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Gott ist nicht schüchtern

Pre­mie­re bei erst­mals wie­der 50 Pro­zent Auslastung

Gott ist nicht schüchtern

Am ver­gan­ge­nen Frei­tag fei­er­te Olga Grjas­no­was „Gott ist nicht schüch­tern“ Pre­mie­re im Bam­ber­ger ETA Hoff­mann Thea­ter. Eine beson­de­re Pre­mie­re, bei der erst­mals seit lan­gem wie­der 50 Pro­zent Aus­las­tung gestat­tet und das Thea­ter ange­sichts die­ser Vor­ga­be aus­ver­kauft war.

Die Zuschaue­rin­nen und Zuschau­er erleb­ten bei der Pre­mie­re von „Gott ist nicht schüch­tern“ einen Thea­ter­abend, der auf beein­dru­cken­de Wei­se das Schick­sal jun­ger Men­schen im Ara­bi­schen Früh­ling mit den Mit­teln des Thea­ters erfahr­bar macht. Anhand der Bio­gra­fien ihrer Haupt­fi­gu­ren zeigt die Autorin, wie aus den Demons­tra­tio­nen, die zu Beginn noch von gro­ßen Hoff­nun­gen geprägt waren, ein Krieg entstand.

Ent­lang der Ereig­nis­se des sich ent­wi­ckeln­den Bür­ger­krie­ges ver­wan­deln sich die opti­mis­ti­schen Lebens­läu­fe der Figu­ren Hamm­ou­di, Amal und ihres Freunds Yous­sef zu Flucht­bio­gra­fien. Alle drei flie­hen über das Meer und erle­ben das Grau­en über­füll­ter Boo­te, ertrin­ken­der Men­schen und der Insel Mori­as. In Ber­lin, wäh­rend ihrer Asyl­ver­fah­ren, tref­fen sie zufäl­lig aufeinander.

Die Pre­mie­re von „Gott ist nicht schüch­tern“ woll­te sich auch der baye­ri­sche Staats­mi­nis­ter für Wis­sen­schaft und Kunst Bernd Sibler nicht ent­ge­hen las­sen. Die Vor­stel­lung gehör­te zu den ers­ten, die nach der Ände­rung des baye­ri­schen Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ge­set­zes wie­der vor 50% der maxi­ma­len Aus­las­tung statt­fin­den konnten.

Auch Ulri­ke Sie­ben­haar, Refe­ren­tin für Kul­tur und Welt­erbe der Stadt Bam­berg, zeig­te sich von dem Abend bewegt: „Die­se Insze­nie­rung hat eine Kraft und eine Wucht, die berührt und die herz­zer­rei­ßen­den Geschich­ten hin­ter der Flucht spür­bar macht.“

Nach der Pre­mie­re kamen Sibler, Sie­ben­haar sowie die baye­ri­sche Staats­mi­nis­te­rin für Euro­pa­an­ge­le­gen­hei­ten und Inter­na­tio­na­les, Mela­nie Huml, gemein­sam mit Inten­dan­tin Sibyl­le Broll-Pape im Foy­er zusam­men, um auf das gro­ße baye­ri­sche Thea­ter­high­light des Jah­res auf­merk­sam zu machen: Vom 13. bis 28. Mai fin­den die 38. Baye­ri­schen Thea­ter­ta­ge in Bam­berg statt. Gemein­sam wün­schen die Betei­lig­ten, dass dann noch mehr Zuschaue­rin­nen und Zuschau­er wie­der in die Thea­ter wer­den strö­men dürfen.

Pre­mie­re am ETA Hoff­mann Theater

Gott ist nicht schüchtern

Das ETA Hoff­mann Thea­ter insze­niert Olga Grjas­no­was Roman “Gott ist nicht schüch­tern”. Mit gro­ßer Aktua­li­tät zeich­net das Stück Bio­gra­fien syri­scher Geflüch­te­ter nach.

