Jür­gen Schabel

Foto­aus­stel­lung “Mono no aware”

4 Min. zu lesen
Ein Gästezimmer im Hachijo Royal Hotel. Foto: Jürgen Schabel
In sei­ner Aus­stel­lung “Mono no awa­re” (noch bis 10. April im Kunst­ver­ein Koh­len­hof in Nürn­berg) zeigt der Bam­ber­ger Foto­graf Jür­gen Scha­bel Auf­nah­men von zwei auf­ge­ge­be­nen und dem Ver­fall über­las­se­nen Orten in Japan: Das Hachi­jo Roy­al Hotel liegt auf einer Insel süd­lich von Tokio und steht seit 2006 leer. Die Prä­fek­tur Fuku­shi­ma, nörd­lich von Tokio gele­gen, wur­de im März 2011 nach einer Reak­tor­ex­plo­si­on eva­ku­iert. Die ent­stan­de­nen Foto­gra­fien ver­mit­teln eine Atmo­sphä­re unwirk­li­cher Stil­le und Ver­gäng­lich­keit. Ein­drü­cke, die sich im Fall der Fotorei­he aus Fuku­shi­ma für das Publi­kum durch die in Erin­ne­rung geblie­be­nen Medi­en-Bil­der der Atom­ka­ta­stro­phe noch verstärken.

Wir haben mit Jür­gen Scha­bel über sei­nen Auf­ent­halt in der eva­ku­ier­ten Zone, sei­ne Fas­zi­na­ti­on am Men­schen­lee­ren und die Schön­heit der Ver­gäng­lich­keit gesprochen.


Herr Scha­bel, was fas­zi­niert Sie an ver­las­se­nen Orten wie die eva­ku­ier­te Zone der Prä­fek­tur Fuku­shi­ma und das leer­ste­hen­de Gebäu­de des Hachi­jo Roy­al Hotels? War­um haben Sie sie als Foto­mo­ti­ve gewählt?

Jür­gen Scha­bel: Im Zen­trum mei­ner künst­le­ri­schen Arbeit ste­hen immer wie­der Orte, die ein­zig­ar­ti­ge Geschich­ten in sich tra­gen. Was führ­te zum Ver­lust der ursprüng­li­chen Funk­ti­on, was bleibt von all den von und für Men­schen geschaf­fe­nen Din­gen, wie wird mit sol­chen Ver­las­sen­schaf­ten umge­gan­gen? Las­sen sich dar­aus Erkennt­nis­se für die Zukunft ablei­ten? In letz­ter Kon­se­quenz the­ma­ti­sie­ren mei­ne Bil­der die zeit­li­che Umdeu­tung von Ereig­nis­sen und Orten.


Inwie­fern war für die­se Wahl auch die Abwe­sen­heit von Men­schen interessant?

Jür­gen Scha­bel: Mein Inter­es­se gilt weni­ger den kon­kre­ten Orten selbst, als viel­mehr den Erin­ne­run­gen und Emo­tio­nen, den Spu­ren von Leben, die unter der Ober­flä­che ver­bor­gen lie­gen. Es ist ein Erfor­schen der Reso­nanz­räu­me an den Schnitt­stel­len von Raum und Zeit, von Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart. Ich öff­ne den Betrachter*innen ein Tor für eige­ne Gedan­ken und Emp­fin­dun­gen, das über die spe­zi­fi­sche Geschich­te des Ortes hinausweist.


Wie vie­le Fotos sind an den bei­den Orten ent­stan­den, wie vie­le haben es in die Aus­stel­lung geschafft und nach wel­chen Gesichts­punk­ten haben Sie die­se ausgewählt?

Jür­gen Scha­bel: Mei­nen Pro­zess des Foto­gra­fie­rens wür­de ich als Art des Fla­nie­rens bezeich­nen. Es weni­ger ein Suchen, als viel­mehr ein Fin­den. Für eine neue Werk­grup­pe ent­ste­hen cir­ca 150 Fotos. In einem ers­ten Schritt gilt es dann, aus dem Roh­ma­te­ri­al die eigent­li­che Geschich­te zu destil­lie­ren, den sprich­wört­li­chen roten Faden zu finden.

