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Martin Neubauer

Stadt­echo-Fra­ge­bo­gen

Das Stadt­echo fragt: Mar­tin Neu­bau­er antwortet

In jeder Aus­ga­be des Stadt­echos legen wir einer Bam­ber­ger Per­sön­lich­keit einen Fra­ge­bo­gen vor. Dies­mal hat Mar­tin Neu­bau­er die Fra­gen beant­wor­tet. Er ist Lei­ter des Bam­ber­ger Bren­ta­no-Thea­ters.
Herr Neu­bau­er, was mögen Sie am Thea­ter beson­ders, was nicht?

Ich fin­de Thea­ter groß­ar­tig, wenn es um Inhal­te ringt, Fra­gen auf­wirft, Schö­nes beschwört, auf Gefah­ren der Zeit reagiert, Spra­che ernst nimmt. Als Selbst­zweck oder Tum­mel­platz per­sön­li­cher Eitel­kei­ten ist es ein­fach nur hohl und öde.

Was braucht gutes Theater?

Gren­zen­lo­se Neu­gier­de, Lie­be zur Sache und zum Publi­kum, soli­de gelern­tes Hand­werk, auch – unzeit­ge­mäß – ein Stück Demut.

Was kann auf einer sehr klei­nen Büh­ne, wie sie das Bren­ta­no-Thea­ter hat, ent­ste­hen, das auf einer grö­ße­ren nicht ent­ste­hen kann?

Ganz lei­se Töne, unmit­tel­ba­rer Publi­kums­kon­takt, zer­brech­li­che Tex­te, die in einem gro­ßen Saal unter­ge­hen wür­den. In bei­nah freund­schaft­li­cher Gemein­sam­keit mit den Gäs­ten erpro­ben, ob die­se oder jene Aus­gra­bung sie anzu­spre­chen vermag.

Wo hält die Büh­ne die Mög­lich­kei­ten Ihrer Thea­ter­ar­beit zurück?

Wo sie das tut (sie endet, wenn ich bei­de Arme aus­stre­cke), gehe ich ein­fach woan­ders hin. In grö­ße­re Räu­me oder in den Hain zum Beispiel.

Wel­ches ist Ihr Lieb­lings­werk von Bren­ta­no, wel­ches kön­nen Sie nicht leiden?

Sehr vie­le sei­ner Gedich­te und Mär­chen lie­be ich. Stell­ver­tre­tend sei­en „Schwa­nen­lied“ und „Baron von Hüp­fen­stich“ genannt. Es ist die „Musik im Leib“, die ihm Nietz­sche beschei­nigt hat, die sei­ne Spra­che oft so auf­re­gend macht. Tat­säch­lich kann ich nicht lei­den, wenn er unre­flek­tiert zeit­ge­bun­de­ne Vor­ur­tei­le und Kli­schees aufgreift.

Wür­den Sie ger­ne öfter Fahr­rad fahren?

Das tue ich jeden Tag. Als Schü­ler habe ich die Umwelt­pro­gno­sen in „Glo­bal 2000“ gele­sen und des­halb den Füh­rer­schein verweigert.

Zah­len Sie ger­ne Rundfunkgebühren?

Da freie Pres­se lebens­wich­tig für Demo­kra­tie ist: kla­res Ja!

Töten Sie Insekten?

Ich lie­be Albert Schweit­zers Essay „Ehr­furcht vor dem Leben“ und bemü­he mich um die­se Hal­tung. An Zecken, Mot­ten und Obst­flie­gen schei­te­re ich dabei kläglich.

Darf man in Ihrem Schlaf­zim­mer rauchen?

Auf die Idee ist noch nie­mand gekommen.

Wel­che Dro­gen soll­ten Ihrer Mei­nung nach lega­li­siert werden?

Bri­ti­sche Sym­pho­nien (Ralph Vaug­han Wil­liams, Arnold Bax, Arthur But­ter­worth) in deut­schen Konzertsälen.

Ihr Leben wird ver­filmt. Wel­cher Schau­spie­ler soll­te Sie spielen?

Das wird zum Glück nie passieren.

Wie vie­le Apps sind auf Ihrem Smart­phone? Wel­che benut­zen Sie am meisten?

