Den Steigerwald, wo er seit 1970 lebt, nennt der Künstler herman de vries sein Atelier. Dort sammelt der 93-jährige Niederländer die Bestandteile
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Ausstellung „umarmt von der Welt“
herman de vries: Ausschnitte aus der Wirklichkeit
Den Steigerwald, wo er seit 1970 lebt, nennt der Künstler herman de vries sein Atelier. Dort sammelt der 93-jährige Niederländer die Bestandteile seiner Werke: Äste, Blätter, Steine, Tierknochen, Erden oder kleine Alltagsgegenstände. Die Werke, die daraus entstehen, entziehen sich jeder Einordnung – wie die in ihnen dargestellte Natur stehen sie ohne Bedürfnis nach Selbsterklärung für sich selbst. Im Interview mit Kuratorin Katharina Winterhalter haben wir trotzdem den Versuch einer Annäherung an das nicht so leicht Erklärbare bei herman de vries unternommen.
Frau Winterhalter, warum bedient sich herman de vries grundsätzlich der Kleinschreibung?
Katharina Winterhalter: Hintergrund ist seine Ablehnung jeglicher Form von Hierarchie seit seiner Jugend. Schon als Kind hatte er ein großes Bedürfnis nach Freiheit. Die Schule war ihm ein Gräuel, er fühlte sich eingesperrt. Die Kleinschreibung ist ein sichtbares Zeichen gegen die Hierarchie in der Schrift. Es wäre schön, wenn Sie das bei seinem Namen, den Titeln seiner Werke und dem Ausstellungstitel übernehmen könnten.
Was bedeutet der Ausstellungstitel „umarmt von der welt“?
Katharina Winterhalter: Vor ein paar Monaten, bei einem gemeinsamen Spaziergang im Wald, wurde mir klar, was das Thema der Ausstellung sein würde: Was das Draußen-in-der-Natur-sein für herman de vries bedeutet, seit er als Kind mit seinen Eltern in den Dünen spazieren ging, nämlich frei sein. Und wie es sein Leben und seine Kunst beeinflusste. Bis heute erinnert er sich an den Geruch von Salz und Meer, an die kleinen Pflanzen im Sand, den Himmel über sich und daran, was diese Erfahrungen in ihm auslösten. Er fühlte sich als Teil der Natur. Dieses Gefühl, sich draußen frei zu fühlen, begleitet ihn bis heute. Der Titel „umarmt von der welt“ ist der Anfang eines Gedichtes und beschreibt dieses Empfinden auf sehr poetische Weise.
Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Werke die Ausstellung ausgewählt? Ist es eine Retrospektive?
Katharina Winterhalter: Nein, es ist keine Retrospektive, dazu fehlen doch einige Bereiche seines Schaffens. Wir haben Werke ausgewählt, in denen sich der Ausstellungstitel widerspiegelt: Bilder, Skulpturen, Fotografien und Installationen aus dem Garten, dem Wald und von Reisen in viele Länder. Zum Beispiel ein fast vier Meter großer Kreis mit Blättern und Ästen aus dem Steigerwald, Steine aus aller Welt, grüne Erde aus Gomera, ausgerieben auf ein großes Blatt Papier oder die Blätter eines Apfelbaumes, die nach einem Hagelsturm 1978 auf der Erde lagen. Jedes auf eine andere Weise beschädigt. Zum ersten Mal zu sehen ist das gut 90-teilige „journal von bahrain“. Ein Journal ist eine Art Tagebuch über eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort, dieses entstand 2020 für eine Ausstellung im Nationalmuseum von Bahrain, die wegen Corona aber abgesagt werden musste.
Was müssen so ein Blatt oder Alltagsgegenstände, wie sie das „journal“ zeigt, haben, dass de vries sie für sammelnswert hält? Warum hebt er den einen Ast auf und lässt den anderen liegen?
Katharina Winterhalter: Das ist nicht leicht erklärbar. Auch hier gibt es für herman keine Hierarchie. Alle Blätter oder Äste sind für ihn gleich bedeutsam, sind Teil des Ganzen. Ich gehe mit ihm durch den Wald und oft weiß ich schon, was er sehen oder aufheben wird. Aber das sagt nichts über den Wert der Dinge, die er schließlich mitnimmt, aus. Es sind sehr intuitive Momente. herman sprach einmal von der Poesie des Augenblicks. Dabei stellt sich natürlich auch die Frage, ab wann diese Dinge zur Kunst werden? In dem Moment, wenn er sie sieht, aufhebt und mit nach Hause nimmt? In dem Moment, in dem er mit seiner Frau Susanne darüber spricht oder in dem Moment, in dem er beschließt, sie zu zeigen? Wir haben lange darüber gesprochen und keine endgültige Antwort gefunden. Denn die Dinge bleiben ja, was sie sind, ob sie nun im Wald liegen oder im Museum an der Wand hängen.
Versucht er, die Dinge irgendwie mit Bedeutung aufzuladen?
Katharina Winterhalter: Nein, wie eben schon gesagt, die Dinge stehen für sich. Die Natur spricht für sich. Natürlich geht es auch um Vergänglichkeit, das ist bei vielen Arbeiten spürbar. Aber man muss das nicht komplizierter ausdrücken. In der Einfachheit kann eine große Schönheit oder Poesie liegen. Dürer hat ein Rasenstück gemalt, ein wunderbares Werk. herman hat ein Rasenstück ausgeschnitten, hat es getrocknet und gerahmt. Dann kann das Publikum entschieden, ob es sich berühren lässt oder nicht.
Etwa zum Beginn des 20. Jahrhunderts kam sogenannte Ready-made Kunst auf, also Kunst, die Kunst ist, weil ihre Gegenstände dazu erklärt wurden. Ist das seine Richtung?
Katharina Winterhalter: Man kann einen Teil davon sicher als Ready-made bezeichnen, zum Beispiel die eingerahmte Sichel, die zum „journal von bahrain“ gehört. Aber der Begriff steht auf keinen Fall für das ganze Werk.
Könnte sein Ansatz darin bestehen, völlig unkünstlerische Dinge wie Alltagsgegenstände zu nehmen, sie durch die Platzierung in einem künstlerischen Rahmen, den er ihnen beimisst, künstlerisch aufzuladen, um dem oft Akademischen der Kunst oder des Kunstbetriebs, dem Hochherrschaftlichen etwas entgegenzusetzen?
Katharina Winterhalter: Die Frage kann ich nicht wirklich beantworten, denn sie stellt sich heute so nicht mehr. Dafür gibt es zu viele Kunstformen, die mit der Strenge der klassischen Malerei oder Bildhauerei und der Vorstellung vom Künstler als Genie gebrochen haben. Was viele Künstler wie herman schon sehr früh, nach dem Zweiten Weltkrieg, beschäftigt hat, war die Frage, wie man nach dem Grauen des Krieges überhaupt noch Kunst machen kann. Eine Antwort darauf fanden Ende der 1950er-Jahre etwa in Düsseldorf die Gruppe „ZERO“ und in den Niederlanden die Gruppe Nul, zu der auch herman de vries zählte. Sie wollten einen Neuanfang in der Kunst, eine Stunde Null. Ein Weg war, das Malerische immer weiter zurückzudrängen, bis weiße Bilder entstanden, die in der Wand aufgingen. Und was herman angeht: Er ist nicht einer, der gegen etwas ist. Er geht unbeirrt seinen eigenen Weg. Seine Arbeiten können zwar als Absage gelesen werden, seine Absicht ist es aber nicht.
Eine fotografische Arbeit zeigt ihn nackt im Wald. Was hat es damit auf sich?
Katharina Winterhalter: Für herman bedeutet auch das Nacktsein eine Form von Freiheit. So spürt er am stärksten die Verbundenheit mit der Natur. Ohne Kleidung nimmt er seinen Körper viel intensiver wahr. Natürlich braucht er dazu eine geschützte Umgebung und manchmal teilt er diese Erfahrung auch mit anderen, so wie in dieser Fotoserie zu sehen.
In seinen Anfängen in den 1950er Jahren schuf herman de vries auch Gemälde. Ein Genre, von dem er sich dann aber abwendete. Warum?
Katharina Winterhalter: Als junger Künstler wollte er seine Natureindrücke auch malerisch ausdrücken, aber ohne sie abzubilden, nur vom Gefühl geleitet. Dabei entstanden einige Gemälde, von denen er heute noch sagt, dass sie durchaus befriedigend waren, dass er aber schon bald das Bedürfnis hatte, das Malerische immer weiter zurückzunehmen. Schließlich fand er einen Weg, die Dinge so darzustellen, wie sie sind, ohne eine eigene Aussage treffen zu müssen: als Ausschnitte aus der Wirklichkeit sozusagen.
Die Arbeit „in transit“ zeigt eine quadratmetergroße Fläche, auf deren einer Hälfte Äste liegen und auf der anderen dutzende Tierschädel und Knochen. Nach welchen Gesichtspunkten ordnet er diese Stücke an?
Katharina Winterhalter: Der Aufbau der Installation hat Barbara Kahle, der Vorsitzenden des Kunstvereins, und mir viel Spaß gemacht. Vorgegeben hat herman de vries nur die Größe der Fläche und die Aufteilung in zwei Hälften, aber wir hatten die Freiheit, die Äste und Knochen so anzuordnen, wie wir es für gut hielten.
Also auch hier eine Verweigerung von Gestaltung oder Abstraktion – die so weit geht, nicht einmal die Bestandteile seiner Werke nach einer bestimmten Absicht anordnen zu wollen?
Katharina Winterhalter: Ich würde es positiver formulieren. Für ihn ist es eine selbstverständliche Freiheit, den Kuratorinnen die Anordnung seiner Installation zu überlassen.
Am 4. August findet im Begleitprogramm der Ausstellung eine „reading performance“ statt, bei der herman de vries und Sie einige seiner Gedichte lesen. Wie geht er in diesen Gedichten, neben der Kleinschreibung, mit der Abstraktheit, die der Sprache zu eigen ist, um?
Katharina Winterhalter: Die Gedichte von herman haben meist ein Erlebnis, eine alltägliche Erfahrung oder eine Beobachtung als Ausgangspunkt. Er geht morgens in den Garten, hört die Vögel, sieht die Birke im Morgenlicht leuchten. Solche Beobachtungen versucht er, in Worte zu fassen. Dabei geht er sehr reduziert mit Sprache um – kein Wort zu viel, aber auch keines zu wenig. Diese Zeilen entstehen sehr spontan. Auch das Gedicht, das wir in dieser Ausstellung zeigen und in dem er sich auf sehr abgeklärte Weise seine Gedanken zum Sterben und zur Freude, am Leben zu sein, macht.
Seit 1970 wohnt er in Eschenau im nördlichen Steigerwald. Warum ist er dorthin gezogen?
Katharina Winterhalter: Der Kunstbetrieb in den Niederlanden wurde ihm damals zu eng und er war auf der Suche nach einem Ort, an dem er freier leben und Kunst machen könnte. Zuerst wollte er auf einer kleinen Insel auf den Seychellen leben – das klappte nicht, also entstand die Idee, in Irland ein Cottage zu kaufen. Auf dem Weg dorthin besuchte er einen Künstlerfreund, einen Bildhauer, im Steigerwald. Während dieses Aufenthalts wanderte herman de vries durch den Böhlgrund, ein wunderschönes Tal bei Eschenau. Er war hingerissen von der Schönheit und Abgeschiedenheit des Waldes und als er später den steilen Berg hinunter nach Eschenau fuhr, lag das Dorf so schön in der Abendsonne. Am Wegesrand stand eine Bäuerin, die er spontan fragte, ob im Dorf eine Wohnung zu mieten sei. Es gab eine und so blieb er.