Der Zusam­men­hang kann dabei for­mal, sti­lis­tisch oder auch farb­lich sein. Eine Aus­stel­lung ist ja immer eine Kom­po­si­ti­on, die für eine Auf­füh­rung in die­sen ganz bestimm­ten Raum geschrie­ben wird. Wich­tig sind inhalt­li­che Bezü­ge, Rhyth­mus, Farb­kon­tras­te und manch­mal auch eine bewusst pro­vo­zier­te Irri­ta­ti­on. Die aktu­el­le Prä­sen­ta­ti­on im Kunst­ver­ein Koh­len­hof zeigt 30 groß­for­ma­ti­ge Fine-Art-Prints.

Jür­gen Scha­bel. Foto: Privat

Der Titel der Aus­stel­lung lau­tet “Mono no awa­re”. Was hat es damit auf sich?

Jür­gen Scha­bel: “Mono no awa­re” ist ein Begriff aus der Lite­ra­tur der Hei­an-Zeit und wur­de im 18. Jahr­hun­dert vom Gelehr­ten Moto­o­ri Nori­na­ga als Teil sei­ner Leh­re bekannt. Er beschreibt ein zen­tra­les Kon­zept japa­ni­scher Ästhe­tik und bedeu­tet wört­lich über­setzt das “Pathos der Din­ge“. Im Wesent­li­chen geht es um das bereits im Bud­dhis­mus ver­an­ker­te Bewusst­sein von der Unbe­stän­dig­keit des Seins. Ein gutes Bei­spiel für die­se Geis­tes­hal­tung ist die beson­de­re Ver­eh­rung der Kirsch­blü­te, die Saku­ra, die Schön­heit und Ver­gäng­lich­keit in sich ver­eint. Wäh­rend in unse­rem Kul­tur­kreis Melan­cho­lie eher mit Depres­si­on gleich­ge­setzt wird und damit patho­lo­gisch kon­no­tiert ist, wird sie in Japan als tief emp­fun­de­ne Emo­ti­on, als eine Mischung aus Freu­de, Trau­er und Hin­nah­me erlebt.


Was woll­ten Sie vor­nehm­lich dar­stel­len? Eine Atom-Kata­stro­phe und ihre Aus­wir­kun­gen oder lee­re, ver­fal­len­de Orte?

Jür­gen Scha­bel: Letz­ten Endes berüh­ren die Bil­der exis­ten­ti­el­le Fra­gen der Mensch­heit: Kli­ma­wan­del, Umwelt­zer­stö­rung oder Migra­ti­on. Fra­gen nach den Gren­zen des Wachs­tums und der Fra­gi­li­tät unse­res gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Lebens­ent­wurfs. Die Fas­zi­na­ti­on ent­steht aus einer beun­ru­hi­gen­den Span­nung zwi­schen dem Schönen und dem Vergänglichen – mono no awa­re. Oft ver­wei­gert die Bild­spra­che eine inhalt­li­che oder geo­gra­fi­sche Bele­gung und schafft damit mehr­deu­ti­ge und poe­ti­sche Bilderrätsel. Ich bin ein Geschichtenerzähler.


Wel­chen Bestim­mun­gen muss man sich unter­wer­fen, wenn man die Fuku­shi­ma-Zone betre­ten will, wel­che Sicher­heits­maß­nah­men gibt es, kann man allein unter­wegs sein, wie lan­ge durf­ten Sie bleiben?

Jür­gen Scha­bel: Es gibt nach wie vor streng kon­trol­lier­te Sperr­zo­nen, die nicht betre­ten wer­den dür­fen. Die Eva­ku­ie­rungs­zo­ne ist ohne zeit­li­che Ein­schrän­kung oder ver­pflich­ten­de Sicher­heits­maß­nah­men zugäng­lich. Ich war allei­ne unter­wegs und bin bei mei­ner zwei­tä­gi­gen Exkur­si­on kaum einem Men­schen begeg­net. Aller­dings wur­de es nicht ger­ne gese­hen, dass ein “gai­jin”, eine Lang­na­se, in der Regi­on foto­gra­fier­te – die letz­te Nacht habe ich auf einer Poli­zei­sta­ti­on verbracht.


Wie waren die Abläu­fe Ihres Aufenthalts?

Jür­gen Scha­bel: Die Stadt Fuku­shi­ma liegt etwa 60 Kilo­me­ter west­lich des Atom­kraft­werks und war durch die Nukle­ar­ka­ta­stro­phe kaum betroffen.