Auf mein Han­dy aus der spä­ten Jung­stein­zeit kann ich kei­ne Apps laden.

Wovon waren Sie zuletzt überrascht?

Dass ich die­sen Fra­ge­bo­gen aus­fül­len werde.

Was ist Ihr größ­ter Wunsch?

Kein ori­gi­nel­ler, aber ein gro­ßer: Dass die Mensch­heit Frie­den und Ver­ant­wor­tung für die­se Natur lernt. Ich wer­de also lebens­lang träumen.

Was war Ihr schöns­ter Bühnenmoment?

Jeder in dem es gelingt, ein Her­zens­an­lie­gen weiterzugeben.

Haben Sie ein Lieblingsgeräusch?

Bach­plät­schern und Vogel­ge­zwit­scher, aber das ist ja fast schon Musik.

Wel­chen Luxus leis­ten Sie sich?

Kein Auto zu haben.

Wovor haben Sie Angst?

Dass Kli­ma-Desas­ter und natio­na­ler Ego­is­mus die Gene­ra­ti­on unse­rer Kin­der in eine grau­sa­me Zukunft füh­ren könnten.

Wann haben Sie zuletzt geflirtet?

Jede Vor­stel­lung ist ein gewis­ser Publikumsflirt.

Wann und war­um hat­ten Sie zum letz­ten Mal Ärger mit der Polizei?

Ich bin im Zeit­druck unver­zeih­lich bei Rot über die Ampel gera­delt. Aber ich hat­te Glück. Der Poli­zist mein­te nur: „Falls Sie es nicht wis­sen: Ver­kehrs­re­geln gel­ten auch für Roman­ti­ker.“ Oh, ich lie­be Bamberg!

Wor­über haben Sie sich zuletzt geärgert?

Es gibt der­zeit lei­der so viel, um scho­ckiert zu sein, dass kaum Zeit zum harm­lo­sen Ärgern bleibt.

Auf wel­chen Moment Ihrer Lauf­bahn waren Sie am schlech­tes­ten vorbereitet?

Auf mein zwei­jäh­ri­ges Enga­ge­ment in Essen. Ein Fran­ke im Ruhr­pott – ich hat­te kei­ne Ahnung, was das bedeutet.

Gibt es einen wie­der­keh­ren­den Alb­traum, der von Ihrem Beruf handelt?

Wer mit­un­ter auf der Büh­ne steht, kennt ihn wahr­schein­lich: vol­les Haus und kei­ne Ahnung, was gespielt wird.

Was ist Ihr Lieblingsschimpfwort?

Freg­ger. Es ist ja zugleich ein Kosewort.

Bei wel­chem his­to­ri­schen Ereig­nis wären Sie gern dabei gewesen?

„Anläss­lich des Ein­zu­ges Kai­ser Lud­wigs des Bay­erns in Mün­chen im Isar­tor im Jahr 1333, glaub i.“ (Karl Valentin).

Was ist Ihre schlech­tes­te Angewohnheit?

„Jein“ sagen, wenn ich „nein“ sagen möchte.

Wel­che Feh­ler ent­schul­di­gen Sie am ehesten?

Aus Lie­be begangene.

Ihre Lieb­lings­tu­gend?

Auch wenn es kit­schig klin­gen mag: Herzenswärme.

Ihr Haupt­cha­rak­ter­zug?

Das Bes­te kommt noch. Bleib dran!

Was mögen Sie an sich gar nicht?

Wenn ich durch per­sön­li­ches Cha­os Ant­wor­ten ver­säu­me. Ich kann das an mir wirk­lich nicht lei­den. Aber es pas­siert lei­der manch­mal. Darf ich die Chan­ce nut­zen, Betrof­fe­ne hier förm­lich um Ent­schul­di­gung zu bitten?

Was hät­ten Sie ger­ne erfunden?

Eine Imp­fung gegen Krieg. Aber dann gäbe es wahr­schein­lich Demons­tra­tio­nen dagegen.

Haben Sie ein Vorbild?

Soll­te ich in der Lage sein, sinn­voll Gedich­te zu spre­chen, so habe ich das in den unver­gleich­li­chen Lie­der­aben­den von Diet­rich Fischer-Die­skau gelernt. Ich habe wäh­rend mei­ner Zeit an der Schau­spiel­schu­le in Mün­chen kei­nen ausgelassen.

