13 Künstlerinnen und Künstler – sieben aus Deutschland und sechs aus Frankreich – erhalten ein Arbeitsstipendium im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia. Zusätzlich
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Villa Concordia
Stipendien für deutsche, französische und ukrainische Künstlerinnen und Künstler
13 Künstlerinnen und Künstler – sieben aus Deutschland und sechs aus Frankreich – erhalten ein Arbeitsstipendium im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia. Zusätzlich hat der Freistaat bereits Stipendien für 12 ukrainische Künstlerinnen und Künstler bewilligt.
Die neuen Stipendiatinnen und Stipendiaten wohnen und arbeiten während ihres Aufenthalts in Bamberg in der Villa Concordia. Zudem erhalten die Künstlerinnen und Künstler monatlich 1.500 Euro. Sie präsentieren ihre Arbeiten in Veranstaltungen der Concordia und bereichern damit im Idealfall das kulturelle Leben Bambergs.
Am 4. Mai um 19 Uhr begrüßt Nora-Eugenie Gomringer, Direktorin des Künstlerhauses, die neuen Stipendiaten im Garten der Villa und stellt sie der Öffentlichkeit vor. Überwiegend unter freiem Himmel sollen im Lauf des Jahres verschiedene Veranstaltungen folgen.
Sonderstipendium für ukrainische Künstlerinnen und Künstler
Neben den regulären deutschen und französischen Stipendiatinnen und Stipendiaten erhalten 2022 zusätzlich 12 ukrainische Künstlerinnen und Künstler, die nach Deutschland geflüchtet sind, ein Sonderstipendium. Es umfasst für die Dauer von fünf Monaten eine monatliche Zahlung von 1.500 Euro. Die Namen der 12 Männer und Frauen gibt die Villa Concordia in Kürze bekannt.
„Der diesjährige Künstlerhausjahrgang ist ein besonderer“, sagte Kunstminister Markus Blume dazu, der Ende März die Stipendiatinnen und Stipendiaten bekanntgab. „Mit den zusätzlich 12 Sonderstipendien lindern wir schnell und unkompliziert finanzielle Nöte und zeigen unsere Solidarität und Wertschätzung.“
Seit seiner Errichtung im Oktober 1997 lädt das Künstlerhaus in den Sparten Bildende Kunst, Literatur und Musik jedes Jahr Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und einem anderen Land ein. Das Arbeitsstipendium gilt für fünf oder elf Monate. Die Länge des Aufenthalts wählen die Künstlerinnen und Künstler selbst. Die ausländischen Stipendiaten der vergangenen Jahre kamen aus England, Norwegen, Polen, Schottland, Griechenland, Litauen, Slowenien und zuletzt aus Finnland.
2022 ziehen folgende deutsche und französische Künstlerinnen und Künstler in die Villa Concordia ein: In der Sparte Bildende Kunst kommen Garance Arcadias (F), Andreas Chwatal (D), Barbara Herold (D) und Melissa Mayer Galbraith (F). Im Bereich Literatur ziehen Barbara Fontaine (F), Nina Jäckle (D), Patricia Klobusiczky (D), Daniel Schreiber (D) und Géraldine Schwarz (F) ein. Und Carl Christian Bettendorf (D), Sasha J. Blondeau (F), Bastien David (F) und Andrea Neumann (D) sind die diesjährigen musikalischen Vertreterinnen und Vertreter.
Ausstellung „Porosity Playground“ im Kesselhaus
„Wir tragen keine fertigen Kunstwerke in den Ausstellungsraum“
Angeführt von Kuratorin und Bildhauerin Notburga Karl zeigt eine namenlose Kunst-Gruppe noch bis Mitte November ihre Ausstellung „Porosity Playground“ im Bamberger Kesselhaus. Das Besondere: Keine Ausstellung ist wie die andere, denn die Kunstwerke entstehen als Reaktion auf den jeweiligen Ausstellungsort erst vor Ort.
Seit 24. Oktober zeigen Notburga Karl, Thomas Trinkl, Sonja Engelhard, Carlos de Abreu, Pravdoliub Ivanov und das Duo Dan Dryer (Astrid Piethan und Jörg Koslowski) Skulpturen, Installationen und Malerei im Kesselhaus. In ihren Werken nehmen die Künstlerinnen und Künstler aus ihrer Sicht überkommene Wahrnehmungs- und Interpretationsmechanismen ins Visier und hinterfragen das Zusammenspiel zwischen Werk, Materialität und Ausstellungsort.
Anfang September haben wir Notburga Karl zum Interview über die Ausstellung „Porosity playground“ getroffen, als im Sinne der Herangehensweise noch nicht ganz klar war, was zu sehen sein würde.
Frau Karl, welche Bedeutung hat der Titel der Ausstellung „Porosity Playground“?
Notburga Karl: Porosity, also Durchlässigkeit, etwas Poröses, kann sich auf mehrere Dinge beziehen: Die Durchlässigkeit im Kopf, also das, was bewusst geschieht, wenn man Kunst betrachtet: Man stellt sich eine Materialität vor oder eine filternde, fragile Zustandsform oder auch etwas im übertragenen Sinn einen Übergangszustand, der durchlässig aber doch filternd ist. Auch etwas, das mit einem nicht-visuellen Zugang zu tun hat. Davon ausgehend kann die Art und Weise, Kunst zu sehen oder zu machen durchlässig oder fließend sein, was Interpretation oder Bedeutungszuweisung angeht. Playground spiegelt unser Ansinnen, uns als Künstlerinnen und Künstler immer mit großer Offenheit und Lockerheit auf Dinge einzulassen. Ein Möglichkeitsraum.
