Dr. Umwuchts Tanzpalast präsentiert eigenes Festival
„Wuchtiversum“ in den Haas-Sälen
Am 7. November kehrt Dr. Umwuchts Tanzpalast zurück in die Haas-Säle. Dort, wo 2018 die Release-Party zur Veröffentlichung des ersten Albums stattfand, wurde im vergangenen Jahr erstmals das eigene Festival „Wuchtiversum“ veranstaltet, dieses Jahr folgt die zweite Auflage. Wir haben mit der Band, die in diesem Jahr ihr fünfzehnjähriges Bestehen feiern konnte, auf ihre Historie zurück- und auf das Wuchtiversum vorausgeblickt.
Dr. Umwuchts Tanzpalast – das sind sechs Männer mit unterschiedlichen Hintergründen, die in verschiedenen Etappen hier in Bamberg über die Jahre zusammengefunden haben und in der aktuellen Konstellation seit fünf Jahren gemeinsam musizieren.
Von der ursprünglichen Formation sind noch drei der ursprünglich fünf Mitglieder an Bord, die im Januar 2010 im Morph Club zum ersten Mal auf einer Bühne standen: Raimund Schlenk am Saxophon, Sänger, Pianist und Gitarrist Thomas Kießlich sowie Andreas Klenk an der Gitarre. „Wir hatten von Anfang an ein gutes Gefühl“, blickt Andreas Klenk zurück. „Es ging nicht darum, damit Erfolg zu haben. Wir wollten Spaß haben und uns gut fühlen.“
„Wir sind auf unterschiedlichen Wegen zu den Instrumenten gekommen und wir kommen auch immer noch auf unterschiedlichen Wegen zu Instrumenten“, weiß Bassist Nikolaus Durst, der 2015 zur Band stieß. „Wir erweitern laufend unser Spektrum an Instrumenten. Inzwischen gibt es Synthesizer in der Band und neben Gitarre und Bass auch noch weitere Saiteninstrumente, wie beispielsweise ein Charango aus Peru.“
Inspirieren ließ sich das ursprüngliche Ensemble, erinnert sich Andreas Klenk, von von Liedermacher-Blues und Indie-Rock beeinflussten Songs. Zunächst wurde gecovert, um sich auszuprobieren und zu finden, und nach und nach habe sich das Ganze recht spannend entwickelt. „Musikalisch, aber auch instrumental. Ich habe mal ein Cembalo geschenkt bekommen. Und das ist auch zum Beispiel in unser zweites Album 2022 mit eingeflossen“, so Andreas Klenk. An diesem zweiten Album wirkten auch Gastmusiker mit, unter anderem Alena Mathis mit der Geige, mit der die Band auch zuvor während der Corona-Pandemie kooperiert und 2020 das Lied „Anker“ remote eingespielt hatte. In diesem Jahr stieß auch Christian Balling zur Band, der als wahrer Multiinstrumentalist die Band an Percussion, Synthesizer, Schlagzeug oder Piano bereichert.
