Um eine gewisse Echtheit im Konzerterlebnis, die man im Zeitalter von Videohandys als verlorengegangen ausgemacht hat, wiederherzustellen, hat sich 2009 in London die internationale Musik-Initiative Sofar Sounds, kurz für „Songs from a Room“, gegründet. Die mehr als 400 weltweiten Mitglieds-Städte richten an unüblichen Orten, wie Dachterrassen oder Privatwohnungen, erst kurz vorher angekündigte Konzerte aus. Seit Anfang des Jahres ist auch Bamberg Sofar-Stadt. Das erste Konzert war am 16. Juni.
Oliver Will, Kulturmanager, hat Sofar Sounds in die Stadt geholt. Bei ihm können sich heimische oder auswärtige Musikerinnen und Musiker anmelden, die ein Konzert in Bamberg spielen möchten.
Zusammen mit einem vierköpfigen Team wählt er die Musik aus und kuratiert die Konzerte für Sofar Sounds, die in Bamberg monatlich und vorerst bis Ende des Jahres stattfinden sollen. „Ich würde das Projekt gerne auch im nächsten Jahr fortführen“, sagt er, „aber dazu müssen wir sehen, ob es funktioniert.“
Erfolg oder Misserfolg, also ob Publikum auf die immer nur wenige Tage vor Beginn bekanntgegeben Konzertdaten wie Ort und musikalisches Programm reagiert, hängt auch davon ab, ob die Initiative das Versprechen, das sie macht, einhält. Sofar Sounds, so die Selbstbeschreibung, wurde gegründet, den Zauber eines Live-Konzerts zurückzubringen.
Im kleinen Rahmen der Konzerte, zu denen nur Zutritt erhält, wer auf der Gästeliste steht, setzt man auf eine intime Atmosphäre, deren Entstehen die Nähe zwischen Publikum und Musikerinnen und Musikern bei den Konzerten begünstigen soll. Konzertgepflogenheiten des Publikums wie mitfilmen mit dem Handy, anstatt sich auf die Musik zu konzentrieren, sind entsprechend nicht gerne gesehen.
Beim Bamberger Debüt-Konzert am 16. Juni traten der jamaikanische Musiker Petah Moodie, der im schwedischen Malmö lebt, das Duo Jamie aus Berlin und die in Nürnberg lebende sizilianische Singer-Songwriterin Elena Steri auf.
Wir haben mit Oliver Will über Sofar Sounds gesprochen.
Herr Will, Sofar Sounds existiert seit 2009. Wann haben Sie sich und damit Bamberg für das Projekt beworben?
Oliver Will: Vor vier Jahren bin ich auf die Sofar Sounds-Reihe aufmerksam geworden, die es in anderen Städten schon gab und habe mich für Bamberg beworben. Allerdings war das eine Phase, in der die Zentrale in London keine weiteren Städte aufnahm. Es gab noch nicht genug Kapazität und ein Kommerzialisierungsversuch war daran gescheitert, dass verschiedene Kuratoren eine Kommerzialisierung nicht wollten, sondern aus Liebe zu dieser kleinen, einfachen, intimen und ehrenamtlichen Struktur ehrenamtlich bleiben wollten. Jetzt, im Januar, hat Sofar Sounds aber begonnen, auf die Städte, die sich beworben hatten, also auch kleinere, zuzugehen. Man will post-corona neu durchstarten und neue Städte hinzuzuholen.
Ist diese Ehrenamtlichkeit auch in Ihrem Sinne?
Oliver Will: Ja, wobei ich nicht ausschließen will, auch einmal ein Konzert mit Ticketverkauf zu machen. Es gibt im Konzept von Sofar Sounds zwei Showtypen. Der eine ist die Surprise Show, da spielen drei unangekündigte Acts an einem Abend, finanziert wird auf Spendenbasis – so wird es hier in Bamberg zunächst sein – und der andere ist die Ticket Show.
Warum haben Sie sich beworben?