Was meinen Sie mit „nicht-visueller Zugang“?
Notburga Karl: Wir sind im Alltag darauf getrimmt, zu decodieren. Eine rote Ampel bedeutet stehenbleiben, eine grüne Ampel losgehen. Ob rot auch etwas anderes in uns auslösen kann, Emotionen zum Beispiel, spielt dabei keine Rolle. Es hat sich eingeschlichen, dass wir so auch Kunst betrachten. Man schaut hin, denkt, man weiß Bescheid und schaut wieder weg. Das geht bei unseren Arbeiten nicht. Es braucht eine Zeit des Einlassens, eine Art Bewusstwerdungsprozess, damit sich die Behauptung, die wir in den Werken formulieren, erhärten. Nur weil ein Raum wie das Kesselhaus ein Ort der Kunst ist, heißt das noch nicht, dass alles, was dort gemacht wird automatisch auch Kunst ist. Uns interessieren auch existenzielle Fragen wie: Was macht Kunst, wie kann sie sich eine Form oder Visualität geben – und was bedeutet das konkret fürs Kesselhaus, mit seiner starken Architektur und seiner Geschichte? Wir versuchen, den Kunstort sozusagen auf null zurückzusetzen, um ihn dann mit unseren Werken in seinen Bedeutungen neu zu besetzen.
Sie gehen also davon aus, dass das Publikum diese theoretische Seite der Ausstellung durchaus wahrnehmen und nicht, wie beschrieben, hin und wieder wegschauen wird?
Notburga Karl: Ja, das Publikum wird merken, dass es beim Betreten der Ausstellung vielleicht auch erstmal in ein Vakuum tritt, in dem es sich desorientiert fühlen könnte, weil die mitgebrachte Herangehensweise an Kunst und die bisherige Art und Weise, Kunst zu betrachten, nicht sofort greifen.
Ist es Teil des Ansinnens der Ausstellung, das Publikum zu desorientieren oder vielleicht sogar zu überfordern?
Notburga Karl: Ich finde es interessant, dass Sie desorientieren mit überfordern gleichsetzen. Eine neue oder andere Orientierung muss nicht automatisch negativ bewertet sein. Klar, es ist ein Verlassen der Komfortzone. Vielleicht ist es besser, die mögliche Reaktion des Publikums eher als verhaltend oder zurücktretend zu bezeichnen. Desorientieren klingt eher aggressiv, so als ob wir die Leuten vor den Kopf stoßen oder sie in ihrer etwaigen Unwissenheit bloßstellen wollen würden. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass die Leute von der Ausstellung etwas haben. Wir haben der Ausstellung vielleicht eine andere Verführungskunst gegeben als die üblichen Herangehensweisen bei Kunstbetrachtung – ein Aha-Erlebnis, das sich vielleicht auch erst zeitversetzt einstellt.
Trotzdem möchte die Ausstellung aber nicht so sehr mit Schauwerten für die Sinne beeindrucken, als mit ihrer abstrakten Theorie?
Notburga Karl: Eigentlich hoffen wir schon, die Leute auch auf der ästhetischen Ebene zu erreichen. In Kunst geht es immer auch um die Form. Wir werden zum Beispiel mit sowas wie Akustik oder Licht arbeiten, was den Raum auch füllt und ihn sinnlich wirken lässt. Wir wollen den Raum nicht durch unsere große Kunstgeste bekämpfen, sondern ihm eine neue Wirkung und begleitende Kommentierung verleihen.
Ein Teil dieses Programms besteht darin, dass Sie als Künstlerinnen und Künstler sich oft von konkreten Ausstellungssituationen zu neuen Arbeiten inspirieren lassen.
Notburga Karl: Ja, das zeichnet unsere Arbeitsweise aus. Wir nehmen den Raum nicht nur als austauschbaren Behälter für Kunst wahr, sondern versuchen, ihm gerecht zu werden und lassen uns von seiner Beschaffenheit zu Werken herausfordern. Darum gibt es auch die ganze Bandbreite künstlerischer Darstellungsformen – bildhauerisch, malerisch, installativ, multimedial, konzeptuell und vieles mehr.
Haben schon alle an der Ausstellung Beteiligten das Kesselhaus und die Beschaffenheit seiner Ausstellungsfläche gesehen? Haben die Beteiligten in diesem Sinne schon entschieden, was sie vor Ort enstehen lassen und ausstellen werden?
Notburga Karl: Alle Beteiligten haben sich den Raum schon vergegenwärtigt. Was ausgestellt wird, kann ich aber noch nicht sagen. Es ist ja nicht so, dass wir fertige Kunstwerke einfach so in den Ausstellungsraum hineintragen. Der Raum spricht gerade bei dreidimensionalen Arbeiten immer mit. Viele unsrer Werke entstehen im Raum und mit dem Raum. Nicht alles passt in so einen Raum. Es gibt Arbeiten und Entwürfe im Vorfeld, die in Bezug auf den tatsächlichen Ort aber dann erst überprüft werden müssen.
