Eine Stickerei auf einem Bamberger Kaisergewand spielt auf den nahenden Weltuntergang um das Jahr 1000 an. Kaiser Heinrich II. inszeniert sich mit
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Interdisziplinäres Forschungsteam veröffentlicht neue Erkenntnisse über die mittelalterlichen Bamberger Kaisergewänder
Kaiser Heinrich II. – ein Retter der Menschheit?
Eine Stickerei auf einem Bamberger Kaisergewand spielt auf den nahenden Weltuntergang um das Jahr 1000 an. Kaiser Heinrich II. inszeniert sich mit dieser Anspielung als Retter der Menschheit. Das ist eine von vielen Erkenntnissen des interdisziplinären Forschungsteams der Universität Bamberg, das die weltweit einmaligen Bamberger Kaisergewänder fünf Jahre lang untersucht hat.
Die Ergebnisse werden auf mehreren Wegen veröffentlicht: Das Diözesanmuseum Bamberg zeigt noch bis zum 30. September 2021 eine Sonderausstellung. Die Multimedia-Reportage „Expedition ins Mittelalter“ der Universität Bamberg präsentiert ausgewählte Fotos des Projekts. Im Buch „Kaisergewänder im Wandel – Goldgestickte Vergangenheitsinszenierung“ rekonstruiert Dr. Tanja Kohwagner-Nikolai, Projektmitarbeiterin der Universität Bamberg, die Veränderungsgeschichte der Mäntel. Und voraussichtlich Ende 2021 stellt die Bayerische Akademie der Wissenschaften als Kooperationspartnerin rund 600 kommentierte Fotos der Gewänder auf dem Portal „bavarikon“ online.
Endzeitfantasien um die erste Jahrtausendwende
Die Stickerei mit Bezug zu Endzeitfantasien befindet sich auf dem blauen Kunigundenmantel. Sie stellt den Leichnam Kaiser Neros dar, der von Wölfen zerrissen wird. „Diese Darstellung ist sehr selten und hat eine wichtige kunsthistorische Bedeutung“, erläutert Tanja Kohwagner-Nikolai. „Der Hintergrund ist, dass um die Jahrtausendwende viele Menschen Angst vor dem Weltuntergang hatten. Sie befürchteten, dass Kaiser Nero, der Christenverfolger, als Anti-Christ wiederkommen würde. Mit der Stickerei sagt Heinrich II. aus, dass Nero von den Wölfen endgültig vernichtet wurde und nicht wiederkommen kann. Wer an Christus glaubt und Heinrich folgt, kann auf Erlösung hoffen.“
Der blaue Kunigundenmantel blieb im Laufe der Jahrhunderte fast im Originalzustand erhalten – im Gegensatz zu anderen Bamberger Kaisergewändern. „Vor allem der weiße Kunigundenmantel und die Tunika wurden in den 1950er Jahren massiv verändert“, sagt Tanja Kohwagner-Nikolai. Die Kunsthistorikerin erklärt, dass die Restaurierung damals zu ästhetisch schönen Objekten führen sollte.
Alle „unschönen“ Reparaturen wurden entfernt: „Diese beiden Gewänder wurden in der Nachkriegszeit so stark verändert, dass wir heute wenig über ihr ursprüngliches Aussehen sagen können.“ Näher an ihrem Originalzustand sind dagegen die drei weiteren Bamberger Kaisergewänder: der Sternenmantel Heinrichs II., der Reitermantel und das Rationale – ein liturgisches Würdezeichen. Tanja Kohwagner-Nikolai, Sibylle Ruß, Anne Dauer, Ursula Drewello und Martina Pristl führten an den insgesamt sechs Objekten kunsthistorische, technologische und materialanalytische Untersuchungen durch.
