Stadtecho-Kolumnist Florian Herrnleben hat online eine Stadtratssitzung verfolgt.
Es ist Mittwochnachmittag und ich habe wirklich absolut nix Besseres zu tun. Grund genug also für den mittelmäßig an Stadtpolitik interessierten Kleinstadtkabarettisten und Stadtechokolumnisten, mal „TV Rathaus“ unter www.bamberg.de einzuschalten und bei der heutigen Vollsitzung reinzuzappen, die nun wie jede Stadtratssitzung seit einigen Monaten live ins Internet, also in die große, weite Welt gespült wird, damit selbige sich daran erlaben kann. Pünktlich bin ich. Und mit mir – das wird mir angezeigt – sogar 19 andere.
„Ein wahrer Gassenfeger!“, denk ich mir erst, bevor ich mir dann doch die Frage stelle, wie viele der in den Stadtrat hineingesalbten Ratsherrinnen und ‑damen heute unter den knapp 20 Zuschauern sind, um ihren eigenen Auftritt und vor allem sich selbst am Smartphone zu bewundern. 44 plus Rathausspitze könnten es dann ja wenigstens sein. Aber nur die ganz Pflichtbewussten, die besonders Schönen und die Allerwichtigsten, so sagte man mir inzwischen, kann man live im Ratssaal dabei beobachten, wie sie sich selbst im Stream bestaunen, weil sie der Übertragung von Wort und Gesicht ins WWW zugestimmt haben.
Nun bedeutet das englische Wort Stream ja bekanntlich sowas wie Strömung oder Fluss und nicht Schluckauf. Was ich da sehe, erinnert mich aber schwer an die Zeit unserer Kasperltourneen durch ganz Bayern im Jahr 1994, als ich hinten im Auto meiner Eltern versucht habe, auf dem tragbarkleinen Minischwarzweißröhrenfernseher mit langer Antenne bei 80km/h auf der Autobahn ein einigermaßen unterbrechungsfreies Bild- und Tonsignal vom Fußballländerspiel der WM in den USA einzufangen. Für wenige Sekunden. Zuverlässig war nicht die Übertragung, sondern nur die nächste Unterbrechung im garantiert spannendsten Moment. Bild und Ton verabschiedeten sich – im Unterschied zu heute damals noch empfangstechnisch bedingt – ins analoge Flimmernirvana und man musste sich Minuten später bei verändertem Spielstand oder noch schlimmer in der Halbzeitpause gedanklich erstmal wieder ins Spielgeschehen einsortieren.
Grund für die heutigen Unterbrechungen ist aber nicht etwa ein Dosentelefon als Internetleitung, sondern die Datenschutzbefindlichkeiten einzelner Stadtratsmitglieder und Fraktionen, die sich zwar allzu gern auf Wahlplakaten, weniger gern aber im Internet sehen. Die Empörung im Winter war noch groß, als sich CSU, BBB und Einzelkämpfer teils mit Verweis auf Stieringers Fakegate diesem neumodischen Internet und der Internetliveübertragung entzogen. Und auch zwei Referenten a.k.a. berufsmäßige, also bezahlte Stadträte legen keinen gesteigerten Wert auf weltweite Popularität und lassen sich visuell piepen. Wie die beiden Herren mehrere hundert Menschen Personal im Rathaus führen, wenn sie gleichzeitig Angst vor 20 Zuschauern im Internet haben, ist mir ein Rätsel. Inzwischen haben sich jedenfalls alle rund 20 Stammzuschauer an die ständigen, werbefreien Zwangsunterbrechungen gewöhnt.
Die vermeintliche Gewöhnung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zuschauerzahlen eher ernüchternd sind. Als ich – um aufs Kasperlspielen zurückzukommen – in den 90ern beim Stammtischfest der Rüftels hinten in Mönchsambach Kasperltheater gespielt habe, hatte ich sogar in schlechten Jahren locker fünfmal so viele Zuschauer. Und es ging dabei – das werden viele Zeitzeugen bestätigen können – spannender zu und war in Nachbetrachtung historisch definitiv relevanter, haben wir doch in der viel beschworenen Gemeinschaft sogar Hexen und Zauberer besiegt. Oder um in der Kulturwelt zu bleiben: Stell’ ich rund 50 Leute als Chor auf eine Bühne, erwarte ich schon, dass jeder mindestens zwei Zuschauer mitbringt.
Woran es liegt? Ich hab eine Vermutung. – Nichts ist uninteressanter als eine öffentliche Stadtratssitzung, für die bereits im Vorfeld in Senaten und in Vorbesprechungen zu Senaten und im Ältestenrat und in der Vorbesprechung zur Vorbesprechung zur Vollsitzung im Hinterzimmer bereits alles glattdiskutiert wurde. Das Streaming dient mehr dem Ego einzelner Stadträte als der Transparenz von Entscheidungen oder gar der großen Demokratie.
Deshalb hab ich meistens etwas Besseres zu tun als öffentlichen Sitzungen zu folgen. Auf dem Rathausflur hört man derweil nämlich oft mehr…