Tricksen beim Kurzarbeitergeld: Betriebe in ganz Bayern entdecken die Kurzarbeit, um damit Krankheitsphasen von Beschäftigten zu überbrücken. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) spricht
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„Plötzlich Kurzarbeit statt Krankheit“
Unternehmen tricksen beim Kurzarbeitergeld
Tricksen beim Kurzarbeitergeld: Betriebe in ganz Bayern entdecken die Kurzarbeit, um damit Krankheitsphasen von Beschäftigten zu überbrücken. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) spricht von einem „neuen Trend“ und fordert gezielte Kontrollen durch Arbeitsagentur und Zoll.
„Die Fälle häufen sich. Wir haben es hier mit einem Muster zu tun. Es ist immer das gleiche: Beschäftigte werden krank. Und plötzlich entdeckt der Arbeitgeber, dass es günstiger ist, Kurzarbeitergeld zu beantragen anstatt selbst den Lohn im Krankheitsfall weiter zu bezahlen, wie es üblich und vorgeschrieben ist“, sagt Mustafa Öz.
Der Vorsitzende des NGG-Landesbezirks Bayern spricht von einem „landesweiten Phänomen“, das quer durch viele Branchen gehe. „Es fängt bei der Destillerie an und endet in der Bäckerei. Tatsächlich kommen die meisten Fälle aus dem Bäckerhandwerk. Betroffen sind aber nicht nur Kleinstbetriebe. Auch regionale Marktführer gehen so vor, in vielen Fällen offenbar um Lohnkosten zu sparen“, so Bayerns NGG-Chef Mustafa Öz.
Wenn das Kurzarbeitergeld die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ersetze, dann profitiere nur einer: das Unternehmen. „Die Beschäftigten gucken in die Röhre. Aber nicht nur die“, macht NGG-Rechtsexperte Torben Ackermann deutlich. Der Leiter der Rechtsschutzabteilung der Gewerkschaft rechnet vor: Der Beschäftigte bekomme in der Regel lediglich 60 Prozent Kurzarbeitergeld vom Lohn, also 40 Prozent weniger als er bei einer regulären Fortzahlung des Lohns im Portemonnaie hätte. „Kein voller Lohn – das bedeutet automatisch auch weniger Beiträge, die an die Sozialversicherung abgeführt werden. Insgesamt also ein doppelter Schaden – geringere Einnahmen für die Sozialkassen und Kurzarbeitergeld, das die Arbeitsagentur zu Unrecht zahlt“, so Ackermann. Denn in der Praxis finde Kurzarbeit kaum noch statt. In den meisten Branchen herrsche Personalnot, so die NGG Bayern. Überstunden und Sonderschichten seien gerade im Bereich der Lebensmittelherstellung an der Tagesordnung. „Die meisten Unternehmen machen längst wieder normale Umsätze und fahren satte Gewinne ein. In diesen Betrieben ist von Kurzarbeit weit und breit keine Spur“, sagt NGG-Landeschef Mustafa Öz.
Die NGG Bayern ist deshalb jetzt an die Arbeitsagentur und an die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls herangetreten. Beide sollen diese Kurzarbeitergeldfälle „verschärft prüfen“. Immerhin hätten Betriebe noch bis zum Ende des Jahres die Möglichkeit, den „KuG-statt-Lohn-Trick“ anzuwenden. Gezielte Kontrollen in Bayern seien in den kommenden Wochen notwendig, um möglichen Betrugsfällen einen Riegel vorzuschieben, fordert die NGG. „Entscheidend ist, zu kontrollieren, ob für einen Krankheitszeitraum tatsächlich Kurzarbeit geplant war“, so der Bayern-Chef der NGG, Mustafa Öz. Darüber hinaus appelliert die NGG Bayern an Beschäftigte, ihre Arbeitspläne immer zu fotografieren, um „eine später inszenierte Kurzarbeit“ belegen zu können.