Ist er in Eschenau so etwas wie eine Berühmtheit?
Katharina Winterhalter: Inzwischen wissen die Leute, was er macht und auch, dass er als Künstler einen Namen hat. Viel dazu beigetragen hat eine Ausstellung vor gut 20 Jahren in der Galerie im Saal in Eschenau. Ihr Titel war „vor euer föaß“. Da erkannten die Menschen, dass seine Arbeiten etwas mit ihnen zu tun haben, mit der Umgebung, in der sie leben. Dass er zum Beispiel im Steigerwald mehr Wege und Flurnamen kennt als die allermeisten Einheimischen. Und wenn Menschen so eine Verbindung der Kunst zu ihrer Lebenswelt erkennen, fühlen sie sich oft ganz anders davon berührt. Und die Biennale in Venedig 2015, bei der er den niederländischen Pavillon bespielt hat, war auch in Franken ein Aha-Erlebnis.
Die Ausstellung „umarmt von der Welt“ von herman de vries ist noch bis 1. September im Kesselhaus zu sehen.
„Unsere Arbeit könnte besser laufen, wenn wir einen permanenten Ausstellungsort hätten“
200 Jahre Kunstverein Bamberg
Anfang des 19. Jahrhunderts begann sich eine Gruppe kunstinteressierter Bamberger Bürger regelmäßig zu treffen, um sich über ihre kulturelle Leidenschaft auszutauschen. 1823 ging aus diesen Treffen die Gründung eines Kunstvereins hervor. Dieser Kunstverein wird nun 200 Jahre alt und zählt damit zu den ältesten seiner Art in Deutschland. Dr. Barbara Kahle ist seit 2010 Vorsitzende des Vereins. Mit ihr haben wir über den damaligen, heutigen und zukünftigen Kunstverein gesprochen – und über seine fast schon traditionelle Unterkunftslosigkeit.
Frau Kahle, was zeigte der Kunstverein in seiner ersten Ausstellung vor 200 Jahren?
Barbara Kahle:. Das lässt sich so genau gar nicht sagen, die Ausstellungstätigkeit hat sich erst nach und nach entwickelt. Man beschäftigte sich mit Werken Bamberger Künstler oder auch mit privaten Sammlungen, die dann in kleinerem Rahmen auch für Ausstellungen zur Verfügung gestellt wurden. Der Kunstverein ist damals hervorgegangen aus privaten Treffen künstlerisch interessierter Bürger, zu denen auch der Arzt Adalbert Friedrich Marcus und E.T.A. Hoffmann gehörten. Erst als Stephan Freiherr von Stengel, der diese Zusammenkünfte initiiert hatte, gestorben war, entschloss man sich, diese Treffen zu institutionalisieren und den Kunstverein offiziell zu gründen.
Heute hat sich der Kunstverein der zeitgenössischen Kunst verschrieben. Galt dieser Fokus von Anfang an?
Barbara Kahle: Nein, denn anfänglich hat der Kunstverein keine Unterscheidung gemacht zwischen zeitgenössischer oder moderner Kunst und Kunst aus vergangenen Zeiten. Schaut man sich die Programme der ersten öffentlichen Ausstellungen von vor 200 Jahren an, wurde zwar durchaus gezeigt, was damals aktuell war, aber auch sehr viel historische, alte Kunst. 1828 richtete der Verein zum Beispiel ein großes Albrecht Dürer-Jahr aus.
Diese Haltung zog sich eigentlich weiter bis zum 2. Weltkrieg. Von seinem Selbstverständnis her war der KV zunächst eine Vereinigung, die sich allgemein um Kunst gekümmert hat, deren Mitglieder sich zusammengetan haben, um gemeinsam Kunst zu schauen, zu besprechen und ihr Publikum darüber mittels selbst gegebenem Bildungsauftrag weiterzubilden. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg, die man als Zeit eines kulturellen Neuanfangs überschreiben könnte, zeigte sich die Aufbruchstimmung in einigen bemerkenswerten Ausstellungen wie etwa „Deutsche Kunst der Gegenwart“ von 1947 oder „Druckgrafik der Brückemeister“ von 1958. Das Historische war damit aber nicht ausgeklammert; vor allem in Vorträgen widmete man sich allen Epochen der Geistes- und Kulturgeschichte.
Besteht dieser Bildungsauftrag heute noch?
Barbara Kahle: Ja, aber früher spielte die Bildung ein andere Rolle. Unsere Satzungen aus dem 19. Jahrhundert geben als Vereinsziele unter anderem „Unterhaltung und Belehrung“ des Publikums über alle Zweige der Bildenden Kunst und „Verbreitung von Kunst-Geschmack“ an. Heute ist das anders. Heute geht es in Sachen Bildung nicht so sehr um Belehrung als um ein Angebot, das gemeinsame Erlebnis, Kunst zu entdecken. Heute sollen durch Ausstellungen eher Anregung für und Diskussion mit dem Publikum entstehen.
Entstehen solche Diskussionen?
Barbara Kahle: Es ist manchmal ein mühsames Geschäft, es gelingt nicht immer. Wir sind ein kleiner Kunstverein, der ehrenamtlich mit begrenzten finanziellen Möglichkeiten arbeitet und außerdem eingebettet ist in die Strukturen der Stadt Bamberg, wo die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst lange kaum Beachtung gefunden hat. Wir merken, dass manchmal die Grundlage und auch die Bereitschaft für das Verständnis von zeitgenössischer Kunst fehlt.
In welchem Zustand befindet sich der Kunstverein heute?
Barbara Kahle: In einem guten!
Kann also alles so bleiben, wie es ist?
Barbara Kahle: Nein! Eigene Räume müssen her. Ich denke, wir haben einen sehr engagierten Vorstand im Kunstverein, der in den letzten Jahren sehr schöne Ausstellungen gezeigt hat. Nicht alles war wunderbar – aber ich glaube, im Großen und Ganzen können wir zufrieden sein, wobei wir natürlich von der Arbeit unserer Vorgänger sehr viel profitieren. Doch angesichts dessen, dass wir ehrenamtlich arbeiten, haben wir immer ein gutes Programm geboten, mit verhältnismäßig vielen Ausstellungen, durchschnittlich vier pro Jahr. Ich denke, vom Ansehen her steht der Kunstverein damit wirklich gut da.
Aber?
Barbara Kahle: Unsere Arbeit könnte besser laufen, wenn wir einen permanenten Ausstellungsort hätten. Eine gute Möglichkeit ist seit 2011 das Kesselhaus, das aber nicht für alle Arten von Kunst-Ausstellungen geeignet ist – manche Werke gehen in diesem großen Raum mit seinen dominanten Nutzungsspuren einfach unter. Es wäre insofern besser, zusätzlich einen Ort zu haben, an dem man die Kunst adäquat präsentieren kann, weiße Wände, auf denen sich die Kunst entfalten kann. Wir brauchen einen dauerhaften Ort, dessen Räume passend sind und noch mehr Möglichkeiten bieten als der gegenwärtige eigentliche Kesselraum.
Was heißt das genau?
Barbara Kahle: Wir bräuchten Raum, wo man sich auch mal hinsetzen kann, um zum Beispiel über die jeweilige Ausstellung zu diskutieren, um Vorträge zu hören oder Workshops abzuhalten. Weder in der Villa Dessauer noch im Hauptraum des Kesselhauses gibt es dies. Es fehlt an sozialer Infrastruktur für Kunstpädagogik und auch an einem Café.
Wo könnte solch ein Ort sein?
Barbara Kahle: Das gesamte Kesselhaus-Areal am Leinritt ließe sich prächtig dazu umnutzen! Im Kesselraum selbst könnte Experimentelles und Überformatiges hinein, während die anderen Bereiche zu gängigen, hellen Ausstellungsräumen, sogenannten White-Cubes, umgebaut werden.
Wie ist der aktuelle Stand des Kesselhauses als möglicher permanenter Ausstellungsort?
Barbara Kahle: Eine Machbarkeitsstudie zur Verwendung des Kesselhauses als dauerhaften Ort für Kunst und Kultur wurde gerade ausgeschrieben, aber noch nicht begonnen. Der Verein Kunstraum JETZT! hat bis 2026 einen Nutzungs-Vertrag mit dem Immobilienmanagement, das das Kesselhaus verwaltet. Das sind also noch gut drei Jahre, in denen die Studie fertig sein sollte.
Wie lange sucht der Kunstverein schon nach einem festem Ort?
Barbara Kahle: Seit 200 Jahren.
Wieso ist es in dieser langen Zeit nicht gelungen, einen dauerhaften Ort zu finden?
Barbara Kahle: Dies wurde lange Zeit nicht als Problem empfunden. Angefangen hat alles, wie gesagt in Privathäusern, im Hellerschen Haus an der Unteren Brücke genau gesagt. Ab 1853 mietete sich der Kunstverein im Krackhardt-Haus ein – bis 1929, danach für wenige Jahre im Rathaus. Man begnügte sich, anders gesagt, mit den Orten, die man zur Verfügung hatte. Erst im 20. Jahrhundert begann zunehmende Unzufriedenheit darüber, immer hin und her ziehen zu müssen.
1934 gab es echte Überlegungen, an der Promenade ein eigenes Gebäude zu errichten, die aber nie über eine Zeichnung des Gebäudes hinauskamen; es gab also nicht einmal einen Bauplan. Nach dem Krieg hoffte man, in der Residenz eine dauerhafte Bleibe gefunden zu haben. Dort auszustellen ist aber heute unter anderem aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich. Unser ehemaliger Vorsitzender Hans Neubauer hat dann in den 1980er Jahren mitgewirkt, dass mit dem Umbau der Villa Dessauer zu einem städtischen Ausstellungshaus der Kunstverein dort immerhin zwei winzige Depoträume im Dach bekam und in der Villa vor allem einmal im Jahr einige Wochen unentgeltlich ausstellen darf. Diese Übereinkunft hat bis heute Bestand. Aber die Villa kann niemals eine Geschäftsstelle, wie wir sie zurzeit in der Schützenstraße haben, sein. Es wäre gut, wenn alles unter einem Dach wäre.
Wie hoch ist die Miete im Kesselhaus?
Barbara Kahle: Der Verein Kunstraum JETZT! zahlt mit Unterstützung des Kulturamts dem Immobilienmanagement eine kleine Miete. Sollte das Kesselhaus als fester Ort für Kunst etabliert werden, würde, könnte das natürlich so bleiben. Aber derzeit sind wir immer im Zweifel, ob 2026 nicht Schluss ist, wenn nämlich die Machbarkeitsstudie zu unseren Ungunsten ausfällt.
Sind Ausstellungen das beste Argument, um die Stadt vom Kesselhaus als festem Ort zu überzeugen?
Barbara Kahle: Ja.
Ist es Ihnen insofern noch nicht gelungen, überzeugende Ausstellungen zu zeigen?
Barbara Kahle: Ich glaube nicht, dass das so einfach funktioniert. Unsere stärkste Waffe ist tatsächlich unser Wirken, das natürlich in erster Linie aus Ausstellungen besteht. Hinzu kommt unsere Arbeit in Gremien, ich selbst bin Mitglied der Kulturkommission, wir sind im Ausschuss für Kunst im öffentlichen Raum und so weiter. Die Bedeutung des Kunstvereins zeigt sich eben auch im Mitgestalten des allgemein-städtischen kulturellen Lebens. Sie sollten sich mal vorstellen, wie die Stadt und ihre kulturelle Szene aussähe, wenn es den Kunstverein mit seinen Ausstellungen und Aktivitäten nicht gäbe.