Aus der Quarantäne zum 2. Album
„Die Ideen zu den Songs kommen von Thomas, der ein super feines Gespür hat für Melodien und vor allem die Texte schreibt“, so Nikolaus Durst. „Da kommt ganz viel von Thomas und von Andi, weil die mit Gesang und Akustikgitarre schon die Grundstruktur von einem Song haben.“ Wenn Text und eine Anfangsmelodie stehen, mit, wie Andreas schätzt, vielleicht 30 Prozent entwickelter Idee, geht die Band zusammen ans weitere Verfeinern. „Dann sind wir zu sechst und entwickeln das gemeinsam. Wir sind kein Orchester mit Dirigent oder Komponist, der zentral Ansagen macht. Das kommt am Ende vom gemeinsamen Gefühl und es klappt am Ende – immer noch.“
„Und dann gehen wir bei 80 Prozent meistens schon auf die Bühne und die letzten 20 Prozent werden erst mit der Live-Probung sozusagen dann noch umgesetzt“, ergänzt Nikolaus Durst. „Deswegen spielen wir jetzt viele von den Songs einfach schon, bevor wir sie dann erstmal aufnehmen, weil wir dann eben auch besser erfahren können, wie sie funktionieren.“
Nikolaus selbst ist der Arrangeur in der Band. „Niki ist ein super Musiker, hat ein Musik-Theorie-Verständnis und kann super arrangieren“, fügt Andreas Klenk an. „Er kann auch für andere Melodien mitentwickeln.“
Nikolaus Durst hat Spaß daran, eine Dramaturgie einzubauen, abzustimmen, wie sich das Lied entwickeln kann, wer wann wieviel spielt und wer pausiert. „Das ist auch immer eine große Aufgabe, das entsprechend dann auch so zu vermitteln, dass alle zufrieden sind mit dem, was sie tun. Aber das hat sich so ganz gut eingespielt.“
2020 hätte die Band ihr bis dahin größtes Konzertjahr haben können, allerdings fielen alle Konzerte dem Ausbruch der Corona-Pandemie zum Opfer. Damals hatten sie glücklicherweise etwa ein Dutzend unveröffentlichter Songs auf Halde und entschieden sich, ihr zweites Album zu produzieren. Dieses wurde 2021 aufgenommen und 2022 veröffentlicht. Zum Produzieren ging die Band in ein Haus in der Nähe von Hollfeld, wo die Sechs für einige Tage unter sich waren und gemeinsam mit dem Bamberger Produzenten Daniel Schobert aufnehmen konnten. Was entstand war einerseits das Album, andererseits, so wird es von Teilen der Band gesehen, auch ein noch stärkerer Zusammenhalt. Ohne dieses Projekt, mutmaßen die Mitglieder, hätte sich das gesamte Bandprojekt möglicherweise zerlaufen aufgrund der eingeschränkten Kontakt-Möglichkeiten während der Pandemie.
7. November: Das „Wuchtiversum“ kehrt zurück
Zwischenzeitlich entstand im vergangenen Jahr die EP „Wir nehmen die Situation sehr ernst“ mit drei Liedern, weitere vier Lieder sind derzeit in der Schublade, aus der sie für Konzerte geholt werden. Auch im Herbst werden diese gespielt, genauer am 7. November, wenn das „Wuchtiversum“ wieder in die Haas-Säle kommt, bei dem die Band auch als Veranstalter agiert. Andreas Klenk ist hauptberuflich Konzertveranstalter, was der Band bei eigenen Veranstaltungen die Möglichkeit bietet, Expertise in Sachen Management und Organisation von Konzerten oder Festivals einzubringen. Als weitere Acts neben Dr. Umwuchts Tanzpalast sind Principess dabei aus, nach eigener Definition, der nördlichsten Stadt Italiens, nämlich München, und Tante Samuel aus Dresden.
Die Idee zum Wuchtiversum entstand 2023 nach einer Probe. Nikolaus Durst wollte wieder in den Haas-Sälen spielen, so wie beim Release-Konzert 2018. Eine Release-Party zu Album zwei „Im Zentrum der Wirklichkeit“ war coronabedingt ins Wasser gefallen. Er wollte eine Art Legitimation, wieder in den Haas-Sälen zu sein, und hat 2023 nach einer Probe vorgeschlagen, eine Art Festival auf die Beine zu stellen, dem Ganzen einen zu Titel, um es von einem gewöhnlichen Konzert abzuheben. Von Schlagzeuger David Grimm kam der Vorschlag „Wuchtiversum“ als Titel für das Festival. „Die Wortbedeutung erschließt sich natürlich von selbst – der Bandname verkuppelt mit dem Wort Universum. Wir haben auch einen Song, der „Universum (ohne Hose)“ heißt, witzigerweise, der schon seit sehr, sehr langer Zeit in unserem festen Programm ist und der auch immer live einfach eine sehr sichere Nummer ist“, erläutert Nikolaus Durst.
