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Dirty Old Man

Charles-Bukow­ski-Gesell­schaft

101 Jah­re Dir­ty Old Man

Das Werk des ame­ri­ka­ni­schen Schrift­stel­lers Charles Bukow­ski genießt auch über 25 Jah­re nach sei­nem Tod welt­wei­te Bekannt­heit. Die Kurz­ge­schich­ten und Roma­ne des 1920 im rhein­land-pfäl­zi­schen Ander­nach gebo­re­nen und in Los Ange­les auf­ge­wach­se­nen Autors krei­sen the­ma­tisch immer wie­der um gesell­schaft­li­che Außen­sei­ter und das täg­li­che Sich-Durch­schla­gen von Lohn­scheck zu Lohn­scheck. Außer­dem haben nur weni­ge ande­re so aus­gie­big über Alko­ho­les­ka­pa­den, Pfer­de­ren­nen und das Dasein als Post­bo­te geschrieben.

Weni­ger bekannt ist die Tat­sa­che, dass es in Bam­berg eine Charles-Bukow­ski-Gesell­schaft gibt. Der gemein­nüt­zi­ge Ver­ein wid­met sich der Erfor­schung von Leben, Werk und Wir­kung Charles Bukow­skis. Roni, so der Künst­ler­na­me, ist sein Vorsitzender.

2020 wäre der 100. Geburts­tag des Dir­ty Old Man, so ein Spitz­na­me Bukow­skis, gewe­sen. Ein Jubi­lä­um, das die Charles-Bukow­ski-Gesell­schaft natür­lich gefei­ert hät­te, wären die Pla­nun­gen nicht von Coro­na durch­kreuzt wor­den. 2022 sol­len die Fei­er­lich­kei­ten aber nach­ge­holt werden.

Über den mit­un­ter streit­ba­ren Men­schen Bukow­ski, die Fas­zi­na­ti­on für sein Werk und was er zum Coro­na-Jahr sagen wür­de haben wir mit Roni gesprochen.


Wann und war­um wur­de die Charles-Bukow­ski-Gesell­schaft gegrün­det, was ist ihr Bezug zu Bam­berg? Wie ist dei­ne Posi­ti­on dar­in, wie bist du dazu gekommen?

Roni: Die Bukow­ski-Gesell­schaft grün­de­te der Ber­li­ner Jour­na­list Fal­ko Hen­nig 1996 aus einer Knei­pen­lau­ne her­aus – zwei Jah­re spä­ter kam ich dazu, bin seit 2004 Her­aus­ge­ber der Jahr­bü­cher und seit 2007 der Vor­sit­zen­de. Das hat sich so erge­ben, weil’s für die­sen Job jemand braucht, der nicht nur den Autor und sein Werk kennt, son­dern man muss auch einen gewis­sen Hang zur Selbst­quä­le­rei mit­brin­gen. Der Bezug zu Bam­berg ist ein­fach, weil ich hier gebo­ren bin und lebe; unser Mit­glie­der­ver­wal­ter und Kas­sen­wart Sön­ke lebt in Olden­burg, als Ver­ein ein­ge­tra­gen sind wir in Bukow­skis Geburts­stadt Ander­nach bei Koblenz.


Wor­in besteht dei­ne per­sön­li­che Fas­zi­na­ti­on für das Werk von Charles Bukow­ski und für ihn selbst?

Roni: Bukow­ski ist vor allem ein exis­ten­tia­lis­ti­scher Autor, der an der con­di­tio huma­na enorm litt. Alle sei­ne Prot­ago­nis­ten bewe­gen sich an einem per­sön­li­chen Abgrund, kurz vor oder nach dem Fall. Die Gesell­schaft, die er zeich­net – und das ist unse­re Gesell­schaft – ist ein gna­den­lo­ses Mons­trum, das Wett­lauf, Leis­tung und Über­le­gen­heit fordert.

Dem stellt er eine düs­te­re Welt der Ver­lie­rer und Zukurz­ge­kom­me­nen gegen­über, Men­schen, die in die­sem Sys­tem nicht erwünscht sind oder allen­falls als bil­li­ge Arbeits­kräf­te. Sein gro­ßes The­ma ist, wie Men­schen mit­ein­an­der umge­hen und was das mit ihnen macht. Und wie man viel­leicht trotz­dem ver­su­chen kann, mit all dem klar­zu­kom­men irgend­wo zwi­schen Ver­zweif­lung und stoi­schem Gleichmut.

Roni mit Mari­na Bukow­ski, Foto: Sön­ke Manns

Was glaubst du, war er für ein Mensch?

