Privat
Was heißt das konkret?

Mar­tin Lücke: Ich set­ze mich ein für ein Fort­schrei­ben der Völ­ker­ver­stän­di­gung, des sich gegen­sei­tig Besu­chens zum Bei­spiel oder von Schü­ler­aus­tausch­pro­gram­men. Das schafft ein gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis und betont die Gemein­sam­kei­ten. Unter sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Gesichts­punk­ten ste­he ich für die gro­ßen SPD-Prin­zi­pen: Frei­heit, Gerech­tig­keit, Soli­da­ri­tät. Wie­der­fin­den kann man die­se Din­ge etwa in Chan­cen­gleich­heit, in einer sta­bi­li­sier­ten Recht­spre­chung, in Sicher­heit im Inter­net oder im Bei­stand für die sozi­al Schwa­chen – all das geht am bes­ten im euro­päi­schen Kontext.

Wel­che ober­frän­ki­schen Inter­es­sen möch­ten Sie vertreten?

Mar­tin Lücke: Ober­frän­ki­sche Inter­es­sen bezie­hen sich für mich etwa auf die Fra­ge: Wie schaf­fen wir es, den Struk­tur­wan­del in sich ver­än­dern­den Pro­duk­ti­ons­for­men zum Bei­spiel in der Auto­in­dus­trie hin­zu­krie­gen? Ein zwei­tes wich­ti­ges The­ma ist die regio­na­le Agrar­för­de­rung. Wenn ich zum Bei­spiel im Fran­ken­wald sehe, wie der Bor­ken­kä­fer gewü­tet hat – das schreit direkt nach einer Euro­pa­för­de­rung zur Rena­tu­rie­rung unse­rer Wälder.

Die SPD steht in Umfra­gen der­zeit fast 10 Pro­zent­punk­te schlech­ter da als bei der Bun­des­tags­wahl. Wie wol­len Sie es bewerk­stel­li­gen, nicht auch von die­sem nega­ti­ven Trend erfasst zu werden?

Mar­tin Lücke: Umfra­gen küm­mern mich eher wenig. Wenn ich mir aber etwa anschaue, wie vie­le Men­schen in den letz­ten Mona­ten für die Demo­kra­tie und gegen rechts auf die Stra­ßen gin­gen, sehe ich, wie vie­le Men­schen auf­ge­wacht sind und inzwi­schen auch ver­ste­hen, dass es Grün­de hat, dass die SPD bereits 160 Jah­re alt ist. Denn wir hal­ten bestimm­te sozia­le The­men immer wie­der auf der Tages­ord­nung. Dafür steigt im Moment das Ver­ständ­nis – was mir gut gefällt.

In den Umfra­gen ist das aber noch nicht ange­kom­men. An wel­chen Punk­ten müs­sen Sie sich von der Bun­des-SPD fern­hal­ten, um in Euro­pa erfolg­reich zu sein?

Mar­tin Lücke: Wie soll ich mich fern­hal­ten, wenn ich sage, dass wir zu unse­ren Grund­wer­ten ste­hen und das hal­ten, was wir ver­spre­chen? Wenn ich zum Bei­spiel sehe, wie Olaf Scholz im Hin­ter­grund ganz kon­se­quent bestimm­te The­men durch­hält, sehe ich ihn wie den Chef einer Band, der alle beim Grund­rhyth­mus hält. Es gibt natür­lich immer wie­der Solo­par­tien, viel­leicht wenn Kol­le­ge Lind­ner vor­schnell irgend­wel­che dum­men Sachen in die Welt setzt oder die Grü­nen, die ihrer­seits etwas unab­ge­stimmt hin­aus­po­sau­nen. Am Ende ist es aber der Kanz­ler, der zusam­men­führt und vor­an­bringt. Das macht mich rela­tiv gelassen.

Auch inter­na­tio­nal hat das Anse­hen der SPD gelit­ten, zum Bei­spiel die Tau­rus-Ent­schei­dung des Kanz­lers hat zuletzt für Unver­ständ­nis geführt. Wie lie­ße sich das Anse­hen bessern?

