Knapp 4000 Aufführungen von etwa 350 Inszenierungen an ungefähr 70 Orten in ganz Oberfranken: Seit 30 Jahren ist die Oberfränkische Landesbühne des Fränkischen Theatersommers in der Region unterwegs. Im April ging sie in ihre 30. Spielzeit. Anfang August kommt der Theatersommer für mehrere Auftritte auch nach Bamberg. Im Interview mit Intendant Jan Burdinski haben wir uns den Spielplan genauer angesehen.
Herr Burdinski, was gibt es zur 30. Spielzeit besonderes im Spielplan?
Jan Burdinski: Besonderheiten sind unser Hauptstück, der Klassiker „Amphitryon“ von Heinrich von Kleist, und, als europäische Komödie, in diesem Fall des polnischen Autors Alexander Fredro, das satirische Stück „Mann & Frau“. Damit kommen wir am 6. August auch nach Bamberg. Wir nennen es ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Singspiel, denn wir haben es mit eigenen Chansontexten und Musik bearbeitet.

Das Stück bedient das literarisch immer fruchtbare Thema der Ehe und zwar in der polnischen bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Was kann die Handlung über die heutige Zeit aussagen?
Jan Burdinski: Gegenseitiger Betrug und Peinlichkeiten en masse kommen immer vor! Wobei in „Mann und Frau“ am Ende auch die Klärung der Verhältnisse steht, auch wenn sie beschämend für alle Beteiligten ist.
Warum haben Sie „Amphitryon“ als Hauptstück ausgewählt?
Jan Burdinski: Das Stück steht für mich in einer bedeutsamen Tradition des deutschen Theaters, das spätestens seit Lessing sehr stark der Aufklärung verpflichtet ist. Dieses Stück ist zeitlos in seiner Bespiegelung menschlicher Charaktere und dem Thema der Identitätskrise, wir wie sie auch heute wieder haben. Die hochphilosophische Frage der Suche nach dem Selbst, dieses „Wer bin ich?“ oder „Bin ich wirklich ich?“, behandelt das Stück in einer für das Publikum sehr vergnüglichen Form und macht sie verstehbar. Wobei bei solchen Lustspielen eine Tendenz zum Absturz beziehungsweise zur Tragödie auch immer sehr nahe ist. Beide Elemente, das des Komischen und das des Tragischen, verkörpert das Stück in einem permanenten Auf und Ab.
Hauptfigur Amphitryon ist Feldherr, der gerade die Athener besiegt hat, das Stück also auch ein Kriegsstück. Kommt Ihnen das im Angesicht aktueller Anlässe thematisch gelegen?
Jan Burdinski: Schon zu Beginn weist die von Guido Apel komponierte Musik darauf hin: Noch bevor man auf der Bühne Aktionen sieht, hört man aus der Ferne Kriegsgeschrei. Der Heldenwahn der Männer steht in auffallendem Kontrast zu den Äußerungen der Thebanerfürstin Alkmene. Ihr gibt Kleist eine gewichtige Stimme hinsichtlich seiner Kriegsskepsis. Aber am Schluss marschieren die Feldherren – unfreiwillig komisch – wieder vergnügt in den nächsten Krieg.
Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie den weiteren Spielplan zusammengestellt?
Jan Burdinski: Im letzten Jahr hatten wir das Thema „Lüge“. Diesmal haben wir das Thema „Liebe“ und das Motto lautet: „Die Liebe unter der Lupe“. Wir beleuchten dabei die verschiedensten Aspekte in unseren Stücken. Ein Allerweltsthema, ich weiß, aber sehr unerschöpflich und immer für Überraschungen gut. Schließlich betrifft es uns alle, nicht nur die Theaterliebhaber.
Am 1. August kommt der Fränkische Theatersommer mit „Gärten der Liebe“ zum ersten Mal in dieser Saison nach Bamberg, in die Kulturfabrik KUFA. Sie kündigen einen „musikalisch-literarischen Spaziergang“ an. Was heißt das?
Jan Burdinski: Zusammen mit dem Ensemble Lewandowski-Roux aus Stegaurach und Eltmann haben wir zuerst ein Riesen-Sammelsurium möglicher Stoffe zusammengestellt und daraus dann ein Programm von Liedern und literarischen Texten gestaltet. Schon bei den Proben und Vorbereitungen war viel Feuer und Spaß dabei – und zugleich eine große Entspanntheit. Und die bisherigen Rückmeldungen des Publikums sind toll. Beim Thema Liebe, gerade wenn es in der Kombination mit Musik präsentiert wird, findet einfach jeder einen oder mehrere Bezugspunkte.
Am 2. August folgt die Aufführung von „Der Professor“. Wie wird Liebe in diesem Solostück von Brian Parks dargestellt?
Jan Burdinski: Hier handelt es sich um die Liebe zur Wissenschaft, die einen Sonderling hervorbringen kann. Den haben wir in der Gestalt eines Universalgelehrten vor uns. Dieser hält in dem Stück so etwas wie eine skurrile Vorlesungsreihe über mehr oder weniger sinnvolle Themen. Auch verspricht er dem Publikum eine bahnbrechende neue Erkenntnis über eines der größten Rätsel der Wissenschaft.
Mit „Verliebt, verlobt, verschwunden“ geben Sie am 3. August in der KUFA hingegen eine Ein-Frau-Komödie.
Jan Burdinski: In diesem Fall geht es um eine Frau, die in einem Baumhaus Zuflucht nimmt. Der Grund? Ihr Bräutigam ist nicht zur standesamtlichen Trauung erschienen. Sie ist natürlich völlig verzweifelt und stürzt sich in eine Generalabrechnung mit allem Männlichen. Diese Komödie wird gespielt von Silvia Ferstl unter der Regie von Christoph Ackermann.