Die Band spielt grundsätzlich relativ selten in Bamberg, um sich nicht abzunutzen, selten gibt es mehr als zwei Auftritte pro Jahr in der Domstadt. Zuletzt trat sie im Sommer auf dem Unifest auf. Nun ist der Gedanke der, sich auf eine Outdoor-Veranstaltung und das eigene Festival als Indoor-Veranstaltung zu beschränken.
Als weitere Acts für das Wuchtiversum war der Gedanke, Bands einzuladen, die einerseits nicht aus Bamberg sind und mit denen die Jungs entweder schon auf der Bühne standen oder mit denen sie gerne mal auf der Bühne stehen wollen. „Also Bands, die wir einfach wirklich gut finden. Von denen wir nicht nur mal gehört haben, sondern wirklich, die mindestens einer oder zwei von uns schon mal gesehen haben muss. Es soll ein Bezug dahin sein, um auch ein bisschen diesen Family-Charakter, den das Wuchtiversum auch haben soll, ein bisschen zu unterstreichen. Bamberg hat ein tolles Publikum. Und wir möchten gerne einfach Bands, die wir geil finden, wo wir sagen, ihr müsst mal in Bamberg spielen. Die wollen wir herholen und dann die Bühne mit denen teilen“, umschreibt Nikolaus Durst.
„Das ist eine sehr, sehr schöne Sache, weil wir auch gemeinsam kuratorische Arbeit machen und nicht nur Künstler des Abends sind, sondern als ausrichtende Veranstalter auch über Gestaltung und Programm entscheiden können“, ergänzt Andreas Klenk. Die erste Auflage im vergangenen Jahr sei bereits ein guter Erfolg gewesen, dementsprechend optimistisch geht die Band das diesjährige Festival an.
Aufgefallen ist beim letzten Mal, wie Thomas Kießlich erzählt, dass das Publikum in seinem Altersspektrum breiter geworden ist. Er erinnert sich auch noch gut daran, dass er während der Aftershow-Party im vergangenen Jahr auf der Tanzfläche stand und alle, die noch da waren, „in so einer glückselig, bierselig, tanzseligen Stimmung waren, und ganz viele sind hergekommen und haben sich richtig bedankt. Nicht nur für das Konzert von uns, sondern dafür, dass mal wieder was los ist in der Stadt, weil die Tanzgelegenheiten ja eher begrenzt sind.“
Während letztes Jahr das Festival im Oktober stattfand, wollte die Band diesmal, wie Thomas Kießlich erwähnt, hinter die Grippewelle kommen. Im vergangenen Jahr sei die gesamte Band in der Woche vorher krank geworden, Nikolaus Durst hat sogar das Konzert noch krank gespielt. Dennoch hat er das Catering für Alle übernommen. „Er hat eine ganz tolle Kürbiskartoffelsuppe gekocht“, erinnert sich Andreas Klenk. Es ist also anzunehmen, dass auch diesmal kulinarisch bestens für die auftretenden Künstlerinnen und Künstler gesorgt sein wird. Als weitere Begründung für den November-Termin fügen die Jungs an, dass natürlich der neue Termin auch eine Frage der Verfügbarkeit der Location war.
Als DJ bei der Aftershow-Party fungiert wie beim Album-Release 2018 von Dr. Umwuchts Tanzpalasts erstem Album sowie beim ersten Wuchtiversum im vergangenen Jahr Tante Samuel, der zwischenzeitlich auch die Band mehrmals eingeladen hat, auf Festivals zu spielen, auf denen auch er auftrat. „Tante Samuel ist ein freundschaftlich gesehen sehr alter Freund, mit dem wir schon sehr viel zusammengearbeitet haben“, so Nikolaus Durst. „Und dann haben wir noch die Band Principess dabei aus der nördlichsten Stadt Italiens, nämlich München. Die feministische Rettung des Italo-Pops. So die Selbstbezeichnung. Das sind drei super Musikerinnen. Sie spielen Orgel, Bass und Schlagzeug, sie alle singen gut und machen eine verdammt gute Show und haben super Texte und super Songs.“
Diese Band wurde bereits von Andreas Klenk in Nürnberg veranstaltet und Nikolaus Durst und er haben sie im Januar auch zum ersten Mal gesehen und sie entsprechend für Bamberg angefragt. Für Principess wird es Bamberg-Premiere sein. „Sie werden den Abend musikalisch eröffnen“, so Andreas Klenk.