Mar­tin Lücke: Die­ses Bild des Kanz­lers ist Teil der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung, um nicht zu sagen des öffent­li­chen Kla­mauks um die Tau­rus-Ent­schei­dung. Ich hal­te die­se Dis­kus­sio­nen für ver­ant­wor­tungs­los in Bezug auf die Sicher­heit unse­res Lan­des. Am Ende geht es dar­um, dass wir deut­sche, sehr aus­ge­feil­te Ver­tei­di­gungs­tech­no­lo­gie nicht ein­fach so aus der Hand geben kön­nen und wol­len. Anders als die Heiß­spor­ne in ande­ren Par­tei­en, hat unser Bun­des­kanz­ler immer klar gemacht, dass es eine Gren­ze gibt, näm­lich: Deutsch­land tritt in den Krieg in der Ukrai­ne nicht aktiv ein. Ande­rer­seits möch­te ich aber auch beto­nen: Nach den USA unter­stützt wirt­schaft­lich kein Land die Ukrai­ne so stark wie Deutsch­land – mit deut­li­chem Abstand zu ande­ren euro­päi­schen Ländern.

Ande­re Län­der wie Frank­reich oder Groß­bri­tan­ni­en stel­len aber dem Tau­rus-Sys­tem sehr ähn­li­che Sys­te­me zur Ver­fü­gung ohne Kriegs­par­tei zu werden.

Mar­tin Lücke: Das stimmt, aber dass müs­sen deren natio­na­le Sicher­heits­be­ra­ter ent­schei­den. Außer­dem ist Deutsch­land im Gegen­satz zu den bei­den Län­dern kei­ne Atom­macht. In die­ser Liga der Atom­mäch­te kann man anders auftreten.

Die Pro­ble­me der EU sind zahl­reich – wo sehen Sie die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen auf die EU zukommen?

Mar­tin Lücke: Eine ganz gro­ße Her­aus­for­de­rung im Ange­sicht von Russ­land oder Chi­na ist sicher­lich eine gut abge­stimm­te gemein­sa­me Sicher­heits­po­li­tik und eine Stär­kung der euro­päi­schen Kom­po­nen­te der Nato – nicht zuletzt im Hin­blick auf die anste­hen­de US-Wahl. Hin­zu kommt der Kli­ma­wan­del. Wir müs­sen uns auf die Fol­gen ein­stel­len, wozu es auch ein gemein­sa­mes euro­päi­sches Han­deln brau­chen wird. In die­ser EU-Wahl wird es zudem dar­um gehen, ob es gelingt, Natio­na­lis­mus und Rechts­na­tio­na­lis­mus soweit ein­zu­gren­zen, dass Euro­pa durch natio­na­le Inter­es­sen nicht zer­teilt wird, son­dern das gro­ße Gemein­schafts­pro­jekt wei­ter­be­steht. Eine dies­be­züg­li­che Abgren­zung nach rechts­au­ßen haben Man­fred Weber und die EVP in der nun zu Ende gehen­den Wahl­pe­ri­ode aller­dings ver­mis­sen lassen.

Volt: Dr. Hans-Gün­ter Brün­ker, Listenkandidat
Herr Brün­ker, war­um möch­ten Sie Euro­pa­po­li­tik machen?

Hans-Gün­ter Brün­ker: Weil wir Euro­pa drin­gend benö­ti­gen. Denn die gro­ßen Fra­gen der heu­ti­gen Zeit kön­nen wir nur gemein­sam bewäl­ti­gen. Und dafür brau­chen wir ein bes­se­res, refor­mier­tes Euro­pa. Mit einer ech­ten, demo­kra­tisch gewähl­ten Regie­rung. Ohne Veto-Recht für ein­zel­ne Län­der, die sonst die gan­ze EU erpres­sen. Was mir dabei zum Bei­spiel beson­ders am Her­zen liegt, sind seit jeher Ener­gie- und Sicher­heits­po­li­tik. Das sind The­men, die vor zwei­ein­halb Jah­ren noch nie­man­den inter­es­siert haben, nun aber sehr prä­sent gewor­den sind.

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Hans-Gün­ter Brün­ker, Foto: Sebas­ti­an Quenzer
Volt steht für eine nuklea­re Teil­ha­be der EU an fran­zö­si­schen Atom­waf­fen. Wäre das auch ein The­ma, das inter­es­san­ter wird?

Hans-Gün­ter Brün­ker: Ja. Denn wir brau­chen eine gesamt­eu­ro­päi­sche Sicher­heits­po­li­tik. Die Sicher­heits­aus­ga­ben der EU sind sehr hoch, aber im Ver­gleich zum Bei­spiel zu den USA bekom­men wir dafür rela­tiv wenig. Das liegt an unfass­bar kom­ple­xen Struk­tu­ren, die auf der natio­na­len Viel­falt beru­hen, die an die­ser Stel­le aber ein­fach nicht hilft. Durch eine kon­se­quen­te, gemein­sa­me Beschaf­fung und Ent­wick­lung, könn­ten wir mit viel weni­ger Geld viel mehr Sicher­heit erreichen.

Wo sehen Sie ent­spre­chend die größ­ten Pro­ble­me auf die EU zukommen?