Roni: Glück­li­cher­wei­se sind wir hier nicht auf Spe­ku­la­tio­nen ange­wie­sen, son­dern kön­nen auf reich­li­che Berich­te von Freun­den, Gelieb­ten, Ver­wand­ten zurück­grei­fen. So ent­steht aus ver­schie­de­nen Quel­len ein, natür­lich sub­jek­ti­ves, aber schlüs­si­ges Gesamt­bild. In aller Kür­ze trifft wahr­schein­lich das Attri­but “schwie­rig” am ehes­ten den Punkt. Er konn­te ein freund­li­cher, gera­de­zu sanf­ter Mensch sein, aber auch ein zyni­scher Nihi­list und eben­so – ganz wie es das Kli­schee for­dert – ein fie­ser, mit­un­ter streit­süch­ti­ger Trun­ken­bold. Wer das gan­ze Spek­trum mal ken­nen­ler­nen mag, soll­te sei­ne Brie­fe zur Nacht­lek­tü­re her­neh­men. Im Deut­schen wäre das der fet­te Aus­wahl­band “Schreie vom Bal­kon”. Bei all den ver­schie­de­nen Gesich­tern, die er uns zeigt – blieb er immer eines: emo­tio­nal. Das ist die ver­bin­den­de und sich durch­zie­hen­de Konstante.


Wel­ches ist dein Lieb­lings­werk von Bukow­ski und warum?

Roni: Na, vor allem etli­che sei­ner Gedich­te sind schlecht­hin gran­di­os. Sie sind es, die ihn für immer unsterb­lich machen wer­den in der Lite­ra­tur­ge­schich­te. Aber die­se ein­zel­nen Meis­ter­wer­ke sind über­all ver­streut und die deut­schen Über­set­zun­gen nicht immer glück­lich. Sein stärks­tes Pro­sa­werk ist zwei­fel­los der Roman über sei­ne ver­hunz­te Kind­heit und Jugend im Ame­ri­ka der Wirt­schafts­de­pres­si­on: “Das Schlimms­te kommt noch”, Ori­gi­nal­ti­tel “Ham On Rye”. Nicht nur her­vor­ra­gend geschrie­be­ne Lite­ra­tur, son­dern auch psy­cho­lo­gisch erhel­lend: Bei der Lek­tü­re wird einem vie­les klar, woher bestimm­te Macken bei Bukow­ski kom­men oder sei­ne sozio­pho­bi­sche Kaputt­heit. Die Tra­gik, das Trau­ma, ist immer präsent.


Du erforschst Leben, Werk und Wir­kung Bukow­skis. Wor­in besteht dabei die täg­li­che Arbeit? Was gibt es dabei noch Neu­es zu ent­de­cken und zu erforschen?

Roni: Span­nen­der­wei­se ist da enorm Vie­les zu ent­de­cken. Wer sich heu­te auf Goe­the spe­zia­li­siert, fin­det kaum einen unbe­ar­bei­te­ten Aspekt. Die Bukow­ski-For­schung hin­ge­gen hat eigent­lich erst begon­nen. Bio­gra­fisch liegt noch etli­ches im Dun­keln. Sei­ne The­men, Moti­ve, Inhal­te und wie er sie behan­delt, har­ren wis­sen­schaft­li­cher Auf­ar­bei­tung; bis­her ist noch nicht mal der gesam­te Bestand zuver­läs­sig kata­lo­gi­siert, von einer ordent­li­chen Werk­edi­ti­on gar nicht zu reden.
Unser größ­ter Coup bis­her war sicher die Auf­de­ckung von gera­de­zu aber­wit­zi­gen Ver­fäl­schun­gen in post­hum erschie­ne­nen Gedicht­bän­den: An weit über 400 Gedich­ten konn­te eine klei­ne inter­na­tio­na­le For­scher­grup­pe, der auch ich ange­hör­te, mas­si­ve Ände­run­gen in Stil, Wort­wahl und sogar Inhalt nach­wei­sen. Inzwi­schen ist unser Befund aner­kann­tes All­ge­mein­gut, aber noch 2012 muss­te ich mir vom Kul­tur-Redak­teur einer gro­ßen Zeit­schrift, dem ich das The­ma exklu­siv anbot – es gab welt­weit noch kei­nen Pups dazu – anhö­ren, es könn­te sich ja dabei um regu­lä­re, gerecht­fer­tig­te, edi­to­ri­sche Akte gehan­delt haben. Als könn­te ich sowas nicht unter­schei­den. Er woll­te nicht mal mein Beweis­ma­te­ri­al sehen.