Was macht das Kesselhaus für diese Ausstellung und diese Art auszustellen interessant?
Notburga Karl: Auf der einen Seite ist das ganz klar seine Materialität. Dazu rechne ich nicht nur den Beton, sondern auch das Licht, die Stimmung und Spuren vorheriger Ausstellungen oder Benutzung. Und auf der anderen Seite spielt auch die Geschichte des Kesselhauses für die künstlerische Annäherung eine große Rolle. Die Tatsache, dass dort einmal die Heizkessel für das nebenan gelegene ehemalige Krankenhaus waren, verleiht dem heutigen Kesselhaus gleich eine gewisse Aussage. Dieser historische Hintergrund, der in diesem Raum mitspricht, wirkt sich auf das aus, was man in ihn reinträgt. Man könnte sich also als Bildhauerin oder Bildhauer mit Dampf beschäftigen, dem anderen Aggregatszustand von Wasser. Dieser Raum allerdings bringt den Kontext der nicht mehr sichtbaren Kessel sofort ins Spiel. Ein anderer Raum würde das nicht.
Wissen Sie schon grundsätzlich, wie Sie sich dem Raum nähern werden?
Notburga Karl: Meine Vorstellungen gehen immer wieder von Lichtsituationen aus, ich werde wohl mit Licht arbeiten. Ein wandernder Lichtkegel vielleicht, der die Oberfläche streichelt. Jedenfalls wird es wohl mit der Decke zu tun haben. Haben Sie schon mal hoch geschaut? Sie hat einen seltsam gleichmäßigen Teint. Wir alle werden jeweils andere Sphären des Raumes aufgreifen. Wenn ich zum Beispiel von der Decke nicht loskomme, immer wieder hochschaue, muss ich damit wohl was machen. Außerdem steht noch der Boden in all seiner Doppelbödigkeit zu Verfügung oder die von oben hängenden Doppel-Trichter und ihr bestimmendes Volumen, oder die Glasfassade, oder Rost. Wir suchen nach Charakteristika des Raums, und suchen nach großzügigen Antworten auf die vorgegebene Situation.
Was ist der Reiz an dieser Herangehensweise?
Notburga Karl: Wahrscheinlich ist es die Lust auf das Ungewisse, die in neuen Kontexten wie Ausstellungsräumen oder der Gefallen daran, Grenzen immer wieder neu zu erfahren, zu thematisieren und zu verschieben. Das ist übrigens ein grundsätzlicher Anspruch, den wir aus der Avantguarde geerbt haben. Auch wollen wir den Kontext Kunst und ihre Ausdrucksweisen immer wieder von grundauf infrage stellen, um dann zu ihr hoffentlich zurückzufinden, um zu sagen, dass es immer noch sinnvoll ist, Kunst zu machen und sie in Räume zu stellen. Wenn wir es hinbekämen, dass das Kesselhaus für alle, die es schon kennen, ein anderer Ort wird, wo man sich auch mal ganz anderes sich denken getraut, dann hätten wir schon was geschafft.
Wie sahen die Publikumsreaktionen an den vorherigen Orten, an denen Sie ausstellten, aus?
Notburga Karl: Interessiert, offen und dankbar, weil es in der Ausstellung ja tatsächlich so einen Verschiebe-Effekt in der Wahrnehmung geben kann – wenn man sich darauf einlässt, und weil es zugleich einen Kunstdiskurs gibt, in dem wir etwas beisteuern. Wir sind auch sehr gesprächsbereit und verfügbar. Die Ausstellung wird Bamberg auch zugute kommen.
Warum?
Notburga Karl: Wenn man Kunst anschaut, erfährt man ja nicht nur etwas über das Werk, sondern auch etwas über sich. Entweder findet man etwas von sich darin bestätigt oder infrage gestellt. Die Ausstellung und ihre Herangehensweise ist vielleicht etwas, das in Bamberg noch nicht so oft zu sehen gewesen ist oder gemacht wurde. In Bamberg hat sich durch die Menge an ehrwürdiger, alter Kunst – die ja übrigens nicht immer alt war, sondern kurz sehr zeitgenössisch – bei vielen das Bedürfnis nach Bewahren ausgelöst. Was in der Sprache der Kunst verhandelt wird, was in ihren Kontext hineingedacht werden kann oder soll, ist aber in ständiger Veränderung und immer im Übergang. Dadurch sind die Werke, die wir ausstellen, erstmal wie im Modus von Behauptungen oder Fragen zu verstehen, und sie sind noch nicht so anerkannt beziehungsweise abgesichert wie die Dinge, die es in Antiquitätenläden gibt. Die größte Frage betrifft übrigens auch das Kesselhaus selbst und sein Potential für Bamberg.
In der Ausstellung werden neben Ihrem Beitrag Werke von Thomas Trinkl, Sonja Engelhard, Carlos de Abreu, Pravdoliub Ivanov und des Duos Dan Dryer zu sehen sein. Nach welchen Kriterien haben Sie als Kuratorin die austellenden Künstlerinnen und Künstler ausgewählt?
