Aufgrund des immer höher werdenden Altersdurchschnitts in Deutschland nehmen die Zahlen von Erkrankungen, die vermehrt im Alter auftreten, zu: Demenzerkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit verändern kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten und sind nicht heilbar. 2013 rief das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die Bayerische Demenzstrategie ins Leben, um dem genannten Anstieg ausreichend Pflege-Strukturen entgegensetzen zu können. Ein Teil dieser Strategie sah die Erschaffung von Fachstellen für Demenz und Pflege in allen bayerischen Regierungsbezirken vor. Die Fachstelle für Demenz und Pflege Oberfranken ist eine davon. Wir haben mit Patricia Reinhardt, Gerontologin der Fachstelle, über steigende Erkrankungszahlen, die Grenzen privater Pflege und die Möglichkeiten der Prävention von Demenzerkrankungen gesprochen.
Frau Reinhardt, worin besteht das Hilfsangebot der Fachstelle für Demenz und Pflege Oberfranken?
Patricia Reinhardt: Die Fachstelle für Demenz und Pflege Oberfranken bietet pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen in unserer Lotsenfunktion zum Beispiel Assistenz bei der Suche nach Beratungsstellen, interessierten Trägern von anerkannten Angeboten zur Unterstützung im Alltag unter anderem Beratung im Förderverfahren oder die Begleitung bei Initiierung und Umsetzung neuer Angebote. Interessierten Trägern von Fachstellen für pflegende Angehörige und Pflegestützpunkten bieten wir strategische Beratung zum Aufbau und zudem regelmäßige Austausch- und Vernetzungstreffen. AkteurInnen des öffentlichen Lebens im Bereich Demenz können von uns Unterstützung bei der Durchführung von Veranstaltungen zum Thema Demenz oder Informationen über Schulungen, Workshops, wie auch regionale Informationsveranstaltungen erhalten.
Die Fallzahlen Demenzerkrankter nehmen aufgrund einer immer älter werdenden Gesellschaft in Zukunft noch zu. Wie ist die Fachstelle darauf vorbereitet?
Patricia Reinhardt: Etwa 24.000 Menschen sind momentan oberfrankenweit an Demenz erkrankt. Ein Anstieg der Anzahl dementiell Erkrankter im Bezirk Oberfranken wird für das Jahr 2030 auf 30.000 betroffene Personen prognostiziert. Oberfranken könnte diesen Anstieg also deutlich zu spüren bekommen, ist flächenmäßig der kleinste Regierungsbezirk Bayerns und hat zudem die geringste Einwohnerzahl. Allerdings leben hier vergleichsweise viele ältere Menschen. Da Demenzerkrankungen zum größten Teil im höheren Lebensalter auftreten, ist der Anteil von Menschen mit dementiellen Veränderungen in Oberfranken überdurchschnittlich hoch.
Durch dynamische Anpassung der Angebotsinhalte der Fachstelle für Demenz und Pflege Oberfranken und Schaffung von bleibenden Strukturen im Angebot zur Unterstützung im Alltag, ist die Stelle für die Zukunft gerüstet. Die Fachstelle Oberfranken ist gut im Verbund der Fachstellen für Demenz und Pflege in Bayern eingebunden, die in enger Absprache mit Staatsministerium für Gesundheit und Pflege und den Pflegekassen arbeiten. Sie ist ein Bestandteil der Bayerischen Demenzstrategie.
Bayern hat ein weit verbreitetes Netzwerk an Fachstellen und Pflegestützpunkten. Reichen diese aus, um alle Kranken versorgen zu können?
Patricia Reinhardt: Es ist wichtig, ein flächendeckendes Netz an Beratungsstrukturen zu haben. So kann die individuelle Versorgungsstruktur für Betroffene und deren pflegende Angehörige analysiert und angebahnt werden. Bei Erhalt der Fachstellen für pflegende Angehörige und der bestehenden Pflegestützpunkte, ist eine regionale Vernetzung neben dem Aufbau weiterer Trägerangebote in diesen beiden Bereichen sinnig. Ein weit verbreitetes Netz an Fachstellen und Pflegestützpunkten, singulär oder in Kooperation, sichert die Beratung für Betroffene und deren Angehörige. Die regionalen Fachstellen für Demenz und Pflege in Bayern stehen sowohl Fachstellen für pflegende Angehörige als auch Pflegestützpunkten beratend zur Seite.
Wie viele Demenzkranke werden privat gepflegt?
