Als freiwilliger humanitärer Helfer hat der Bamberger Sandro Jahn siebeneinhalb Monate in den Kampfgebieten der Ukraine verbracht. Zurück in Bamberg initiierte er das Hilfsprojekt „Feldküche“. Mitte Dezember möchten er und ein Teil des 20-köpfiges Teams damit erneut in die Ukraine aufbrechen, um vor Ort ein mehr auf Nachhaltigkeit ausgelegtes Hilfesystem aufzubauen. Wir haben mit ihm über das Projekt, Lebensgefahr im Kampfgebiet und Glück im Unglück bei einer Reifenpanne gesprochen.
Herr Jahn, Sie haben bereits 2021 nach der Flutkatastrophe im Ahrtal als freiwilliger Helfer gearbeitet. Warum machen Sie ehrenamtliche Arbeit?
Sandro Jahn: Ich bin selbst noch dabei, mir diese Frage zu beantworten. Ich glaube, dass man manche Entscheidungen einfach trifft, weil man nicht normal leben möchte. Ich möchte einfach mehr tun. Vielleicht bin auch der Typ Mensch, der keine Angst davor hat zu helfen. Man sieht ein Problem und fängt einfach an zu helfen, einfach weil man es als das Richtige empfindet.
Bis vor Kurzem waren Sie als humanitärer Helfer siebeneinhalb Monate in der Ukraine. Welche Stationen hatten Sie vor Ort?
Sandro Jahn: Zuerst, im März, war ich als Teil einer Schweizer Hilfsorganisation, für die ich auch schon im Ahrtal gearbeitet habe, an der polnisch-ukrainischen Grenze, um dort auszuhelfen. Dann sind wir weiter nach Lwiw im Westen der Ukraine, von wo aus wir immer wieder Fahrten immer tiefer in die Ost-Ukraine unternommen haben. Am Ende haben wir in Charkiw ganz im Osten des Landes gewohnt. Die Aufgabe der Schweizer Organisation war es vor allem, medizinische Hilfe zu leisten. Mein Beitrag dazu bestand vor allem im Bereich Logistik und Koordination vor Ort. Wir haben Familien evakuiert oder Patienten aus Krankenhäusern. Oder andersrum haben wir Krankenhäuser oder Dörfer an der Front mit medizinischen Gütern beliefert.
Kann man dabei von so etwas wie einem Ablauf sprechen, der sich Tag für Tag wiederholt?
Sandro Jahn: Nein, eigentlich nicht. Man versucht immer zu planen, was man am nächsten Tag machen könnte, aber es ist so chaotisch in dem Land, dass das nicht funktioniert. Man versucht einfach jeden Tag zu helfen und fährt dabei viele tausend Kilometer. In den siebeneinhalb Monaten waren es bestimmt 40.000.
Gab es Momente, in denen die Bedingungen Ihres Aufenthalts so schwer waren, dass Sie kurz davor waren abzureisen?
Sandro Jahn: Ja, zu Beginn gab es so einen Moment, in dem mir alles zu viel war. Ich hatte schlaflose Nächte gehabt oder nur ein, zwei Stunden Schlaf pro Nacht, die ich bei unglaublich tiefen Temperaturen von minus 20 Grad im März in einem Zelt verbrachte. Irgendwann war ich einfach schlapp. Aber ich habe weitergemacht, weil ich mir gesagt habe, dass es besser wird und effizienter – und man kann auch nicht einfach gehen.
Wurde es besser?
Sandro Jahn: Ja. Ich kann mir nicht genau erklären, warum, aber es wurde besser. Es setzte Gewöhnung ein, vielleicht bin ich auch ein bisschen professioneller geworden und stärker. Vor allem haben wir aber irgendwann begonnen, die Früchte unserer Arbeit zu sehen. Es ist nicht wie in einem Job, in dem man am Ende des Monats sein Gehalt und das Ergebnis seiner Arbeit in Form eines Lohns sieht. Der Lohn in der Ukraine war das Gute, das wir tun konnten. Und im Angesicht der vielen Hilfe, die gebraucht wird, bekommt man seinen Einsatz jeden Tag zurück. Man geht abends schlafen, auch wenn es nur zwei Stunden sein sollten, und weiß: Ich habe heute etwas Gutes getan.
Wie ist dabei das Projekt „Feldküche“ entstanden?
Sandro Jahn: Das Projekt „Feldküche“ ist das Resultat der Erfahrung, die meine Kolleginnen und Kollegen von verschiedenen Hilfs-Organisationen in den siebeneinhalb Monaten in der Ukraine gemacht haben, wo wir Menschen mit Nahrungsmitteln und Medizin versorgt haben und Evakuierungen machten. Dabei haben wir festgestellt, dass es andere Strukturen vor Ort braucht, um eine Versorgung, auch über die Wintermonate hinweg, gewährleisten zu können. In den wirklich gefährlichen Gebieten kommt oft zu wenig der Hilfeleistungen an. Was wir mit dem Projekt „Feldküche“ also versuchen wollen, ist nicht nur einfach Menschen zu versorgen, das machen wir und andere Hilfsorganisationen sowieso schon die ganze Zeit. Wir möchten damit einen oder den ersten Schritt in Richtung nachhaltige Hilfe gehen.