Notburga Karl: Für diese Herangehensweise, die uns verbindet, also so mit Räumen zu arbeiten, braucht es Gemeinsamkeiten in der Fragestellung, in der Suche, in der Lust am Betreten von ungesichertem Terrain – anhand solcher Gemeinsamkeiten habe ich ausgewählt. Wir wollten auch Pravdoliub Ivanov aus Sofia dabei haben; er ist zu dieser Zeit Internationaler Gastprofessur für Diversity an der Universität Bamberg. Ich als verantwortliche Kuratorin brauche außerdem noch das Bewusstsein, mich darauf verlassen zu können, dass die Werke, die wir sehen werden, interessant sein werden, trotz der Unsicherheit, die im Vorfeld besteht und die herausfordernd sein kann.
Ist es ein Trend in den ausstellenden Künsten, die Rolle der Künstlerinnen und Künstler und ihrer Werke zu reduzieren und mehr die Interaktion zu betonen, mit dem Publikum oder, wie in diesem Fall, dem Ausstellungsort?
Notburga Karl: Es gibt wohl eine Entwicklung hin zu mehr Performativität und Kombinationsformen in den Künsten. Vielleicht hängt es auch mit der pragmatischen Frage zusammen, wo die ganzen Werken gelagert werden sollen, wenn sie so nicht oder nicht mehr gezeigt werden. Aber das Prinzip des Relationalen – also wie man sich zu was in Beziehung setzt – ist insgesamt ein großes Thema. Vielleicht ist es eine Konsequenz daraus, nicht so sehr von anfassbaren Grenzen auszugehen, sondern mehr von Beziehungsräumen. Das ist für mich immer noch Bildhauerei. Es hat dann möglicherweise den Effekt, dass man die einzelnen Künstlerinnen und Künstler dahinter nicht mehr so deutlich identifizieren kann. Das ändert aber an deren Präsenz und Einfluss nichts.
Ausstellung „Porosity
Playground“
24. Oktober bis 28. November
Kesselhaus
BBK-Ausstellung “Waldeslust”
Zurück zur Natur
Der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken (BBK) hat seine Jahresausstellung unter das Motto „Waldeslust“ gestellt. Gestern begann die Ausstellung, in der über 30 Mitglieder des BBK in der Villa Dessauer verschiedenartigste Landschaftsdarstellungen zeigen. Eine Thematik, die sich im Spannungsfeld zwischen riskantem Kitschverdacht und aktueller Politik bewegt.
Die beiden BBK-Mitglieder Thomas Michel und Peter Schoppel sind an der Organisation der Ausstellung beteiligt und stellen einige ihrer Werke aus. Wir haben Sie zum Gespräch getroffen.
Warum widmet sich der BBK Oberfranken in seiner Jahresausstellung dem Thema Wald?
Thomas Michel: Es ist einfach höchste Zeit, in einer Ausstellung das Thema Umwelt beziehungsweise Zerstörung derselben anzugehen. Spätestens seit den Dürren der letzten Jahre hat sich gezeigt, wie wichtig es ist. Und jetzt kommt aktuell noch die Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz dazu. In gewisser Weise hat der Wald dabei eine Rolle gespielt, denn ein intakter und gesunder Wald hätte im Boden mehr Wasser aufnehmen können und die Flut wäre womöglich nicht ganz so schlimm gewesen. Ich denke, alle, auch der BBK, sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten Bewusstsein schaffen für die Wichtigkeit des Themas, der Umweltverschmutzung und des Klimawandels. Das haben wir sowohl von den Werken als auch von der Botschaft der Ausstellung her versucht.
Sind Sie bei der Planung der Ausstellung also von Anfang an unter politischen Gesichtspunkten an das Thema des Waldes herangegangen und nicht so sehr unter ästhetischen?
Thomas Michel: Bei einer Ausstellung während der Pandemiezeit, in der nur wenige Ausstellungen möglich sind und waren, sollte man die Gelegenheit nutzen, eine Botschaft zu senden. Die Ästhetik richtet sich in diesem Fall zumeist nach der Botschaft. Ich persönlich habe meinen Beitrag zwar eher der Wiederentdeckung der Natur und der verlorengegangenen Naturverbundenheit gewidmet, aber auch mit aktuellen Bezügen verknüpft – in diesem Fall mit der Pandemie: Man konnte nicht verreisen oder kulturelle Angebote wahrnehmen und wendete sich darum an die Natur vor Ort.
Peter Schoppel: Als wir den BBK-Mitgliedern das Thema der Jahresausstellung vorschlugen, haben wir damit sehr viele von ihnen begeistert und entsprechend viele Bewerbungen für die Ausstellung bekommen – mehr als sonst sogar – und das Thema wurde vielfältig, sowohl politisch als auch ästhetisch, umgesetzt.
Falls Stimmen laut werden würden, die die Ausstellung eine Werbekampagne für grüne Politik nennen – was würden Sie entgegnen?
Thomas Michel: Ich glaube, grüne Politik oder grüne Ideen schreiben sich mittlerweile alle Parteien auf die Fahnen. Diese Ideen beziehungsweise ihre Umsetzung sind lebensnotwendig.
Peter Schoppel: Es geht um unsere Zukunft und Umweltbewusstsein sollte eigentlich überall verankert sein.