Von Dr. Umwuchts Tanzpalast selbst wird das gewohnte Programm um neue Programmpunkte ergänzt zu hören sein, auch werden neue Songs Premiere feiern. Angesprochen werden sollen mit dem Festival schließlich alle Menschen, „die uns einfach gerne sehen wollen und davon, das darf man schon sagen, gibt es nicht wenige in der Stadt“, weiß Andreas Klenk. Nikolaus Durst freut sich sehr auf den Auftritt von Principess und betont, er sehe das Festival auch „als ein Geschenk an uns selbst, weil wir einfach mit tollen weiteren Bands spielen dürfen.“ Wenn es in diesem Jahr wieder so erfolgreich abläuft wie 2024, sind die Jungs sich einig, möge es gerne in einem jährlichen Zyklus fortgesetzt werden.
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Eingeholt von der Wirklichkeit
Neues Album von Dr. Umwuchts Tanzpalast
Das Bamberger Sextett Dr. Umwuchts Tanzpalast hat den Pandemiestillstand genutzt, um sein zweites Album aufzunehmen. Und, um sich von ihm und seiner Themenlage inspirieren zu lassen. Entsprechend sind die 12 Stücke von „Im Zentrum der Wirklichkeit“ ernster geworden als jene des Vorgänger-Albums waren.
2010 gegründet, eher als gutelauneorientierte Band – die erste EP-Veröffentlichung hieß „Bügelhits für Mutti“ –, begannen Dr. Umwuchts Tanzpalast, erste Straßenmusikauftritte und Konzerte bei kleineren Festivals zu spielen. Weitere und größere Konzerttourneen und zwei Wechsel in der Besetzung später veröffentlichte die Band 2018 ihr Debütalbum „Freizeit als Beruf“. Mitte Mai diesen Jahres folgt das Zweitwerk „Im Zentrum der Wirklichkeit“. Der Nachfolger ist ernster ausgefallen und gleichsam Produkt einer ernster gewordenen Welt: Es wird angespielt auf Verschwörungsmythen, Asylpolitik und Wirklichkeitsflucht. Das obere Qualitätskriterium auf der Bühne – im Sommer ist eine Tournee geplant – besteht aber nach wie vor darin, das Publikum zu unterhalten und mitzureißen.
Nach einem erneuten personellen Wechsel sind Dr. Umwuchts Tanzpalast heute David Grimm am Schlagzeug, Saxophonist Raimund Schlenk, Gitarrist Andreas Klenk, Neuzugang Christian Balling an Perkussion, Banjo und Synthesizer und unsere beiden Interviewpartner Sänger, Gitarrist und Pianist Thomas Kießlich und Bassist Nikolaus Durst.
Thomas, Nikolaus, zwischen eurem ersten Album und dem bald erscheinenden zweiten sind vier Jahre vergangen. Wie kam der relativ lange Zeitraum zustande?
Thomas Kießlich: (lacht) Oh nein, wunder Punkt, Abbruch, Abbruch! Die Mühlen des Plattengeschäfts mahlen langsam, speziell bei einer selbstverwalteten Band. Es ist allein schon ein Jahr her, dass wir das Album aufgenommen haben.
Nikolaus Durst: Wir haben den Umstand, dass Pandemie war, aber auch bewusst genutzt – es gab keinen Veröffentlichungsdruck, weil alles stillstand. Unser erstes Album hatten wir in einem Februar aufgenommen und im darauffolgenden Mai veröffentlicht. Das waren drei Monate Stress. Also dachten wir, den Veröffentlichungs-Prozess diesmal zu entzerren, weil ja sowieso keine Konzerte stattfinden konnten.