Wofür sind Sie dankbar?

Für jeden gesun­den Tag Leben.

Was ist Ihr Lieb­lings­buch, Lieb­lings­al­bum, Lieblingsfilm?

Oh, da stün­de eine lan­ge Lis­te an! Mit gro­ßen Unter­las­sungs­be­den­ken: Robert (!) Wal­ser „Träu­men“. Sämt­li­che Schu­bert-Lie­der mit Fischer Die­skau (21 CDs), Karl Valen­tin „Orches­ter­pro­be“.

Was lesen Sie gerade?

„Geist und Müll“ von Guil­laume Paoli.

Wel­ches Buch haben Sie zuletzt nicht zu Ende gelesen?

Goe­thes „Wil­helm Meister“.

Wel­che Musik hören Sie nur heimlich?

Mit­schnit­te von mei­nen eige­nen Gesangs­ver­su­chen als Schüler.

Was war Ihre größ­te Modesünde?

Kein Mode­be­wusst­sein zu haben.

Was zeigt das letz­te Foto, das Sie mit Ihrem Han­dy auf­ge­nom­men haben?

Fotos schafft mein Han­dy lei­der auch nicht. Beim Son­nen­un­ter­gang in den herbst­li­chen Wein­ber­gen bei Rödel­see habe ich das bedauert.

Mit wem wür­den Sie ger­ne eine Nacht durchzechen?

Gut, es sei offen gestan­den: mit jenem „Fres­ser und Wein­säu­fer“ (Lukas-Evan­ge­li­um) aus Naza­reth. Da wäre ich unend­lich neugierig.

Was fin­den Sie langweilig?

Jede Form von Eitel­keit, egal, wie berühmt die Per­son ist.

Sie sind in einer Bar. Wel­ches Lied wür­de Sie dazu brin­gen zu gehen?

Aggres­si­ver Rap.

Was ist Ihre Vor­stel­lung von Hölle?

Wie es bei Dan­te in der „Gött­li­chen Komö­die“ steht: „Wenn Du hier ein­trittst, gib alle Hoff­nung auf!“ Gar nichts mehr am Schreck­li­chen ändern zu können.

Wie glau­ben Sie, wür­de der Mar­tin Neu­bau­er von vor zehn Jah­ren auf den Mar­tin Neu­bau­er von heu­te reagieren?

Wie­so regst du dich gera­de nicht auf?

Gibt es etwas, das Ihnen das Gefühl gibt, klein zu sein?

Posi­tiv: jeder Blick auf Ber­ge, Meer oder in den Ster­nen­him­mel, jede gro­ße Dich­tung und Musik. Nega­tiv: die täg­li­chen Schre­ckens-Nach­rich­ten und die Ohn­macht, etwas dar­an zu ändern.

Ich kann nicht leben ohne…

Mei­nen Sohn, lie­be Freun­din­nen und Freun­de, Musik, Arbeit und einen Rest-Glau­ben an das Gute.

In wel­chen Club soll­te man unbe­dingt gehen?

In den 24 Stun­den geöff­ne­ten der toten Dich­te­rin­nen und Dichter.

Sind Sie Tän­zer oder Steher?

Weder noch. Ein­deu­tig Geher.

Was war die absur­des­te Unwahr­heit, die Sie je über sich gele­sen haben?

Dass mein Vater mir den Bergan­za-Preis des Kunst­ver­eins ver­macht hät­te. Zu die­ser Zeit war er tod­krank und längst nicht mehr Vorsitzender.

Wel­ches Pro­blem wer­den Sie in die­sem Leben nicht mehr in den Griff bekommen?

Dass mein ethi­scher Anspruch an mich hin­ter mei­ner all­täg­li­chen Rea­li­tät zurückbleibt.

Das Stadt­echo gibt eine Run­de aus. Was trin­ken Sie?

Sil­va­ner.

Mar­tin Neu­bau­er, Novem­ber 2023.

