Seit 30 Jahren bereist und bespielt der Fränkische Theatersommer die nordbayerische Region. Nahezu 4000 Aufführungen mit mehr als 350 Inszenierungen hat die Wanderbühne mittlerweile absolviert – vornehmlich auf dem Gebiet der Komödie. Im Interview haben wir mit Intendant Jan Burdinski zurück und nach vorne geblickt.
Herr Burdinski, warum wurde der Fränkische Theatersommer 1993 gegründet?
Jan Burdinski: Stadttheater hatten und haben manchmal leider einen begrenzten Radius in ihrer Reichweite, was den ländlichen Raum angeht. Was meinem Empfinden nach damals also fehlte, war ein Theater-Zugang auf´s Land. Natürlich gibt es hin und wieder Dinge wie organisierte Busreisen aus der Provinz in größere Städte, um dort eine Theateraufführung zu besuchen, aber dass man auf die Landbevölkerung zugeht, zu ihr hinfährt und auf Dorfmarktplätzen oder ähnlichem spielt, kommt kaum vor. 1993 wurde dann die Idee an mich herangetragen, etwas dagegen zu unternehmen und mit einem Wandertheater die Fränkische Schweiz zu bespielen. Diese Anregung nahm ich auf und gründete ein eigenständiges Theater. Kurz darauf haben wir schon begonnen, die erste Spielzeit zu planen.
Muss man für ein ländliches Publikum anderes Theater machen als für städtisches?
Jan Burdinski: Vor allem muss man ein Mehr an spontaner Begeisterung für anspruchsvolles Komödienspiel wecken als man es bei einem theaterverwöhnten städtischen Publikum tun muss. Mit unserem Komödien- und Freilichttheaterformat war eine wichtige Voraussetzung hierzu erfüllt. Bei Problemstücken gilt es oftmals, Hürden zu überwinden und der Publikumszustrom ist eingeschränkter als in der Stadt. Experimentelles Theater hat es noch schwerer, beim Publikum anzukommen. Das ist manchmal bedauerlich, andererseits hütet diese Tatsache uns davor, überintellektuelles verkopftes Theater anzubieten oder einen Inszenierungsstil der Dekonstruktion zu pflegen, welcher das Publikum oft ratlos zurücklässt und in den wenigsten Fällen die Lust am Theater befördert.
Wurde der Fränkische Theatersommer also auch gegründet, um dieser Art des Theaters mit seinen eher leichteren Stücken etwas entgegenzusetzen?
Jan Burdinski: Nein, der Theatersommer wurde nicht aus einer Anti-Haltung heraus gegründet. Zugegeben: Ich bin kein großer Freund des sogenannten Regietheaters, bei dem der Regisseur oft mehr gilt als der Autor. Ein solches Theater- und Regiekonzept kann zwar gelingen, benötigt aber zum Verständnis oftmals eine umständliche Fußnoten-Dramaturgie in einem überdimensionierten Programmheft. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Diskurs mit dem Publikum dadurch keineswegs lebendiger wird.
Welches war das erste Stück, das der Theatersommer vor 30 Jahren auf die Bühne brachte?
Jan Burdinski: „Ritter Unkenstein“ von Karl Valentin. Ein Stück mit einem sehr trockenen Humor, das zeichnet Valentin generell aus, und köstlichen Dialogen. Das Bühnenbild war das primitivste und simpelste, was man sich vorstellen kann: Ein Tisch, ein Hocker und eine Burg-Turm-Attrappe, sonst nichts. Aber es war ein durchschlagender Erfolg. Wir konnten das Stück über viele Jahre spielen, weil es immer wieder gewünscht wurde.
Haben Sie sich zu Beginn Etappen-Ziele gesetzt, wie etwa in fünf Jahren dies und in zehn jenes erreichen zu wollen?
Jan Burdinski: Nein, soweit waren wir in den Anfängen nicht. Wir hatten keinerlei Förderung. Ich dachte damals, das Ganze ein oder höchstens zwei Jahre machen zu können und dann andere Theaterziele zu suchen. Aber da diese ersten beiden Jahre äußerst erfolgreich waren, kam irgendwann die Kommunal-Politik auf uns zu und ermutigte uns weiterzumachen. Das Versprechen, einen Trägerverein zur künftigen kontinuierlichen Förderung zu gründen, wurde von der Politik umgehend eingelöst.
Was hat sich die Politik von diesem Angebot versprochen?
Jan Burdinski: Das Interesse der Politik bestand in einer kulturell-touristischen Erschließung der Fränkischen Schweiz.
War das der Moment, in dem sich der Theatersommer etabliert hatte?