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Viele abgeschlossene Arbeitsverträge in der Region Bamberg befristet
NGG: Nächste Bundesregierung soll sachgrundlose Befristungen abschaffen
Kritik an unsicheren Jobs: In der Stadt Bamberg waren zuletzt 45 Prozent aller neu abgeschlossenen Arbeitsverträge befristet, im Landkreis 29 Prozent. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten fordert, die nächste Bundesregierung müsse das Problem dringend in den Griff kriegen und Befristungen eindämmen.
1.186 von insgesamt 2.661 Neueinstellungen in Bamberg und 497 von insgesamt 1.711 Neueinstellungen im Landkreis hatten im zweiten Quartal 2020 ein Verfallsdatum. Darauf macht die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) aufmerksam und beruft sich hierbei auf Zahlen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
„Befristete Jobs sind besonders stark im Lebensmittelhandwerk und im Gastgewerbe, aber auch in der Ernährungsindustrie verbreitet – und können gerade für jüngere Beschäftigte zur Falle werden“, sagt Michael Grundl, Geschäftsführer der NGG-Region Oberfranken. Wer nur eine Stelle auf Zeit habe, bekomme etwa nur schwer eine Wohnung oder einen Kredit. Sogar die Familienplanung werde erschwert. Die nächste Bundesregierung müsse das Problem dringend in den Griff kriegen und Befristungen eindämmen.
Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) waren im vergangenen Jahr bundesweit 56 Prozent aller Neueinstellungen im Nahrungs- und Genussmittelgewerbe befristet. Im Gastgewerbe lag die Quote mit 45 Prozent ebenfalls weit über dem branchenübergreifenden Durchschnitt von 38 Prozent. „Im Zuge der Corona-Pandemie können Befristungen für die Betroffenen zu einem großen Problem werden, weil viele Firmen ihre Arbeitsverträge auslaufen lassen“, warnt Grundl. Es sei überfällig, dass die Politik Befristungen ohne einen sogenannten Sachgrund eindämme. Als Sachgründe gelten etwa eine Elternzeitvertretung oder eine Probezeit.
Lasten der Corona-Krise gerecht verteilen
An die Beschäftigten aus den Branchen der NGG appelliert der Gewerkschafter, sich vor der Bundestagswahl über die Wahlprogramme der Parteien in puncto Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu informieren und am 26. September wählen zu gehen. „Am Thema Befristungen zeigt sich, wie sehr es auch auf die Stimme der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ankommt“, unterstreicht Grundl. Wer in der Region Bamberg in der Ernährungsindustrie, in Hotels und Gaststätten, Bäckereien oder Fleischereien arbeite, für den stehe bei dieser Wahl viel auf dem Spiel. „Denn wie viele Stunden die Menschen arbeiten müssen, welche Rente sie am Ende bekommen oder ob aus einem Minijob eine feste Stelle wird – das entscheidet sich auch bei der Bundestagswahl“, so Grundl.
Wichtig sei auch, dass die kommende Bundesregierung die Tarifbindung stärke. Laut IAB arbeiteten im letzten Jahr lediglich 45 Prozent aller westdeutschen Beschäftigten nach einem Branchentarifvertrag. Im Jahr 2000 waren es noch 63 Prozent. Zugleich fordert die Gewerkschaft NGG, die Lasten der Corona-Krise gerecht zu verteilen. „Es kann nicht sein, dass einzelne Unternehmen Dividende an ihre Aktionäre ausschütten, nachdem sie vom Staat großzügig mit dem Kurzarbeitergeld unterstützt wurden“, so Grundl. Unter dem Motto „Du hast die Wahl“ hat die NGG zentrale Forderungen zusammengetragen – den „Wahl-Check“ gibt es online unter: https://www.ngg.net/btw21.