Der Kunstverein hat etwa 300 Mitglieder. Herrscht Überalterung oder haben Sie reichlich jungen Nachwuchs?
Barbara Kahle: Wir haben als Bürgerverein seit jeher viele ältere Mitglieder, von denen einige aus dem Verein austreten oder leider wegsterben. Dies bedeutet einen altersbedingten Mitgliederschwund, der die Zahl neuer Mitglieder noch immer übertrifft. Das ist ein Manko vieler Vereine, so auch des Kunstvereins. Wir bräuchten viel mehr junge Mitglieder – gerne auch im Vorstand – die wiederum mehr Kontakt zu jungen Leuten bringen könnten.
Sie sind seit 2010 Vorsitzende des Kunstvereins. An welche Ausstellungen aus dieser Zeit denken Sie besonders gern zurück?
Barbara Kahle: Das ist natürlich grundlegend sehr subjektiv, aber eine Ausstellung, die uns – und auch dem Publikum – besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist die Ausstellung „Fremde Gärten“ mit riesigen Tulpen-Scanogrammen von Luzia Simons im Kesselhaus 2012. Ein grandioses Erlebnis, vielleicht auch deshalb, weil es unsere erste große Ausstellung im Kesselhaus war.
Seitdem nichts mehr? 2012 ist schon ein bisschen her.
Barbara Kahle: Ja, aber gerade diese Ausstellung ist vielen in starker Erinnerung geblieben. Ein aktuelleres Beispiel wäre die Ausstellung von Philip Grözinger letztes Jahr mit seinen völlig abstrusen Gemälden.
Gibt es Ausstellung, die Sie nicht mehr zeigen würden? Mir würde die heillos verkopfte und blutleere Ausstellung „Porosity Playground“ von 2021 einfallen.
Barbara Kahle: Na ja, sagen wir mal so: Bei manchen Ausstellungen, in denen der inhaltliche Bogen nicht ganz offensichtlich ist, fehlt der Punkt, der Funke, mit dem die Werke sozusagen auf das Publikum überspringen. Teilweise fällt es auch mir nicht immer leicht, einen Zugang zu finden.
Hat der Kunstverein jemals seine Gleichschaltung in der Nazizeit zum Ausstellungsthema gemacht?
Barbara Kahle: Die Einträge aus Sitzungsprotokollen zum Ausschluss der jüdischen Vereinsmitglieder aus dieser Zeit sind im Verein bekannt und wurden immer wieder veröffentlicht. Die genauen Umstände wurden aber nie näher untersucht. Für das Jubiläumsjahr haben wir den Historiker Andreas Ullmann beauftragt, das vorhandene Material noch einmal genauer zu sichten und einzuordnen. Damit wollen wir auch eine Entschuldigung anbieten. Weiterhin werden wir zunächst für ein deportiertes Mitglied, und nach und nach auch für die anderen, einen Stolperstein in Bamberg verlegen lassen.
Am 28. März halten Sie eine Vortrag mit dem Titel „200 Jahre Kunstverein – Und wie weiter?“ Wie geht es weiter mit dem Kunstverein?
Barbara Kahle: Hoffentlich irgendwann mit besseren Ausstellungs-Räumlichkeiten mit kunstpädagogischem Anspruch. Dann würden wir auch gerne eine Artothek aufbauen, in der man Grafiken aus unseren Beständen ausleihen kann. Bislang bekommt die Sammlung kein Mensch zu sehen. Wir arbeiten an der Digitalisierung, aber dafür fehlt oft die Zeit.
Sie sind seit 13 Jahren im Amt. Denkt man da bereits an die Nachfolge?
Barbara Kahle: Ich bin 70 und es macht mir weiterhin Spaß, aber natürlich ist irgendwann Schluss. Es muss also eine Perspektive meiner Nachfolge entwickelt werden. Das Programm, das wir zurzeit jährlich aufstellen, ist nur möglich, weil ich es mir einrichten kann, mich ehrenamtlich tagtäglich dem Kunstverein zu widmen. Eine überlegenswerte Idee für meine Nachfolge ist, dass der Kunstverein finanziell in der Lage wäre, eine feste Kraft einzustellen, der die Ausstellungen kuratiert und den Geschäftsbetrieb übernimmt, während der Vorstand weiterhin ehrenamtlich tätig bleibt. Das wäre eine gute Chance, Ausstellungen in die Hände von jemand jüngerem zu legen – wie gesagt, eine Möglichkeit, über die man durchaus diskutieren sollte.
Frische Luft unter der Glasglocke
Beganzapreisträger Christoph Gatz
Der Berganzapreis des Bamberger Kunstvereins geht in diesem Jahr an den Architekten Christoph Gatz. Damit hat die Vereinigung in erster Linie einen Unterstützer der örtlichen Kunst und Kultur und nicht einen ihrer Akteure, anders ausgedrückt einen Künstler, ausgezeichnet. Zur Begründung nennt der Kunstverein unter anderem Gatz’ Einsatz für zeitgenössische Kunst. Außerdem haben Gatz’ Bauten den hiesigen Blick auf Architektur erweitert. Denn: Es muss nicht immer alles alt sein.
Seine Entwurfsansätze bezeichnet der Architekt Christoph Gatz als modern – nicht modisch –, unaufgeregt und einfach. Er verfolge eher einen konzeptionellen Zugang zur Gestaltung, der im gedachten Dialog mit umstehenden, bereits bestehenden Gebäuden und Baustilen liege, als die Bauweise einer exaltierten, „fast schon skulptural anmutenden Architektur, wie sie immer häufiger zu finden ist.“
„Welchen Dialog mit bereits bestehender Bausubstanz kann man eingehen?“, sagt Christoph Gatz. „Was kann man an dieser Stelle für die Menschen, für die wir bauen, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln machen? Wir wollen einfach und gut bauen. Das haben, glaube ich, Architekten häufig nicht mehr auf ihrem Firmenschild stehen. Viele wollen etwas Einmaliges, etwas ganz Besonderes entstehen lassen. Das ist nicht unsere allererste Handlungsmaxime.“
Der von Christoph Gatz und seinem Team entworfene Glasbau des Appartementhauses der Villa Concordia ist ein gutes Beispiel dafür. Anstatt den prunkvollen, geschmückten Barockstil des Wasserschlosses fortzuführen, oder zu kopieren, entschied man sich, durch eine reduzierte Gestaltung Spannung mit der Villa zu erzeugen.
Der Rhythmus der Fensterreihen des historischen Gebäudes wurde zwar beibehalten, aber ohne die entsprechenden Bestandteile der Glasfassade etwa durch Rahmen oder Abtrennungen besonders hervorzuheben. Die Konstruktion des Glasbaus verschwindet hinter dem Glas. Dieses Nebeneinanderstellen von Historischem und Modernem, dieses gleichzeitige Zitieren und Reduzieren der Gestaltung der Villa erzeugt architektonische Spannung. Besonders wichtig war dem Architekten, die großen Bäume zu erhalten, weshalb das Gebäude auf einzelne Pfähle gestellt wurde, um die Wurzeln nicht zu verletzen.
Eine derartige Bauweise war im Jahr 1999, als die ersten Stipendiatinnen und Stipendiaten einzogen, noch relativ neu in Bamberg und trug trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Unspektakulärheit zu einem Umdenken beim Thema „Alt-Neu“ bei. Teilweise löste sie sogar heftige Reaktionen in der Bevölkerung aus.
Unter der Glasglocke
Die kulturelle Situation, die Christoph Gatz 1985 nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt nach Studienjahren in Karlsruhe, München und Nordafrika und ersten Berufsjahren in München vorfand, war nämlich eher eine konservative. Bamberg hatte sich, so Gatz, baukulturell unter eine Glasglocke begeben. Man ruhte sich auf dem Titel der Weltkulturerbestadt aus. Die Bewahrung der Bautradition, die Pflege der Denkmäler und ganz allgemein das Geschichtsbewusstsein stand ganz oben. Und das Programm der Symphoniker bewegte sich vorwiegend im Bereich der Klassik.
Und so freute es Christoph Gatz, den Liebhaber zeitgenössischer Kunst, als mit dem von Dr. Bernd Goldmann initiierten Skulpturenpfad die Moderne an vielen Orten im Stadtbild sichtbar zu werden begann. „Das war ein ganz wichtiger Impuls.“
Dieser Überbetonung des zwar Altehrwürdigen, aber eben auch Alten, steuert Gatz, kurz gesagt, seinerseits seit jeher architektonisch entgegen. Was ihn für den Kunstverein aber vornehmlich berganzapreisträchtig gemacht hat, waren nicht so sehr künstlerische Erwägungen seiner zeitgenössischen Bauweise. Er sieht sich ohnehin ausdrücklich nicht als Künstler. Der hundeförmige Preis wurde ihm vor allem für den genannten Diskussionsanstoß und seinen Einsatz für die Bamberger Kultur, soll heißen für die Etablierung der zeitgenössischen Kunst vor Ort zugesprochen.
Für die zeitgenössische Kunst in Bamberg
Seit 1989 vergibt der Kunstverein Bamberg jährlich den Berganzapreis an kunst- oder kulturschaffende Personen oder Einrichtungen Bambergs. In der Begründung, Christoph Gatz die diesjährige Auszeichnung zu verleihen, heißt es: „Als Berganza-Preisträger hat der Vorstand des Kunstvereins in diesem Jahr eine Persönlichkeit ausgewählt, die sich gemäß unseren Kriterien seit vielen Jahren mit Leidenschaft, Idealismus, Selbstlosigkeit und nicht zuletzt intensiver Arbeit im Kulturleben der Stadt engagiert.“
Und weiter: „So verdanken wir seinem initiativen und unermüdlichen Einsatz für das Kesselhaus, dass wir dieses Haus seit nun schon zehn Jahren bespielen können. Er ist seit vielen Jahren auch ein Förderer des Levi-Strauss-Museums in Buttenheim und hat als langjähriger Sprecher des Architektur-Treffs-Bamberg die Diskussion um neue Architektur in dieser Stadt befördert. (…) Nicht zuletzt dank seines Engagements sind auch die großartigen Fenster von Markus Lüpertz in der Elisabethenkirche nahezu fertig gestellt.“
Überrascht habe ihn die Nachricht von der Verleihung des Berganzapreises aber schon, sagt Christoph Gatz. „Das dauerhafte Engagement der VR Bamberg-Forchheim und des Bamberger Kunstvereines finde ich sehr bemerkenswert. Ich weiß auch schon, in welches künstlerische Projekt ich das Geld stecken werde.“ Moderner Kunst jenseits von Welterbe und Barock einen Platz in der Stadt zu schaffen, ihr zu ermöglichen, dass sie stattfinden kann, ist sein großes Anliegen.
„Vor über zehn Jahren habe ich zusammen mit Gerhard Schlötzer vom Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken eine Begehung im Kesselhaus gemacht. Der Raum lag damals zwar noch mehr oder weniger in Schutt und Asche, aber ich wusste sofort, dass wir daraus was machen können.“
2011 konnte der Kunstverein die erste Ausstellung im ehemaligen Heizraum Kesselhaus eröffnen. Dort, zwischen der Unteren Sandstraße und dem Leinritt, hat zeitgenössische Kunst seit 2015 ununterbrochen bis heute einen Platz, von dem aus sie in die Stadt und den öffentlichen Raum hineinwirken kann.
