Seit 1. Juli wird am ETA Hoffmann Theater wieder geprobt. Nach einem Eröffnungs-Liederabend am 3. Oktober soll am 9. Oktober die neue Spielzeit mit Anton Tschechows „Der Kirschgarten“ beginnen – jeweils mit der Verpflichtung, auf der Bühne und im Publikum Corona-Abstandsregeln einzuhalten. Wie genau die Umsetzung dieser Vorgaben mit der Inszenierung von Theaterstücken vereinbar sein wird, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt. Intendantin und Regisseurin Sibylle Broll-Pape ist aber guter Dinge, dass Theaterschaffende mit ihren Ausdrucksmitteln vertretbare Lösungen finden werden. Wir haben die Intendantin zum Gespräch getroffen.
Frau Broll-Pape, wie geht es Ihnen nach monatelangem Stillstand?
Sibylle Broll-Pape: Man möchte gerne wieder Theater machen. Wir haben bis dahin eine ganze Menge zu tun, aber eben nicht das, was die Seele eines Theaters ausmacht: inszenieren, proben, Vorstellungen zeigen – das fehlt.
Welche Arbeiten stehen zurzeit an?
Sibylle Broll-Pape: Hygienemaßnahmen entwickeln zum Beispiel. Wir wissen ja bereits, dass wir ab 1. Juli wieder proben können, aber wir müssen Konzepte entwickeln, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen das zu machen ist. Und wir überlegen natürlich, wie das Bühnengeschehen aussehen wird, wenn im Oktober die neue Spielzeit beginnt. Das sind alles Dinge, die für mich eher fachfremd waren.
Wie geht es dem Ensemble, auch unter finanziellen Gesichtspunkten?
Sibylle Broll-Pape: Unter finanziellen Gesichtspunkten sind sie durch ihr Festengagement am ETA Hoffmann Theater abgefedert, aber sie scharren natürlich schon mit den Hufen und möchten endlich wieder richtig arbeiten können. Ganz beschäftigungslos waren sie unter anderem mit der Video-Reihe „ETA@home“ zwar nicht, aber das ist natürlich nicht vergleichbar mit einem ständigen Proben- und Vorstellungsbetrieb. Schauspieler brauchen genau das, sie müssen das die ganze Zeit weiter praktizieren. Und sie brauchen den Kontakt zum Publikum. Sie müssen spielen können und sie brauchen das Feedback vom Publikum. Wenn da lange Zeit nichts zurückkommt, fehlt etwas Fundamentales.
Kulturschaffende haben in den zurückliegenden Wochen immer wieder die zu geringe Unterstützung von staatlicher Seite kritisiert. Können Sie nachvollziehen, was in Kulturschaffenden im Angesicht dieser geringschätzigen Behandlung vorgeht?
Sibylle Broll-Pape: Ich glaube, dass wir als Kulturschaffende uns nie großartigen Illusionen darüber hingegeben haben, dass wir bei der Politik die Nummer eins wären. Insofern hätte ich auch nichts anderes erwartet. Wir haben auch keine finanzielle Lobby hinter uns, wie etwa der Fußball oder die Autoindustrie, die über ganz andere Druckmittel verfügen. Deswegen ist Kultur auch nicht das Erste, worüber in der Politik nachgedacht wird. So ist es eben. Aber ich bin schon froh, dass überhaupt über Kultur nachgedacht wird und es durchaus Wertschätzung gibt. Ich glaube aber, dass die wirklich schwierigen Jahre erst noch kommen. Der jetzige Stillstand ist nicht so problematisch, wie das, was finanziell noch kommen könnte.
Das heißt?
Sibylle Broll-Pape: Jetzt muss Geld ausgegeben und jetzt müssen Schulden gemacht werden. Dieses Geld muss aber auch irgendwann wieder reinkommen, in den Stadtsäckel zum Beispiel. Das heißt, die Budgets, auch die für Kultur, könnten in den nächsten Jahren insgesamt reduziert werden. Das befürchte ich.
Wie geht es dem ETA Hoffmann Theater derzeit finanziell?
Sibylle Broll-Pape: Im Moment gehen wir sehenden Auges ins Defizit. Wir tun sehr viel, um das Defizit zu verkleinern. Zum Großteil werden wir das auch schaffen, aber es wird uns eben nicht gelingen, das Defizit aus eigener Kraft vollständig verschwinden zu lassen. Wir hoffen also auch weiterhin auf Unterstützung durch die Stadt.
Gibt es schon Rückmeldungen aus dem Rathaus bezüglich finanzieller Unterstützung des Theaters?
Sibylle Broll-Pape: Nein, aber das kann ich in gewisser Weise nachvollziehen, weil die Stadt selber noch nicht weiß, wie der kommende Haushalt aussehen wird und man noch bis zum Herbst warten möchte, um die Höhe des städtischen Defizits einzuschätzen.