Hat das funktioniert?
Nikolaus Durst: Nein, stressig ist es trotzdem geworden. Wir haben von der Initiative Musik, eine Fördereinrichtung der Bundesregierung und der Musikbranche für die deutsche Musikwirtschaft, ja eine Förderung bekommen. Das gab zwar ziemlich viel Geld, aber auch entsprechenden Termindruck dahinter. Das hat alles nochmal rausgezögert.
Thomas Kießlich: 2018 kam unser erstes Album raus und wir haben zwei Jahre lang eigentlich nur Konzerte gespielt und kaum neue Sachen geschrieben. Erst danach haben wir uns gedacht, wieder mal etwas zu tun. Dann kam Corona und wir hatten die Zeit dazu. Das Schreiben ging sogar leichter von der Hand als die Produktion.
Gab es bandinterne Differenzen, die die Zeit zwischen den Alben noch verlängert haben?
Nikolaus Durst: Die gab es, die gibt es und die wird es geben.
Thomas Kießlich: Sechs Leute, acht Meinungen ist unser Slogan. Wir sind auch keine 22 mehr. Jeder von uns hat so unterschiedliche Lebensführungsthemen – Arbeit, Familie, Kinder, Vaterschaften, die sich in der Band immer weiter ausdehnen.
Nikolaus Durst: Beim ersten Album hatten wir schon drei Kinder. Beim zweiten Album sind es sechs und wir diskutieren schon, ob es beim dritten Album dann neun Kinder sein werden. Oder zwölf – je nachdem, ob wir uns linear oder exponentiell vermehren.
Ist es künstlerisch zuträglich, viele Kinder zu haben?
Nikolaus Durst: Nein!
Thomas Kießlich: Ganz klares Nein!
Der Titel des neuen Albums lautet „Im Zentrum der Wirklichkeit“. Was ist das Zentrum der Wirklichkeit?
Thomas Kießlich: Wir haben lange nach einem Titel, das heißt, nach einem roten Faden gesucht, der sich durch das Album zieht. Da wurde schon deutlich, dass sich thematisch Dinge wie Wahrheit, Wirklichkeitsversionen oder Realitätsflucht durchweg wiederfinden. Was natürlich auch der Zeit geschuldet ist, in der das Album entstand. Man kann auf jeden Fall verschiedene Bedeutungsebenen reinlesen. Als Beispiel: Das Coverbild des Albums zeigt das Dorf in der Fränkischen Schweiz, in dem wir das Album eingespielt haben. Der Ort ist gleichzeitig Idylle und Tristesse. Er ist komplett weg vom Schuss, aber während wir dort waren, war es das Zentrum unserer Wirklichkeit. Und die Sonne, die offensichtlich in das Coverfoto reinmontiert ist, steht ein bisschen für den Versuch, Licht in eine relativ dunkle Zeit zu bringen.
Ist das Album eine Verarbeitung der Pandemiezeit?
Nikolaus Durst: Man kann es, wenn man will, auf aktuelle politische Situationen – Stichwort Corona oder Verschwörungen – beziehen.
Ist es ein Konzeptalbum, stehen die einzelnen Stücke in einer thematischen Beziehung zueinander?
Thomas Kießlich: Nein.
Nikolaus Durst: (lacht) Doch! Unser erstes Album war in gewisser Weise auch ein Konzeptalbum, wenn auch eher zufällig. Sein zentrales thematisches Element war die Realitätsflucht, aber aus einer noch ziemlich naiven und noch unreiferen, spaßorientierten Perspektive. Jetzt ist es so – wir sind auch alle ein bisschen älter geworden, Lebenskonzepte haben sich verändert –, dass es zwar immer noch Realitätsflucht gibt, aber viel weniger spaßorientiert. Die neue, heutige Wirklichkeit, die düsterer erscheinende Welt, sind Gründe dafür. 2018 war es schlimm, dass Trump Präsident war. Im Vergleich dazu ist es heute mit Pandemie und Krieg aber noch viel ärger. Und den roten Faden der heutigen Realitätsflucht kann man in viele, nicht alle, Titel des neuen Albums reinlesen.