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Dramatischer Personal-Schwund im Gastgewerbe
Gewerkschaft fordert bessere Arbeitsbedingungen in Hotels und Gaststätten
Supermarktkasse statt Biertheke: Im Zuge der Corona-Pandemie verzeichnen die Hotels und Gaststätten in der Region Bamberg eine dramatische Abwanderung von Fachkräften. Innerhalb des vergangenen Jahres haben in der Stadt rund 800 Köche, Servicekräfte und Hotelangestellte dem Gastgewerbe den Rücken gekehrt, im Kreis Landkreis rund 300, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unter Berufung auf jüngste Zahlen der Arbeitsagentur mitteilt.
Angesichts weiterer Lockdowns bis in den Mai hinein dürfte sich der Personal-Schwund bis heute nochmals zugespitzt haben, befürchtet Michael Grundl, Geschäftsführer der NGG-Region Oberfranken. „Viele Menschen schätzen es, nach langen Entbehrungen endlich wieder essen zu gehen oder zu reisen. Aber ausgerechnet in der Sommersaison fehlt einem Großteil der Betriebe schlicht das Personal, um die Gäste bewirten zu können“, so Grundl. Für die Lage macht der Gewerkschafter insbesondere die Einkommenseinbußen durch die Kurzarbeit verantwortlich: „Gastro- und Hotel-Beschäftigte arbeiten sowieso meist zu geringen Löhnen. Wenn es dann nur noch das deutlich niedrigere Kurzarbeitergeld gibt, wissen viele nicht, wie sie über die Runden kommen sollen.“
Wenn die gut ausgebildeten Fachkräfte in Anwalts- oder Arztpraxen die Büroorganisation übernehmen oder in Supermärkten zwei Euro mehr pro Stunde verdienen als in Hotels und Gaststätten, dürfe es niemanden überraschen, dass sich die Menschen neu orientierten. „Schon vor Corona stand das Gastgewerbe nicht gerade für rosige Arbeitsbedingungen. Unbezahlte Überstunden, ein rauer Umgangston und eine hohe Abbruchquote unter Azubis sind nur einige strukturelle Probleme. Die Unternehmen haben es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktiver zu machen. Das rächt sich jetzt“, kritisiert Grundl.
Wirte und Hoteliers hätten nun die Chance, die Branche neu aufzustellen. Zwar seien viele Firmen nach wie vor schwer durch die Pandemie getroffen. Doch wer künftig überhaupt noch Fachleute gewinnen wolle, müsse jetzt umdenken und sich zu armutsfesten Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen bekennen. Dazu seien Tarifverträge unverzichtbar, unterstreicht Grundl: „Am Ende geht es um einen Kulturwandel. Auch Servicekräfte haben ein Recht darauf, vor dem Dienst zu wissen, wann Feierabend ist. Sie haben Anspruch auf eine anständige Bezahlung – unabhängig vom Trinkgeld. Und auf eine faire Behandlung durch den Chef.“
Gastronomen, die das Mittagessen so günstig anböten, dass sie davon das Personal nicht mehr bezahlen könnten, machten ohnehin grundsätzlich etwas falsch. „Viele Gäste sind durchaus bereit, ein paar Cent mehr für die Tasse Kaffee zu bezahlen – gerade jetzt, wo den Menschen bewusst geworden ist, dass der Besuch im Stammlokal ein entscheidendes Stück Lebensqualität ist“, so Grundl.
Die Gewerkschaft NGG verweist zudem auf die umfassenden Finanzhilfen des Staates für angeschlagene Betriebe. So können sich Hotels und Gaststätten im Rahmen der Überbrückungshilfen in diesem Monat bis zu 60 Prozent der Personalkosten bezuschussen lassen, wenn sie Angestellte aus der Kurzarbeit zurückholen (Restart-Prämie). „Klar ist: Köchinnen, Kellner und Co. freuen sich darauf, endlich wieder Gäste empfangen zu können. Viele arbeiten mit großer Leidenschaft im Service. Auf diese Motiviation können die Betriebe bauen – und sollten das Personal nicht erneut durch prekäre Löhne und schlechte Arbeitszeiten verprellen“, so Grundl weiter.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit beschäftigte das Hotel- und Gaststättengewerbe in der Region Bamberg zum Jahreswechsel 4.211 Menschen. Genau ein Jahr zuvor – vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie – waren es noch 5.327. Damit haben innerhalb von zwölf Monaten 20 Prozent der Beschäftigten die Branche verlassen.