Lüpertz in Bamberg
Ein weiteres Projekt, in das Christoph Gatz seit sieben Jahren sehr viel Energie steckt, ist die Ausstattung der Kirche St. Elisabeth im Sand mit vom Maler und Bildhauer Markus Lüpertz gestalteten Fenstern. Bei der Enthüllung der Bronzefigur des Apoll unmittelbar vor der Kirche soll der Künstler den Vorschlag gemacht haben, die Glasfenster durch farbige Neuschaffungen zu ersetzen. Pfarrer Hans Lyer war natürlich sofort begeistert. Er übergab die Organisation des Projektes und vor allem die Akquise der Geldmittel aber wenig später an seinen Freund aus Kindertagen, Christoph Gatz.
Die Beschaffung der nicht kleinen Summe stellt sich seitdem als Daueraufgabe dar. 2019 konnte das erste der acht geplanten Fenster eingesetzt werden, bereits wenige Monate später das zweite, nach vier weiteren im Jahr 2021 soll der Abschluss des Projektes im Juni 2022 mit einem Fest gefeiert werden. Denn es waren vornehmlich die Kunstliebhaber, die den größten Teil der Summe aufgebracht haben.
Für Christoph Gatz war es eine reizvolle Aufgabe, das Entstehen der farbigen Glaskunst in einem historischen Kirchengebäude begleiten zu dürfen. „Die Kirchenfenster sind eines der ganz wenigen Beispiele zeitgenössischer Malerei in der Stadt Bamberg. Obwohl das Fensterprojekt noch nicht fertiggestellt ist, hat es bundesweite Bekanntheit und Aufmerksamkeit gewonnen.“
Während der samstäglichen Gottesdienste spielt Gatz in St. Elisabeth übrigens Keyboard. „Ich bin musikalisch ein ziemlicher Dilettant, aber die Leute hören es gerne und singen kräftig mit.“
Beispiele für Gatz‘ Schaffen
Das Bauen im historischen Umfeld nimmt einen sehr großen Platz im Werk des Architekten Christoph Gatz ein. Kultur- und Bildungseinrichtungen stehen im Vordergrund. Eine Ausnahme ist der Bau der Zuschauertribüne des Fuchs-Park-Stadions – Heimstätte des FC Eintracht Bamberg.
Auch hier war der Umgang mit historischem Gebäudebestand gefragt, galt es doch, das Eingangsgebäude aus der Wende zwischen 19. und 20. Jahrhundert zu erhalten. Der Architekt setzte wiederum auf einen Dialog zwischen Neuem und Bestehendem und auf die Spannung, die sich daraus ergibt.
Das Tribünendach stellte seine eigenen Anforderungen. „Das sehr weite Hinausragen der Dachkonstruktion musste mit einfachen Mitteln bewältigt werden. Aufgeregte Konstruktionen wollten wir aus Respekt gegenüber dem Denkmal nicht.“ Und das Grün der Sitze auf der Tribüne passt sogar zum Grün des Rasens.
Christoph Gatz ist und war außerdem auch immer schon außerhalb Bambergs tätig. Überregionale Beispiele seines Schaffens lassen sich überall in Franken finden. In Coburg entstand aus seinen Plänen ein Hörsaalgebäude der Hochschule und in Fürth das Jüdische Museum Franken.
In Memmelsdorf fertigte er die Baupläne der Orangerie des Schlosses Seehof an und in Buttenheim zeichnete er verantwortlich für die Renovierung und Erweiterung des Levi-Strauss-Museums. Und aktuell arbeitet er mit seinem Team am Bau eines neuen Rathauses in Burgebrach, an Wohnanlagen in Frensdorf und Schlüsselfeld, an Schulen in Scheßlitz und Buttenheim.
Noch nicht hat er den Gedanken daran aufgegeben, dass eines Tages das Kesselhaus in Bamberg ein ständiger Ort für zeitgenössische Kunst in Bamberg sein wird. Das läge wohl in der Familie. „Mein Vater und mein Großvater hatten sich als Vorstände des Kunstvereines Bamberg immer eigene Ausstellungsräume gewünscht.“
Die Schönheit des sinnlosen Scheiterns
Ausstellung Philip Grözinger
Dem eingebauten Makel gemäß, dass alles Sein solang’ es strebt auf das eigene Ende zusteuert – was kann die Existenz da anderes sein als eine von vornherein zum Scheitern verurteilte Sinnlosigkeit? So sieht es der Berliner Maler Philip Grözinger, erkennt darin aber auch das Potenzial zur Schönheit. Morgen kommt er mit seiner Ausstellung „Die Schönheit des sinnlosen Scheiterns“ ins Kesselhaus. Das zentrale Werk der Schau hat den Bamberger Reiter zur Hauptfigur.
„Meiner Meinung nach fast alles“, sagt Philip Grözinger, den wir in seinem Berliner Atelier am Telefon erwischen, auf die Frage was sinnloses Scheitern sei. „Vom Urknall bis zum Zusammenbruch der Sonne fällt ja alles in sich zusammen.“
Aber das Sinnlose ist nicht zwangsläufig sinnentleert. Die sinnlose Zeit bis zum unausweichlichen Scheitern kann durchaus mit sinnhaften Dingen gefüllt werden. „Daraus, dass wir uns vorspiegeln, dass von uns Menschen etwas übrig bleibt, um sozusagen die Unerträglichkeit des Sterbens erträglicher zu machen, kann eine gewisse Schönheit entstehen. Ich finde es schön, dass man trotz der Beleidigung des Sterbens, positive Aspekte des Lebens annehmen und zum Beispiel etwas kreieren kann. Darin liegt die Antriebsfeder für Neugier und Positives.“
Scheitern beziehungsweise das Eingeständnis dieser finalen Existenzperspektive kann auch eine Chance sein. Oder vielleicht sogar befreiend. Ist der Druck, dem Dasein einen Sinn abgewinnen zu wollen, oder zu müssen, erst weg, lässt es sich sozusagen ganz frei aufspielen.
Eines dieser sinnhaft-sinnlosen Dinge ist die Kunst. Sie spendet Sinn, ist aber ihrerseits von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nie kann das Abgebildete ganz erfasst werden, weil es immer nur Abbildung bleibt.
„Ja, es gibt nicht das perfekte Kunstwerk“, sagt Philip Grözinger. „Der Druck auf Kunst, relevant zu sein, zu erahnen und zu ertasten, was gesellschaftlich auf uns zu kommt, ist groß und verurteilt sie zum Scheitern. Denn sie wird immer überrollt von der Gegenwart und wird Vergangenheit. Bei musealer Kunst kommt noch dazu, dass sie gescheitert ist, weil sie zur Dekoration gemacht wurde.
Der Anspruch von Kunst sollte darum eher sein, sich weiterzuentwickeln, weil Gesellschaft sich weiterentwickelt. Schafft sie das nicht, hat sie fast schon die Aufgabe, in Schönheit zu sterben.“
In Bamberg bringt Philip Grözinger seine Gemälde in diese Gefahr, wenn er sie ab 11. Juni im Kesselhaus ausstellt. „Ich konnte mich entscheiden zwischen der Villa Dessauer und dem Kesselhaus. Ich nahm das Kesselhaus, weil es mit seinen kahlen Betonwänden schon ein bisschen die Atmosphäre hat, die ich suche. Ich denke, meine Gemälde sind stark genug, das auszuhalten. Und wenn nicht, bin ich gescheitert“, sagt er lachend, „dann habe ich alles richtig gemacht!“
Eine gescheiterte Welt
Entsprechend nehmen sich Philip Grözingers Gemälde nicht allzu ernst. Sie sprechen ernste Themen an – vor allem Umweltzerstörung ist allgegenwärtig –, aber sie tun es ohne empörte Aufdringlichkeit. Das Augenzwinkernde und Verspielte ist Grözingers Mittel der Wahl.
Seine quadratmeterweiten Arbeiten sind bevölkert von großäugigen, infantilisierten Figuren. Die Farben sind bunt, grell oder knackig dunkel, die Formen vereinfacht und flächig. Aber die uneigentlichen Abgründe, die solch ein Auseinanderklaffen von lustiger Darstellung und düsterem Dargestellten aufreißen, können viel eindrücklicher wirken als eine unzweideutige Zurschaustellung oder Anprangerung von Missständen.
Die Hauptfigur des eigens für die Ausstellung im Kesselhaus angefertigten Hauptwerks durchstreift eine zerstörte Umwelt. Ein comichaft verfremdeter Bamberger Reiter reist im Zyklus eines fünf Meter breiten Tryptichons durch kaputte Landschaften, in denen Zivilisation nur noch in Trümmern übrig ist. Diese Welt ist gescheitert.
Die Gemälde prangern die Zerstörung dabei aber nicht so sehr an, als dass sie sie mit eigenartigem Surrealismus und einer Mischung aus ironischem Understatement und kindlich-heiterer Distanz einfach zeigen. Sie scheinen mit dem Scheitern auf den ersten Blick sogar zu kokettieren, was für die abgebildete Welt in gewisser Weise hieße, sich ins Scheitern gefügt zu haben.
Natürlich könnte man an dieser Stelle sagen, diese ironisch-kritisch anmutende Haltung in Grözingers Gemälden ist fahrlässig und zaghaft im Angesicht der Dringlichkeit der Thematik; oder es ist zynisch, so grellbunt mit dem Untergang zu spielen, was wiederum die privilegierte Position des nicht Betroffenseins und Sich-raushalten-könnens voraussetzt.
Aber das würde verkennen, dass die Gemälde eben gerade ein Resultat dieser Haltung aufzeigen. Inhaltlich geschieht das anhand der gezeigten zerstörten Welt, die nicht gerettet, sondern aufgegeben worden ist; gestalterisch durch die niedlichen Formen und Figuren, die keinen Anspruch auf knallharte Anprangerung haben, und auch keinen mehr haben müssen, weil es in einer Welt, in der das Kaputtsein zum Normalzustand geworden ist, nichts mehr anzuprangern gibt. Hier ist alles egal geworden. Das mag von vornherein so programmiert sein, alles mag von vornherein sinnlos sein, weil zum Scheitern verurteilt, aber bis dahin kann man zumindest versuchen, persönlichen Sinn zu finden. Versucht man nicht einmal mehr das, ist das Scheitern bereits eingetreten und wahrhaftig, anstatt zumindest schön, sinnlos gewesen.
Der Bamberger Reiter auf Reisen
So hat man ihn noch nicht gesehen, den Bamberger Reiter – weder gestalterisch, noch handlungsmäßig. Sein eckiger Körper, auf dem ein Block von gekröntem Kopf sitzt, erinnert an eine Lego- oder Minecraftfigur (dazu mehr weiter unten). Außerdem ist er in Grözingers Tryptichon von seinem Sockel hinuntergestiegen.
Auf dem ersten der drei Gemälde durchstreift er auf seinem Pferd eine karge, von merkwürdigen Gestalten bewohnte Welt, die ihre besten Tage hinter sich zu haben scheint. Ein kleines Häuschen am Horizont, aus dessen Schornstein Rauchwolken aufsteigen, die zu einer über der gesamte Breite des Gemäldes hängenden giftigen Wolke angewachsen sind, deutet an, warum diese Welt nur noch in Resten existiert.
Der Reiter scheint der Szenerie aber mehr oder weniger gelassen gegenüber zu stehen, in seinem eckigen Gesicht ist ein Lächeln zu erkennen; er hat dieses Scheitern akzeptiert. Und auch der Laserstrahl, den er aus seinen Augen einer angreifenden Smogwolke, die zwei Arme hat, durch den pechschwarzen Körper schießt, scheint er nur der Vollständigkeit halber, bereits im Wegreiten begriffen, abzufeuern.
