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Dr. Umwuchts Tanzpalast

Ein­ge­holt von der Wirklichkeit

Neu­es Album von Dr. Umwuchts Tanzpalast

Das Bam­ber­ger Sex­tett Dr. Umwuchts Tanz­pa­last hat den Pan­de­mie­still­stand genutzt, um sein zwei­tes Album auf­zu­neh­men. Und, um sich von ihm und sei­ner The­men­la­ge inspi­rie­ren zu las­sen. Ent­spre­chend sind die 12 Stü­cke von „Im Zen­trum der Wirk­lich­keit“ erns­ter gewor­den als jene des Vor­gän­ger-Albums waren.

2010 gegrün­det, eher als gutelau­ne­ori­en­tier­te Band – die ers­te EP-Ver­öf­fent­li­chung hieß „Bügel­hits für Mut­ti“ –, began­nen Dr. Umwuchts Tanz­pa­last, ers­te Stra­ßen­mu­sik­auf­trit­te und Kon­zer­te bei klei­ne­ren Fes­ti­vals zu spie­len. Wei­te­re und grö­ße­re Kon­zert­tour­neen und zwei Wech­sel in der Beset­zung spä­ter ver­öf­fent­lich­te die Band 2018 ihr Debüt­al­bum „Frei­zeit als Beruf“. Mit­te Mai die­sen Jah­res folgt das Zweit­werk „Im Zen­trum der Wirk­lich­keit“. Der Nach­fol­ger ist erns­ter aus­ge­fal­len und gleich­sam Pro­dukt einer erns­ter gewor­de­nen Welt: Es wird ange­spielt auf Ver­schwö­rungs­my­then, Asyl­po­li­tik und Wirk­lich­keits­flucht. Das obe­re Qua­li­täts­kri­te­ri­um auf der Büh­ne – im Som­mer ist eine Tour­nee geplant – besteht aber nach wie vor dar­in, das Publi­kum zu unter­hal­ten und mitzureißen.

Nach einem erneu­ten per­so­nel­len Wech­sel sind Dr. Umwuchts Tanz­pa­last heu­te David Grimm am Schlag­zeug, Saxo­pho­nist Rai­mund Schlenk, Gitar­rist Andre­as Klenk, Neu­zu­gang Chris­ti­an Bal­ling an Per­kus­si­on, Ban­jo und Syn­the­si­zer und unse­re bei­den Inter­view­part­ner Sän­ger, Gitar­rist und Pia­nist Tho­mas Kieß­lich und Bas­sist Niko­laus Durst.

Dr. Umwuchts Tanzpalast
Niko­laus Durst (links) und Tho­mas Kieß­lich, Foto: S. Quenzer
Tho­mas, Niko­laus, zwi­schen eurem ers­ten Album und dem bald erschei­nen­den zwei­ten sind vier Jah­re ver­gan­gen. Wie kam der rela­tiv lan­ge Zeit­raum zustande?

Tho­mas Kieß­lich: (lacht) Oh nein, wun­der Punkt, Abbruch, Abbruch! Die Müh­len des Plat­ten­ge­schäfts mah­len lang­sam, spe­zi­ell bei einer selbst­ver­wal­te­ten Band. Es ist allein schon ein Jahr her, dass wir das Album auf­ge­nom­men haben.

Niko­laus Durst: Wir haben den Umstand, dass Pan­de­mie war, aber auch bewusst genutzt – es gab kei­nen Ver­öf­fent­li­chungs­druck, weil alles still­stand. Unser ers­tes Album hat­ten wir in einem Febru­ar auf­ge­nom­men und im dar­auf­fol­gen­den Mai ver­öf­fent­licht. Das waren drei Mona­te Stress. Also dach­ten wir, den Ver­öf­fent­li­chungs-Pro­zess dies­mal zu ent­zer­ren, weil ja sowie­so kei­ne Kon­zer­te statt­fin­den konnten.

Hat das funktioniert?

Niko­laus Durst: Nein, stres­sig ist es trotz­dem gewor­den. Wir haben von der Initia­ti­ve Musik, eine För­der­ein­rich­tung der Bun­des­re­gie­rung und der Musik­bran­che für die deut­sche Musik­wirt­schaft, ja eine För­de­rung bekom­men. Das gab zwar ziem­lich viel Geld, aber auch ent­spre­chen­den Ter­min­druck dahin­ter. Das hat alles noch­mal rausgezögert.