Jan Burdinski: Entscheidend war die Tatsache, dass wir uns mit unseren Theaterangeboten Jahr für Jahr steigern konnten, bis wir mit einem Umfang von 150 Aufführungen pro Saison bereits zu einer Art Landesbühne geworden waren. Diese Entwicklung zog wiederum das Interesse des bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst auf sich – samt weiterer Förderung.
Hatten Sie damals schon eine Heimstätte wie heute mit Gut Kutzenberg in Ebensfeld?
Jan Burdinski: Nein. In den Anfangsjahren hatten wir fünf verschiedene Orte in der Region, an denen wir unsere Probemöglichkeiten, Requisiten, Technik oder Tourbusse unterbrachten. Es war ein Hin- und Hergerenne über viele Jahre. Als wir dann 2018 das Gut Kutzenberg als Schenkung erhielten, war dies ein sehr einschneidendes, hoffnungsvolles Erlebnis.
Sie mussten also 25 Jahre ohne festen Ort auskommen?
Jan Burdinski: Ja, 25 Jahre lang war die Kunst der Improvisation gefordert und dazu atemberaubend viel organisatorische und logistische Arbeit. Aber die Kraft der Begeisterung verleiht Zähigkeit im Durchhalten. Das gilt auch für das vor uns liegende Ziel, Kutzenberg zu einem anspruchsvollen Theaterzentrum auszubauen. Wir möchten mehr kammerspielmäßige Aufführungen und auch mehr Theaterpädagogik anbieten können. Das heißt aber nicht, dass wir unser oberfränkisches Wanderbühnen-Dasein aufgeben. Wir haben jetzt nur endlich einen Ort, an dem kompakt alle Bereiche, die ein Theater braucht, untergebracht sind.
Warum schließen sich Schauspielerinnen und Schauspieler dem Fränkischen Theatersommer an?
Jan Burdinski: Die Schauspieltätigkeit für eine reisende Landesbühne ist sicherlich beschwerlicher als die Arbeit für ein Standorttheater. Der Vorteil bei uns ist aber: Wir haben ein sehr unterschiedliches Publikum und bei uns kann man Franken sehr gründlich kennenlernen und kommt in Gefilde, die man wahrscheinlich noch nie gesehen hat. Auch bieten sich immer wieder Spielsituationen, die wegen ihrer Aufführungsorte geradezu abenteuerlich sind, zum Beispiel das Brückentheater in Bad Staffelstein, Theater in Höhlen und auf Burgen der Fränkischen Schweiz, Theateraufführungen auf Tanzlinden, auf Bauernhöfen oder auch in einem Kerwa-Festzelt. Hinzu kommt für Schauspielerinnen und Schauspieler: Wer sich einmal als Autor versuchen will, einen Kabarett-Text kreieren oder sich ein eigenes Stück auf den Leib schreiben lassen möchte, hat beim Fränkischen Theatersommer auch die Möglichkeit dazu. Diese Art der kreativen Mitwirkung ist an anderen Theatern weniger ausgeprägt. Was wir letztlich auf die Bühne bringen, ist also stark abhängig vom Ensemble und seinen Wünschen. Da sind wir freier und vielleicht sogar näher dran am Urerlebnis schöpferischen Theatermachens.
Wie haben Sie sich in den Jahren des Bestehens als Intendant verändert?
Jan Burdinski: Ich bin viel gelassener geworden. Den Umgang mit plötzlich auftauchenden Problemen sind wir gewohnt, das Auffinden von kreativen Lösungen ebenfalls. Wir unterscheiden uns in dieser Hinsicht von anderen Theatern so gut wie gar nicht.
Hilft Frustrationstoleranz für die Stelle des Intendanten?
Jan Burdinski: Das ist sogar allererste Voraussetzung. Alle machen Fehler, man selber natürlich auch. Man lernt mit der Zeit, die Schwierigkeiten der Logistik, der Organisation und der Probenabläufe zu vereinfachen beziehungsweise zu optimieren. Das Leitungsteam muss aus Sparsamkeitsgründen verschiedene Funktionen im Betrieb ausfüllen können, zum Beispiel Technik, Maske, Inspizienz oder Bühnenbild, weil uns die Mittel für weiteres Theaterpersonal fehlen. Der Sparzwang ist bei uns zwingender als an anderen Theatern.
Beginnen Sie nach 30 Jahren an eine mögliche Nachfolge in der Intendanz zu denken?