Das heißt?
Sandro Jahn: Das bedeutet, dass wir die Feldküche so vor Ort etablieren wollen, dass die Leute vor Ort sie ohne unsere Hilfe betreiben können. Sie soll ein warmer Ort im Winter sein oder zum Beispiel Teil eines Postsystems, indem wir einen Briefkasten montieren. Auch soll sie Rettungskräfte entlasten und als medizinische Versorgungsstation dienen, wenn wir sie mit Material ausstatten und die Leuten ausbilden, zum Beispiel einen Druckverband anlegen zu können. Dafür haben wir im Projekt unsere Medical Response Crew. Das ist ein weiterer Hilfs-Verein, ansässig in Hamburg und frischgegründet von Christian Michel, mit dem ich schon lange Zeit zusammenarbeite. Er übernimmt vor Ort die Einsatzleitung im Dezember. Kurz gesagt soll die Feldküche die Leute in den betroffenen Gebieten der Ukraine aus ihrer Abhängigkeit von Helfern lösen und gleichzeitig Hilfskräfte entlasten – und das ganze langfristig. Leider bieten weder die UNESCO noch das Internationale Rote Kreuz eine effiziente Alternative an, obwohl es doch manchmal nur den Willen braucht, wirklich helfen zu wollen.
Wo bekommt eine Feldküche her?
Sandro Jahn: Der einfachste Weg scheint tatsächlich Ebay zu sein. Außerdem gibt es die Möglichkeit, an ausgemustertes Material des Bundes ranzukommen, über die Treuhandgesellschaft VEBEC. Am besten wäre es aber natürlich, wenn wir die Feldküche nicht kaufen müssten, sondern sie gespendet bekommen.
Wenn Sie die Küche haben, was passiert dann als nächstes?
Sandro Jahn: Wenn wir sie haben, schaffen wir sie in die Ost-Ukraine. Dort ist die Front, wo der größte Mangel herrscht, und dort haben wir auch das dichteste Kooperations-Netzwerk mit anderen NGOs oder auch mit den ukrainischen Behörden und guten privaten Kontakten. Wenn die Feldküche aufgebaut ist, werden wir sie mit allem ausstatten, was sie braucht, sie eine Zeitlang betreuen und betreiben, bis sie von den Leuten vor Ort selbst betrieben werden kann. Dann ziehen wir uns zurück und hoffen, dass andere Organisationen vielleicht sehen, dass dieses Projekt funktioniert und es eventuell nachmachen oder ähnliche Projekte angehen.
Wie realistisch ist es, diese nachhaltige Hilfe umzusetzen?
Sandro Jahn: Sehr realistisch, 100 Prozent. Wir haben in den Monaten in der Ukraine alles aufgebaut, was wir an Netzwerk und Erfahrung vor Ort brauchen werden. Es fehlt nur noch die Feldküche und finanzielle Unterstützung. Wenn wir die Küche haben, werden wir uns gar nicht mehr mit Fragen, wie wir sie etablieren oder betreiben werden, beschäftigen müssen.
Mitte Dezember soll es zurück in die Ukraine gehen. Inwiefern erschwert der immer kälter werdenden Winter die Aufgabe?
Sandro Jahn: Die Kälte und Tatsache, dass die russischen Streitkräfte immer mehr Energie-Infrastruktur in der Ukraine zerstören, macht alle Schwierigkeiten noch mal intensiver. Wir werden wieder im Oblast Charkiw sein, wo es fast täglich Raketenbeschuss und Blackouts gibt. Dementsprechend wird es noch wichtiger, dass wir den Menschen Wärme, warme Mahlzeiten und medizinische Versorgung bringen. Und was die Leute auch dringend, eigentlich fast am dringendsten brauchen, ist Hoffnung.
Präsident Selenskyj hat die Ukraine in einer Rede auf einen harten Winter eingestimmt. Wie sind die Menschen, gerade im umkämpften Osten des Landes, eingestellt?
Sandro Jahn: Ich sage es mal so: Selenskyj hätte das nicht sagen müssen. Die Menschen sind einfach unglaublich stark, so etwas habe ich noch nie erlebt. Ich habe Großmütter in irgendwelchen Dörfern kennengelernt, die den ganzen Tag in ihrem kleinen Gemüsebeet arbeiten, während in unmittelbarer Nähe Artillerie-Granaten einschlagen. Sie gehen nicht weg.
Wie nahe ist man als Hilfsorganisation an den Gefechten dran?
Sandro Jahn: Zu nahe. Wenn man wirklich helfen möchte, ist man mitten drin.
Waren Sie mitten drin, wurden Sie beschossen?
Sandro Jahn: Ja. Wenn zum Beispiel Artillerie schießt und man in der Ferne zuerst den Knall des Schusses, dann das Pfeifen des fliegenden Geschosses und dann die Detonation des Einschlags hört und spürt, weiß man, das man gezielt beschossen wird. Die Russen differenzieren nicht zwischen ukrainischer Armee und Hilfsorganisationen. Manchmal ist man aber auch einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.