Ers­te Oper im Erker

30 Jah­re Brentano-Theater

Das Bren­ta­no-Thea­ter in der Gar­ten­stra­ße 7 fei­er­te im Sep­tem­ber sein 30-jäh­ri­ges Bestehen. Pünkt­lich zum Jubi­lä­um führ­te Bam­bergs kleins­tes Thea­ter, des­sen Büh­ne ein Erker im Wohn­zim­mer ist, erst­mals eine Oper auf. Ein Besuch bei Mar­tin Neubauer.

Mit dem Stück „Lore­ley und Hum­se­ra“ gab es zum Jubi­lä­um ein Musik-Thea­ter der beson­de­ren Art im Bren­ta­no-Thea­ter. Dies­mal fand in dem knapp zwei Qua­drat­me­ter gro­ßen Erker eine von Mar­tin Neu­bau­er selbst zusam­men­ge­stell­te Oper statt. „Das ist so absurd, dass es mich schon lan­ge gereizt hat“, erzählt Neu­bau­er und schmun­zelt. Mit zar­ten Klän­gen, roman­ti­scher Poe­sie und frän­kisch-der­ber Komik geht es dar­in zu – gesun­gen von der Sopra­nis­tin Lau­ra Bart­hel als „Schöns­te Jung­frau“ an der Reg­nitz mit Lie­dern von Robert Schu­mann, Franz Liszt und einer Arie aus der Oper „Lore­ley“ von Alfre­do Cata­la­ni, sze­nisch umspielt von Neu­bau­er selbst als „Bren­ta­no“ und text­si­cher mit Poin­ten in frän­kisch unter­malt von Bea­te Roux als „Hum­se­ra“. Das Stück ist eine wei­te­re Hom­mage an den Namens­ge­ber des klei­nen Thea­ters, Cle­mens Bren­ta­no (1778 bis 1842), Schrift­stel­ler, Dich­ter und einer der Ver­tre­ter der „Hei­del­ber­ger Romantik“.

Wer jedoch glaubt, Bren­ta­no und die Epo­che der Roman­tik sei­en längst ver­staubt, irrt. Bren­ta­no und sei­ne Gefähr­ten waren zu ihrer Zeit über­aus kühn. „Die The­men roman­ti­scher Gedich­te wie die Lie­be zur Natur, der Zau­ber zwi­schen­mensch­li­cher Bezie­hun­gen, die Nacht­sei­te des Men­schen, die Brü­chig­keit der Spra­che oder die Pro­ble­me der Hei­mat­su­che sind zeit­los und stel­len sich als Fra­gen heu­te neu“, sagt Neu­bau­er. Und er muss es wis­sen. Unzäh­li­ge Gedich­te aus die­ser Zeit hat er im Kopf. Es gibt kaum eine Spiel­art Poe­sie, die er noch nicht ver­sucht hat zu ver­ste­hen und mit schau­spie­le­ri­schem Kön­nen auf sei­ner klei­nen Büh­ne umzu­set­zen. In sein Wohn­zim­mer mit Erker, das er vor rund 30 Jah­ren bezo­gen hat und in das er sich bis heu­te ein­mie­tet, haben es schon vie­le Stü­cke bedeu­ten­der, oft auch ver­ges­se­ner Dich­te­rin­nen und Dich­ter geschafft.

Wohn­zim­mer-Thea­ter, ent­stan­den aus spon­ta­ner Idee

Mar­tin Neu­bau­er ist gebür­ti­ger Bam­ber­ger. Auch sei­ne Mut­ter woll­te Schau­spie­le­rin wer­den, sein Vater Hans Neu­bau­er war rund drei Jahr­zehn­te schrei­bend und als Vor­sit­zen­der des Bam­ber­ger Kunst­ver­eins aktiv. Ihn selbst zog es nach dem Abitur nach Mün­chen an die „Neue Münch­ner Schau­spiel­schu­le“, an der er 1988 sei­ne Büh­nen­rei­fe­prü­fung absol­vier­te. Ver­schie­de­ne Enga­ge­ments, etwa an der Lan­des­büh­ne und dem Staats­thea­ter Han­no­ver sowie beim „Jun­gen Thea­ter“ in Essen folg­ten. In die­ser Zeit sam­mel­te er zudem Rund­funk- und Fern­seh­erfah­rung, was ihn in der Wahl eines wei­te­ren Berufs­felds, das eines lite­ra­risch-musi­ka­li­schen Rezi­ta­tors, bestärkte.