Thomas Kießlich: Vielleicht kommt es darauf an, was man unter einem Konzeptalbum versteht. Wir haben nicht Pink-Floyd-mäßig opernartig ein Album mit Handlung produziert. Das ist es nicht. Wir haben ein zufälliges Konzeptalbum gemacht. Genau wie 2018 beim ersten Album herrschte eine Stimmungslage vor. Damals waren wir unpolitischer und spaßiger, was der Zeit geschuldet war. Das neue Album ist politischer und ernster.
Ist die Band auch ernster geworden?
Thomas Kießlich: (lacht) Weniger shiny vielleicht!
Nikolaus Durst: Das zweite Album ist weniger naiv als das erste. Und, ja, auch reifer, wobei das so ein Standardmotiv bei allen Bands ist. Irgendwie ist es ja logisch, dass ein späteres Album immer eine gewisse Reife mit sich bringt – schon allein deshalb, weil man Produktionsprozesse und sich gegenseitig besser kennt. Es wäre schade oder falsch, wenn man nicht irgendwann von Reife sprechen könnte.
Wollt ihr als ernsthafter wahrgenommen werden?
Thomas Kießlich: Nö.
Nikolaus Durst: Da mache ich mir auch keine Sorgen. Es ist schön, auf dem Album was Neues zu sagen zu haben. Aber live ist es schon so, dass die Leute in erster Linie kommen, weil sie feiern wollen. Aber es ist nicht verkehrt, dass sie gleichzeitig wissen, wo und wofür wir stehen.
Seid ihr besser geworden?
Thomas Kießlich: Wir müssen erst noch sehen, wie weit wir mit den neuen Songs Konzertpublikum mitreißen können. Das ist ein Qualitätskriterium, dem wir uns unterziehen möchten.
Was ist die Wirklichkeit von Bands nach zwei Jahren Pandemie?
Nikolaus Durst: Schwer zu sagen. Ich habe Ende März ein Konzert im Live-Club gesehen und dachte mir: Das ist ja alles wieder so wie früher.
Thomas Kießlich: Ich glaube, das kommt extrem darauf an, wo man hinschaut. In unserem Fall, oder im Fall von Bands wie uns, ist es ja so, dass die Musik, ökonomisch gesehen, nicht mal ein zweites, sondern eher ein drittes Standbein ist. Die Pandemie hat uns also eigentlich nicht aus der Bahn geworfen. Bands, die von der Musik und dem Touren leben müssen, sind aber glaube ich derzeit ganz schön am Arsch. Auch was das Überleben von Clubs oder Spielorten angeht, wird man erst noch sehen müssen, was sich da im negativen Sinne getan hat. In Bamberg hat mit dem Mojow gerade einer der letzten Clubs zugemacht.
Nikolaus Durst: Auf der Seite der Bands gibt es aber immer noch unglaublich viel. Gerade die Bands, die es hobbymäßig machen, oder als professionalisiertes Hobby, wie wir, können ja weitermachen im Proberaum. Es haben auch sehr viele Bands Alben produziert. Man verschiebt seinen Fokus und macht auf andere Weise weiter, auch wenn man nicht auf Tournee geht.
Thomas Kießlich: Insofern glaube ich, dass es für uns wahnsinnig wichtig war, in der Lockdownzeit das Album zu machen. Ohne dieses Projekt wäre die Band in dieser Zeit sonst wahrscheinlich eingeschlafen.
Nikolaus Durst: Einerseits hat das Album die Band am Leben gehalten, andererseits hat es uns an die Grenzen gebracht. Sechs Leute, acht Meinungen, wie gesagt (lacht).
Thomas, du schreibst die Texte von Dr. Umwuchts Tanzpalast. Wie weit dürfen dir die anderen reinreden?