Waren Sie in Lebensgefahr?
Sandro Jahn: Mehrmals. Wir waren mehrmals zum Beispiel in Dörfern im Osten der Ukraine unterwegs und es war ein friedlicher Tag, an dem die Vögel zwitschern und an dem man denkt: Hier ist doch kein Krieg. Aber auf einmal ändert sich alles. Auf einmal hört man Artilleriefeuer und hört, dass es immer näher kommt. Wenn man dann nicht rennt, oder sich irgendwo auf den Boden schmeißt oder einen Bunker findet, ist man am Arsch.
Hatten Sie Verwundete im Team?
Sandro Jahn: Nein, zum Glück nicht. Bis auf kleine Wehwehchen sind wir immer heil davongekommen. Ich glaube, wir hatten 20 Schutzengel.
Haben Sie in der Ukraine viel Leid gesehen?
Sandro Jahn: Ja, jeden Tag, alles ist Leid. Die Menschen sind stark und lächeln, aber man sieht ihre Augen, und versteht, dass sie mit dem Lächeln sozusagen auch versuchen, sich den Glauben an eine bessere Zukunft zu bewahren und einzureden.
Wie bereitet man sich auf solche Gefahren vor?
Sandro Jahn: Man braucht eine Geisteshaltung, in der man klar versteht, dass man, wenn auch ungewollt, Teil des Krieges und der Kämpfe ist. Und entsprechend wird man beschossen. Daraus sollte man lernen. Man muss lernen, wie man sich verhält, wenn einem Kampfjets über den Kopf wegdonnern, oder dass man im Kampfgebiet nicht sein Funkgerät oder Handy anlässt, weil man dann geortet werden könnte.
Wie gehen zuhause Ihre Freunde und Familie mit den Gefahren, in die Sie sich in der Ukraine begeben, um?
Sandro Jahn: Die machen sich natürlich Sorgen und es werden natürlich Fragen nach den Gefahren gestellt und das ist in Ordnung. Aber ich höre auch immer wieder Dinge raus wie: Was bringt dir das denn? Was hast du für deine Zukunft davon? Da bin ich es langsam leid es zu erklären, wie wichtig es ist zu helfen. Es wird versucht, einen davon zu überzeugen, dass das der falsche Weg ist. Aber ich lasse mich nicht davon abbringen. Man hilft ja nicht nur und macht Erfahrungen, man kann sie auch weitergeben.
An wen?
Sandro Jahn: An andere Hilfsorganisationen zum Beispiel. Man kann mit ihnen darüber sprechen, um sie auf solche Extremsituationen vorzubereiten. Es gibt viele Menschen, die zwar mit gutem Herzen in Krisengebiete gehen und helfen wollen, aber keine Erfahrungen damit haben, wie man sich verhält, wenn eine Drohne am Himmel fliegt. Ich möchte an dieser Stelle auch sagen, dass es auch darum gut wäre, dass sich Leute Geschichten wie unsere anhören, weil sie ihnen vor Augen führen können, wie viele freiwillige Helfer und wie viele Arten zu helfen es gibt. Und wie groß dieser Beitrag im Vergleich zu dem der großen Hilfsorganisationen auch ist.
Können Sie auch von einem positiven Erlebnis berichten?
Sandro Jahn: Das Positivste, dass ich in der Ukraine erfahren habe, und was mich auch immer wieder motiviert hat weiterzumachen, war zu sehen, dass man hilft und die Zustände zumindest ein bisschen verbessert. Und dazu kommt noch die Hilfsbereitschaft der Ukrainerinnen und Ukrainer. Ein Beispiel: Wir hatten eine Reifenpanne und standen am Straßenrand. Innerhalb von fünf Minuten standen fünf weitere Autos mit Leuten da, um uns zu helfen, weil sie wussten, warum wir im Land sind und was wir tun. Der eine fängt an, den Reifen zu wechseln oder ruft einen Mechaniker, und der andere, das ist wirklich passiert, bringt einen Grill dazu und drückt dir ein Bier in die Hand. Dieses Gefühl von Zusammenhalt habe ich noch nie so erlebt.
Wie sehen die Ukrainerinnen und Ukrainer auf der anderen Seite die Unterstützung der deutschen Politik? Hört man oft Fragen, wann zum Beispiel endlich Panzer geliefert werden?
Sandro Jahn: Tatsächlich waren wir immer wieder in Situationen, in denen man mit wichtigen Leuten in Kontakt kommt. Einmal unterhielt ich mich mit einem Stadtrat von Odessa und er fragte nach der deutschen Unterstützung und wann sie erweitert wird. Dann findet man sich auf einmal in der Position wieder, sein Land politisch vertreten zu müssen. Aber da muss man sich bedeckt halten, wir wollen nicht politisch werden.
Spendenkonto Projekt „Feldküche“
Konto: Living Nature
Verwendungszweck: Feldküche Ukraine
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