Brentano-Theater
Mar­tin Neu­bau­er mit Gäs­te­bü­chern, Foto: Danie­la Pielenhofer

„Ich woll­te nicht mein gan­zes Leben in Fest­ver­trä­gen ver­brin­gen“, erzählt er, „des­halb bin ich Anfang der 1990er Jah­re zurück nach Bam­berg gegan­gen, um aus einem spon­ta­nen Gedan­ken her­aus an einem gesel­li­gen Abend mit Freun­den und ganz neben­bei am 215. Geburts­tag von Cle­mens Bren­ta­no, den ich in Stü­cken an der Schau­spiel­schu­le ver­kör­pern durf­te, mein eige­nes, klei­nes Wohn­zim­mer-Thea­ter zu grün­den.“ Anfangs sei das eigent­lich nur pri­vat gewe­sen, als eine Art Spiel auf Pro­be. „Dass ich das dann 30 Jah­re lang machen wer­de, hat­te ich wahr­lich nicht geplant und es fühlt sich auch gar nicht so lan­ge an – eher wie sie­ben Jah­re viel­leicht“, sagt er und lacht.

„Ich mache hof­fent­lich kei­ne abge­ho­be­nen Sachen“

Zwi­schen 28 und 32 Besu­che­rIn­nen fin­den im Bren­ta­no-Thea­ter Platz. Der Sta­pel der Gäs­te­bü­cher aus 30 Jah­ren ist so hoch, dass Mar­tin Neu­bau­er sie kaum hal­ten kann. Die Ein­bän­de und Inhal­te sind bunt gemischt.

In den letz­ten Jah­ren zieht es auch ver­mehrt jun­ge Leu­te ins Thea­ter im Erker. Wahr­schein­lich auch in sein Pro­gramm zu Edgar Allan Poe jetzt im Novem­ber. „Dabei erklingt zu den Erzäh­lun­gen eigens durch sie inspi­rier­te Musik von Clau­de Debus­sy und And­re Cap­let. Genüss­li­che Gän­se­haut darf erwar­tet wer­den“, sagt Neubauer.

Der Erker ist dabei aber kein Ort der geis­ti­gen Abge­ho­ben­heit: „Will­kom­men ist jede und jeder, die oder der sich für die Ange­bo­te in die­sem bewusst klei­nen, über­schau­ba­ren Rah­men inter­es­siert.“ Auf gro­ße Büh­nen drängt es ihn nicht so sehr. „Gedich­te ver­lie­ren sich leicht in einem gro­ßen Raum“, sagt er. Sie in sei­nem klei­nen Thea­ter im Erker zu ver­mit­teln, sei nicht nur zugäng­li­cher, son­dern es gebe danach auch die Gele­gen­heit zu per­sön­li­chem Aus­tausch. „Mein Ver­hält­nis zum Publi­kum ist ver­trau­lich. Ich mache hof­fent­lich kei­ne abge­ho­be­nen Sachen. Vie­le mei­ner Besu­che­rin­nen und Besu­cher kom­men regel­mä­ßig, es sind aber auch immer wie­der neue Gesich­ter dabei.“ Der Ein­tritt erfolgt über­dies ganz im Sin­ne von Bren­ta­no nach Belie­ben, das bedeu­tet, alle Gäs­te zah­len die Sum­me, die sie für rich­tig hal­ten. Was klingt wie etwas aus der Zeit gefal­len, plant der Künst­ler den­noch auch in nächs­ter Zeit nicht zu ändern.

Roman­ti­sche Stü­cke mit Witz und Humor

Der klei­ne Spiel­be­trieb in der alten Vil­la aus der Grün­der­zeit in der Gar­ten­stra­ße 7 brach­te im Lau­fe der Zeit immer neue Auf­ga­ben, Her­aus­for­de­run­gen und Ent­de­ckun­gen mit sich. Ent­spre­chend bleibt Mar­tin Neu­bau­er neu­gie­rig und ver­sucht, auf die Ent­wick­lun­gen zu reagie­ren. „Mit einer gewis­sen Bil­dungs­ar­ro­ganz, wie man sie in frü­he­ren Tagen noch erle­ben konn­te, kann man heu­te nicht mehr auf­tre­ten. Ich möch­te aber den The­men treu blei­ben, die mir wich­tig sind und sie für heu­te zugäng­lich auf­be­rei­ten. Ich wür­de ger­ne Schwel­len­ängs­te vor der Lite­ra­tur abbau­en“, erklärt er.