„Die Mäntel sind eine Sensation“
Wie die Kaisergewänder von ihrer Entstehung bis zum heutigen Erscheinungsbild verändert wurden, erarbeitete das Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Stephan Albrecht. „Die Mäntel sind eine Sensation“, bemerkt der Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte, insbesondere Mittelalterliche Kunstgeschichte, an der Universität Bamberg. „Sie sind weltweit die einzigen goldbestickten Gewänder, die aus dieser frühen Zeit erhalten sind – noch dazu in einem insgesamt erstaunlich hohen Erhaltungsgrad.“ Die Prachtgewänder entstanden zu Beginn des 11. Jahrhunderts und gelten als Stiftungen Kaiser Heinrichs II. (973 bis 1024) und seiner Gemahlin Kunigunde (um 980 bis 1033) an ihre Bistumsgründung Bamberg. Stephan Albrecht schildert, warum sie so selten sind: „Die Gewänder hatten Reliquiencharakter und wurden über Jahrhunderte hinweg repariert. Die meisten ähnlichen Mäntel wurden damals eingeschmolzen, um neue herzustellen.“
Das Forschungsprojekt „Kaisergewänder im Wandel – Goldgestickte Vergangenheitsinszenierung“ dauerte von 2015 bis 2020. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) förderte es mit 380.000 Euro. Es gehört zum Forschungsschwerpunkt „Kultur und Gesellschaft im Mittelalter“ der Universität Bamberg und ist Teil einer Multimedia-Reportage: https://forschungsprofil.uni-bamberg.de/mittelalter
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt sind zu finden unter: https://www.uni-bamberg.de/restaurierungswissenschaft/forschung/aktuelle-forschungsprojekte/kaisergewaender/
Die Sonderausstellung „Die Bamberger Kaisergewänder unter der Lupe“ läuft noch bis zum 30. September 2021. Abhängig von der Corona-Inzidenz ist ein Besuch mit oder ohne Voranmeldung möglich. Informationen und Details sind zu finden unter: https://dioezesanmuseum-bamberg.de
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VHS-Kurs Bamberger Dom
„Manche kennen den Dom so gut wie gar nicht“
Im Angesicht der Allgegenwärtigkeit des Bamberger Doms verwundert es, dass manche Bambergerinnen und Bamberger kaum eine, wie auch immer geartete, Beziehung zum berühmtesten Bauwerk der Stadt zu haben scheinen. Diese Beobachtung hat zumindest Dr. Matthias Scherbaum gemacht. In einem derzeit stattfindenden VHS-Kurs bietet der Philosoph, Theologe und Gästeführer umfassende historische, architektonische und theologische Informationen über den Dom. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen.
In der Ankündigung des VHS-Kurses zum Bamberger Dom wird dieser als einer der bedeutendsten Kirchenbauten Deutschlands bezeichnet. Was macht seine herausragende Bedeutung aus?
Matthias Scherbaum: Die Bedeutung des Bamberger Doms ist vielschichtig: Zum einen haben wir es mit einer kaiserlichen Stiftung durch Heinrich II. zu tun – weswegen er auch zu den sieben Kaiserdomen zählt –, zum anderen beherbergt er mit Clemens II. das einzige Papstgrab nördlich der Alpen, darüber hinaus ist vor dem Ostchor des Doms das einzige heiliggesprochene Kaiserpaar – Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde – der Geschichte bestattet, mit dem Bamberger Reiter haben wir eines der bekanntesten mittelalterlichen Kunstwerke überhaupt vor uns und der ehemalige Domschatz, jetzt im Diözesanmuseum Bamberg ausgestellt, umfasst Exponate, die in ihrer Singularität europäischen Rang haben. Zudem ist der Bamberger Dom eine sogenannte Basilika minor, ein ausgewiesener päpstlicher Ehrentitel, und bildet mit Alter Hofhaltung und Neuer Residenz in ihrer hohen historischen Authentizität auf dem Domberg eines der schönsten architektonischen beziehungsweise städtebaulichen Ensembles Deutschlands.
Auch wird der Dom ein Gesamtkunstwerk genannt. Warum?