Warum sollte er sich im Kampf gegen eine Wolke auch mehr als diese Alibi-Mühe geben? Ihr scheint durch den Laser zwar Blut aus dem Hintern zu spritzen, aber der Kampf gegen eine materielose Wolke ist aussichtslos und wird scheitern. Also zieht er weiter. „Er ist ein Reisender, der Reiter“, sagt Philip Grözinger, „er ist wie ein Wissenschaftler, der leicht distanziert alles für sich beobachtet, aber nicht bewertet. Dieses von außen kommen und die Welt sehen, wie sie ist, finde ich reizvoll. Er reist durch die Welt und erkennt Dinge. Er ist eine Erkenntnismaschine.“
Der Bamberger Reiter scheine Philip Grözinger als Hauptfigur solch einer Erkenntnisreise wie gemacht. „Ich fand das Mysterium, dass niemand genau weiß, wer er ist, sehr interessant. Ich wollte diese Projektionsfläche nehmen und sie anders aufladen und eine Minecraft-Figur daraus machen. In meinen Arbeiten geht es ganz oft auch um Ängste vor Computern und künstlicher Intelligenz. Diese Dinge sind sehr komplex, simplifizieren aber gleichzeitig unsere Daseins. Warum verbringen Leute so wahnsinnig viel Zeit damit, Minecraft zu spielen, darin Realität zu vereinfachen, nachzubauen und in diesem Umfeld zu spielen? Ist die Realität so anstrengend, dass man zur Entspannung in eine andere, die in Minecraft geschaffene, flüchten muss?“
Betrachtet man die gespentischen schwarzen Figuren im Mittelteil des Tryptichons (der Reiter hat hier keinen Auftritt), scheint es allerdings auch mit dieser Flucht in die spielerische Entspannung nicht weither zu sein. Hier ist vom Menschen nicht einmal mehr seine menschliche Form übriggeblieben. Allzu hemmungslos hat er sich aufgegeben, sich der Hoffnungslosigkeit hingegeben und dabei sein Menschsein eingebüßt. Der Reiter scheint bei seinen Reisen noch ganz gut drauf zu sein. Diese Geister sind nur noch ihre eigenen Schatten.
Zur Ablenkung oder Entspannung ist ihnen ein Ballspiel mit rot-orangenen Lichtkugeln geblieben. Ihr Minecraft. Die Lichtkugeln könnten aber auch Eizellen sein und das Spiel darin bestehen, diese spermiumartigen Schlangenwesen, die durch den Himmel rasen, zur Befruchtung hinzuhalten. Haben sie doch noch Hoffnung? Oder, wenn man das Gemälde pessimistischer auslegen will, versuchen die entmenschlichten Geister, diese Vereinigung zu verhindern?
Die Mauer, die sie zwischen sich und der kaputten Umgebung hochgezogen haben, deutet auf Zweiteres hin. Es scheint Hoffnung zu geben, aber nicht auf Rettung vor den monströsen Gestalten auf der anderen Seite der Mauer, sondern auf Verhinderung der Fortpflanzung mit ihnen. Die Geister möchten sicherstellen, dass nach ihnen nichts mehr kommt, also auch nichts, das noch erbarmungswürdiger als sie selbst wäre.
Philip Grözinger möchte es dann aber doch positiver verstanden wissen. „Das kann man schon postapokalyptisch sehen. Aber wir sind ja nicht nur verrückt. Es gibt ja auch die andere Seite. Wir sind kreativ und wir finden Lösungen, es gibt Empathie. Im Dunklen ist auch das Helle.“
Solch einen Silberstreif am Horizont zeigt der dritte Teil des Tryptichons um die Abenteuer des Bamberger Reiters. Die Welt sieht immer noch düster, zerstört und gescheitert aus.
Ein dunkles Meer ist zu sehen, zwei Eisberge dümpeln darin und können eigentlich nur schmelzen, ein unbemanntes Segelschiff treibt richtungslos im Wasser, und die pechschwarze Wolke aus dem ersten Tryptichon-Teil sieht mit ihren feurigrot umrandeten Augen aus als sei sie jetzt nicht nur giftig, sondern auch noch wütend. Und genau wie im ersten Teil versucht sie mit ihren dünnen Ärmchen wieder den Reiter, der ebenfalls in die Szenerie zurückgekehrt ist, anzugreifen.
Dieser macht aber erneut von seinen Laserstrahlen Gebrauch. Aus zwei Waffen in seinen Händen feuert er sie ab. Der eine Strahl ballt sich in einer neuen Lichtkugel oder Eizelle, ein weiterer Strahl bricht daraus hervor und durchbohrt der Wolke den Kopf. Blut ist diesmal nicht zu sehen und ob dieser Kampf zugunsten des Mannes auf dem Pferd ausgehen wird, ist auch nicht klar. Der Reiter scheint ohnehin kurz davor, seine Position am Hang von einem der Eisberge zu verlieren und ins Meer zu rutschen.
Aber eben dieses Meer geht am Horizont in einen hellen Streifen Licht über. Versteht man die drei Teile des Tryptichons als durch den Handlungsbogen der Reise des Reiters verbunden, steht am Ende dieser Reise durch sinnloses Scheitern also zumindest der hoffnungsvolle Ausblick auf den hellen Horizont.
Großes Bamberger Gewölk und weitere notwendige Plastik
Ausstellung Dieter Froelich
Im Mai kehrt der Plastiker Dieter Froelich, bis März diesen Jahres Stipendiat der Villa Concordia, mit der Ausstellung „Großes Bamberger Gewölk und weitere notwendige Plastik (1989–2022)“ nach Bamberg zurück. In Kooperation mit dem Kunstverein zeigt er ab 21. Mai in der Villa Dessauer Arbeiten aus 30 Jahren Schaffenszeit. Wir haben mit ihm über die Vorteile der Plastik gegenüber der Malerei, Gemeinsamkeiten von Kochen und Kunst, seine Zeit in Bamberg und das Unaussprechliche in seinen Werken gesprochen.
Herr Froelich, der Titel Ihrer Ausstellung lautet „Großes Bamberger Gewölk und weitere notwendige Plastik“. Was bedeutet in diesem Zusammenhang „notwendig“?
Dieter Froelich: Damit ist eine subjektive Notwendigkeit gemeint. Ich arbeite jetzt seit mehr als 30 Jahren als Plastiker. Dabei haben sich bestimmte Handlungsmaximen herausgearbeitet und sind gereift. Es gibt für mich bestimmte, ich will nicht sagen, Zwangsläufigkeiten – ich könnte auch anders – Schritte, die aufeinander folgen müssen, sobald man beim Arbeiten einen bestimmten Weg eingeschlagen hat. Diese Schritte bestimmt man aber nicht immer selber. Früher, in den 1980ern, im Studium hieß es immer „was will das Material“, aber diese Auffassung ist ein wenig antiquiert. Das Material will natürlich überhaupt nichts. Es ist immer der Geist, der dahintersteht, der etwas will. „Notwendige Plastik“ heißt darum für mich, dass es bestimmte, und das ist eigentlich eine romantische Haltung, Dinge gibt, die ich machen will oder machen muss. Hinzu kommen Notwendigkeiten von Schönheit oder Wahrheit, wenn man so will.
Welche Handlungsmaximen meinen Sie?
Dieter Froelich: Es ist schwierig, das in Worte zu fassen. Je älter ich werde, je länger ich es mache, desto schwerer fällt es mir. Handlungsmaximen bilden sich heraus. Ich behandle sowohl in der Plastik als auch beim Kochen, das ich auch als plastische Handlung verstehe, Archetypen. In der Plastik ist es eigentlich immer so, dass man die Dinge zu kennen meint. Ich bin kein großer Anhänger von Originalität, der Künstler muss etwas schaffen, das vorher noch nie zu sehen war. Das halte ich für großen Nonsense. Wenn man Glück hat, passiert es zwar, dass es originell wird. Aber meine Handlungsweise ist eher, dass ich mir die Dinge meiner Umgebung aneigne, indem ich sie plastisch nachvollziehe.
Das heißt?
Dieter Froelich: Zum Beispiel das „Große Bamberger Gewölk“ hat die Darstellung kleiner Wölkchen in der Oberen Pfarre als Vorbild. Diese Wölkchen haben mich sehr fasziniert und ich habe sie plastisch nachvollzogen und so entstand das „Große Bamberger Gewölk“. Beziehungsweise es entsteht noch.
Das titelgebende Werk der Ausstellung ist noch nicht fertig?
Dieter Froelich: Nein, bisher, Anfang April, ist es noch nicht ganz fertig. Ich habe das unterschätzt. Es ist ein 20-teiliger Wolkenhaufen, den ich auf eine Stellage montiere. Und dann müssen die einzelnen Wolken noch vergoldet werden. Schon die letzten Wochen in Bamberg habe ich fast nichts anderes getan, als am Gewölk zu arbeiten und seit meiner Rückkehr nach Hannover bin ich ausschließlich damit beschäftigt. Jedes Ding hat halt seine Zeit.
Wir sprechen Anfang April, die Ausstellung beginnt am 21. Mai. Wird das Werk bis dahin fertig werden?
Dieter Froelich: Das wollen wir hoffen (lacht)! Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es fertig wird, aber ich werde es auf jeden Fall zeigen – auch wenn es nicht fertig werden sollte. Denn, wo die klassische Plastik früher noch einen sozusagen Endpunkt hatte, ist es ja heutzutage eher so, dass durchaus auch prozessual ausgestellt wird. Zwar entspricht dies eigentlich nicht meiner Handlungsweise, aber ein Fragment verweist ja auf ein Ganzes. Und das Gewölk muss unbedingt in Bamberg gezeigt werden, denn hier hat es seinen Ursprung.
Neben dem „Bamberger Gewölk“ zeigen Sie in der Ausstellung weitere Plastiken der letzten 30 Jahre. Wie viele sind in dieser Zeit entstanden? Hunderte, tausende?
Dieter Froelich: Das weiß ich nicht. Aber eines ist sicher: der Ausstellungsraum, die Villa Dessauer, so schön er ist, bringt schon viel mit. Er ist für eine Ausstellung nicht ganz so schwer zu erobern wie das Kesselhaus in Bamberg. Das hat eine extrem starke architektonische Sprache mit seinem Interieur. Eine gleiche Last herrscht im Grunde in der Villa Dessauer – wenn auch nicht so brutal wie im Kesselhaus, sondern eher großbürgerlich verfeinert. Von daher muss man sehr behutsam vorgehen. Ich werde darum auch sparsam und akzentuiert handeln.
Sie haben in den 1980er zuerst mit Malerei angefangen und wechselten dann zur Plastik. Warum unternahmen Sie damals diesen Schritt?
Dieter Froelich: Der Grund dafür war, dass ich mit der Malerei, die ich damals hier in Hannover studierte, sehr unzufrieden war. Dann wechselte ich an die Städelschule in Frankfurt. Während meines Studiums dort wuchs meine Unzufriedenheit mit der Malerei in ihrer Abstraktheit und ich wechselte in die Bildhauerklasse von Michael Croissant.
Was ist entsprechend mit Plastik ausdrückbar, das mit Malerei nicht geht?
Dieter Froelich: Ich drücke nichts aus. Das ist das alte Klische, dass sich der Künstler etwas ausdenkt und die anderen müssen erraten, was er meint. Das gibt es zwar heute wieder mit diesen ganzen unsäglichen Arbeiten, die für oder gegen etwas sind. Malen für den Frieden zum Beispiel, den wir zwar dringend brauchen, aber als Künstler ist man da völlig machtlos. Ich halte das für gelinde gesagt nicht möglich, um nicht zu sagen groben Unfug. Es lässt sich aus dem Material nicht ablesen, ob es für etwas oder gegen etwas ist. Man kann das textlich machen, zum Beispiel indem man sagt „das große Bamberger Gewölk widme ich dem ukrainischen Volk, weil es sich so tapfer schlägt“, aber man muss aufpassen, dass man nicht in den Kitsch verfällt. Wirklich Kunst hat immer einen freiheitlichen Impetus und erfüllt das auch, ohne dass man noch eine Meinung draufsetzt.
