Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick hat es als großes Glück bezeichnet, dass in Deutschland seit 76 Jahren Frieden herrscht. Bei der Friedenswallfahrt in Neuengrün erinnerte er am Samstag an den Zweiten Weltkrieg, den „furchtbarsten aller Kriege“, und an die Mammutaufgabe, die dessen Ende 1945 mit sich gebracht habe.
Dass es in der Nachkriegszeit gelang, in Westeuropa ein friedliches Miteinander aufzubauen, sei Politikern zu verdanken, „die vom christlichen Geist beseelt waren“ und die in den Worten des Evangeliums erkannten, dass Ausgleich, Verzicht auf Rache und Versöhnung wichtige Voraussetzungen für den Frieden seien, sagte der Erzbischof.
Es sei erfreulich, dass es nach dem Ende des Krieges keine Racheakte gegeben habe, weder auf Seiten der Siegermächte noch auf Seiten der Unterlegenen, betonte der Oberhirte, denn: „Friede braucht Verzicht auf Rache!“ Akteure wie Robert Schumann, Konrad Adenauer und Alcide de Gasperi hätten das erkannt und praktiziert. „Es herrschte der Geist des Evangeliums, der verkündet, dass Rache bei Gott ist, und der verbietet, dass Menschen sich einander rächen“, so Schick.
„Friede braucht Gleichheit und Freiheit!“
Das stellte nach den Worten des Erzbischofs die Weichen für den zweiten Schritt zum friedlichen Miteinander: „Friede braucht Versöhnung!“ Wahrhaftige Versöhnung sei jedoch nur möglich, wo der Realität ins Auge geblickt werde. Deswegen sei es nach dem Zweiten Weltkrieg wichtig gewesen, die Schuld des Hitlersystems wahrzunehmen, „die Genozide an Juden, Polen, Sintis und Romas, den blinden Nationalismus, der andere Völker und Nationen verdrängen wollte, aber auch die Schuld der Staaten und Nationen, die sich zunächst mit Hitler verbündeten“, so Schick. Die Anerkennung dieser Fakten sei nötig gewesen, um sich trotz allen geschehenen Grauens verzeihen und versöhnen zu können.
Als weitere Voraussetzung für den Frieden nannte der Erzbischof: „Friede braucht Gleichheit und Freiheit!“ Gleichheit solle in diesem Zusammenhang jedoch als Ausgleich verstanden werden und nicht als Gleichmacherei. Gleichheit unter Nationen und Völkern meine, dass diese sich gegenseitig als gleichwürdig und gleichwertig anerkennen, trotz der Verschiedenheit der Menschen, Kulturen, Sprachen, Religionen oder auch ihrer Geschichte, so Schick. Es sei nicht gemeint, dass alle nach der gleichen Fasson selig werden müssen. Vielmehr fordere das Christentum „Gleichheit in der Verschiedenheit“, die in Freiheit akzeptiert würde.
Die Erinnerung an diese Tugenden, welche nach 1945 zu Frieden geführt hätten, sei heutzutage wichtiger denn je, betonte der Oberhirte: „Wir sind im Augenblick in einer geschichtlichen Situation, in der wir manches zu vergessen scheinen. Wir vergessen, was zum Krieg geführt hat, nämlich Nationalismen, Populismen und Rassismus.“ Es sei auch Aufgabe eines jeden Gläubigen, sich für die Weitergabe des christlichen Glaubens und der Werte des Evangeliums einzusetzen, so Schick. Einen Beitrag dazu leiste die Wallfahrt in Neuengrün.
Die Friedenswallfahrt in Neuengrün fand dieses Jahr zum 76. Mal statt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde sie von Kriegsheimkehrern ins Leben gerufen und erstmals am 8. September 1946 begangen. Seitdem erinnert die Wallfahrt immer am ersten Samstag im September an die Schrecken des Krieges und den Wert des Friedens. Der Festgottesdienst zur Friedenswallfahrt wurde auf dem YouTube-Kanal „Katholischer Seelsorgebereich Frankenwald“ übertragen und kann dort auch im Nachhinein angesehen werden.