Tho­mas Kieß­lich: 2018 kam unser ers­tes Album raus und wir haben zwei Jah­re lang eigent­lich nur Kon­zer­te gespielt und kaum neue Sachen geschrie­ben. Erst danach haben wir uns gedacht, wie­der mal etwas zu tun. Dann kam Coro­na und wir hat­ten die Zeit dazu. Das Schrei­ben ging sogar leich­ter von der Hand als die Produktion.

Gab es band­in­ter­ne Dif­fe­ren­zen, die die Zeit zwi­schen den Alben noch ver­län­gert haben?

Niko­laus Durst: Die gab es, die gibt es und die wird es geben.

Tho­mas Kieß­lich: Sechs Leu­te, acht Mei­nun­gen ist unser Slo­gan. Wir sind auch kei­ne 22 mehr. Jeder von uns hat so unter­schied­li­che Lebens­füh­rungs­the­men – Arbeit, Fami­lie, Kin­der, Vater­schaf­ten, die sich in der Band immer wei­ter ausdehnen.

Niko­laus Durst: Beim ers­ten Album hat­ten wir schon drei Kin­der. Beim zwei­ten Album sind es sechs und wir dis­ku­tie­ren schon, ob es beim drit­ten Album dann neun Kin­der sein wer­den. Oder zwölf – je nach­dem, ob wir uns line­ar oder expo­nen­ti­ell vermehren.

Ist es künst­le­risch zuträg­lich, vie­le Kin­der zu haben?

Niko­laus Durst: Nein!

Tho­mas Kieß­lich: Ganz kla­res Nein!

Der Titel des neu­en Albums lau­tet „Im Zen­trum der Wirk­lich­keit“. Was ist das Zen­trum der Wirklichkeit?

Tho­mas Kieß­lich: Wir haben lan­ge nach einem Titel, das heißt, nach einem roten Faden gesucht, der sich durch das Album zieht. Da wur­de schon deut­lich, dass sich the­ma­tisch Din­ge wie Wahr­heit, Wirk­lich­keits­ver­sio­nen oder Rea­li­täts­flucht durch­weg wie­der­fin­den. Was natür­lich auch der Zeit geschul­det ist, in der das Album ent­stand. Man kann auf jeden Fall ver­schie­de­ne Bedeu­tungs­ebe­nen rein­le­sen. Als Bei­spiel: Das Cover­bild des Albums zeigt das Dorf in der Frän­ki­schen Schweiz, in dem wir das Album ein­ge­spielt haben. Der Ort ist gleich­zei­tig Idyl­le und Tris­tesse. Er ist kom­plett weg vom Schuss, aber wäh­rend wir dort waren, war es das Zen­trum unse­rer Wirk­lich­keit. Und die Son­ne, die offen­sicht­lich in das Cover­fo­to rein­mon­tiert ist, steht ein biss­chen für den Ver­such, Licht in eine rela­tiv dunk­le Zeit zu bringen.

Ist das Album eine Ver­ar­bei­tung der Pandemiezeit?

Niko­laus Durst: Man kann es, wenn man will, auf aktu­el­le poli­ti­sche Situa­tio­nen – Stich­wort Coro­na oder Ver­schwö­run­gen – beziehen.

Ist es ein Kon­zept­al­bum, ste­hen die ein­zel­nen Stü­cke in einer the­ma­ti­schen Bezie­hung zueinander?

Tho­mas Kieß­lich: Nein.

Niko­laus Durst: (lacht) Doch! Unser ers­tes Album war in gewis­ser Wei­se auch ein Kon­zept­al­bum, wenn auch eher zufäl­lig. Sein zen­tra­les the­ma­ti­sches Ele­ment war die Rea­li­täts­flucht, aber aus einer noch ziem­lich nai­ven und noch unrei­fe­ren, spaß­ori­en­tier­ten Per­spek­ti­ve. Jetzt ist es so – wir sind auch alle ein biss­chen älter gewor­den, Lebens­kon­zep­te haben sich ver­än­dert –, dass es zwar immer noch Rea­li­täts­flucht gibt, aber viel weni­ger spaß­ori­en­tiert. Die neue, heu­ti­ge Wirk­lich­keit, die düs­te­rer erschei­nen­de Welt, sind Grün­de dafür. 2018 war es schlimm, dass Trump Prä­si­dent war. Im Ver­gleich dazu ist es heu­te mit Pan­de­mie und Krieg aber noch viel ärger. Und den roten Faden der heu­ti­gen Rea­li­täts­flucht kann man in vie­le, nicht alle, Titel des neu­en Albums reinlesen.