Hans-Gün­ter Brün­ker: Kurz­fris­tig sehe ich die größ­ten Pro­ble­me bei der Sicher­heit und in der Wirt­schafts­po­li­tik. Bei dem Ver­lust unse­rer indus­tri­el­len Struk­tu­ren und unse­res Wohl­stan­des. Lang­fris­tig , ist das größ­te Pro­blem der Kli­ma­wan­del – das steht über allem. Etwas, das wir übri­gens auch nur gesamt­eu­ro­pä­isch lösen kön­nen. Wir geben in Deutsch­land zum Bei­spiel sehr viel Geld für nach­hal­ti­ge Ener­gie­er­zeu­gung aus, was sehr gut ist. Aber wenn wir für das glei­che Geld zum Bei­spiel Pho­to­vol­ta­ik in Süd­eu­ro­pa bau­en und Wind­ener­gie in Nord­eu­ro­pa, und ein ver­nünf­ti­ges euro­päi­sches Ener­gie­netz schaf­fen, dann bekom­men wir für das glei­che Geld viel mehr nach­hal­ti­ge Ener­gie. Und zusätz­lich wür­de es uns stra­te­gisch deut­lich unab­hän­gi­ger machen.

Um wel­che ober­frän­ki­schen Inter­es­sen geht es Ihnen?

Hans-Gün­ter Brün­ker: Als Stadt­rat in Bam­berg den­ke ich natür­lich auch an die Belan­ge der Stadt. Ober­fran­ken pro­fi­tiert an der einen oder ande­ren Stel­le bereits von diver­sen EU-Struk­tur­fonds. Volt unter­stützt dar­über hin­aus eine EU-wei­te Initia­ti­ve, dass sich Kom­mu­nen auch direkt für euro­päi­sche För­de­rung bewer­ben kön­nen. Bis­lang geht so etwas nur über natio­na­le Töp­fe. Eine Ent­spre­chen­de Reso­lu­ti­on haben wir mehr­heit­lich inzwi­schen auch im Bam­ber­ger Stadt­rat verabschiedet.

Ihr Pro­gramm unter­schei­det sich im Gro­ßen und Gan­zen kaum von dem ande­rer eher lin­ker Par­tei­en. War­um soll­te man Volt wäh­len, wenn man etwa die erfolg­ver­spre­chen­de­ren Grü­nen wäh­len kann?

Hans-Gün­ter Brün­ker: Weil wir es ernst mei­nen mit Europa.

Das sagen die ande­ren auch.

Hans-Gün­ter Brün­ker: Aber sie tun es nicht! Im Vor­feld der Euro­pa­wahl 2019 las ich mir die Pro­gram­me der deut­schen Par­tei­en durch. Bei der CSU war ich bei­spiels­wei­se ganz ver­wun­dert, wie vie­le pro­eu­ro­päi­sche und auch durch­aus sinn­vol­le Din­ge da drin stan­den. Und so wird das auch dies­mal sein. Aber umge­setzt wird davon dann, wie von den ande­ren Par­tei­en auch, erneut kaum etwas. Ich nen­ne die CSU, weil wir, was Zusam­men­ar­beit oder Koali­tio­nen angeht, prag­ma­tisch sind. In Köln sind wir in der Regie­rung zusam­men mit den Grü­nen und der CDU, in Bam­berg anfangs mit rot-grün und der ÖDP. Ich sehe also durch­aus auch kon­ser­va­ti­ves Wäh­ler­pon­ten­zi­al, Leu­te, die von der CSU die Nase voll haben, aber auch nicht links wäh­len wol­len. Und, ohne den Grü­nen zu nahe tre­ten zu wol­len: Ich wür­de mir wün­schen, dass es die einen euro­päi­schen Grü­nen gäbe. Aber die Unter­schie­de zwi­schen zum Bei­spiel deut­schen oder fran­zö­si­schen Grü­nen sind immer noch viel zu groß. Wir hin­ge­gen sind eine gesamt­eu­ro­päi­sche Par­tei, aktiv in 30 Län­dern, mit einem gemein­sa­men Pro­gramm. Bei den ande­ren Par­tei­en ste­hen statt­des­sen am Ende doch immer natio­na­le Inter­es­sen im Vor­der­grund. Und das führt nicht zu den bes­ten Lösungen.

Prof. Dr. Ulrich Sie­be­rer, Lei­ter Empi­ri­sche Poli­tik­wis­sen­schaft, Uni­ver­si­tät Bamberg
Herr Sie­be­rer, die Wahl­be­tei­li­gung bei der EU-Wahl lag 2019 in Deutsch­land bei knapp 61 Pro­zent, weni­ger als zum Bei­spiel bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl (76 Pro­zent). Wie kommt die­ser Unter­schied im Inter­es­se zustande?