Wegen sei­ner Vor­lie­be für die Lyrik und das roman­ti­sche Kunst­lied setzt er auch in sei­ner schau­spie­le­ri­schen Kunst nach wie vor auf poe­ti­sche Stü­cke in einer sprach­lich aus­ge­feil­ten und zugleich wit­zi­gen Hal­tung. „Der Humor in mei­nen Dar­bie­tun­gen ist mir ganz beson­ders wich­tig, und auch wenn das in der deut­schen Tra­di­ti­on oft unter­ent­wi­ckelt erscheint, Anspruch und Witz sind ja kei­ne Gegensätze.“

Die Tex­te des viel­sei­ti­gen Dich­ters Cle­mens Bren­ta­no, der anar­chisch, unver­schämt frech, tief-reli­gi­ös und zugleich innig über die vie­len Facet­ten des Lebens geschrie­ben hat, bie­ten dabei bis heu­te eine Leit­li­nie. Wie auch die der ande­ren roman­ti­schen Dich­ter und Lyri­ker, von Joseph von Eichen­dorff über E. T. A. Hoff­mann bis hin zu Edu­ard Möri­ke. In einem sich stän­dig wech­seln­den Pro­gramm ist die Aus­wahl ent­schei­dend. „Die­se Dich­ter drü­cken Gefüh­le so dif­fe­ren­ziert aus, dass man dar­an durch­aus einen ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ten Umgang mit Spra­che ler­nen kann“, sagt Neu­bau­er. „Das zu ver­mit­teln, ist mir beson­ders wichtig.“

In sei­nen Rezi­ta­tio­nen und Lesun­gen will er dem­ge­mäß Zei­chen set­zen für die Sen­si­bi­li­tät im Umgang mit Spra­che, indem er auf­zeigt, wie Spra­che von gro­ßen Autorin­nen und Autoren gebraucht wur­de, und so ver­deut­li­chen, was Spra­che mit dem Mit­ein­an­der und der Ach­tung vor­ein­an­der zu tun hat. „Spra­che wird oft gedan­ken­los ein­ge­setzt und kann auch eine gefähr­li­che Waf­fe werden.“

Aus Neu­bau­ers Sicht ist es völ­lig irrig zu glau­ben, dass heu­te nichts mehr gesagt wer­den dür­fe – die Acht­sam­keit sei ent­schei­dend. „Gen­dern hal­te ich kei­nes­wegs für einen Fron­tal­an­griff auf die deut­sche Spra­che, wie mit­un­ter fast hys­te­risch geunkt wird. Es ist sinn­voll und wich­tig, unser all­täg­li­ches Voka­bu­lar immer wie­der zu über­prü­fen. Wer gen­dert, denkt über Spra­che nach. Bei alten Tex­ten geht das frei­lich oft nicht ohne Geschichts­fäl­schung und Klang­zer­stö­rung. Dann scheint mir kri­ti­sches Kom­men­tie­ren sinn­vol­ler. Auch bewusst wahr­ge­nom­me­ne Dis­kre­pan­zen wir­ken ange­spro­chen ja erhellend.“

Poe­sie unter frei­em Himmel

Die Palet­te sei­ner Dar­bie­tun­gen ist nicht nur nach­denk­lich bis tief­grün­dig, son­dern auch hei­ter bis lus­tig. Der Kaba­ret­tist Neu­bau­er ver­ehrt auch Karl Valen­tin oder Oscar Wil­de, Erich Käst­ner, Wil­helm Busch und vie­le mehr. „Die Men­schen haben Sehn­sucht nach erfreu­li­chen, hoff­nungs­vol­len Din­gen und brau­chen spür­bar See­len­oa­sen“, fin­det er. Sei­ne „Poe­ti­schen Hain­spa­zier­gän­ge“, in denen er mit sei­nem Publi­kum raus­geht, um unter frei­em Him­mel zu rezi­tie­ren und dabei der Dich­tung und der Lyrik wie auch der Natur zu frö­nen, sind beliebt und bis­wei­len legen­där. Zwi­schen vier und 200 Besu­che­rIn­nen konn­te der Künst­ler bereits für die­se Aus­flü­ge begeistern.