Ließe sich sagen, dass der Titel der Ausstellung „Waldeslust“ jedoch auf eine eher unpolitische Dimension des Waldes hindeutet, nämlich auf die Emotionalisierung der Natur? Ein Ansatz, der in der Tradition der Epoche der Romantik stünde, als, kurz gesagt, begonnen wurde, individuelles emotionales Erleben in die Natur hineinzulesen.
Thomas Michel: Ja. Das Thema Wald könnte auf den ersten Blick etwas trocken und ökologisch daherkommen. Darum brauchten wir einen für die Öffentlichkeit griffigen Titel. „Waldeslust“ klingt positiv und hat auch viel mit der deutschen Geschichte in Verbindung mit dem Wald zu tun. Die Deutschen haben eine sehr spezielle Beziehung zum Wald, vor allem durch die Naturverherrlichung in der Romantik vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Ich beziehe mich, zum Beispiel, explizit auf Caspar David Friedrich, was Naturempfinden, Lichtstimmungen und Verlorensein oder Aufgehobensein in der Natur angeht.
Aber kann eine romantisch-emotionalisierte Sichtweise auf die Natur, die kein Auge für die Umweltzerstörung hat, heute noch aufrechterhalten werden oder schwingen trockenere Fragen nach dem Klimawandel und seinen Auswirkungen automatisch in jedem Werk mit?
Thomas Michel: Bezüglich der kulturgeschichtlichen Bedeutung der Natur und des Waldes ist es so, dass Waldeslust oder das Wiederherstellen des Kontakts mit der Natur und ihre Emotionalisierung eine Erfindung von städtischen Akademikern des 19. Jahrhunderts ist. Den Großteil der damaligen Bevölkerung, der Landbevölkerung, hat das aber überhaupt nicht interessiert. Diese Leute haben den Wald praktisch und nicht unter Gesichtspunkten künstlerischer Verwertbarkeit und Emotionalisierung gesehen. Sie lebten von der Natur. Wir haben uns zwar heute noch viel weiter von der Natur und dem Wald entfernt als die Städter, wie Goethe, im 19. Jahrhundert, aber durch die seit einiger Zeit immer mehr Aufmerksamkeit bekommende Umweltzerstörung ändert sich das wieder. Eine praktischere Sichtweise auf den Wald und die Natur als Lebensgrundlage, die immer mehr zerstört wird, kehrt also tatsächlich zurück. Für mein Gemälde „Wald bei Bärnfels“ – ein etwa zwei Meter hohes und drei Meter breites Triptychon – wollte ich den Betrachter schon durch die Größe das Gefühl geben, den Wald zu betreten und den Bäumen gegenüberzustehen. Politisch wird es sozusagen zwischen den Zeilen aber insofern, als dass es sich bei den Bäumen ausschließlich um einen künstlich angelegten Fichtenwald handelt und man nicht genau erkennt, ob die Bäume noch gesund oder schon am absterben sind.
Herr Schoppel, Sie haben für Ihre Radierung „Waldrand“ einen abstrakteren Ansatz gewählt. Wie kommt bei Ihnen die Politik ins Spiel?
Peter Schoppel: Auf meinen Wald-Spaziergängen bei Gundelsheim finden sich schöne Waldansichten oder Einsichten in das Unterholz selbst. Seit der BBK für die Jahresausstellung das Thema Wald ausgeschrieben hatte, habe ich angefangen, den Wald intensiver als sonst zeichnerisch oder fotografisch zu dokumentieren. Von den Zeichnungen und Fotografien als Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit habe ich zwei Serien von Unikat- Drucken angefertigt, von denen keine wie die andere ist.
Damit möchte ich die Vielfalt von Betrachtungsweisen über das Thema Wald verdeutlichen – vom Naturschönen, bis hin zur Gesellschaftskritik – und zum Beispiel mit dem großen Kreuz in der Mitte, eben auch sein Sterben, letztendlich auch das Sterben der zivilisierten Menschheit.
Unabhängig von politischen Bedeutungsschichten von Landschaftsdarstellungen besteht bei ihnen und ihrer Verbindung zur feierlich-emotionalen Ernsthaftigkeit der Romantik jedoch immer ein wenig die Gefahr, für ein heutiges Publikum ins Kitschig-Pathetische abzurutschen oder als ironisch gemeint verstanden zu werden. Wie gehen Sie damit um?
Thomas Michel: Ja, das kann auf jeden Fall passieren. Ich denke, in Naturdarstellungen schwingt so ein archaisches Naturempfinden oder eine Naturverbundensein mit, die von einem Teil der Öffentlichkeit als kitschig aufgefasst werden könnte. Vielleicht hat sich dieser Teil aber auch nur soweit von der Natur entfremdet, dass unironisch ernst gemeinte Naturdarstellungen nicht mehr als solche betrachtet werden können. Ich trete dafür an, die Landschaftsmalerei wieder hervorzuheben und die Ausstellung ist für mich auch eine Wiederentdeckung dieses immer ein bisschen belächelten Genres, das durchaus manchmal ein wenig antiquiert wirkt.
Peter Schoppel: Das ist ein schwieriges Thema. Man muss als Künstler da einfach seine eigene Haltung zeigen. Und wenn man sie mit Überzeugung vertritt und es auch ästhetisch gut macht, kann man auch dieses Thema für sich gewinnen und mögliche Kitsch-Klischees niederreißen. Ein Beispiel ist Bildhauer Thomas Gröhling, der für die Ausstellung zehn Wölfe aus Holz geschnitzt hat.