Ulrich Sie­be­rer: Vie­le Bür­ge­rin­nen und Bür­ger mes­sen den EU-Wah­len eine gerin­ge­re Bedeu­tung bei und blei­ben des­halb eher zu Hau­se – ein Phä­no­men, das wir auch von Land­tags­wah­len ken­nen, wo die Betei­li­gung meist auch deut­lich unter der der Bun­des­tags­wahl liegt. Dazu kommt spe­zi­ell bei der Euro­pa­wahl, dass vie­le Wahl­be­rech­tig­te kei­ne kla­re Vor­stel­lung davon haben, was die EU kon­kret tut und wofür das Euro­pa­par­la­ment zustän­dig ist.

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Ulrich Sie­be­rer, Foto: Uni­ver­si­tät Bamberg
Die SPD sank in den Umfra­ge­wer­ten zuletzt ab. Kann sich eine Par­tei für eine inter­na­tio­na­le Wahl von einem hei­mi­schen Abwärts­trend fern­hal­ten oder muss sie sich zwangs­läu­fig auch bei der EU-Wahl auf einen Stim­men­ver­lust einstellen?

Ulrich Sie­be­rer: Zwangs­läu­fig nicht, aber es wäre schon eine gro­ße Über­ra­schung, wenn die­se Par­tei­en nicht eben­falls abge­straft wür­den. Bei­de haben den klei­nen „Vor­teil“, dass ihr Ergeb­nis bei den letz­ten Euro­pa­wah­len 2019 bereits sehr schwach war, vor allem bei der SPD, die nur knapp über 15 Pro­zent der Stim­men lag. Inso­fern wird der direk­te Ver­gleich zur letz­ten Wahl auf den ers­ten Blick nicht so schlimm ausfallen.

Volt hat als gesamt­eu­ro­päi­sche Par­tei nicht das Pro­blem, natio­na­le Ein­stel­lun­gen und Absich­ten ver­ei­nen zu müs­sen. Ver­spricht sich die Par­tei davon zurecht einen Vor­teil bei der Wahl?

Ulrich Sie­be­rer: Das kann attrak­tiv sein für Wäh­len­de, die eine wirk­lich euro­päi­sche Per­spek­ti­ve ein­neh­men und sich mit den euro­pa­po­li­ti­schen Vor­ha­ben der Par­tei­en ernst­haft aus­ein­an­der­set­zen. Aller­dings ist die­se Grup­pe nicht son­der­lich groß. Ich glau­be nicht, dass Volt über einen klei­nen Ach­tungs­er­folg hin­aus­kom­men wird.

Die Grü­nen muss­ten in der Ampel­ko­ali­ti­on bereits schmerz­haft eini­ge Idea­le ein­schrän­ken, etwa in Sachen Kli­ma­schutz, Ener­gie­ver­sor­gung, Migra­ti­on oder Rüs­tungs­expor­te. Inwie­fern muss sich die Par­tei dar­auf ein­stel­len, von ihrer Wäh­ler­schaft für die­se Iden­ti­täts­ein­bu­ßen bei der EU-Wahl abge­straft zu werden?

Ulrich Sie­be­rer: Das größ­te Pro­blem für die Grü­nen ist ihr gro­ßer Erfolg bei den letz­ten Euro­pa­wah­len, als sie mit über 20 Pro­zent ihr his­to­risch bes­tes Ergeb­nis bei einer bun­des­wei­ten Wahl erreicht haben. Die dama­li­ge Wahl stand ganz unter dem Ein­druck der Kli­ma­de­bat­te und einer unpo­pu­lä­ren gro­ßen Koali­ti­on. Heu­te ist die Aus­gangs­po­si­ti­on grund­sätz­lich anders – bei den domi­nan­ten The­men, gera­de im Bereich Migra­ti­on, tun sich die Grü­nen schwer mit dem Spa­gat zwi­schen Par­tei­ba­sis, Koali­ti­ons­part­nern und öffent­li­cher Mei­nung, und als Mit­glied der Ampel wer­den sie für deren schlech­tes Image zu einem gehö­ri­gen Teil mit­ver­ant­wort­lich gemacht. Unter die­sen Umstän­den wäre ein Ergeb­nis zwi­schen 10 und 15 Pro­zent schon ein Erfolg – aber so oder so wird bei den Grü­nen am Wahl­abend ein dicker roter Bal­ken im Ver­gleich zu 2019 stehen.

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