Dann frage ich so herum: Warum liegt Ihnen die Plastik näher am Herzen?
Dieter Froelich: Es ist einfach die Ausdehnung der Plastik. Ich glaube, ich habe eine extrem starke Affinität zu Dingen. Ich denke, nein ich fühle, dass eine Plastik von realer und sinnlicher Gegenwart ist, während Malerei immer ein extrem abstraktes Moment in sich trägt. Diese Gegenwart ist mir sehr nahe. Deswegen bin ich zur Plastik gekommen. Außerdem hat sie durch die reale Gegenwart eine gewisse Transzendenz.
Was meinen Sie mit Transzendenz?
Dieter Froelich: Das ist etwas, das über das Werk hinausweist. Wenn einem Werk diese Kompenente fehlt, ist es keine Kunst. Kunst ist immer etwas, das auch über sich hinausweist, auf etwas anderes, auf etwas besseres vielleicht, in meinem Verständnis jedenfalls. Aber vielleicht bin ich da konservativ. Ich meine nämlich auch, dass Kunst die Funktion hat, durch Schönheit Wahrheit zu zeigen. Aber das ist im Moment nicht ganz so en vogue.
Welche Wahrheiten können das sein?
Dieter Froelich: Wenn man die mit Worten ausdrücken könnte, müsste ich keine Kunst machen. Wir sprechen hier, und das ist das Absurde, über den nichtsprachlichen Bereich. Von da könnte man übrigens einen Bogen spannen in den Glauben und die Kirche. Glauben wäre ja nicht zu verstehen, ohne das Unaussprechliche. Bei der Kunst ist das genauso. Kunst und Kirche stecken im Grunde zurzeit ähnlich in der Krise. Die Leute laufen ihnen weg. Viele Menschen brauchen keinen Gott mehr, genau wie sie keine Kunst mehr brauchen. Sie sind ihre eigene Kunst – man schaue sich nur mal Tattoos an. Die Selbstinszenierung ist im Grunde anstelle des Künstlers getreten. Was früher auf Künstler projeziert wurde – sei anders, sei kreativ, erfinde dich selbst – ist heute an jeden gerichtet. Man muss auf jeden Fall kreativ sein, sonst ist man niemand. Mit dem Glauben ist es ähnlich. Viele haben sich ihren eigenen Gott geschaffen.
Für Ihre Plastiken empfinden Sie oft Gegenstände des Alltags nach, wie Geschirr, Möbelstücke oder Madonnenfiguren. Wodurch qualifizieren sich Gegenstände für Ihre Arbeit?
Dieter Froelich: Auch das ist sehr schwer zu beschreiben, weil dann könnte ich ja gezielt auf die Suche danach gehen. Ich denke, es ist eher so eine Beziehung, die sich aufbaut. In der Regel, ich denke, das kann ich so verallgemeinern, sind es aber recht einfache Gegenstände, bei denen es, wie gesagt, zum Archetypischen hingeht. Um bei der Oberen Pfarre zu bleiben: Es ist doch schön zu sehen, wie jemand so etwas Grundsätzliches wie eine Wolke abbildet und welche Vorstellungen er von der Wolke hat. Vergleichen Sie einmal die Wolken aus dem Barock mit welchen aus dem Rokoko, wie wir sie in Vierzehnheiligen finden. An beiden Formen läßt sich die dahinter stehende Auffassung von Welt ablesen. Hinter jeder Form steht eine Idee.
In der Villa Dessauer werden Sie auch eine Version der Maske des Bamberger Reiters zeigen – allerdings farbig gefasst. Was hat es damit auf sich?
Dieter Froelich: Ähnlich wie die Skulpturen der griechischen Antike waren auch die Plastiken der Bamberger Kathedrale farbig gefasst. Es gibt eine Dissertation von Walter Hartleitner, „Zur Polychromie der Bamberger Domskulptur“, die 2011 in der University Press of Bamberg erschien. Nach diesen Erkenntnissen habe ich versucht, die Farbigkeit des Reiterkopfes nachzuvollziehen, mit vergoldeter Krone, kastanienbraunen Haaren, leicht rosiger Gesichtsfarbe und roten, wie geschminkten, Lippen. Er sieht schon ganz sexy aus.
Welche Erinnerungen haben Sie an Bamberg?
Dieter Froelich: Das sind in erster Linie Erinnerungen an die wunderbare Villa Concordia, wo man als Stipendiat monatelang ungestört arbeiten kann. Das ganze Team war sehr bemüht, uns Stipendiaten den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Und was ich an Bamberg wirklich schätze, sind die freundlichen Leute.
Dafür sind Franken allerdings nicht überall bekannt.
Dieter Froelich: Ich weiß, die Franken freuen sich eher nach innen. Vielleicht waren es auch Zugezogene. Aber ich habe gerade in der Concordiastraße relativ viele Leute angesprochen und mich vorgestellt und da ist so etwas wie Nachbarschaft entstanden. In der Großstadt, auch wenn Hannover nicht allzu groß ist, bekommt man das nicht ganz so einfach. Was aber wirklich eine Zumutung ist, sind die ganzen Touristen. Ich finde es erstaunlich, dass sich eine Stadt wie Bamberg im Stadtmarketing mehr oder weniger nur auf das Bier kapriziert. Denn wenn man mit Bier wirbt, muss man sich nicht wundern, wenn Biertrinker kommen und die Stadt bevölkern. Die reichlichen Kulturschätze, die Bamberg hat, könnte man ein bisschen besser herausstellen. Allein die Sammlung des Diözesanmuseums ist von unglaublicher Qualität, um nur einen Ort von vielen zu nennen.
Am 30. Juni halten Sie einen Vortrag zum Thema „Kochen als Kunstgattung“. Was erwartet das Publikum hierbei?
Dieter Froelich: Ich werde einen Überblick geben über das Kochen als Kunstgattung, bebildert, von den Römern bis heute, und darüber sprechen, wie sich das Genre entwickelt hat. Und danach gibt es etwas zu essen.
Was werden Sie servieren?
Dieter Froelich: Das verrate ich nicht. Die Handlungsmaxime hier ist: Beim Kochen liegt mein Herz eher auf der Seite der einfachen Speisen. Prinzipiell koche ich immer gerne Dinge, die den Leuten erstmal vielleicht fremd sind. Aber damit meine ich nicht Heuschrecken oder so. Ich koche das Fremde im Eigenen. Dinge, für die man gar nicht weit weg gehen braucht. Man kann innerhalb der eigenen Speisenkultur viel entdecken.
Warum ist Kochen Kunst?
Dieter Froelich: Sie ist es nicht grundsätzlich. Wie alles kann sich auch das Kochen, wenn es über sich selbst hinausgeht, wenn es auf ein Anderes verweist, zu Kunst werden.
Kultur auch virtuell erleben
Die Bamberger Museen laden zum Museumstag
von Manuel Werner
Am 16. Mai ist Internationaler Museumstag, der dieses Jahr bereits zum 44. Mal begangen wird. So auch in Bamberg. Nachdem die Inzidenz in der Stadt Bamberg unter 100 fiel, sind seit Donnerstag auch die Museen wieder geöffnet. Auch am kommenden Sonntag, sofern das Infektionsgeschehen unter diesem Wert bleibt. Unabhängig von einer möglichen Öffnung wird der Museumstag auf alle Fälle vom ausrichtenden Zusammenschluss der Museen, „Domberg – Museen um den Bamberger Dom“, virtuell begangen.
Ziel des Aktionstages ist es, auf die Vielfalt der mehr als 6.500 Museen in Deutschland sowie der Museen weltweit aufmerksam zu machen. Die Leitlinie des Museumstages lautet in diesem Jahr „Museen mit Freude entdecken“.
Da vieles derzeit von der Inzidenz abhängt und bislang noch völlig unklar ist, ob Bambergs Museen an diesem Tag öffnen dürfen, um ihre Schätze zu präsentieren, wurde ein großer Teil der Vorbereitungszeit in digitale Angebote und Entdeckungen investiert.
Virtueller Stick-Workshop und virtuelle Führungen
„Abgesehen davon, dass wir trotz derzeit sinkender Inzidenz nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Museen geöffnet werden dürfen, gibt es einige Neuerungen, die sich die Verantwortlichen der Häuser haben einfallen lassen“, so Dombergkoordinatorin Christiane Wendenburg.
Selbstredend sieht das Hygienekonzept vor, dass FFP2-Masken getragen und Abstände eingehalten werden müssen. Desinfektionsspender sind in sämtlichen Museen aufgestellt.
In den Vorjahren war der Andrang bei den Führungen groß, in diesem Jahr können leider keine Führungen angeboten werden.
„Die Besucher werden in Form eines Einbahnstraßensystems durch die Häuser geleitet. Es wird kein großes Gedränge geben bedingt durch die Abstandsregelung. Wir können leider kein klassisches Programm wie in den Vorjahren bieten, weder Bastelworkshops für Kinder noch Führungen für Erwachsene. Doch wird haben uns etwas neues einfallen lassen, so die Dombergkoordinatorin weiter.“
Neu beim diesjährigen Museumstag sind virtuelle Führungen. Nachdem die Corona-Pandemie zum Schließen von Kultureinrichtungen geführt hatte, ließen sich Frau Wendenburg und KollegInnen Alternativen einfallen. „Jost Lohmann von „AGIL –Bamberg erleben“ bietet schon seit Jahren Führungen in unseren Häusern an, unter anderem auch viele Schulprogramme. Im Zuge der Pandemie kam die Idee auf, Führungen auch virtuell durchzuführen. Die „Highlight-Führung“ durch die Dombergmuseen feiert am Museumstag Premiere.“ Während ansonsten Gruppenbuchungen nötig sind, kann sich im Zuge des Museumstages jede Besucherin und jeder Besucher virtuell zuschalten.
Morgens um 9.30 Uhr beginnt Jost Lohmann mit der erwähnten Highlight-Führung, die den Titel „Götzen, Papst und Kaiser“ trägt und am Nachmittag um 14.30 Uhr ein zweites Mal stattfindet. Ausgewählte Kunstobjekte, weltberühmte Exponate und geheimnisvolle Schätze, die eng verknüpft sind mit der Geschichte Bambergs, sind hier im Livestream zu entdecken. „Der Vorteil an den virtuellen Führungen ist, dass man auch als Besucher Details in Bildern entdecken kann, die man so nicht sehen würde.
Dadurch dass im Livestream reingezoomt werden kann, hat man das Gefühl, näher dran zu sein.“ Die BesucherInnen erfahren beispielsweise, welches Kunstwerk im Diözesanmuseum 600 Kilogramm schwer ist und können die „Allegorie des Guten Regiments“ im frisch renovierten Kaisersaal der Neuen Residenz bestaunen.
Im Historischen Museum ist die Ausstellung „Jüdisches in Bamberg“ aufgebaut. Sie möchte den Gästen die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Bamberg vor Augen führen. Um diese Ausstellung dreht sich auch Herrn Lohmanns zweites Führungsthema, dieser Livestream beginnt um 11.30 Uhr.
Der Eintritt am Museumstag ist in allen Häusern frei, ebenso können dank der finanziellen Unterstützung durch den “Freundeskreis der Museen um den Bamberger Dom” die Livestreams am Museumstag kostenfrei angeboten werden.