Thomas Michel: Wobei es in der Ausstellung durchaus auch ironische Herangehensweisen ans Natur-Thema gibt. Chris Engels zum Beispiel hat ein Hirschgeweih mit Kondomen behangen und so die Waldeslust auf andere Art und Weise interpretiert.
Wir standen zuerst mit einem Schmunzeln vor dem Werk, aber Chris Engels hat sich von einem Förster bestätigen lassen, dass der Wald in Lockdown-Zeiten nicht nur Rückzugsort wurde für Parties, samt entsprechender Müllproblematik, sondern auch als sozusagen Liebesnest neue Bedeutung erhielt. Für die Platzierung des Geweihs in der Ausstellung haben wir uns klassischerweise für die Wand über einem Kamin entschieden. Durch die Gestaltung mit den Kondomen wird aber auch diese potenziell kitschige Darstellung aufgebrochen und neu definiert.
Welche Rolle spielen in der Ausstellung die Tierwelt und die menschliche Figur?
Thomas Michel: Bis auf das genannte Hirschgeweih von Chris Engels und die Wolfsskulpturen von Bildhauer Thomas Gröhling wurden, das hat mich überrascht, kaum weitere Beiträge mit Tieren eingereicht. Die Werke beschäftigen sich eher mit der Pflanzenwelt. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass Waldtiere, auch im gesellschaftlichen Bewusstsein, schon so weit verdrängt sind, dass sie auch in der Ausstellung kaum vorkommen. Menschliche Figuren kommen aber auch vor: Das Fotografenduo Deininger/Jaugstetter thematisiert in seinen Werken die Verschmelzung der menschlichen Aktfigur mit der Natur.
Kann es aber künstlerisch reizvoll sein, keine Menschen darstellen zu müssen?
Thomas Michel: Da kann ich mich wieder auf die Romantik beziehen, die die Landschaft zur Hauptperson und fast schon zum sakralen Andachtsort gemacht hat.
Geht die Ausstellung auf die Meta-Rolle des Waldes als Lieferant von Werkstoff, in Form von Papier oder Holz, ein?
Peter Schoppel: Dazu würde ich gerne auf die Arbeit „Nach der Lust“ von Gerhard Hagen verweisen: Fotoarbeiten, auf denen aus Papierschnipseln gepresste Würfel zu sehen sind. Diese Werkserie beschäftigt sich, wiederum nicht ganz unpolitisch, mit dem Kreislauf des Recyclings. Das wiederverwertete Material kann nicht unendlich oft wiederverwertet werden. Ihm, in diesem Fall handelt es sich um Altpapier, muss immer wieder noch nicht verwerteter Holz-Rohstoff beigemischt werden, um den Kreislauf und die Qualität aufrecht zu erhalten.
Werke von 34 Künstlerinnen und Künstlern werden zu sehen sein. Wie viele sind zur Bewerbung eingereicht worden? Nach welchen Gesichtspunkten wurden die 34 ausgewählt?
Thomas Michel: Wir hatten 46 Einreichungen. Die Jury des BBK Oberfranken entscheidet nach künstlerischer Qualität und danach, wie gut sich das jeweilige Werk in das Ausstellungskonzept einpasst, welches ausgewählt wird. Über die genauen Begründungen gibt es aber eine Schweigepflicht.
Ein Problem des BBK Oberfranken besteht im relativ hohen Altersdurchschnitt seiner Mitglieder, es fehlt also eine jüngere Perspektive auf die Thematik. Wie gehen Sie aktuell damit um?
Thomas Michel: Der BBK hat beispielsweise unter Absolventinnen und Absolventen von Kunsthochschulen tatsächlich ein etwas angestaubtes Image. Es ist schwierig, dem beizukommen, genau wie es schwer ist, ein jüngeres Publikum, das es in Bamberg durchaus gäbe, anzulocken. Darum finden wir es wichtig, zumindest immer wieder aktuellere Themen in den Ausstellungen zu bedienen, die am Puls der Zeit sind und über regionale Fragestellungen hinausweisen.
BBK-Ausstellung „Waldeslust“
16. Oktober bis 28. November
Stadtgalerie Villa Dessauer
Begleitprogramm
17. Oktober, 15 Uhr: Führungen und Gespräch mit Christa Pawflowsky und Gudrun Schüler
14. November, 12 bis 14 Uhr: Matinée und Dokumentarfilm „Natur Natur sein lassen“
im Lichtspielkino
21. November, 15 Uhr: Führungen und Gespräch mit Thomas Brix, Gerhard Hagen
und Thomas Michel
Künstlerhaus Villa Concordia
Arbeitsstipendien für 15 Künstlerinnen und Künstler
Kunstminister Bernd Sibler gab heute die Namen der Stipendiatinnen und Stipendiaten aus Deutschland und Finnland bekannt, die seit April zu Gast im Internationalen Künstlerhaus in Bamberg sind. Das Stipendium gebe ihnen die „Möglichkeit, sich auch über Landesgrenzen hinweg zu begegnen, sich auszutauschen und gegenseitig zu inspirieren.“
„15 Künstlerinnen und Künstler – sieben aus Deutschland und acht aus Finnland – erhalten für fünf beziehungsweise elf Monate ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg, wo sie seit April 2021 zu Gast sind und die Sparten Bildende Kunst, Literatur und Musik vertreten“, gab Kunstminister Bernd Sibler heute in München bekannt. Die Länge ihres Aufenthalts wählen die Künstlerinnen und Künstler selbst. „Gerade in der Pandemie, die unsere unmittelbaren Kontakte sehr einschränkt, spüren wir, wie wichtig das Miteinander und der direkte Austausch mit unseren Mitmenschen ist. Daraus schöpfen wir Kraft, Freude und auch Kreativität. Das Arbeitsstipendium im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia soll – unter Einhaltung der gängigen Hygiene- und Sicherheitsmaßgaben – den Stipendiatinnen und Stipendiaten die Möglichkeit geben, sich auch über Landesgrenzen hinweg zu begegnen, sich auszutauschen und gegenseitig zu inspirieren. Ich heiße die Künstlerinnen und Künstler herzlich willkommen in Bamberg und wünsche ihnen eine unvergessliche Zeit voll kreativer Impulse!“, so Staatsminister Sibler.