Oliver Will: Ich bin selbst Musiker und Kulturmanager, habe jetzt aber musikalisch lange nichts mehr gemacht. Ich finde die Idee von Sofar Sounds toll, die Leute nah an die Musik zu bringen. Außerdem steckt eine ziemlich spannende Philosophie dahinter, die auch gelebt wird. Zwei Begriffe sind dabei zentral: Community und Diversity. Wir möchten alle möglichen Leute zusammenholen. Alle, die zu den Konzerten kommen, sind ein Freund, alle können sich mit allen unterhalten, in Kontakt kommen – nur bitte nicht, wenn die Musik läuft. Denn, da die Musik im Vordergrund steht, möchten wir ihr den idealen Rahmen schaffen. Die Kuratoren werden klar darauf hingewiesen, dass die Veranstaltungen in diesem Sinne sein sollen.
Das heißt, es gibt aus der Zentrale in London Vorgaben, die eingehalten werden müssen?
Oliver Will: Ja, das ist so eine Art Corporate Identity und Richtlinie für die Durchführung eines Konzerts. Dazu gehört, dass es pro Abend zwei bis drei Acts sein müssen, mit Überraschungs-Charakter, also unangekündigt. Dazu soll ein MC, also Master of Ceremony, anwesend sein, der durch den Abend führt und dem Publikum die Philosophie näherbringen – bei uns macht das Susanne Maack, die Künstlerinnen und Künstler und Publikum vor und nach der Musik näher zueinander führt. Auch gehört zu den Vorgaben die Intention, das Ganze auf Video festzuhalten und das Video auf dem Youtube-Kanal von Sofar Sounds hochzuladen. Davon können die Bands insofern profitieren, als dass dieser Kanal mehr als eine Million Abonnenten hat. So schließt man die Stadt und ihre Szene zudem an Struktur und die Community von Sofar an.
Was haben die Bands, die teilnehmen, außerdem von einem Sofar Sounds-Konzert, das ihnen anderweitige Konzerte nicht bieten?
Oliver Will: Ich denke, die Atmosphäre ist der große Gewinn. Eine Atmosphäre, die zauberhaft sein soll. Das erreicht man nicht unbedingt in jedem Live-Club. Ich denke, auch das Konzept, vorher nicht anzukündigen, wer auftritt, kann für viele Künstler gewinnbringend sein, weil sie so vor einem zugewandten und aufmerksamen Publikum spielen. Außerdem nehmen wir die Bands in das Künstlerverzeichnis von Sofar Sounds auf. Auf dieses Verzeichnis können einerseits alle Sofar-Städte zugreifen, wenn sie ein Konzert organisieren, und andererseits können sich die Bands, die drinstehen, über das Verzeichnis in anderen Sofar-Städten um Auftritte bewerben.
Warum ist das Publikum aufmerksamer, wenn die Musikerinnen und Musiker, die auftreten, vorher nicht angekündigt werden?
Oliver Will: Weil man sich auf diese Weise nicht für eine Band zu einem bestimmten Preis entscheidet, sondern für einen Musikabend – nur eben mit dem Zugeständnis, sich auf die Überraschung einzulassen, ob einem die Musik taugt. Es geht hierbei um Aufmerksamkeit und Wertschätzung.
Was meinen Sie mit „zauberhaft“?
Oliver Will: Eine Kuratorinnen-Kollegin aus Nürnberg würde dazu sagen, dass der Zauber das ist, was sich in der Atmosphäre durch die Nähe zwischen Musikern und Publikum bemerkbar macht. Hinzu kommt eine gewisse Erwartungshaltung, eine besondere, intime musikalische Erfahrung zu machen. Es ist eben nicht Musik, um die herum laut gesprochen und viel getrunken wird. Es geht um das „Berühren“ durch Musik.
Das klingt, als ob die Konzerte in erster Linie als besonders markiert sind, anstatt besonders zu sein.
Oliver Will: Ich denke schon, dass die Konzerte etwas besonderes sind. Die Kollegin hat versprochen, dass es immer passiert und sich der Zauber einstellt. Manchmal erkennen die Leute allerdings dann eher etwas, wenn man sie darauf hinweist.
Was braucht ein Ort, um für ein Sofar Sound-Konzert infrage zu kommen?
Oliver Will: Platz für eine Bühne, ein Soundsystem und für etwa 60 bis 150 Leute. Das geht in Wohnzimmern oder auf einer Dachterrasse – auch wenn es davon in Bamberg nicht so viele gibt. Wir sind aber offen für alle Privatleute und Unternehmen, die bereit sind, uns zu beherbergen – auch das ist Teil des Community-Gedankens. Bars oder Kneipen gehen auch, aber wir bevorzugen Orte, an denen nicht ständig Konzerte sind. Und nachdem die Konzerte nie länger als 22 Uhr dauern, auch das ist eine Vorgabe aus London, kommen wir nicht in Versuchung, jemandes Ruhe zu stören.