Hoch­span­nend ist auch, sich mit Men­schen zu unter­hal­ten, die ihn per­sön­lich erleb­ten. Ich konn­te zum Bei­spiel meh­re­re sei­ner frü­he­ren Gelieb­ten ken­nen­ler­nen, über die er ja auch in sei­nem Werk schreibt. Dann lässt man sich von denen die Geschich­ten mal aus ihrer Sicht erzäh­len und kann ver­glei­chen. Erstaun­lich ist, dass sie das meis­te bestä­ti­gen. Auch sei­ne frü­he­ren Freun­de berich­ten, dass von Details und sub­jek­ti­ver Fär­bung abge­se­hen vie­les sich so zuge­tra­gen hat, wie Bukow­ski es schil­dert. Also die berühm­te Grund­re­gel, zwi­schen Autor und sei­nem Werk streng zu unter­schei­den, wird im Fall Bukow­ski von der bio­gra­fi­schen For­schung bis­her eher wider­legt. Auch unbe­stech­li­che Zeu­gen, wie amt­li­che Doku­men­te erwei­sen immer wie­der, dass unser Autor und sein Werk untrenn­bar ver­wo­ben sind.


Wie haben sich Wir­kung und Rezep­ti­on sei­ner Wer­ke im Ver­gleich von den 1970-er Jah­ren, in denen er bekannt wur­de, zu heu­te verändert?

Roni: Ganz ein­fach: In den 70-er und 80-er Jah­ren war er ein Best­sel­ler mit Mil­lio­nen­auf­la­gen. Da hat das Lese­pu­bli­kum ihn zum Kult erho­ben. Die Zei­ten sind vor­bei. Seit den 2000ern sehen wir die umge­kehr­te Bewe­gung: Er ver­kauft sich nicht mehr so gut, dafür hat ihn jetzt die Lite­ra­tur­wis­sen­schaft als ernst­zu­neh­men­den Schrift­stel­ler ent­deckt. Es wer­den Dok­tor­ar­bei­ten geschrie­ben, sein Nach­lass wird in der hoch­re­nom­mier­ten Hun­ting­ton-Libra­ry archi­viert. Da ging 2006 ein Auf­schrei durch die kon­ser­va­ti­ve Pres­se: Was für ein Skan­dal das wäre! Die­se Dreck­sau Bukow­ski soll­te nun im glei­chen Regal ste­hen wie Shake­speare und Chau­cer! Als Ant­wort lie­fer­te die zustän­di­ge Kura­to­rin, Sue Hod­son, eine stand­fes­te und über­zeug­te Lite­ra­tur­freun­din, die inzwi­schen lei­der in Ruhe­stand gegan­gen ist, eine unmiss­ver­ständ­li­che Pres­se-Erklä­rung: „Wir sam­meln nun­mal die bes­te Ame­ri­ka­ni­sche und Bri­ti­sche Lite­ra­tur und Bukow­ski gehört dazu. Er ist zwei­fel­los der wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chung wert.” Bammm! Damit war das The­ma erle­digt. Denn jeder halb­wegs bil­dungs­af­fi­ne Ame­ri­ka­ner weiß: In den Archi­ven der Hun­ting­ton-Libra­ry wird man kei­nen unbe­deu­ten­den Autor fin­den. Allein dort ange­nom­men zu sein, ist eine Aus­sa­ge über Lite­ra­ri­sche Relevanz.


Wel­che Ein­flüs­se hat Bukow­ski auf heu­ti­ge Autoren und Kultur?

Roni: Heu­te nicht mehr so viel, aber er hat den Weg berei­tet, in den 1970-er, 80-er und 90-er Jah­ren, für eine von Kon­ven­tio­nen und Zwän­gen freie Lite­ra­tur. Damals dien­te er gut zwei, drei Gene­ra­tio­nen von Schrift­stel­lern als Inspi­ra­ti­on. Und von der damals erkämpf­ten Frei­heit pro­fi­tie­ren auch heu­ti­ge Autoren noch.


Gibt es heu­ti­ge Schrift­stel­ler, die mit ihm und sei­nem Schaf­fen ver­gleich­bar wären? Bezie­hungs­wei­se: Könn­ten heu­ti­ge Schrift­stel­ler, die mit ihm und sei­nem Schaf­fen ver­gleich­bar wären, Erfolg und Bestand haben?

Roni: Zum Glück gibt es die kaum noch. In sei­nen Best­sel­ler-Jah­ren war es nicht aus­zu­hal­ten, wie an jeder Ecke Einer ange­schis­sen kam und sich ein­bil­de­te, er wäre der nächs­te Bukow­ski. Die gesam­te Alter­na­tiv-Sze­ne mein­te, wie Bukow­ski schrei­ben zu müs­sen. Der Ver­le­ger Ben­no Käs­mayr von Maro kann ein Lied davon sin­gen. Aber es ist halt nicht so ein­fach, wie es auf dem Papier aus­sieht und ein Bukow­ski-Pla­gi­at stinkt zehn Mei­len gegen den Wind: Du erkennst es sofort. Es kann kei­nen zwei­ten Bukow­ski geben und wir brau­chen auch kei­nen. Wer jetzt als Autor antre­ten will, soll sei­ne eige­ne Stim­me fin­den, das berei­chert die Lite­ra­tur mehr als jede Kopie.