In Olga Grjas­no­was Roman „Gott ist nicht schüch­tern“ geht es um den soge­nann­ten Ara­bi­schen
Früh­ling, der 2011 auch in Syri­en vor allem die jun­ge Mit­tel- und Ober­schicht auf die Stra­ße brach­te. Die Autorin hat zahl­rei­che Inter­views mit Geflüch­te­ten geführt und in der Tür­kei, im Liba­non und in Grie­chen­land recher­chiert. Anhand der Bio­gra­fien ihrer Haupt­fi­gu­ren zeigt sie, wie aus den Demons­tra­tio­nen, die zu Beginn noch von gro­ßen Hoff­nun­gen geprägt waren, ein Krieg entstand.

In „Gott ist nicht schüch­tern“ lebt der jun­ge Chir­urg Hamm­ou­di in Paris und ver­bringt dort die glück­lichs­ten Jah­re sei­nes Lebens. Eines Tages muss er aber sei­nen Pass ver­län­gern las­sen und des­we­gen nach Syri­en in sei­ne Hei­mat­stadt Deir az-Zour rei­sen. Es ist der Früh­ling 2011 und auf den Stra­ßen pro­tes­tiert die Bevöl­ke­rung fried­lich für ein demo­kra­ti­sches Leben und gegen die Will­kür­herr­schaft von Prä­si­dent Baschar al-Assad. Hamm­ou­dis Pass­ver­län­ge­rung fällt aller­dings büro­kra­ti­scher Schi­ka­ne zum Opfer und er darf nicht mehr ausreisen.

Amal ist eine Toch­ter der syri­schen Ober­schicht, die sich in Damas­kus an den Demons­tra­tio­nen betei­ligt, um eine freie­re Zukunft zu ermög­li­chen. Doch das Regime beschat­tet sie, nimmt sie fest und ver­hört sie.

Ent­lang der Ereig­nis­se des sich ent­wi­ckeln­den Bür­ger­krie­ges ver­wan­deln sich die opti­mis­ti­schen Lebens­läu­fe Hamm­ou­dis, Amals und ihres Freunds Yous­sef zu Flucht­bio­gra­fien. Alle drei flie­hen über das Meer und erle­ben das Grau­en über­füll­ter Boo­te, ertrin­ken­der Men­schen und der Insel Morias.

In Ber­lin, wäh­rend ihrer Asyl­ver­fah­ren, tref­fen sie zufäl­lig auf­ein­an­der. Amal hasst es, sich nicht auf Deutsch ver­ständ­lich machen zu kön­nen und dass in den Behör­den nie­mand außer den Secu­ri­ty-Män­nern in der Lage ist, auch nur das pri­mi­tivs­te Eng­lisch zu spre­chen. Sie hasst es, als Mus­li­min und Schma­rot­ze­rin ange­se­hen zu wer­den, und sie hasst sich selbst.

Aktua­li­tät und Bamberg-Bezug

Für ihre ers­te Regie­ar­beit der aktu­el­len Spiel­zeit hat ETA-Inten­dan­tin Sibyl­le Broll-Pape zusam­men mit Dra­ma­tur­gie Petra Schil­ler eine Büh­nen­fas­sung des Romans erstellt, die sie nun außer­dem insze­niert. Maß­geb­lich für die Ent­schei­dung für die­ses Pro­jekt war vor allem die Aktua­li­tät der lite­ra­ri­schen Vor­la­ge und die Mög­lich­keit, sie auch auf Bam­berg zu beziehen.

„Seit Jah­ren“, sagt Sibyl­le Broll-Pape, „wird auf dem Gebiet Syri­ens ein Stell­ver­tre­ter­krieg geführt und die inter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft ringt schon genau­so lan­ge um eine poli­ti­sche Lösung des Kon­flikts. Assad hat bis 2020 über 100.000 Men­schen fest­neh­men las­sen. Vie­le davon sind nicht wie­der auf­ge­taucht. Der Fol­ter­tod von Zehn­tau­sen­den ist bewie­sen. Unzäh­li­ge Zivilist*innen sind gestor­ben bei Gift­gas­an­grif­fen, bei Atta­cken auf Wohn­vier­teln und geziel­ten Angrif­fen auf Spi­tä­ler und 12 bis 14 Mil­lio­nen Men­schen wur­den zu Flücht­lin­gen gemacht.“