Ein Hauch von Kunigundenmantel für Zuhause
Bei der Highlight-Führung wird auch der blaue Kunigundenmantel mit seinen kunstvollen Goldstickereien vorgestellt. Für diejenigen, die selbst sticken möchten, hat sich die neue Leiterin des Diözesanmuseums, Carola Schmidt etwas ganz Besonderes ausgedacht. „Wer gerne sticken möchte wie am Hofe Kaiser Heinrichs“, so Frau Wendenburg, „sollte sich zum Online-Workshop via Zoom im Diözesanmuseum anmelden. Frau Schmidt hat dazu eine Expertin gewinnen können, unter deren fachkundiger Anleitung ein „Sternchen“ vom blauen Kunigundenmantel entsteht – mit vergoldeten Fäden in Anlegetechnik auf Seide, genauso wie im 11. Jahrhundert!“
Die Anmeldung unter dioezesanmuseum@erzbistum-bamberg.de sollte frühzeitig erfolgen, damit das kostenlose Materialpaket, das vom Diözesanmuseum zur Verfügung gestellt wird, zeitig zugesendet werden kann.
Die Staatsbibliothek hat leider nicht geöffnet, weil derzeit keine Ausstellungen stattfinden können. „Allerdings ist die StaBi digital hervorragend aufgestellt“, wie Frau Wendenburg betont, „deshalb wird sie einen virtuellen Blick in ihre Schatzkammer ermöglichen.“
Nicht weit vom Domberg entfernt, hat – vorbehaltlich des Infektionsgeschehens – die Sammlung Ludwig Bamberg im Alten Rathaus geöffnet und präsentiert auch am Museumstag in ihrer ständige Schau „Glanz des Barock – Fayence und Porzellan“ ihre prunkvollen Kostbarkeiten, außerdem „Ludwig unter der Lupe – 25 Jahre Sammlung Ludwig in Bamberg“.
In der Villa Dessauer kann endlich auch die brandneue Ausstellung „Papier“ des Bamberger Kunstvereins live und in Farbe besichtigt werden. In dieser Ausstellung zeigen die Künstlerinnen und Künstler, was Papier an gestalterischen Möglichkeiten bietet. Die Ausstellung wird darüberhinaus unabhängig von den Öffnungsperspektiven auch digital begleitet, beispielsweise durch Interviews mit den ausstellenden Künstlern.
Weiterführende Informationen und Links
Livestreams mit „Agil“ am Museumstag
https://www.agil-bamberg.de/museumstagL.php
„Bamberger Schätze“ in der Staatsbibliothek Bamberg
https://www.staatsbibliothek-bamberg.de/digitale-sammlungen/bamberger-schaetze/
Ausstellungen der Staatsbibliothek auf Google Arts & Culture
https://artsandculture.google.com/partner/staatsbibliothek-bamberg?hl=de
Online-Ausstellungen und virtuelle Spaziergänge durch die Prunkräume der Neuen Residenz
https://www.residenz-bamberg.de/deutsch/digital/index.htm
https://schloesserblog.bayern.de/tag/residenz-bamberg
Ausstellung „Papier“ in der Villa Dessauer mit virtuellem Begleitprogramm
https://www.kunstverein-bamberg.de/
Organisatorischer Hinweis der Stadt Bamberg
Liegt der Corona-Inzidenzwert in Bamberg zwischen 50 und 100, ist eine vorherige Anmeldung per Telefon (0951 87–1140 Kasse Historisches Museum, 0951 87–1871 Kasse Sammlung Ludwig, 0951 87–1861 Kasse Stadtgalerie Bamberg – Villa Dessauer und Mikwe: 0151–16971088 während der Öffnungszeiten) erforderlich. Zu einer eventuell nötigen Rückverfolgung muss ein Kontakt hinterlegt werden. Die Besucher:innen sind zum Tragen einer FFP2-Maske verpflichtet, der Mindestabstand von 1,5 m zueinander ist einzuhalten. Die Verantwortlichen bitten, die vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen zu beherzigen. Die Besucherzahl wird begrenzt, so dass die geltenden Abstandsregeln eingehalten werden können. Die Belüftung mit Frischluft wird in den Ausstellungsräumen erhöht. Ausgeschilderte Rundwege helfen bei der Vermeidung von Kontakten. Es gibt die Möglichkeit zur Desinfektion der Hände.
Jahresausstellung Kunstverein
Die Seele des Papiers
Löwenköpfe, Skulpturen aus Geldscheinschnipseln, ein Corona-Chor – aus dem Werkstoff Papier lässt sich einiges herausholen. Die Jahresausstellung des Kunstvereins zeigt in der Villa Dessauer, wie verschiedene Künstlerinnen und Künstler die gestalterischen Möglichkeiten von Papier ausloten. Die tagesaktuellen Öffnungszeiten sind online auf der Homepage des Kunstvereins einzusehen. Dort wird die Ausstellung darüberhinaus unabhängig von den Öffnungsperspektiven auch digital begleitet, beispielsweise durch Interviews mit den ausstellenden Künstlern. Das Webecho hat mit Barbara Kahle, Vorsitzende des Kunstvereins, gesprochen.
Gedrucktes und Papier, heißt es, seien tot und alles wird nur noch online und elektronisch gemacht. Warum haben Sie für die Jahresausstellung des Kunstvereins den Werkstoff Papier als Grundvoraussetzung gewählt?
Barbara Kahle: Gerade deshalb! Papier verschwindet durchaus im allgemeinen Bewusstsein, Papier als Speichermedium geht zurück und die digitale Veränderung ist unumkehrbar – das erkennen wir an. Aber Papier könnte in der Zukunft auch vor dem Hintergrund des Themas Umweltschutz wieder mehr Bedeutung gewinnen. Es wird viel geforscht, um zum Beispiel Verpackungen aus Plastik abzuschaffen und wieder viel stärker auf Papier zu setzen. Auf der anderen Seite hat Papier in der Kunst immer eine große Rolle gespielt. Um das wieder ins Bewusstsein zu bringen, machen wir diese Ausstellung. Als Skizzenpapier, als Vorstufe der Leinwand, wurde Papier schon seit Jahrhunderten genutzt. Seit dem 20. Jahrhundert diente es vermehrt als eigenständiges künstlerisches Medium. Das ist eine Errungenschaft, die der Kunst der Moderne zuzurechnen ist. Dazu gehört auch der Ansatz, den so gut wie alle Werke, die wir zeigen, verfolgen, unter Beibehaltung des Materials Papier, die plane Fläche ins Dreidimensionale hinein zu erweitern, bis man zwischen Bild und Skulptur kaum mehr unterscheiden kann.
Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Künstler*innen für die Ausstellung ausgewählt?
Barbara Kahle: Die Ausstellung war schon für das Jahr 2020 geplant, aus bekannten Gründen musste sie verschoben werden. Wir haben nach Künstlern gesucht, die mehr oder weniger ausschließlich mit Papier arbeiten. Ein ganz großer Ankerpunkt dabei waren die Werke von Andreas von Weizsäcker, dessen Löwenkopfskulpturen im Ausstellungsraum der Villa Dessauer auch sehr viel Raum einnehmen. Dann haben wir uns überlegt, wen wir noch dazunehmen könnten. Es geht uns darum zu zeigen, welche Gestaltungsmöglichkeiten mit Papier möglich sind. Wir zeigen unter anderem verschiedene Falttechniken, so hat etwa Simon Schubert Räume der Villa Dessauer in Papier gefaltet, Skulpturen, Papierschmuck, Prägedruck und im Begleitprogramm etwa ein Konzert mit Klanginstrumenten aus Papier und ein szenisches Erzählstück des Papiertheaters mit Johannes Volkmann.
Die vier Papierskulpturen von Andreas von Weizsäcker nennen Sie Ihren Corona-Chor. Was hat es damit auf sich?
Barbara Kahle: Diese vier Skulpturen sind eigentlich Wasserspeiern des Münchner Rathauses abgeformt. Aber weil sie mit ihren offenen Mündern so einen klagenden, gemeinsam über möglicherweise die Pandemie heulenden Eindruck machen, erinnert mich das an einen Chor.
Begleitend zur Ausstellung haben Sie ein vielfältiges Rahmenprogramm entworfen. Ein Termin ist der 13. Juni, an dem anhand der Werke von Erwin Hapke die Seele des Papiers beleuchtet werden soll. Was ist die Seele des Papiers?
Barbara Kahle: Wir hatten das Glück, einen kleinen Zuschuss für die Erstellung eines Begleitprogramms aus dem Neustart-Kultur-Kunstfonds zu bekommen.
Bei der Ausstellung ist es uns wie immer wichtig, Objekte zu präsentieren, die sich die Leute im ganz traditionellen Sinne anschauen können. Daneben haben wir aber ein vielfältiges Interaktions- und Vermittlungsprogramm entwickelt, um sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise dem Thema Papier annähern zu können. Am 13. Juni etwa wollen wir uns speziell mit den gefalteten Papierarbeiten von Erwin Hapke beschäftigen. Papier ist auf der einen Seite sehr haptisch. Man kann damit arbeiten, es falten, es zerknüllen oder damit kruscheln, wie es Lore Bert macht. In dem angesprochenen Faltwerk kann man darüber hinaus eine explikative Metapher unseres Daseins sehen. Das komplexe Falten wird zum Modell unseres Weltverstehens.
Der verstorbene Erwin Hapke, promovierter Biologe und ein Sonderling und Besessener, hat sozusagen mit dem Papier gelebt und ein gefaltetes Universum hinterlassen. Alle Formen des Seins sind in das zarte Papier eingeschrieben, die wahrzunehmen uns Muße und Verweilen abverlangt. In diesem Zusammenhang spricht der Philosoph und Neffe von Hapke, Matthias Burchardt, von der Seele des Papiers.
Papier ist ein nicht besonders widerstandfähiger und fragiler Werkstoff. Wie gehen Sie zum Beispiel beim Aufbau der Ausstellung, damit um?
Barbara Kahle: Ja, da ist ein Problem, mit dem die Künstler und auch Nachlassverwalter oder Nachfahren von Papierkünstlern zu kämpfen haben. Zum Beispiel die Löwenköpfe von Weizsäcker sind ziemlich empfindlich und als er sie geschaffen hat, tat er dies sicherlich nicht, damit man sie ständig auf- und abbaut. An einigen Stellen mussten sie bereits restauriert, verstärkt und mit Magneten, die die Teile zusammenhalten, versehen werden.
Die Ausstellungseröffnung am 23. April musste wegen der Pandemie bereits abgesagt werden. Wie steht es um die folgenden Termine?
Barbara Kahle: Die Regelungen für den Museumsbereich sehen ja derzeit so aus, dass man bei einem Inzidenzwert zwischen 50 und 100 öffnen und Publikum, nach Voranmeldung, empfangen kann. Mitte April liegt die Inzidenz in Bamberg bei 112 – ob die Villa Dessauer Ende April geöffnet werden kann, müssen wir also schauen. Versammlungen, wie bei einer Vernissage, sind aber absolut tabu.
Wie schwer würde es den Kunstverein treffen, wenn keine der Begleitveranstaltungen stattfinden kann?
Barbara Kahle: Sehr schwer. Finanzielle Nachteile hätten wir keine, möchte ich an dieser Stelle sagen. Die Gelder sind uns unter anderem von der Stadt Bamberg zugeflossen. Aber wir haben die Ausstellung mit solch einer Begeisterung, und auch körperlicher Anstrengung, vorbereitet und aufgebaut und denken, dass sie den Besuchern großen Spaß machen würde, dass uns ein Ausfall sehr leidtun würde. Wir werden die Schau ganz bewusst länger als die üblichen sechs Wochen laufen lassen, damit wir auf den Sommer und bessere Inzidenzzahlen hoffen können. Vielleicht können wir zur Finissage die Begegnung von Besuchern und Künstlern nachholen.