Ich habe in einem Hotel über­nach­tet, mich am Mor­gen mit Pro­vi­ant ver­sorgt und bin in die Städ­te Namie, Futu­ba oder Tomio­ka auf­ge­bro­chen. Die Insel Hachi­jo-jima, Teil der Izu-Inseln, liegt 287 km süd­lich von Tokio im phil­ip­pi­ni­schen Meer. Bis in die frü­hen 1960er Jah­re war es für Japa­ner fast unmög­lich, einen Pass für Aus­lands­rei­sen zu erhal­ten. 1963 eröff­ne­te das als größ­tes und luxu­riö­ses­tes Hotel des Lan­des bewor­be­ne Hachi­jo Roy­al Hotel mit einer Kom­bi­na­ti­on aus fran­zö­si­scher Barock­ar­chi­tek­tur und tra­di­tio­nel­len japa­ni­schen Gäs­te­zim­mern. Als inter­na­tio­na­le Rei­sen ein­fa­cher wur­den, erleb­te der Tou­ris­mus auf der Insel einen star­ken Rück­gang. Das Res­sort wur­de geschlos­sen, ein gro­ßer Teil der Innen­ein­rich­tung zurückgelassen.

Eine Schu­le in der Prä­fek­tur Fuku­shi­ma. Foto: Jür­gen Schabel

Mit wel­chen Gefüh­len hiel­ten Sie sich in der eva­ku­ier­ten Zone und im ver­las­se­nen Hotel auf?

Jür­gen Scha­bel: Das lässt sich mit einer Mischung aus Ent­de­cker­freu­de und Aben­teu­er­geist ganz gut beschrei­ben. Für außer­ge­wöhn­li­che Bil­der muss man manch­mal bereit sein, ein kal­ku­lier­tes Risi­ko einzugehen.


Ist es in Ihrem Sin­ne, dass das Publi­kum Ihre Foto­gra­fien aus einer wegen eines Atom­un­falls eva­ku­ier­ten Gegend nicht nur unter ästhe­ti­schen Gesichts­punk­ten, son­dern auch mit einem gewis­sen bou­le­var­desken Kata­stro­phen-Gru­sel betrach­ten könnte?

Jür­gen Scha­bel: So, wie es unend­li­che Mög­lich­kei­ten gibt, einen Moment dar­zu­stel­len, so gibt es auch unend­li­che Mög­lich­kei­ten, eine Foto­gra­fie zu lesen. Ich öff­ne den Betrachter*innen einen Raum für eige­ne Gedan­ken und Emp­fin­dun­gen, der über die spe­zi­fi­sche Geschich­te des Ortes hin­aus­weist. Wel­che Reak­tio­nen mei­ne Bil­der aus­lö­sen, hängt von den per­sön­li­chen Erfah­run­gen des Ein­zel­nen ab. Ent­schei­dend fin­de ich es, dass Impul­se für eine emo­tio­na­le Berüh­rung oder intel­lek­tu­el­le Aus­ein­an­der­set­zung gesetzt wer­den. Das beinhal­tet auch die Mög­lich­keit eines “Gru­sel­ef­fek­tes”, aller­dings ist das nicht mei­ne Intention.


Die Aus­stel­lung hat seit 13. März geöff­net. Wie sehen die bis­he­ri­gen Rück­mel­dun­gen des Publi­kums aus?

Jür­gen Scha­bel: Der Zeit­punkt der Ver­nis­sa­ge hät­te nicht glück­li­cher gewählt wer­den kön­nen. Der Besuch von Muse­en und Gale­rien war unter Ein­hal­tung von Hygie­ne­maß­nah­men mög­lich und es herrsch­te ein gro­ßes Bedürf­nis nach Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen. Die Eröff­nung war sehr gut besucht. Um eine Rezep­ti­on auch unter den aktu­ell gel­ten­den Beschrän­kun­gen zu ermög­li­chen, wur­de ein vir­tu­el­ler Gale­rierund­gang pro­gram­miert und ein Künst­ler­ge­spräch auf­ge­zeich­net. Um inter­na­tio­na­le Wahr­neh­mung sicher­zu­stel­len, wird gera­de eine Kurz­füh­rung auf japa­nisch pro­du­ziert, eine drei­spra­chi­ge Doku­men­ta­ti­on der Aus­stel­lung ist in Arbeit.


Wei­te­re Informationen:

Die Aus­stel­lung “Mono no awa­re” läuft noch bis 10. April im Kunst­ver­ein Koh­len­hof in Nürnberg

http://www.kunstvereinkohlenhof.de/

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