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Dramatische Lage im Bamberger Gastgewerbe
Gewerkschaft NGG fordert Mindest-Kurzarbeitergeld
Angesichts weiterhin geschlossener Restaurants, Cafés und Hotels in Stadt und Landkreis Bamberg macht die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) auf die wachsende Notlage der Beschäftigten aufmerksam – und fordert die Einführung eines Mindest-Kurzarbeitergeldes von 1.200 Euro im Monat. Die NGG geht davon aus, dass die Kurzarbeit aktuell erneut die Ausmaße des Lockdowns vom Frühjahr vergangenen Jahres angenommen hat. Damals meldeten 183 gastgewerbliche Betriebe in der Stadt Bamberg – das sind 75 Prozent aller Betriebe der Branche in der Stadt – und 142 Betriebe im Kreis Bamberg – 66 Prozent aller Betriebe – Kurzarbeit an.
Die Zahl der Köchinnen, Kellner und Hotelfachleute in Kurzarbeit stieg im April 2020 auf 1.357 in der Stadt, auf 703 im Landkreis. Dies geht aus einer Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit hervor. Nach Angaben des Ifo-Instituts waren im Januar 2021 bundesweit 56 Prozent aller Beschäftigten des Gastgewerbes in Kurzarbeit. Zum Vergleich: In der Gesamtwirtschaft lag die Quote bei lediglich 7,8 Prozent.
„Im Unterschied zu anderen Branchen dauert der derzeitige Lockdown für die Gastronomie und Hotellerie immerhin schon seit Anfang November. Die Beschäftigten wissen nicht mehr, wie sie noch ihre Miete bezahlen sollen. Ihre letzten Reserven sind längst aufgebraucht. Und es könnten noch Monate vergehen, bis Hotels und Gaststätten wieder öffnen“, sagt Michael Grundl, Geschäftsführer der NGG-Region Oberfranken. „Wegen ohnehin niedriger Löhne und fehlender Trinkgelder spitzt sich die Lage der Beschäftigten auch in Bamberg und dem Landkreis dramatisch zu. Ohne schnelle und unbürokratische Hilfe drohen den Menschen existentielle Probleme“, betont Grundl.
Zusammen mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat die NGG deshalb Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Koalitionsspitzen in einem offenen Brief aufgefordert, ein branchenübergreifendes Mindest-Kurzarbeitergeld in Höhe von 1.200 Euro pro Monat einzuführen. Am 11. Februar debattiert auch der Deutsche Bundestag über das Thema. Außerdem haben ver.di und die NGG eine Online-Petition zum Mindest-Kurzarbeitergeld gestartet. Weitere Informationen zu dieser gibt es unter https://www.ngg.net/mindest-kug
„Wenn die Politik Unternehmen mit enormen Steuermitteln unterstützt, um eine Pleitewelle zu verhindern, dann muss auch genug Geld für die da sein, die jetzt jeden Cent zweimal umdrehen müssen“, sagt Michael Grundl. Gerade in kleineren Pensionen und Gaststätten in der Region verdienten viele Beschäftigte kaum mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Eine Kellnerin, die in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, kommt im ersten Bezugsmonat auf nur 728 Euro Kurzarbeitergeld (ledig, ohne Kinder, Kirchensteuer), so die NGG. Selbst nach der Erhöhung auf 80 Prozent des Einkommens, wie sie nach sieben Monaten Kurzarbeit greift, bleiben nur 971 Euro im Monat.