Charles Bukow­ski beschreibt, ergrün­det und ver­ur­teilt in vie­len sei­ner Wer­ke Gewalt in Bezie­hun­gen oder Fami­li­en­ver­hält­nis­sen – er selbst hat­te einen gewalt­tä­ti­gen Vater. Ihm wur­de aber auch immer wie­der der Vor­wurf gemacht, in Sachen Gewalt­tä­tig­keit gegen­über Män­nern und Frau­en den ent­spre­chen­den Roman­fi­gu­ren zu ähneln. Wie bewer­test du die­sen Wider­spruch? Wie sieht sei­ne Ein­ord­nung der Charles-Bukow­ski-Gesell­schaft, auch im kom­men­den Bukow­ski-Fes­ti­val, aus?

Roni: Gewalt spielt in sei­nem Werk tat­säch­lich in vie­len Kon­tex­ten eine Rol­le, ob es um sei­nen prü­geln­den Vater geht, Gewalt gegen Frau­en, Schul­jun­gen, die einen Kampf­hund auf eine klei­ne Kat­ze los­las­sen, Knei­pen­schlä­ge­rei­en, oder die vie­len For­men psy­chi­scher Gewalt, die uns über­all begeg­nen. Mit­un­ter trägt er eine deut­li­che Ankla­ge vor, oft aber auch nur die nar­ra­ti­ve Beschrei­bung der Lebens­wirk­lich­keit, mit einem Unter­ton fata­lis­ti­scher Aus­weg­lo­sig­keit, die Scho­pen­hau­ers pes­si­mis­ti­schem Men­schen­bild ähnelt.
Es stimmt: Er selbst hat­te auch sei­ne Dämo­nen und war nicht frei von gewalt­tä­ti­gen Anwand­lun­gen, mit­un­ter sogar streit­su­chend jäh­zor­nig. Das gibt er auch zu, da ist er scho­nungs­los ehr­lich.
Mir wäre es aber zu ein­fach, ihm aus der War­te eige­ner mora­li­scher Über­le­gen­heit zu begeg­nen. Viel­mehr fin­de ich die Fra­ge wich­tig: Was muss mit einem Men­schen pas­siert sein, was muss ein Mensch alles erlit­ten haben, dass er sowas Destruk­ti­ves in sich hat, das sich ja auch selbst­zer­stö­re­risch gegen ihn selbst wen­det? Und genau das – man könn­te es lite­ra­ri­schen Exis­ten­zia­lis­mus nen­nen – the­ma­ti­siert Bukow­ski. Er zeigt, dass Gewalt nicht im luft­lee­ren Raum ent­steht, son­dern eine Ursa­che hat, die in unse­rem Mensch­sein und unse­rer Gesell­schaft grün­det – und wei­ter­ge­tra­gen wird.

Also ganz klar: man darf die­se dunk­len Sei­ten nicht untern Tep­pich keh­ren. Sie sind da, und man muss sich damit aus­ein­an­der­set­zen. Einen eige­nen Pro­gramm­punkt dazu wer­den wir aber nicht haben, obwohl natür­lich immer mal etwas davon mitschwingt.


Wie glaubst du, sähe Bukow­skis Kom­men­tar zum Coro­na-Jahr 2020 aus?

Roni: In Kri­sen­si­tua­tio­nen gab er sich gern cool und sto­isch. Da war ihm wich­tig zu demons­trie­ren, dass man ihm nicht so leicht an den Kahn fah­ren kann. In wel­che Rich­tung sein Kom­men­tar viel­leicht gin­ge, ver­mit­telt er uns in sei­nem Gedicht “Ear­th­qua­ke” von 1971: „Ame­ri­ka­ner haben kei­ne Ahnung, was wirk­li­che Tra­gö­di­en sind – ein klei­nes 6,5 Erd­be­ben ver­wan­delt sie in zit­tern­de Affen. […] Das hier ist bloß das Kit­zeln einer Feder und sie kön­nens nicht aus­hal­ten.
Stell dir mal vor, ihre Städ­te wür­den zer­bombt wer­den, wie es ande­ren Städ­ten gesche­hen ist …”

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen unter

http://www.bukowski-gesellschaft.de