Tau­sen­de der fast 800.000 Syre­rin­nen und Syrer, die den lebens­ge­fähr­li­chen Flucht­weg über das Mit­tel­meer oder über Land Euro­pa wag­ten, haben die­sen nicht über­lebt. Trotz die­ser erschüt­tern­der Zah­len ver­har­ren sol­che Ereig­nis­se in der west­li­chen Vor­stel­lung oft nur in der Fer­ne der Nach­rich­ten­welt. Mit der ANKER-Ein­rich­tung hat Bam­berg aller­dings eine Anlauf­stel­le für Geflüch­te­te. „Wir könn­ten allen drei­en, Hamm­ou­di, Amal und Yous­sef, hier auf den Stra­ßen begegnen.“

Kei­ne Diver­si­tät in der Besetzung

In der Insze­nie­rung von „Gott ist nicht schüch­tern“ über­neh­men Anto­nia Bockel­mann, Eli­as Rei­chert, Ste­fan Herr­mann, Phi­li­ne Büh­rer und Dani­el Seni­uk die Rol­len. Auf­fäl­lig an der Beset­zung ist jedoch, dass nie­mand mit ara­bi­schen Wur­zeln berück­sich­tigt wur­de, obwohl das Stück vom Leben syri­scher Geflüch­te­ter han­delt. Ist da Kri­tik auf­grund man­geln­der Diver­si­tät nicht programmiert?

Sibyl­le Broll-Pape sagt dazu: „Die Autorin selbst ver­weist dar­auf, dass Erfah­rung poli­ti­scher Ver­fol­gung, Ver­trei­bung und Flucht nicht neu sei­en. In den 30er- und 40er-Jah­ren waren es bei­spiels­wei­se vor allem Flücht­lin­ge aus Deutsch­land, die anders­wo um Auf­nah­me baten.“

Olga Grjas­no­was „Gott ist nicht schüch­tern“ leh­ne sich sogar expli­zit an deut­sche Exil­li­te­ra­tur an. „Es gibt Sze­nen, die direkt auf bei­spiels­wei­se Wer­ke von Erich Maria Remar­que ver­wei­sen. Olga Grjas­no­was jüdi­sche Groß­mutter muss­te mit 14 Jah­ren vor den Natio­nal­so­zia­lis­ten aus Weiß­russ­land flie­hen, bis ihr Weg sie irgend­wann nach Aser­bai­dschan führ­te und die selbst mit elf Jah­ren nach Deutsch­land kam. Das The­ma geht uns also alle an und der Kon­flikt in Syri­en kann stell­ver­tre­tend für so vie­le ande­re Krie­ge ver­stan­den wer­den. Außer­dem haben wir beim Erstel­len der Fas­sung, der Beset­zung und den Pro­ben ein Erzähl­kon­zept ent­wi­ckelt, das die urei­gens­ten Mit­tel von Thea­ter bedient und somit kei­ne nega­ti­ven Erzähl­mus­ter reproduziert.“

War­um Gott nicht schüch­tern ist

Beim Gott, auf den sich der Titel „Gott ist nicht schüch­tern“ bezieht, han­delt es sich um Baschar al-Assad. „Und der ist tat­säch­lich nicht gera­de schüch­tern“, sagt Sibyl­le Broll-Pape. „Amal, Yous­sef und Hamm­ou­di ste­hen im Zen­trum der Geschich­te. Ihre Gene­ra­ti­on ist die ers­te, die nichts außer der tota­len Herr­schaft des Assad-Regimes kennt, das wie eine gott­ge­ge­be­ne Ord­nung auf­tritt. Mehr noch: Assad ist grö­ßer als Gott, zumin­dest sug­ge­riert dies sei­ne Omni­prä­senz, und sei es in Form von Por­träts, die in jedem Win­kel des Lan­des hän­gen, wie Vogel­scheu­chen, die die Men­schen ängs­ti­gen und ver­trei­ben sol­len. So heißt es im Roman.“

Am 28. Janu­ar um 19:30 hat „Gott ist nicht schüch­tern“ Premiere.