Tho­mas Kieß­lich: Viel­leicht kommt es dar­auf an, was man unter einem Kon­zept­al­bum ver­steht. Wir haben nicht Pink-Floyd-mäßig opern­ar­tig ein Album mit Hand­lung pro­du­ziert. Das ist es nicht. Wir haben ein zufäl­li­ges Kon­zept­al­bum gemacht. Genau wie 2018 beim ers­ten Album herrsch­te eine Stim­mungs­la­ge vor. Damals waren wir unpo­li­ti­scher und spa­ßi­ger, was der Zeit geschul­det war. Das neue Album ist poli­ti­scher und ernster.

Ist die Band auch erns­ter geworden?

Tho­mas Kieß­lich: (lacht) Weni­ger shi­ny vielleicht!

Niko­laus Durst: Das zwei­te Album ist weni­ger naiv als das ers­te. Und, ja, auch rei­fer, wobei das so ein Stan­dard­mo­tiv bei allen Bands ist. Irgend­wie ist es ja logisch, dass ein spä­te­res Album immer eine gewis­se Rei­fe mit sich bringt – schon allein des­halb, weil man Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se und sich gegen­sei­tig bes­ser kennt. Es wäre scha­de oder falsch, wenn man nicht irgend­wann von Rei­fe spre­chen könnte.

Wollt ihr als ernst­haf­ter wahr­ge­nom­men werden?

Tho­mas Kieß­lich: Nö.

Niko­laus Durst: Da mache ich mir auch kei­ne Sor­gen. Es ist schön, auf dem Album was Neu­es zu sagen zu haben. Aber live ist es schon so, dass die Leu­te in ers­ter Linie kom­men, weil sie fei­ern wol­len. Aber es ist nicht ver­kehrt, dass sie gleich­zei­tig wis­sen, wo und wofür wir stehen.

Seid ihr bes­ser geworden?

Tho­mas Kieß­lich: Wir müs­sen erst noch sehen, wie weit wir mit den neu­en Songs Kon­zert­pu­bli­kum mit­rei­ßen kön­nen. Das ist ein Qua­li­täts­kri­te­ri­um, dem wir uns unter­zie­hen möchten.

Was ist die Wirk­lich­keit von Bands nach zwei Jah­ren Pandemie?

Niko­laus Durst: Schwer zu sagen. Ich habe Ende März ein Kon­zert im Live-Club gese­hen und dach­te mir: Das ist ja alles wie­der so wie früher.

Tho­mas Kieß­lich: Ich glau­be, das kommt extrem dar­auf an, wo man hin­schaut. In unse­rem Fall, oder im Fall von Bands wie uns, ist es ja so, dass die Musik, öko­no­misch gese­hen, nicht mal ein zwei­tes, son­dern eher ein drit­tes Stand­bein ist. Die Pan­de­mie hat uns also eigent­lich nicht aus der Bahn gewor­fen. Bands, die von der Musik und dem Tou­ren leben müs­sen, sind aber glau­be ich der­zeit ganz schön am Arsch. Auch was das Über­le­ben von Clubs oder Spiel­or­ten angeht, wird man erst noch sehen müs­sen, was sich da im nega­ti­ven Sin­ne getan hat. In Bam­berg hat mit dem Mojow gera­de einer der letz­ten Clubs zugemacht.

Niko­laus Durst: Auf der Sei­te der Bands gibt es aber immer noch unglaub­lich viel. Gera­de die Bands, die es hob­by­mä­ßig machen, oder als pro­fes­sio­na­li­sier­tes Hob­by, wie wir, kön­nen ja wei­ter­ma­chen im Pro­be­raum. Es haben auch sehr vie­le Bands Alben pro­du­ziert. Man ver­schiebt sei­nen Fokus und macht auf ande­re Wei­se wei­ter, auch wenn man nicht auf Tour­nee geht.

Tho­mas Kieß­lich: Inso­fern glau­be ich, dass es für uns wahn­sin­nig wich­tig war, in der Lock­down­zeit das Album zu machen. Ohne die­ses Pro­jekt wäre die Band in die­ser Zeit sonst wahr­schein­lich eingeschlafen.

Niko­laus Durst: Einer­seits hat das Album die Band am Leben gehal­ten, ande­rer­seits hat es uns an die Gren­zen gebracht. Sechs Leu­te, acht Mei­nun­gen, wie gesagt (lacht).

Tho­mas, du schreibst die Tex­te von Dr. Umwuchts Tanz­pa­last. Wie weit dür­fen dir die ande­ren reinreden?

Tho­mas Kieß­lich: Kaum. Aber inter­es­sie­ren tut es mich trotzdem.

Niko­laus, du bist für die musi­ka­li­schen Arran­ge­ments zustän­dig. Bist du der­je­ni­ge in der Band der sagt „so wird es gemacht und so nicht“?