Matthias Scherbaum: Wie viele mittelalterliche Sakralgebäude verkörpert auch der Bamberger Dom eine harmonische Einheit von liturgischen, kunsthistorischen, materiell sehr wertvollen religiösen und ganz profan-funktionellen Aspekten. Dies ist kein Zufall, sondern wurde weitgehend von den Erbauern in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bewusst in dieser Weise konzipiert und stellt in dieser Form einen Lobpreis Gottes und eine Manifestation des Glaubens zu dieser Zeit dar. Sicherlich sind in allen Großkirchen, wie allen Sakralgebäuden der Menschheit, auch bestimmte profane Überlegungen eingeflossen, aber die doch maßgebliche Idee, etwas zu errichten, was über das Alltägliche hinausgeht und etwas Großes ansprechen will, verleiht dem Dom in allen seinen Aspekten eine gewisse Erhabenheit und qualitas sui generis, die man in ihrer Gesamtschau unbenommen als einfach sehr schön bezeichnen kann.
Worin besteht Ihre persönliche Faszination für das Bauwerk?
Matthias Scherbaum: Da ich seit mittlerweile fast zehn Jahren Gästeführer am Bamberger Dom bin, ist er mittlerweile fast etwas wie ein Lebensmittelpunkt von mir geworden. Über erwähnte sachlichen, kunsthistorischen Belange hinaus, die mich tatsächlich jedes Mal wieder aufs Neue ergreifen und faszinieren, ist es vielleicht sogar vorrangig der zwischenmenschliche Aspekt, den ich im Kontext des Domes sehr schätze: Von den Kollegen, über die Organisatoren, Vertreter der Dombauhütte und des Domkapitels und den Erzbischof, die sehr präsent und lebensnah im Dom sind, sowie die vielen Gäste, die ich durch unsere Domkirche führen darf, bis hin zu diversen kulturellen Veranstaltungen, wie etwa Orgelkonzerten oder Ausstellungen, mit ihren diversen Protagonisten wie Interessenten, – es ergeben sich im Rahmen dieses Bauwerkes und meiner Tätigkeit hierbei immer wieder konkrete Begegnungen mit Menschen, die für mich wie ein erlebbarer und persönlicher Wiederhall der Schönheit dieses Gebäudes ankommen und entsprechend wertvoll sind, wofür ich sehr dankbar bin.
Wie sieht das Programm des VHS-Kurses aus? Kann man sich in sechs Kursen dem Dom umfassend genug nähern oder müssen Sie in der Programmgestaltung eher oberflächlich bleiben?
Matthias Scherbaum: Eine sehr gute Frage! Natürlich kann man in sechs Sitzungen zu jeweils 1,5 Stunden dem Bamberger Dom in seiner Gänze nicht gerecht werden, allein das Inventar, also all das, was im Innenbereich des Doms unmittelbar sichtbar ist, würde, wollte man sich damit nur auf faktischer Ebene annähernd angemessen beschäftigen, locker die Zeit und den Anspruch von drei bis vier Uni-Semestern beanspruchen, vielleicht auch noch mehr. Von den Hintergründen, historischen Zusammenhängen, kunstgeschichtlichen Würdigungen und so weiter ganz zu schweigen. Dennoch ist es eine gute und begrüßenswerte Möglichkeit, sich im Rahmen eines etwas ausführlicheren VHS-Kurses dem Bamberger Dom nähern zu können, so dass zumindest ein paar Basics ausführlicher thematisch werden können, auf denen man dann gegenbenenfalls weiter aufbauen kann: Die normalen Führungen im Dom dauern circa eine Stunde, das ist ok, um Gästen einen ersten Eindruck des Gebäudes vermitteln zu können, es gibt darüber hinaus erfreulicherweise im Portfolio der Domtouristik ein ganzes Bündel an Spezialführungen, die dann auch mal zwei oder auch drei Stunden dauern können, wo man natürlich viel tiefer gehen kann, zumal bestimmte Aspekte anbelangend. Die wissenschaftlichen Untersuchungen und Publikationen, die ein nennenswert hohes Niveau haben, so wurde etwa vor wenigen Jahren von der Uni Bamberg ein ausgesprochen spannendes Projekt zu den Portalen des Bamberger Doms durchgeführt, und das Optimum darstellen, was man über den Bamberger Dom in Erfahrung bringen kann, sind in der Regel nur an der Uni beziehungsweise in den entsprechenden Publikationen habbar. Da ich mich sozusagen in beiden Welten, sprich den konkreten Führungen wie der Wissenschaft, bewege, stellt dieser VHS-Kurs vielleicht einen annähernd idealen Weg zur Vermittlung von einigen tiefergehenden Inhalten an ein möglichst breites und interessiertes Publikum dar.