Jan Burdinski: Schon, aber auch da bleibe ich gelassen. Noch traue ich mir zu, jedes Jahr aufs Neue die Saison zu planen und zu gestalten. Wenn es mir die Gesundheit erlaubt und sie mir noch zehn weitere Jahre erhalten bleibt, widme ich mich der Theaterarbeit entsprechend länger. Ich sehe mich im positiven Sinne sehr herausgefordert und habe noch Ziele, wie den erwähnten Ausbau von Gut Kutzenberg. Ich möchte das Theater erst dann in andere Hände übergeben, wenn sich dort alles stabilisiert hat. Heute wäre das noch zu früh.
Was heißt stabilisiert?
Jan Burdinski: Wir gehen gerade ein Risiko ein mit dem Bau einer Funktionsscheune für die Technik, das Theatermobiliar, die Requisite und unseren Fuhrpark. Um unser Theaterzentrum überhaupt sanieren zu können, benötigen wir in einem ersten Schritt eine solche Scheune. Dieses Bauprojekt wird allerdings nicht gefördert, wir müssen also fleißig sein, um die Kosten in den nächsten Jahren einzuspielen. Wir hoffen, dass schon im Juni das Richtfest gefeiert werden kann.
In welchem wirtschaftlichen Zustand befindet sich der Theatersommer?
Jan Burdinski: In einem ziemlich soliden. Wir haben eine tolle Vorstandschaft, die sich sehr mit uns identifiziert und viel Freizeit aufbringt, damit der Betrieb erfolgreich weiterläuft. Auch sind wir ganz gut durch die Corona-Jahre gekommen, weil wir oft im Freien spielten und unsere Geschäftsstellenleiterin die geforderten Hygienekonzepte perfekt ausarbeitete. Da hatten es andere Theater ausnahmsweise einmal schwerer als wir.
Stand der Theatersommer schon einmal kurz vor Auflösung?
Jan Burdinski: Eine solche Situation gab es. Das war vor etwa 15 Jahren, als es im Ensemble zwischenmenschlich derart geknirscht hat, dass wir im Leitungsteam vor Verzweiflung fast die Lust verloren. Zum Glück konnten wir diese Zustände überwinden. Seitdem habe ich viel schärfere Augen dafür, was die Chemie in einem Ensemble betrifft.
Auch ein schärferes Durchgreifen?
Jan Burdinski: Nein, das ist nicht nötig. Gelassenheit hilft auch hier. Ich sage heute nur schneller „nein“. Es genügt meist ein offenes Gespräch. Ich kann mich auch nur an einen Fall erinnern, in dem ich einem Ensemblemitglied sagen musste: Unsere Wege trennen sich.
Was war das künstlerische Highlight der 30 Jahre?
Jan Burdinski: Es gab so viele Highlights, dass ich das nicht sagen kann. Ein persönliches Highlight war aber sicherlich, als meine damals 13-jährige Tochter nach dem kurzfristigen Ausfall einer Schauspielerin deren Rolle übernahm. Sie war glänzend.
Was würden Sie heute künstlerisch nicht mehr machen?
Jan Burdinski: Die Frage stelle ich mir nicht, da ich auch meine künstlerische Entwicklung als einen fortdauernden Lernprozess erlebe, der nach vorne gerichtet ist. Auch die eigenen Irrtümer im Laufe einer solchen Entwicklung sind nützlich und helfen beim Umsteuern beziehungsweise Korrigieren.
Was wollen Sie unbedingt noch machen?
Jan Burdinski: Ich würde gerne einmal in einem Autorenteam zu einem bestimmten Thema arbeiten, ein eigenes Musical schreiben, mich intensiver mit der Theatergeschichte auseinandersetzen, mich an experimentellere Stücke wagen, etwa an philosophisch-verspielte Theaterstücke aus dem Bereich des absurden Theaters. Auch Schnittpunkte zwischen Naturwissenschaft und Theater interessieren mich. Im übertragenen Sinne möchte ich mich auf eine neuartige Theater-Entdeckungsreise begeben, gerne mit Impulsen aus fremden Kulturen.
Also doch ein wenig Regietheater?
Jan Burdinski: Ja, vielleicht im Sinne eines Theaterlaboratoriums. Das Experimentelle kam bei uns in den 30 Jahren vielleicht tatsächlich ein bisschen zu kurz. Wir sind sehr darauf angewiesen, dass das Publikum auf dem Land voller Freude zu uns kommt und auch voller Freude wieder geht. Da kann man nicht erwarten, dass es jedes Experiment mitmacht. In einem festen Zentrum könnte man aber hinterher mit dem Publikum ins Gespräch kommen über das jeweilige Stück. Ich bin sicher, dass das Bedürfnis nach lebendigem Theater nicht tot zu kriegen ist – auch nicht in unserer digitalisierten Welt. Unser geplantes Kutzenberger Theaterzentrum möge dafür stehen.