Patricia Reinhardt: Rund drei Viertel der an Demenz Erkrankten wird zu Hause betreut und versorgt. Dazu bedarf es engagierter pflegender Angehöriger, die ihrerseits auf Entlastungsstrukturen Zugriff haben sollten. Bestehende Angebote zur Unterstützung im Alltag zu stärken und fehlende Angebote zu generieren, ist ein Teil der Aufgabe der Fachstelle für Demenz und Pflege Oberfranken.
Was können Angehörige von Demenzkranken zu deren Pflege selbst tun, was sollten sie professionellen Kräften überlassen? Worauf gilt es bei privater Pflege zu achten?
Patricia Reinhardt: Jeder Angehörige ist ein Mensch. Jeder Mensch erbringt unterschiedliche Leistungen. Eine pauschale Aussage ist kaum möglich. Den Angehörigen ist einerseits zu raten, sich selbst immer im Blick zu haben. Andererseits ist es sinnvoll, sich ab Bekanntwerden der Diagnose Demenz über bestehende Beratungsstrukturen zum Thema „Häusliche Pflege, Versorgung und Unterstützung bei Demenz eines Angehörigen“ oder prinzipiell zur häuslichen Pflege eines pflegebedürftigen Angehörigen umfassend aufklären zu lassen. Gerne stehen die Mitarbeiterinnen der Fachstelle für Demenz und Pflege Oberfranken hierbei als Lotsinnen bereit.
Welche Risiken geht man mit privater Pflege ohne Unterstützung von außen ein?
Patricia Reinhardt: Die private Pflege eines Demenzerkrankten wird dann zum persönlichen Risiko, wenn man sich keine eigenen Freiräume schafft oder seine Persönlichkeit vollständig aufgibt. So berichten Angehörige von der Sorge des immer angebunden Seins oder der enormen Einschränkung in persönlichen Anliegen. In diesen Fällen droht Überlastung der pflegenden Angehörigen. Damit es nicht so weit kommt, müssen alle Unterstützungsmaßnahmen im häuslichen Umfeld bekannt sein und in Anspruch genommen werden. Eine Pflege-Eingradung der pflegebedürftigen Person ist zur finanziellen Unterstützung von Seiten der Pflegekassen und des Bundesgesundheitsministeriums beziehungsweise des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege Bayern essentiell notwendig.
Möchten Sie durch Ihre Unterstützung auch verhindern, dass Demenzkranke an Pflege- oder Altenheime übergeben werden?
Patricia Reinhardt: Die Arbeitsaufgaben der Fachstelle für Demenz und Pflege Oberfranken werden von einem dynamischen Prozess begleitet. Wir beraten im ambulanten Setting. Durch den Erhalt von beziehungsweise die Implementierung neuer Angebote zur Unterstützung im Alltag, möchten wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Betroffene so lange als möglich zu Hause leben können. Auch Beratungsstrukturen vor Ort dienen dem häufigen Wunsch von Pflegebedürftigen, und meist auch deren nahen Angehörigen, den Lebensabend in bekanntem Umfeld zu verbringen.
Was kann man zur Prävention einer Demenzerkrankung tun?
Patricia Reinhardt: Kurz gesagt: sich gesund ernähren, viel körperliche Aktivität und Sport betreiben, unterschiedlichste soziale Aktivitäten unternehmen, auf gute Hörfähigkeit achten, spezielles kognitives Training anwenden und jegliche Art, sich zu bilden, wahrnehmen. Starten Sie so früh wie möglich. Die benannten Punkte könnten schon als Lebensgewohnheiten im frühen Erwachsenenalter Beachtung finden.
Welches gesellschaftliche Bild von Demenzkranken herrscht derzeit vor? Inwiefern möchten Sie es ändern?
Patricia Reinhardt: Obgleich das Thema Demenz schon in den letzten Jahren enttabuisiert wurde, erlebt man im Alltag immer noch, dass Demenzerkrankte ignoriert, falsch verstanden oder wie Kinder behandelt werden. Die Fachstelle für Demenz und Pflege Oberfranken möchte die Gesellschaft sensibilisieren, um Unsicherheiten zu überbrücken und Tatkräftigkeit zu fördern. Somit können Demenzerkrankte wieder Teilhabe in der Gesellschaft erleben und pflegende Angehörige stärker entlastet werden. Lassen wir Menschen mit Demenz Teil der Mitte unserer Gesellschaft werden.
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