Sie verlangen von jedem Ihrer Ensemblemitglieder, früher oder später ein Solostück zum jeweiligen Spielplan beizutragen. Warum?
Jan Burdinski: Obwohl Frau Ferstl als erfahrene Schauspielerin bereits viele Berufsjahre hinter sich hat, ist dies ihr erstes Solostück. Eine solche Erfahrung ist ungemein wichtig, weil man mit einem Solo eine gewisse Schallmauer durchbricht und dabei ein anderes Zutrauen zu sich selbst gewinnt. Wenn man einen ganzen Abend lang einen Spannungsbogen halten und die Zuschauer in Bann ziehen kann, ist man auch weiterhin für größere Aufgaben gewappnet. Deshalb lege ich viel Wert darauf, dass unsere Leute immer wieder eine solch schwere Aufgabe mit Lust angehen.
Am 9. August zeigen Sie „Rohrmuffen und Nagellack“. Darin transportiert eine junge Frau linke, progressive, öffentlich deswegen oft verunglimpfte Themen wie Veganismus oder Gendern. Damit trifft sie auf einen, wie Sie in der Ankündigung schreiben, „fränkischen Betonkopf“. Auf wessen Seite ist das Stück mehr?
Jan Burdinski: Das Zweipersonen-Stück wurde extra für uns und die neue Spielzeit geschrieben. Autor Rainer Dohlus hat ein großes Gespür für Dialoge und fränkischen Humor. Der inhaltliche und sprachliche Schlagabtausch zwischen dem Fränkisch beziehungsweise Hochdeutsch der beiden Hauptfiguren, einer jungen weiblichen Bürokraft und einem älteren Heizungsbauer, lebt von diesem Kontrast. Darum ist das ältere fränkische Publikum vielleicht ein bisschen mehr auf der Seite des Mannes, das jüngere Publikum mehr auf der Seite der Frau.
In „Zwei Waagerecht“, mit dem Sie am 11. August in Bamberg sind, entwickelt sich eine Romanze aus dem verhältnismäßig trockenen Anlass eines Kreuzworträtsels. Wie geht das?
Jan Burdinski: Eine Frau und ein Mann lernen sich in einem Zugabteil kennen, weil sie beide das gleiche Kreuzworträtsel aus einer Zeitung vor sich haben. Beim Lösen der Rätsel entsteht ein gewisser Wettkampf oder anders gesagt, ein gewisser Paarkampf. Denn sie stehen nicht nur vor dem Kreuzworträtsel in der Zeitung, sondern auch vor den Lebensrätseln der jeweils anderen Person. Aber je länger es geht, desto mehr wird aus einer anfänglichen Abwehrhaltung ein interessiertes Kennenlernen – jedoch immer in der Schutzhaltung der Anonymität, weil sie ihre Namen nicht preisgeben. Eine zweistündige Zugfahrt mit Konsequenzen.
Wie bewerkstelligen Sie es, dem Publikum das Kreuzworträtsel vor Augen zu führen?
Jan Burdinski: Die beiden verweisen immer wieder auf die Fragen, die vor ihnen liegen. „Sie irren sich bei 129 waagerecht.“ Oder: „Könnten Sie mir einen Tipp geben bei 23 senkrecht?“ Dabei hauen sie sich gegenseitig ihr Wissen um die Ohren, müssen sich aber Stück für Stück mehr offenbaren – ihre Erfolge und ihr Scheitern. Dabei verlieben Sie sich.
Die aktuelle Saison läuft seit April. Wie ist der Zuspruch des Publikums bisher?
Jan Burdinski: Es läuft ganz gut, allerdings mit ein paar negativen Überraschungen. Denn wir mussten einige Auftritte absagen. Wir hatten teilweise einfach zu wenige Tickets verkauft. Über die Gründe für dieses Fernbleiben des Publikums weiß ich allerdings nichts zu sagen. Bei anderen Stücken waren wir hingegen überrascht, wie viele Leute gekommen sind.
Sie bauen derzeit Gut Kutzenberg in Ebensfeld zu einem Theaterzentrum aus. Wie weit sind die Baumaßnahmen, wie viel werden sie kosten?
Jan Burdinski: Wir befinden uns gerade noch mitten in der Bauphase, die die etwa dreijährige Sanierung vorbereiten soll. Zehn Prozent der sehr hohen Sanierungskosten müssen wir selber tragen. Der Gewinn, den ein Theater wie das unsere, eine Landesbühne mit aufwändiger Logistik, abwerfen soll, kann im Jahresschnitt nicht sehr hoch sein und darum brauchen wir viel Zeit und Unterstützung. Vorsichtige Schritte sind derzeit angebracht bei gleichzeitiger Risikobereitschaft.
Was gibt Ihnen Hoffnung, die geforderte Summe zusammen zu bekommen?
Jan Burdinski: Unsere Chance, das zu schaffen, liegt in unserem engagierten Einsatz, in unserer Flexibilität und Mobilität. Wir versuchen, immer einen Ausgleich hinzubekommen zwischen den Theater-Kulturbedürfnissen in der Stadt und auf dem Land. Vieles konzentriert sich natürlich in der Region um Bamberg, Coburg und Bayreuth. Aber eben auch die Landstriche dazwischen wollen gefüllt sein mit anspruchsvoller Theaterkultur. Wir sind nach wie vor von einem nicht bezwingbaren Begeisterungswillen getragen, weswegen ich keinen Anlass zur Sorge habe.