Welche Art von Musik sollten die Musikerinnen und Musiker, die sich bewerben, spielen, um infrage für ein Konzert zu kommen?
Oliver Will: Das Genre ist dabei eigentlich erst mal egal. Wir werden in Bamberg auch nicht, wie es bei Sofar Sounds oft der Fall ist, nur auf akustische Musik setzen, sondern mindestens auch ein lautes Konzert haben. Grundlegend versuchen wir, die Abende so zu kuratieren, dass sich eine musikalische Linie ergibt oder ein abwechslungsreiches Programm.
Müssen die Musikerinnen und Musiker eine gewisse Qualität mitbringen?
Oliver Will: Wir hören uns schon vorher an, wie die Leute klingen, und die Musik sollte schon so sein, dass man sie gerne hören mag. Was nicht so gern gesehen ist im Sofar-Konzept sind Leute, die covern. Es geht schon um die eigene künstlerische Leistung. Bei den etwa 40 Bewerbungen, die wir in den letzten Wochen für die Konzerte in Bamberg hatten, waren vielleicht vier oder fünf Bands dabei, die wir qualitativ hinterfragen mussten. Dann gibt es aber auch welche, die man wahnsinnig bezaubernd findet und in der eigenen Stadt spielen sehen möchte.
Ein Punkt der Philosophie von Sofar Sounds besteht darin, die Live-Erfahrung neu zu denken. Was heißt das?
Oliver Will: Das heißt, dass vielen Leuten die Live-Erfahrung abhandengekommen ist. Zum einen, weil der Zugriff auf Musik sehr beliebig geworden ist, zum Beispiel wegen Streaming-Diensten. Ansonsten ist es so, dass sich der Konzertbereich stark auf große Auftrittsorte konzentriert oder zum Beiwerk von Straßenfesten degradiert wird. Darin liegt auch eine Abkehr von der kleinen Club-Landschaft, die ohnehin seit Jahren am Sterben ist. Außerdem verändert dieser Wandel das Live-Erlebnis. Die Erfahrung von Nähe zwischen Bands und Publikum ist nämlich ebenfalls verloren gegangen. Es geht bei Sofar Sounds also auch darum, die große Qualität der Live-Musik in den Fokus zu rücken und den konzertanten Rahmen.
Ist Sofar Sounds also ein weiteres Versprechen auf authentische, unmittelbare Erlebnisse in einer durch und durch medialisierten Welt?
Oliver Will: Vielleicht hat es mit Authentizität zu tun, vielleicht aber auch mit Nähe und Aufmerksamkeit, um die es ebenfalls geht und die ja auch hergestellt werden soll. Das ist auch ein Ausdruck von Wertschätzung von Live-Musik. Auch da gibt es in der Sofar-Philosophie die klare Ansage, die MCs sagen zu lassen, dass bei Sofar-Konzerten Musik aufmerksam und wertschätzend rezipiert wird. Es geht darum, dass das Konzert live erlebt wird.
Wie waren die Rückmeldungen von Publikum und Bands beim Eröffnungskonzert am 16. Juni?
Oliver Will: Das Auftaktkonzert war sehr gelungen. Wir hatten zahlreiche wunderbare wertschätzende Gäste im Innenhof des Sandschlössla, herausragende und wahrlich bezaubernde Künstlerinnen und Künstler und sehr berührende Stunden einzigartiger Musik. Viele der Gäste hatten sich für das Konzert am 20. Juli angemeldet und wollten wieder dabei sein. Besonders hat uns dabei gefreut, dass auch aus der etablierten Sofar-Stadt Nürnberg Gäste nach Bamberg kamen. Ein sehr gutes Zeichen, dass Sofar auch in Bamberg gut funktionieren könnte.
Wann sind die nächsten Konzerte?
Oliver Will: Im August ist Pause, aber am 15. September geht es weiter. Im Oktober und November werden wir voraussichtlich sogar zwei Konzerte pro Monat haben, um am 2. Dezember das erste Sofar-Jahr zu schließen.