Niko­laus Durst: (lacht) Öfter „so nicht“. Wenn ich nicht da wäre, wür­den alle gleich­zei­tig spie­len. Ich sage ledig­lich, dass zwei oder drei Leu­te an der einen oder ande­ren Stel­le nicht spie­len sol­len – das heißt es, bei uns Arran­geur zu sein.

Die ers­ten drei Stü­cke von „Im Zen­trum der Wirk­lich­keit“ haben ein Saxo­phon-Intro. Warum?

Tho­mas Kieß­lich: Das ist die Schuld des Arran­geurs (lacht).

Niko­laus Durst: Ja, die Titel­lis­te ist von mir. Mit Zustim­mung der ande­ren. Die ers­ten drei Songs sind die, die am ehes­ten nach Dr. Umwucht von 2018 klin­gen. Sie holen die Leu­te qua­si dort ab, wo wir vor dem neu­en Album stan­den. Dass sie aber alle drei mit Saxo­phon begin­nen, ist ein Zufall.

Dr. Umwuchts Tanz­pa­last hat auch per­so­nel­le Wech­sel hin­ter sich. An Per­cus­sion, Ban­jo und Syn­the­sis­er hat Chris­ti­an Bal­ling Jakob Fischer ersetzt. Wie kams?

Niko­laus Durst: Jakob ist nach Ham­burg gegan­gen, um sich dort künst­le­risch selbst­stän­dig zu machen. In Bam­berg ist das natür­lich nur in Gren­zen mög­lich, die es in Ham­burg nicht gibt – kei­ne Fra­ge. Aber natür­lich hat er hier eini­ge Pro­jek­te lie­gen­las­sen. Für sei­ne Nach­fol­ge haben wir dann tat­säch­lich ein Cas­ting gemacht. Wir hat­ten drei Leu­te zur Aus­wahl. Chris Bal­ling ist ein unglaub­lich guter Per­cus­sio­nist und kann auch Kla­vier spie­len. Er hat sei­ne Stel­le in der Band gefun­den und füllt sie aus.

Für zwei Stü­cke des neu­en Albums habt ihr euch Gäs­te ein­ge­la­den: Die Sän­ge­rin Mal­on­da ist auf „Erzähl’ mir nichts“ dabei und Rai­ner von Vie­len singt auf „Die Wahr­heit“ mit. War­um die­se beiden?

Niko­laus Durst: Als wir das Album kre­ierten, stand auch die Fra­ge im Raum, ein­mal Gäs­te dabei zu haben. Mal­on­da ken­nen wir vom Kon­takt­fes­ti­val 2019 und über eine gemein­sa­me Freun­din. Sie ist aus Ber­lin, wo sie auch akti­vis­tisch viel macht. Sie hat von ihrem Kon­zert ein gutes Ver­hält­nis zu Bam­berg und irgend­wann war sie dann bei uns im Studio.

Tho­mas Kieß­lich: Wir haben das Lied live zusam­men ein­ge­sun­gen, ohne uns vor­her zu ken­nen. Es war natür­lich eini­ges an Anein­an­der­hin­tas­ten. Aber der Song war qua­si fer­tig und es hat ziem­lich schnell gepasst.

Und mit Rai­ner von Vielen?

Tho­mas Kieß­lich: Rai­ner ist wie Niko­laus und ich aus dem All­gäu und wir ken­nen uns von eini­gen Begeg­nun­gen auf Fes­ti­vals. Außer­dem hat Andi, unser Gitar­rist, schon öfter mit ihm gear­bei­tet. Also haben wir ange­fragt. Sein Bei­trag zu unse­rem Album ist aber tat­säch­lich ohne per­sön­li­chen Kon­takt ent­stan­den. Wir haben ihm die Auf­nah­me des Lieds zuge­schickt und er hat sei­nen Spur dar­auf gesungen.

Gibt es schon Plä­ne für ein drit­tes Album?

Tho­mas Kieß­lich: (lacht) Oh je! Expo­nen­ti­el­les Wachs­tum – in 16 Jah­ren. Ich bin ja der Ältes­te in der Band und habe noch am meis­ten die­se 1980-er-Vor­stel­lung ver­in­ner­licht, ein Album zu schrei­ben und es zu ver­öf­fent­li­chen. Aber es gibt jün­ge­re Band­kol­le­gen, die eher so im Social-Media-Zeit­al­ter leben, ande­re Ideen zur Ver­öf­fent­li­chungs­pra­xis haben und sagen, dass man zwi­schen­durch auch ein­fach mal ein paar ein­zel­ne Songs online ver­öf­fent­li­chen kann. Mal schauen.