Wird der VHS-Kurs neue Erkenntnisse zum Dom bieten? Beziehungsweise können solche Erkenntnisse überhaupt noch gewonnen werden oder ist in Sachen Dom alles erforscht?
Matthias Scherbaum: Alle Bereiche des Empirischen, so eben auch die Forschungen zum Bamberger Dom, sind in principio unabschließbar. Das ist einerseits vielleicht etwas frustrierend, weil es kein abschließend gesichertes Wissen hierüber geben kann – andererseits aber auch immens aufregend, weil es de facto immer was Neues zu finden, zu interpretieren, zu diskutieren und so weiter gibt. Ich habe immer wieder dazu gearbeitet und bin aktuell auch gerade dabei, etwas zum Dom zu erforschen, mein Steckenpferd sind die Domskulpturen, bin mir aber noch nicht ganz sicher, ob ich das in dem Kurs besprechen werde, vielleicht ein oder zwei Aspekte mal kurz berühren, sicherlich werde ich dazu noch zwei, möglicherweise auch drei Publikationen verfassen, aber das ist noch nicht so ganz sicher. Aber ja: Neue Erkenntnisse zum Bamberger Dom sind immer drin, das steht außer Frage.
Der Dom beherbergt zahlreiche Kunstwerke – welche sind die besonders erwähnenswerten?
Matthias Scherbaum: Das lässt sich gar nicht so einfach sagen. Natürlich ist der Reiter das herausragende Kunstwerk des Doms, seinen Bekanntheitsgrad anbelangend, aber auch das Kaisergrab von Riemenschneider ist ausgesprochen und zu Recht berühmt. Sehr schön und in gewisser Weise auch sehr witzig ist etwa das Chorgestühl im Westbereich des Doms, das Fürstenportal hat aus mehrerlei Hinsicht zweifellos europäische Bedeutung, als Einzelskulpturen sind besonders zwei Frauenfiguren hervorzuheben: Die Synagoga sowie die „Alte Frau im antiken Gewand“ sind aus vielerlei Hinsicht wirklich atemberaubend. Besonders gelungen finde ich aber auch das 1996 entstandene Kreuz des gebürtigen Würzburgers Fritz König in der Westkrypta des Bamberger Doms, das allerdings nur mit Führungen zugänglich ist – ein, wie ich finde, ausgesprochen bemerkenswertes, tiefsinniges und schönes Beispiel moderner Sakralkunst.
Letztes Jahr wurden allerdings Forderungen laut, zwei steinerne Figuren im Bamberger Dom, Ecclesia und Synagoge, die die christliche und die jüdische Religion darstellen, zu entfernen, weil sie vermeintlich das Judentum abwerten. Was halten Sie von diesen Forderungen?