Bereicherung für das kulturelle Leben in Bamberg
Die Stipendiatinnen und Stipendiaten wohnen und arbeiten während ihres Aufenthalts in Bamberg im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia. Zudem erhalten sie monatlich 1.500 Euro. Die Künstlerinnen und Künstler präsentieren ihre Arbeiten in öffentlichen Veranstaltungen der Villa Concordia – soweit dies im Rahmen der infektionsschutzrechtlichen Verordnungen möglich ist – und bereichern damit auch das kulturelle Leben in Bamberg.
Seit der Errichtung des Internationalen Künstlerhauses in Bamberg im Oktober 1997 werden in den Sparten Bildende Kunst, Literatur und Musik jedes Jahr Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und aus einem anderen Land als Stipendiatinnen und Stipendiaten des Freistaats eingeladen. Die ausländischen Stipendiaten der vergangenen Jahre kamen unter anderem aus England, Frankreich, Norwegen, Polen, Schottland, Griechenland, Litauen und zuletzt aus Slowenien.
2021 sind folgende deutsche und finnische Künstlerinnen und Künstler in das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia eingeladen:
Bildende Kunst
Dieter Froelich (D)
Lena von Goedeke (D)
Emma Helle (FI)
Heikki Marila (FI)
Tuukka Tammisaari (FI)
Literatur
Benedikt Feiten (D)
Lucy Fricke (D)
Veera Kaski (FI)
Arja Rinnekangas (FI)
Johanna Sinisalo (FI)
Antje Rávik Strubel (D)
Musik
Cecilia Damström (FI)
Elina Lukijanova (D)
Steffen Schleiermacher (D)
Sauli Zinovjev (FI)
Ausstellungsreihe im BBK-Büro
Ausstellung “Zeichnen mit Zeichen”
Schaufensterausstellungen sind derzeit gezwungenermaßen im Trend. So macht sich der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken e.V. (BBK) seinen Büroraum in der Schützenstraße und vor allem dessen großflächige Fensterfront für eine neunteilige Ausstellungsreihe zunutze. Noch bis 2022 zeigen BBK-Mitglieder bei weiterlaufendem Bürobetrieb ihre Werke.
Bisher zu sehen waren Kunstwerke von Hans Doppel, Angelika Gigauri und dem aktuellen Berganza-Preisträger Peter Schoppel. Noch bis 1. März zeigt Gerhard Schlötzer seine Ausstellung “Zeichnen mit Zeichen”. Bei diesen großformatigen Bleistiftzeichnungen lässt Schlötzer aus den Buchstaben und Wörtern von Liedtiteln und Liedzeilen unter dem Eindruck und der Inspiration der jeweiligen Musikstücke komplexe Zeichenkonstrukte entstehen. Wir haben mit ihm über die Ausstellung, seine künstlerische Herangehensweise und seinen Umgang mit künstlerischen Konventionen gesprochen.
Herr Schlötzer, die Ausstellungsreihe im Büro des BBK begann letzten Sommer. “Zeichnen mit Zeichen” ist der vierte Teil. Wie sind Sie auf die Reihe gekommen?
Gerhard Schlötzer: Wir hatten schon länger die Idee, im gemeinsamen Büro von BBK und Kunstverein in der Schützenstraße eine Ausstellung zu machen. Dieser Raum ist durch seine gläsernen Schaufensterwände allseitig durchblickbar. Die Pandemie und städtische Fördermittel, die wir eigentlich für eine Ausstellung im Kesselhaus verwenden wollten, und eine Förderung der Sparkassenstiftung haben wir zum Anlass genommen, diese Idee nun umzusetzen, die nötige Ausstattung anzuschaffen und die Ausstellung unter den Mitgliedern des BBK auszuschreiben.
Welchen Maßgaben der Ausschreibung mussten Kunstwerke gerecht werden, um ausgestellt werden zu können?
Gerhard Schlötzer: Grundlegend geeignet für eine Ausstellung in einem Büroraum mussten die Werke sein. Sie müssen ihre Wirkung auch dann entfalten, wenn sie von mehreren Metern Entfernung betrachtet werden. Inhaltliche Vorgaben gab es keine.
