Die Folgen der Pandemie für Menschen mit Behinderung sind auf dem Arbeitsmarkt in Bayern noch immer spürbar. Dies zeigt das jährliche „Inklusionsbarometer Arbeit“ des Inklusionsvereins Aktion Mensch. Zwar würden die Arbeitslosenzahlen nach Jahren der Krise wieder sinken, gleichzeitig verschärfe sich jedoch die Langzeitarbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung. Inklusion auf dem Arbeitsmarkt scheitere zudem oft an der Einstellungspolitik von Unternehmen.
Mehr als ein Drittel aller arbeitslosen Menschen mit Behinderung ist mindestens ein Jahr ohne Beschäftigung. Das gab der Inklusionsverein Aktion Mensch heute bekannt. Die Zahl bedeute ein Plus von über fünf Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Erholung und Fortschritt der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt würden dabei insbesondere an der Beschäftigungsbereitschaft der Unternehmen scheitern. Zu diesem Ergebnis kommt das „Inklusionsbarometer Arbeit“ der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institutes, das 2022 zum zehnten Mal erscheint.
Ausgleichsabgabe statt Beschäftigung
Etwa 29.000 Unternehmen in Bayern sind gesetzlich dazu aufgefordert, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung zu vergeben. Während lediglich rund 40 Prozent dieser Unternehmen alle Pflichtarbeitsplätze besetzen, beschäftigen fast 27 Prozent keine ArbeitnehmerInnen mit Behinderung. Sie entziehen sich vielmehr gänzlich ihrer Verpflichtung und zahlen stattdessen die volle Höhe der sogenannten Ausgleichsabgabe. Diesen Vorgang bezeichnet die Aktion Mensch als ein Sich-Freikaufen.
Diese derzeitige Einstellungspolitik sei vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen von Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, umso kritischer zu bewerten. 80 Prozent geben laut einer bundesweiten repräsentativen Befragung an, keine Leistungsunterschiede zwischen KollegInnen mit und ohne Behinderung wahrzunehmen.
„Die Entwicklung der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt hängt entscheidend von der Beschäftigungsbereitschaft der Unternehmen ab“, sagt Prof. Dr. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institutes. „Doch trotz zunehmender Personalengpässe ignorieren viele das Potenzial von ArbeitnehmerInnen mit Behinderung.“
Stabile Arbeitsverhältnisse versus Langzeitarbeitslosigkeit
Einmal auf dem Arbeitsmarkt angekommen, bewertet der Großteil der Angestellten mit Behinderung in Deutschland den Einsatz ihrer Fähigkeiten laut „Inklusionsbarometer Arbeit“ als adäquat. 89 Prozent bestätigen, dass sie ihren beruflichen Qualifikationen entsprechend eingesetzt würden.
Gleichzeitig erweisen sich bestehende Arbeitsverhältnisse als stabil. 2021 gab es bundesweit mit 19.746 so wenig Anträge auf Kündigung von Menschen mit Behinderung wie noch nie seit Erscheinen des ersten Inklusionsbarometers. Gleiches gilt für Bayern mit 3.121 Anträgen.
Sind Menschen mit Behinderung dagegen arbeitslos, zeige sich ein anderes Bild. Bundesweit sei im vergangenen Jahr lediglich drei Prozent die Rückkehr in den Arbeitsmarkt gelungen. Bei Menschen ohne Behinderung waren es sieben Prozent. Arbeitslose ohne Behinderung haben folglich eine mehr als doppelt so hohe Chance, eine Anstellung zu finden als Arbeitslose mit Behinderung. Dies verstärke weiterhin die Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit. In Bayern sind 9.627 potenzielle ArbeitnehmerInnen – 39 Prozent der arbeitslosen Menschen mit Behinderung – mindestens ein Jahr ohne Beschäftigung. Der Anteil an Langzeitarbeitslosen mit Behinderung liegt in Bayern damit unter dem Bundesdurchschnitt von rund 47 Prozent.
„Der in ganz Deutschland erneut gestiegene Anteil an langzeitarbeitslosen Menschen mit Behinderung ist alarmierend“, sagt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. „Dieser Missstand verfestigt sich mehr und mehr. Ohne eine drastische Verstärkung der Inklusionsbemühungen wird die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren kaum aufzuheben sein.“