Matthias Scherbaum: Das Fürstenportal an der Nordseite des Doms ist links und rechts von zwei Säulen eingerahmt, auf denen zwei Großplastiken stehen. Die jetzigen Figuren sind Kopien, die Originale hiervon befinden sich im Inneren des Doms und zwar an den südlichen Ostchorschranken, wenn man in den Dom hineingeht gleich hinter der Adamspforte. Es handelt sich hierbei um zwei Frauenfiguren, wobei die vom Betrachter aus gesehen linke Dame die Ecclesia – das heißt die Symbolisierung der christlichen Kirche – und die rechte Dame die Synagoga, also die Symbolisierung des Judentums darstellt. Vor ziemlich genau einem Jahr hat ein Erlanger Mitarbeiter der Erzdiözese Bamberg in einem Vortrag die These vertreten, dass es sich hierbei um eine Diffamierung des Judentums handelt, weswegen er auch für einen Abbau der Originale im Inneren des Doms plädiert hat. Der Fränkische Tag hat hierüber mehrfach berichtet. Hintergrund für diese Auffassung ist der Umstand, dass die Ecclesia mit Krone dargestellt ist, ursprünglich hielt sie in ihren Händen – was mittlerweile abgebrochen ist – einen Kreuzstab mit Fahne sowie einen Abendmahlskelch, während die Synagoga bis heute gut sichtbar eine Augenbinde trägt und einen zerbrochenen Stab in ihrer rechten Hand hält. Damit wird auf symbolische Weise die Ecclesia als Siegerin, die Synagoga als Verliererin der Heilsgeschichte veranschaulicht, wobei der Grund, weswegen die Synagoga als Verliererin erscheint, vorrangig darin liegt, dass sie den Messias in der Person Jesu Christi nicht erkannt hat. Im Kontext des Fürstenportals ist dies eingebunden in ein umfangreiches weiteres Skulpturenprogramm, das eine sehr große und komplexe Geschichtsauffassung, die ich hier nicht ausführlich erläutern kann, zum Ausdruck bringt, was aber in der isolierten Form im Innenraum des Doms nicht in dieser Weise erkennbar wird. Im biblischen Hintergrund hiervon ist etwa die Rede von den zwei Bräuten Christi, wie man das bei Paulus finden kann. Es ist sicherlich eine gute Sache, dieses ikonographische Programm zu erläutern, da es in aller Regel den Menschen heute nicht mehr unmittelbar verständlich ist, weswegen auch, zumal in diesem Jahr: 1700 Jahre Judentum in Deutschland, viele Programme hierzu im Rahmen des Bamberger Doms laufen, wie etwa Spezialführungen, verschiedene Aufsätze, wahrscheinlich auch Erläuterungen auf Tafeln und so weiter, aber eine Entfernung wäre aus vielerlei Hinsicht sicherlich kontraproduktiv. Zum einen, weil Ikonoklasmus, also Bildersturm, meines Wissens nach immer Vorbote beziehungsweise Symptom von politischer oder religiöser Gewalt gewesen ist und gerade das, was in diesem Fall wichtig ist, nämlich Aufklärung und Dialog, unterbunden hat. Zum anderen, weil diese Kunstwerke selbstredend denkmalgeschützt sind und ein hohes Kulturgut darstellen, an dem nicht nur die Kunstgeschichte Interesse hat. Und schließlich auch, weil es die eigene Position in solchen Fragen unglaubwürdig machen würde: Man verurteilt die Taliban, weil sie in Afghanistan die denkmalgeschützten Buddha-Statuen zerstört haben, würde aber, wenn auch sicherlich in abgeschwächter Form, aber nichtsdestotrotz von der Intention her etwas Vergleichbares vor der eigenen Haustür unternehmen. Aufklärung und Erklärung halte ich für gut, eine Entfernung des Figurenpärchens würde in meinen Augen langfristig vermutlich mehr Probleme erzeugen, als lösen, zumal es der Thematik, um die es hier geht, sachlich nicht gerecht werden würde.
Lässt sich einschätzen, welche Bedeutung der Dom für die Bambergerinnen und Bamberger hat? Inwieweit geht sie über die eines bloßen Gotteshauses hinaus?