Die Ausstellung findet in einem Büro, also inmitten von Büromaterial und teilweise Büropersonal statt. Kann da Ausstellungsgefühl aufkommen?
Gerhard Schlötzer: Kann im Museum Ausstellungsgefühl aufkommen, wenn der Vordermann zwischen mir und dem Kunstwerk steht und mir den Blick verstellt? Ich weiß nicht, ob Menschen da allzu viel stören. Das einzige, das mich als Betrachter bei der Ausstellung stört, ist, dass ich nicht nah an die Werke herantreten kann und draußen vor dem Büro stehen bleiben muss. Aber das ist ein Kompromiss, den uns Corona aufzwingt.
Was ist “Zeichnen mit Zeichen”? Wieso haben Sie sich für diese Herangehensweise entschieden?
Gerhard Schlötzer: Ich mache schon längere Zeit Zeichnungen nach Musikstücken. Von der Musik leihe ich mir den Gestus beim Zeichnen aus und folge ihr. Ich wähle eine Abfolge von Stücken aus, unter deren Eindruck die Zeichnungen, die dabei entstehen, wachsen, immer dichter werden und sich verändern, bis am Ende ein komplexes Netzwerk sich überlagernder Linien das Papier bedeckt.
Es ist eine Reise beim Zeichnen – vom ersten Strich bis hin zu einer gefüllten Zeichenfläche.
Man kann es ein bisschen mit Tanzen vergleichen – die Spuren seiner Bewegungen nach Musik werden mit der Zeichnung dokumentiert. Auch stelle ich mir beim Zeichnen immer die Frage, wie ich mich zu dem, was bereits auf der Zeichenfläche ist, sinnvoll verhalte, damit ein Bild entsteht.
Letztlich soll ein Werk meinen Konventionen von einem guten Werk, also Aufbau, Struktur, Spannungsverhätnisse, entsprechen, mich aber immer auch in neue Regionen führen und mein Wissen davon, was ein gutes Bild sein könnte, erweitern. Das ist auch ein Prozess, in dem ich versuche, mich nicht zu langweiligen.
Müssen Sie während des Zeichenprozesses manchmal Korrekturen am Werk vornehmen, wenn Sie feststellen, dass Sie sich gestalterisch in der falschen Region befinden?
Gerhard Schlötzer: Nein, weil ich bei dieser Art von Zeichnung keine Fehler machen kann. Die Zeichnung kann langweilig werden oder spannungsarm, aber Fehler kann ich keine machen. Das ist auch ein Grund, warum ich nach Musik zeichne, um eben nicht in eine eigene stereotype, eingelernte Körpermechanik zu verfallen. Ich brauche einen gestischen Input von außerhalb, den ich mir aus verschiedenen Musikstücken hole.
Das klingt, als ob Sie mit geschlossenen Augen und nur mit der Musik im Ohr zeichnen.
Gerhard Schlötzer: Es stimmt, es gibt Zeichnungen, die fange ich blind, rein aus dem Körpergefühl heraus, an. Aber irgendwann, eher früh als spät, kommt natürlich das Auge hinzu.
Es gibt aber auch Fälle, wo ich versuche, diesen von Konventionen gesteuerten kontrollierenden Blick, also das Hinzutreten all der Regeln, nach denen man ein Bild beurteilen kann, möglichst hinauszuschieben. Da versuche ich, den Kompositionsprozess möglichst lange offen zu lassen, nicht zu schnell in Konventionen zu kommen, was ja unter anderem heißt, Teile des Bildes miteinander in Verhältnis zu setzen.
Wie gelingt es Ihnen, Konventionen auszuklammern?
Gerhard Schlötzer: Ich arbeite mit Konventionen, das will ich gar nicht leugnen, Konventionen sind nichts Schlimmes. Sie sind sozusagen das Raster der Bewegungsmöglichkeiten, die Bedingungen des Kulturprozesses, in dem wir stehen. Ich finde es spannend, in einem kulturellen Prozess zu stecken und mich zum Vorhandenen verhalten zu müssen. Aber das ist kompliziert, weswegen auch die Zeichnungen komplex werden. Immer wieder versuche ich, Grenzen zu setzen und zu schauen, wo man sie überschreiten kann.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Gerhard Schlötzer: Ich verwende zum Beispiel bei vielen Zeichnungen der Serie „Zeichnen mit Zeichen“ quadratische Bildträger, weil Quadrate im Gegensatz zu längsrechteckigen Formaten nicht frühzeitig schon zu kompositorischen Entscheidungen zwingen. So ein Quadrat kann man während des Zeichnens auch mal um 90 Grad drehen und in dieser Position weiter bearbeiten. Andererseits habe ich bei dieser Serie aber auch eine Anfangsbedingung eingeführt, eine Einschränkung meiner Handlungsmöglichkeiten, nämlich die, nur Großbuchstaben des lateinischen Alphabets, die Liedtitel oder Liedzeilen wiedergeben, zu verwenden. Meine selbst auferlegte Bedingung ist die Verwendung der geometrischen Formen der Buchstaben und ihre Reihenfolge – meine Freiheit ist, dass ich das so groß und mit dem Gestus, den ich will, und an beliebiger Stelle der Zeichenfläche tun kann. Ich konfrontiere also vorgegebene Setzungen mit Freiheitsgraden und schaue, was unter den gegebenen Bedingungen rauskommt.