Thomas Kießlich: Kaum. Aber interessieren tut es mich trotzdem.
Nikolaus, du bist für die musikalischen Arrangements zuständig. Bist du derjenige in der Band der sagt „so wird es gemacht und so nicht“?
Nikolaus Durst: (lacht) Öfter „so nicht“. Wenn ich nicht da wäre, würden alle gleichzeitig spielen. Ich sage lediglich, dass zwei oder drei Leute an der einen oder anderen Stelle nicht spielen sollen – das heißt es, bei uns Arrangeur zu sein.
Die ersten drei Stücke von „Im Zentrum der Wirklichkeit“ haben ein Saxophon-Intro. Warum?
Thomas Kießlich: Das ist die Schuld des Arrangeurs (lacht).
Nikolaus Durst: Ja, die Titelliste ist von mir. Mit Zustimmung der anderen. Die ersten drei Songs sind die, die am ehesten nach Dr. Umwucht von 2018 klingen. Sie holen die Leute quasi dort ab, wo wir vor dem neuen Album standen. Dass sie aber alle drei mit Saxophon beginnen, ist ein Zufall.
Dr. Umwuchts Tanzpalast hat auch personelle Wechsel hinter sich. An Percussion, Banjo und Synthesiser hat Christian Balling Jakob Fischer ersetzt. Wie kams?
Nikolaus Durst: Jakob ist nach Hamburg gegangen, um sich dort künstlerisch selbstständig zu machen. In Bamberg ist das natürlich nur in Grenzen möglich, die es in Hamburg nicht gibt – keine Frage. Aber natürlich hat er hier einige Projekte liegenlassen. Für seine Nachfolge haben wir dann tatsächlich ein Casting gemacht. Wir hatten drei Leute zur Auswahl. Chris Balling ist ein unglaublich guter Percussionist und kann auch Klavier spielen. Er hat seine Stelle in der Band gefunden und füllt sie aus.
Für zwei Stücke des neuen Albums habt ihr euch Gäste eingeladen: Die Sängerin Malonda ist auf „Erzähl’ mir nichts“ dabei und Rainer von Vielen singt auf „Die Wahrheit“ mit. Warum diese beiden?
Nikolaus Durst: Als wir das Album kreierten, stand auch die Frage im Raum, einmal Gäste dabei zu haben. Malonda kennen wir vom Kontaktfestival 2019 und über eine gemeinsame Freundin. Sie ist aus Berlin, wo sie auch aktivistisch viel macht. Sie hat von ihrem Konzert ein gutes Verhältnis zu Bamberg und irgendwann war sie dann bei uns im Studio.
Thomas Kießlich: Wir haben das Lied live zusammen eingesungen, ohne uns vorher zu kennen. Es war natürlich einiges an Aneinanderhintasten. Aber der Song war quasi fertig und es hat ziemlich schnell gepasst.
Und mit Rainer von Vielen?
Thomas Kießlich: Rainer ist wie Nikolaus und ich aus dem Allgäu und wir kennen uns von einigen Begegnungen auf Festivals. Außerdem hat Andi, unser Gitarrist, schon öfter mit ihm gearbeitet. Also haben wir angefragt. Sein Beitrag zu unserem Album ist aber tatsächlich ohne persönlichen Kontakt entstanden. Wir haben ihm die Aufnahme des Lieds zugeschickt und er hat seinen Spur darauf gesungen.
Gibt es schon Pläne für ein drittes Album?
Thomas Kießlich: (lacht) Oh je! Exponentielles Wachstum – in 16 Jahren. Ich bin ja der Älteste in der Band und habe noch am meisten diese 1980-er-Vorstellung verinnerlicht, ein Album zu schreiben und es zu veröffentlichen. Aber es gibt jüngere Bandkollegen, die eher so im Social-Media-Zeitalter leben, andere Ideen zur Veröffentlichungspraxis haben und sagen, dass man zwischendurch auch einfach mal ein paar einzelne Songs online veröffentlichen kann. Mal schauen.