„Je nach The­ma und Wet­ter vari­iert das natür­lich“, sagt Neu­bau­er. „Der Ansatz ist aber immer gleich. Ich möch­te zu Poe­sie und Zart­heit ver­lo­cken.“ Neben sei­nen Solo­pro­gram­men zu den Dich­tern und Den­kern der Roman­tik bin­det er auch die Jah­res­zei­ten mit ein, in denen er wech­seln­de Spa­zier­gän­ge zu poe­ti­schen The­men orga­ni­siert wie dem­nächst wie­der den „Novem­ber­trost“, ein Pro­gramm gegen den Herbst-Blues. Auch Fei­er­ta­ge wer­den berück­sich­tigt. In der Vor­weih­nachts­zeit gibt es ein kri­ti­sches Advents­pro­gramm, bevor Neu­bau­er an Hei­lig­abend und Sil­ves­ter in der Johan­nis­ka­pel­le in Wort und Ton feiert.

Mit musi­ka­lisch-lite­ra­ri­schen High­lights in sei­nem klei­nen Thea­ter kann er zudem seit län­ge­rem in ver­schie­de­nen Koope­ra­tio­nen auf­war­ten. Da gab es schon Melo­dra­men von Schu­mann, Liszt und Schu­bert mit Bea­te Roux am Kla­vier oder Pro­gram­me mit dem Bam­ber­ger Bergan­za-Quar­tett. Frän­kisch-lite­ra­risch und neben­bei kra­chend wird es dar­über hin­aus in bereits zehn Fol­gen von „Literadur-Zeuch“ mit Hei­ko Trie­be­ner, dem Solo­tu­bis­ten der Bam­ber­ger Symphoniker.

„Ich möch­te Kost­bar­kei­ten anbie­ten, auf die die Men­schen sonst viel­leicht gar nicht gekom­men wären“, sagt Neu­bau­er. Erschöp­fen­de Welt­erklä­run­gen kön­ne Kunst natür­lich nicht geben, aber einen erwei­ter­ten Blick auf Lebens­sinn, Glau­be und Nicht-Glau­be und vie­les mehr schon. „Wenn man das denn möch­te“, so der Künstler.

Neben dem Bren­ta­no-Thea­ter ist Mar­tin Neu­bau­er auch immer wie­der quer durch Deutsch­land mit ver­schie­de­nen Enga­ge­ments unter­wegs. Dem­nächst bei­spiels­wei­se zu sehen in einem gro­ßen Ora­to­ri­um in Gerolz­ho­fen, bei einem Karl Valen­tin-Abend in Forch­heim und bei einem Pro­gramm zu Bren­ta­no im Roman­tik-Muse­um Frank­furt oder in Dülmen.

Beruf mit sozia­ler Verantwortung

Die Viel­falt in sei­nen Dar­bie­tun­gen führ­te ihn bereits zu Auf­trit­ten mit den Bam­ber­ger Sym­pho­ni­kern oder dem Köl­ner Rund­funk­or­ches­ter, ins Ton­stu­dio zu CD-Auf­nah­men und auch an die Hoch­schu­le für Musik in Würz­burg zu Lehr­auf­trä­gen. Für sei­ne Arbeit in der Regi­on erhielt er bereits den Kul­tur­för­der­preis der Stadt Bam­berg und den Bergan­za-Preis des Bam­ber­ger Kunst­ver­eins. Eine sozia­le Ver­ant­wor­tung sieht er in sei­nem Beruf oben­drein. So spricht er öfters auf Kund­ge­bun­gen für Men­schen­rech­te. Im Rah­men der „Kul­tur der Stil­le“, die ein­mal im Monat in Zusam­men­ar­beit mit dem Cel­lis­ten Karl­heinz Busch statt­fin­det, gehen die Ein­nah­men an einen guten Zweck.