Gäbe es online ein Ausweichangebot?
Barbara Kahle: Ja, wir werden die Ausstellung auch digital begleiten. Wenn wir nicht öffnen können, möchten wir die Ausstellung zumindest multimedial begleiten. Wir sind auf Facebook, Instagram und Youtube unterwegs und bieten dort zum Beispiel Interviews mit den Künstlern und Einblicke in ihre Werke. So haben wir wenigstens einen Bruchteil von Ausstellungsbegleitung. Das ist natürlich kein Ersatz für den Besuch einer Ausstellung, aber ein interessantes ergänzendes Angebot.
Weitere Informationen:
Ausstellung “Papier”, 24. April bis 27. Juni, Villa Dessauer
Außerdem:
Ausstellung von Jürgen Wilhelm “Abstraktion Photographie”, 3. bis 31. Mai, Schützenstraße 4
„Die Qualität muss stimmen“
Berganzapreis
Alljährlich vergibt der Bamberger Kunstverein den Berganzapreis. Ausgezeichnet werden die, die den „selbstmörderischen Ansprüchen“ E.T.A. Hoffmanns gerecht werden.
So formulierte es zumindest einst der Gründer des Berganzapreises Hans Neubauer. Anders ausgedrückt geht die mit 4.000 Euro dotierte Auszeichnung an Kunst- oder Kulturschaffende und kulturelle Einrichtungen, die sich durch ihr Schaffen oder ihre Arbeit um die Qualität der regionalen Kultur verdient gemacht haben. Die Liste bisheriger Preisträgerinnen und Preisträger liest sich wie ein Who-is-who der örtlichen Szene (auch wenn einer der größten örtlichen Namen fehlt): Gerrit Zachrich, Chapeau Claque oder Werner Kohn wurden schon mit dem Berganzapreis ausgezeichnet, genau wie Gerhard Schlötzer oder, als eine der wenigen Frauen, Christiane Toewe. Als Preisträger des Jahres 2020 hat sich die Jury aus den Kunstverein-Vorstandsmitgliedern Barbara Kahle, Maren Jensen, Notburga Karl, Jürgen Wilhelm, Franz Ulrich und Karlheinz Erbe für den Gundelsheimer Grafiker Peter Schoppel entschieden. Wir haben Barbara Kahle zum Gespräch getroffen.
Frau Kahle, seit 1989 vergibt der Kunstverein Bamberg den Berganzapreis. Wie kam es zur Entscheidung, die Auszeichnung in diesem Jahr zum ersten Mal zu vergeben?
Barbara Kahle: In den 80er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts gab es in Bamberg überhaupt keine Kulturpreise. Aber es lag in der Luft, dass sich Kulturinteressierte zu überlegen begannen, dass es sinnvoll sein könnte, die regionale Kulturszene durch einen Preis zu stärken und zu würdigen. Der Kulturförderpreis beziehungsweise der E.-T.-A.-Hoffmann-Preis der Stadt Bamberg ist auch 1989 zum ersten Mal vergeben worden. Der damalige Vorsitzende des Kunstvereins, Hans Neubauer, der in den 80er Jahren viele, positive Neuerungen für den Kunstverein eingeführt hat, arbeitete auch an der Ausschreibung eines Kunstpreises. Bei der Namensgebung, für die es eines griffigen Begriffs bedurfte, kam man natürlich zuerst auf E.T.A. Hoffmann, der seinerzeit Gründungsmitglied des Kunstvereins war. Ein Preis mit dem Namen „E.T.A. Hoffmann Preis“ ins Leben zu rufen, wäre also naheliegend gewesen, aber diesen Namen hatte die Stadt dem Kunstverein schon weggeschnappt. Also besann man sich auf die Hoffmann’sche Figur des Hundes Berganza, mit dem sich Hoffmann in „Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza“ über Bamberger Kultur unterhält. Darin gibt es auch eine Stelle, die als Vorlage der Eigenschaften diente, die die Preisträgerinnen und Preisträger haben müssen.
Wie lautet diese Stelle?
Barbara Kahle (liest aus einem Jahresheft des Kunstvereins vor): „In gewissem Sinn ist jeder nur irgend exzentrische Kopf wahnsinnig und scheint es desto mehr zu sein, je eifriger er sich bemüht, das äußere matte, tote Leben durch seine inneren, glühenden Erscheinungen zu entzünden. Jeden, der einer großen, heiligen Idee, die nur der höheren, göttlichen Natur eigen, Glück, Wohlstand, ja selbst das Leben opfert, schilt gewiss der, dessen höchste Bemühungen im Leben sich endlich dahin konzentrieren, besser zu essen und zu trinken und keine Schulden zu haben, wahnsinnig, und er erhebt ihn vielleicht, indem er ihn zu schelten glaubt, da er als ein höchst verständiger Mensch jeder Gemeinschaft mit ihm entsagt.“ Das war eine Sprache! Aber Hans Neubauer hat daraus das Ziel für die Findung der Preisträger abgeleitet und gesagt, dass alljährlich die Person ausgezeichnet werden solle, die diesen selbstmörderischen Ansprüchen am besten genüge.
Wie erfüllt der aktuelle Preisträger Peter Schoppel diese selbstmörderischen Ansprüche?
Barbara Kahle: Er füllt sie schon dadurch, dass er sich entschlossen hat, freiberuflicher Künstler zu werden. Aber die Kriterien der Vergabe sind, wie auch beim Kulturpreis der Stadt, relativ weit ausgelegt. Es sollen Personen gewürdigt werden, die sich durch ihr künstlerisches oder ihr gesellschaftliches Engagement auszeichnen. 2014 haben wir beispielsweise den Gefängnispfarrer Hans Lyer für sein Engagement im künstlerischen Bereich mit Gefangenen gewürdigt. Ähnliches galt für das Neue Palais, Gerrit Zachrich oder den Jazzclub. Es werden also keine unterschiedlichen Kriterien angelegt, sondern die einzelnen Kandidaten erfüllen die Kriterien auf unterschiedliche Art und Weise. Wir haben bei der Entscheidung für Peter Schoppel auf zwei Dinge geachtet, nämlich auf sein künstlerisches Werk – er ist ein exzellenter Grafiker – und auf die Tatsache, dass er sich stark in der örtlichen Kulturszene, im Kunstverein und im BBK engagiert. Außerdem haben wir dieses Jahr darauf geachtet, jemanden auszuzeichnen, der nicht über ein festes Einkommen verfügt. In diesen Corona-Zeiten befinden sich freischaffende Künstler in noch prekäreren Umständen als sonst. Das heißt aber nicht, dass der Berganzapreis ein Sozialpreis ist.
Heißt das im Umkehrschluss, dass, wenn Künstler, die neben der Kunst einem Beruf nachgehen, ausgezeichnet werden, Hobby-Künstler den Preis bekommen?
Barbara Kahle: Nein, das sicher nicht. Wenn wir Bildende Künstler auszeichnen, schauen wir immer sehr stark auf das künstlerische Werk. Die Qualität muss stimmen.
Ist es in der gemeinsamen Zeit von Berganzapreis und Kulturförderpreis der Stadt beziehungsweise E.-T.-A.-Hoffmann-Preis vorgekommen, dass man sich gegenseitig potenzielle Preisträger weggenommen hat?
Barbara Kahle: Nein, aber man schaut immer ein bisschen darauf, was die anderen machen und im Lauf der Jahre haben sich Übereinstimmungen zwischen unserer und deren Preisträgerliste ergeben. Fotograf Werner Kohn hat zum Beispiel beide Preise bekommen oder Hans Wollschläger, der Schriftsteller. Obwohl ich schon sagen muss, dass der E.-T.-A.-Hoffmann-Preis noch ein bisschen mehr Anerkennung genießt.
Ein großer Bamberger Name, der auf Ihrer Liste fehlt, auf der des E.-T.-A.-Hoffmann-Preis jedoch nicht, ist der von Paul Maar.
Barbara Kahle: Die Frage, Paul Maar auszuzeichnen oder nicht, ist eine, die sich uns schon lange stellt. Er hat schon so viele Preise gewonnen, dass es bei uns Diskussionen gibt, ob man ihm den Berganzapreis auch noch geben muss oder wir lieber Leute auszeichnen, deren Wirken noch nicht so bekannt ist.
Wie sieht die Entscheidungsfindung in der Jury aus?
Barbara Kahle: Nach Mehrheitsbeschluss. Wir diskutieren, bis wir ein einstimmiges Ergebnis haben. Klar ist es dabei schon vorgekommen, dass die eine oder der andere mit der Meinung ein bisschen zurückstehen musste, aber es hat nie einen derartigen Dissens gegeben, dass jemand mit einer Entscheidung überhaupt nicht einverstanden war.
1998 wurde Martin Neubauer, der Sohn des damaligen Kunstverein-Vorsitzenden Hans Neubauer, ausgezeichnet. Gab es damals Stimmen, die in dieser Entscheidung einen gewissen Beigeschmack ausgemacht haben?
Barbara Kahle: Nein, aber da muss man schon aufpassen. Genau wie man beim E.-T.-A.-Hoffmann-Preis hätte darauf achten müssen, dass Leute, die in der Jury sitzen, zum Beispiel Tanja Kinkel, den Preis nicht gewinnen.
Würden Sie sagen, dass der Berganzapreis ein fester, etablierter Termin im örtlichen Kulturbetrieb ist?
Barbara Kahle: Ja, auf jeden Fall. Und er ist vor allem eine feste Größe, was Auszeichnungen für Bildende Künstler angeht.
Wie profitieren die Preisträgerinnen und Preisträger von der Auszeichnung mit dem Berganzapreis?
Barbara Kahle: Abgesehen von den 4.000 Euro Preisgeld tragen sie Renommee davon. Ein Künstler lebt von seinen Verkäufen und in seinem Lebenslauf ist ein ganz wichtiger Punkt, welche Auszeichnungen und Preise er gewonnen hat. Solche Auszeichnungen aufführen zu können, hebt einen Künstler von der riesigen Masse anderer Künstler ab.
Das durchschnittliche Alter der bisher Ausgezeichneten scheint bei etwa 40 Jahren zu liegen. Wie kommt dieser vergleichsweise hohe Schnitt zustande?
Barbara Kahle: Es ist schon so, dass wir bisher mehr diejenigen ausgezeichnet haben, die schon länger künstlerisch aktiv und darum schon ein bisschen älter sind. Aber es gibt Überlegungen, um auch die junge Szene zu stärken, ab und zu auch jüngere Künstlerinnen und Künstler auszuzeichnen.
Eine weitere auffällige Eigenschaft der bisher Ausgezeichneten besteht darin, dass sehr wenige Frauen den Preis erhalten haben. Die erste Künstlerin, die den Preis erhielt, war Dinah Politiki im Jahr 2000.
Barbara Kahle: Ja, das stimmt absolut. Obwohl der örtliche Kulturbetrieb in einigen Spitzenpositionen wie in Museen, Theatern oder im Kulturamt sehr stark weiblich besetzt ist, hat sich das bedauerlicherweise nicht in der Zahl unserer Preisträgerinnen niedergeschlagen.
Wie wird die Verleihungszeremonie in Corona-Zeiten ablaufen?
Barbara Kahle: Sie soll stattfinden, in der Villa Dessauer, auch wenn wir noch nicht genau wissen, wann. Allerdings haben wir das Problem, dass höchstens 30 Leute anwesend sein dürfen. Aber dann gibt es eben eine kleinere Feier.