Wie sehen die Sparmaßnahmen des ETA Hoffmann Theaters aus?
Sibylle Broll-Pape: Wir haben Produktionen absagen oder verschieben müssen, das heißt, wir haben Gagen eingespart und die Kosten für Material wie zum Beispiel Kulissen und Kostüme. Auch sind wir größtenteils in Kurzarbeit.
Lässt sich aus der Not eine Tugend machen, indem man zum Beispiel spartanische Kulissen zum künstlerischen Ausdrucksmittel macht?
Sibylle Broll-Pape: Meine Bühnenbilder sind meistens reduziert. Mehr lässt sich dort eben nicht zusammensparen.
Das Motto der kommenden Spielzeit lautet „Wo stehen wir?“. Warum haben Sie es gewählt, was bedeutet es?
Sibylle Broll-Pape: Wir haben uns schon vor fast einem Jahr für dieses Motto entschieden. Damals waren wir noch auf der Suche nach einem Slogan, der Bezug dazu hat, dass wir schon fünf Jahre hier sind, was die Hälfte meiner Vertragslaufzeit als Intendantin ausmacht. Da fängt man an zu überlegen, was man gemacht hat und wo es noch hingehen soll. Das Motto drückt aber auch aus, worüber zeitgenössischen Theaterautor*innen heute nachdenken. Uns ist aufgefallen, dass sehr viele Autor*innen angefangen haben, eine Art Bestandaufnahme unseres Landes und unserer Gesellschaft zu machen. Das fanden wir sehr spannend. Dass das Motto jetzt, nach Monaten des Stillstandes, aber erst so richtig passt, das hätte niemand gedacht.
Geschah entsprechend auch die Auswahl der Stücke für die neue Saison vor Corona? Beziehungsweise würde der Spielplan anders aussehen, wenn Sie ihn unter dem Eindruck der Pandemie zusammengestellt hätten?
Sibylle Broll-Pape: Wir haben überlegt, ob wir uns umentscheiden und aus dem Spielplan tatsächlich einen reinen Corona-Spielplan machen sollten. Aber letztendlich haben wir diesen Schritt abgelehnt. Wir haben das Gefühl, dass Corona schon genug Aufmerksamkeit bekommt. Aber, was die Krise mit sich gebracht hat, ist, dass es sie gesellschaftliche Probleme, die die ganze Zeit schon da waren, viel deutlicher in den Fokus rückt.
Sind bereits Theaterstücke, die sich mit der Virus-Thematik befassen, geschrieben worden?
Sibylle Broll-Pape: Ja.
Finden Sie das gut oder schlecht?
Sibylle Broll-Pape: Ich verstehe das sehr gut und ich verstehe auch jedes Theater, das solche Stücke zeigen will. Aber ich glaube auch, dass das Thema sowieso in künftigen Inszenierungen vorkommen wird. Es kann auch gar nicht anders sein, als dass wir damit auf unsere Art und Weise umgehen, schon aus dem Grund, dass wir auf der Bühne jetzt anders arbeiten und zum Beispiel Abstände einhalten müssen. Das Thema wird also implizit mit dabei sein, auch wenn es nicht explizit genannt wird.
Vor der eigentlichen Spielzeiteröffnung am 9. Oktober veranstalten Sie am 3. Oktober einen Liederabend. Das kommt mir ein bisschen wie das Pfeifen im dunklen Wald vor.
Sibylle Broll-Pape: Das sehe ich nicht so. Aber natürlich haben wir einen Auftakt gesucht, der unserem Publikum wieder Lust und Spaß auf Theater macht, der in gewisser Weise feiert, dass wir wieder da sind. Der Abend wird viel mit uns, mit Bamberg und der jetzigen Situation zu tun haben.
Warum haben Sie für das erste Stück der neuen Spielzeit „Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow ausgewählt?
Sibylle Broll-Pape: Eigentlich war es für die zurückliegende Spielzeit geplant, zum damaligen Motto „Fortschritt“. Wir hatten auch schon das Bühnenbild gebaut, waren eigentlich fertig und standen einen Tag vor Probenbeginn, aber dann mussten wir die Spielzeit abbrechen. Alles in die Tonne schmeißen wollten wir aber nicht, mit all der bereits geleisteten Arbeit. Ich finde, es ist tatsächlich ein perfektes Stück, um die kommende Spielzeit zu beginnen, weil es sehr genau auf die Thematik gesellschaftlicher Probleme und Umbrüche, wie wir sie derzeit erleben, passt. Außerdem bin ich sehr gespannt, wie ich damit umgehen kann, so viele Menschen unter Corona-Bedingungen auf der Bühne zu haben. Das reizt mich.