Matthias Scherbaum: Soweit ich darüber etwas sagen kann, hätte ich den Eindruck, dass die Bedeutung des Doms für die Bamberger heterogen ist. Und das aus mindestens zwei Hinsichten: Manche kennen den Dom so gut wie gar nicht, die Mehrheit wohl schon. Und von denen, die ihn kennen, finden ihn einige aus ästhetischen, weltanschaulichen oder sonstigen Gründen nicht so gut, es gibt aber auch viele, von denen ich auch persönlich recht viel kenne, die den Dom sehr mögen. Eine Freundin von mir, gebürtige Bambergerin, aufgewachsen in Bamberg-Ost, mittlerweile in ihren 50ern, hat, zumindest laut Selbstaussage damals, 2012 zum 1000-jährigen Jubiläum, den Dom zum ersten Mal in ihrem Leben betreten. Auf meine verwunderte Nachfrage ihre Antwort: Aus Bamberg-Ost geht ma nett in Dom! Mittlerweile ist der Dom ihr Arbeitsplatz geworden, was sie dazu verdonnert, als Östlerin, regelmäßig das Gebäude aufzusuchen und zu betreten, was aber, so zumindest mein Eindruck, ihr keine Bauchschmerzen mehr verursacht. So gesehen gibt es also ganz kuriose Beispiele für eine Neo- oder Re-Identifikation von Bambergern mit dem Dom. Ablehnung desselben habe ich vor allem aus ästhetischen Gründen erlebt, viele empfinden den Dom von Innen als zu kahl, zu kühl, zu steril und so weiter, selten gibt es einen grundsätzlichen antiklerikalen, religions- oder christentumskritischen Impetus, was aber vorrangig politisch, ideologisch motiviert ist. Sie sprechen die religiöse Praxis an: Generell sind die Zahlen der Kirchen- beziehungsweise Gottesdienstbesucher europaweit rückläufig, das ist in Bamberg auch so. Die Sonntags- und vor allem Weihnachtsmessen sind relativ gut besucht, Ostermessen ebenfalls, der Dom fungiert auch als beliebte Hochzeitskirche, Taufen sind recht häufig, aber den ganz klar überwiegenden Großteil der Besucher stellen Touristen. Ich schätze mal, dass die Bedeutung des Doms für die Bamberger einigermaßen heterogen ist – einigen bedeutet er viel, wie etwa mir und vielen Kollegen und Mitarbeitern der Erzdiözese, für andere ist er halt einfach da, wird zu Kenntnis genommen, aber mehr dann auch nicht, es hängt denke ich stark von der jeweiligen Person und ihrem jeweilig geistigen Hintergrund ab.
Falls es so etwas wie eine Bamberger Identität gibt – welche Rolle spielt der Dom dabei?
Matthias Scherbaum: Auch das würde ich meinen ist sehr stark abhängig von der jeweiligen individuellen Person, ich kann dazu so gut wie nichts Allgemeingültiges sagen. Wobei der Dom sicherlich durch seine große Präsenz, direkt optisch, man sieht ihn etwa bereits von verschiedenen Stellen der Bahngleise, oder auch indirekt, wie etwa in der Brauerei Kaiserdom oder dem Bamberger Reiter als Logo der Stadt, in der Gaststätte „Domterrassen“, oder als Motiv auf diversen Werbeträgern, sehr viel mit der Stadt Bamberg zu tun hat und jemand, der gerne in Bamberg lebt und die Stadt insgesamt gut findet, sicherlich auch ein positives Verhältnis zu diesem Bauwerk haben dürfte.
In Köln heißt es: Wenn der Kölner Dom vollendet ist, geht die Welt unter. Gibt es zum Bamberger Dom ähnliche Sprichwörter?
Matthias Scherbaum: Es gibt einen ganzen Sagen- und Legendenkranz in Bezug auf den Bamberger Dom, beispielsweise die „Domkröten“, der „Teufelsbaumeister“, die Legenden um Heinrich II. und Kunigunde auf dem Kaisergrab, bei denen immer wieder auch ganz ähnlich apokalyptische Szenarien wie das von Ihnen angeführte Kölner Beispiel eine Rolle spielen, aber ein in diesem Sinn vergleichbar knackiger Spruch den Bamberger Dom anbelangend ist mir in dieser Form soweit nicht bekannt, außer vielleicht folgendem: „Wer zum Bamberger Dom will, muss durch die Hölle gehen“ – was ich vor ein paar Jahren mal von Schülern gehört hab, die vom Stephansberg kommend über den Schulplatz Richtung Domgrund unterwegs waren, und damit offenbar auf den entsprechenden Straßennamen bei der Oberen Pfarre angespielt haben, was so gesehen als launiger Spruch Jugendlicher, weniger als etabliertes geflügeltes Wort verstanden werden kann, aber nichtsdestotrotz natürlich ganz witzig ist.