Wie wird das Bühnengeschehen, gerade bei körperlichen Szenen, aussehen, wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler Abstand zueinander halten müssen und sich nicht berühren dürfen?
Sibylle Broll-Pape: Solche Szenen gibt es dann eben nicht. Da muss man sich etwas Adäquates einfallen lassen. Zuerst dachten wir schon, wie schade das ist, aber eigentlich ist es auch spannend und eine Herausforderung. Wie kann man trotzdem klarmachen, was zwischen Figuren passiert, ohne dass sie sich anfassen?
Aber können dabei dieselbe Stimmung und Energie entstehen?
Sibylle Broll-Pape: Ich glaube schon. Es kann auch viel über Sprache erreicht werden oder über die Position von Menschen im Raum. Wir probieren es aus und sind gespannt auf das Ergebnis.
Seit 1. Juli läuft der Probenbetrieb. Wie sehen die bisherigen Erfahrungen mit Proben unter Corona-Abstandsregeln aus?
Sibylle Broll-Pape: Es macht einfach richtig Spaß, wieder gemeinsam zu proben. Das Tragen von Abstandshaltern und andere hygienebedingte Einschränkungen sind zwar manchmal etwas hinderlich, bringen uns im Gegenzug aber immer wieder auf neue, spannende Ideen.
Könnte es passieren, dass während der Proben oder Aufführungen ein Punkt erreicht wird, an dem Sie oder das Ensemble entnervt aufgeben?
Sibylle Broll-Pape: Nein. Das könnten wir uns einfach nicht leisten. Wir haben drei Premieren im Oktober geplant und die wollen wir einfach zeigen. Aber natürlich weiß kein Mensch, wie sich die Situation um das Virus im Oktober darstellen wird. Natürlich könnte ich denken, dass sowieso eine zweite Infektionswelle kommt und dann gar nichts stattfindet. Aber ich versuche, mir meinen Optimismus zu erhalten.
Sind Geisterauftritte ohne Publikum, zum Beispiel für den Online-Konsum, denkbar?
Sibylle Broll-Pape: Das ist eine Überlegung wert, aber ich fände diese Lösung sehr schade. Das wäre eigentlich kein Theater.
Grundlegend gefragt, welche Rolle spielt das Publikum während einer Theater-Aufführung? Es sitzt ja eigentlich nur still im Dunkeln.
Sibylle Broll-Pape: Es ist vielleicht nicht so laut wie beim Fußball, aber man spürt seine Anwesenheit, die Energie, die aus dem Publikum kommt. Man spürt, dass da Aufmerksamkeit ist.
Wie könnte Theater mit Abstandhalten auf der Bühne und in den Sitzreihen auf das Publikum wirken?
Sibylle Broll-Pape: Ich glaube, dass die Leute gespannt genug sind, es einfach auszuprobieren.
Beziehungsweise, was hat ein Mitglied des Publikums von der normalerweise dicht gepackten Anwesenheit anderer, wenn auch stiller Zuschauerinnen und Zuschauer?
Sibylle Broll-Pape: Eine Menge, weil Theater trotz der Stille ein starkes soziales Ereignis ist. Man erlebt etwas zusammen und spürt die anderen Menschen im Raum. Ich glaube, Menschen brauchen das.
Halten die Abonnentinnen und Abonnenten Ihnen bisher die Treue oder werden Abonnements vermehrt gekündigt?
Sibylle Broll-Pape: Zum großen Teil bleiben sie uns treu. Wir erhalten sehr zugewandte und unterstützende Rückmeldungen.
Wie sieht das Ensemble die Pflicht zum Abstand?
Sibylle Broll-Pape: Im Moment überwiegt die Vorfreude, überhaupt wieder miteinander arbeiten zu können.
Was, wenn die Spielzeit doch wieder abgebrochen werden muss?
Sibylle Broll-Pape: Da möchte Ich jetzt nicht darüber nachdenken. Wenn sie abgebrochen wird, wird sie abgebrochen und wir setzen mit neuen Planungen zu einem anderen Zeitpunkt wieder an. Wir werden nicht die Hände in den Schoß legen und aufgeben.
Gibt es etwas Positives, das Sie persönlich aus der Krise ziehen können?
Sibylle Broll-Pape: Ach, das berühmte Positive in der Krise. Ich weiß nicht, eigentlich nichts. Das eine ist, dass das Virus zahlreiche Menschenleben gefordert hat, was soll daran gut sein? Und dann diese ganzen wohlmeinenden Sprüche, dass man Zeit hat, über sich nachzudenken und so weiter, die sind gut und schön, aber ich mache das wie viele andere Menschen sowieso andauernd. Dafür habe ich keine Krise gebraucht.