Im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung haben Diskriminierungs- und Rassismus-Erfahrungen von Menschen mit Migrationsgeschichte in den letzten Monaten in Deutschland vermehrt öffentliche
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„Der Kampf gegen Rassismus ist eine endlose Geschichte“
Migranten- und Integrationsbeirat der Stadt Bamberg
Im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung haben Diskriminierungs- und Rassismus-Erfahrungen von Menschen mit Migrationsgeschichte in den letzten Monaten in Deutschland vermehrt öffentliche Aufmerksamkeit gewonnen und – wichtiger noch – darauf aufmerksam gemacht, wie tief Rassismus in gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland verankert ist. Der Migranten- und Integrationsbeirat der Stadt Bamberg kämpft seit über 25 Jahren für ein besseres Miteinander und gegen Diskriminierung, hat aber in dieser Zeit auch eine Zunahme von Rassismus festgestellt.
Im Juni musste der Migranten- und Integrationsbeirat (MIB) mit dem Tod seines ehemaligen Vorsitzenden Mohamed Hédi Addala einen schweren Schlag hinnehmen. Seit dessen Rücktritt im Februar sitzen Mitra Sharifi-Neystanak und Dr. Marco Depietri dem Beirat vor. Täglich kümmern sie sich mit ihrem 20-köpfigen Team um die Belange von Menschen mit Migrationsgeschichte in Bamberg. Dazu gehören Unterstützung bei der Wohnungssuche, im Umgang mit Bürokratie, das Einwirken auf die Stadtverwaltung, um diese interkulturell zu öffnen, und Hilfe bei Diskriminierungsfällen. Jährlich veranstaltet der MIB die Internationalen Wochen gegen Rassismus und die Interkulturellen Wochen, alle zwei Jahre auch ein großes Fest der Vielfalt in der Stadtmitte. Wir haben mit der Doppelspitze Mitra Sharifi-Neystanak und Dr. Marco Depietri gesprochen.
Als Interessensvertretung der Bamberger Migrantinnen und Migranten setzen Sie sich für ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen in Bamberg ein. Wie steht es um das Zusammenleben?
Sharifi-Neystanak: Wir finden, dass es in Bamberg schon relativ friedlich ist. Es gibt ja schon seit Jahrzehnten Bemühungen und vielfältiges Engagement, um Dialog und Begegnung zu organisieren und Hürden auf dem Weg des Zusammenwachsens abzubauen. Allerdings gibt es aufgrund verschiedener Strukturen durchaus auch Spannungen, Konflikte und Rassismus. Wir wissen, dass wir gemeinsam dran bleiben müssen.
Wie sieht die Arbeitsweise des MIB aus?
Marco Depietri: Bamberg ist als ziemlich internationale Stadt ein guter Boden für ein vielfältiges Miteinander, aber der Beirat ist da, um unsere Anliegen in der Stadt und im Rathaus immer vorzubringen. Wir initiieren Projekte und Initiativen gegen Diskriminierung und stellen der Stadt Handlungsempfehlungen aus.
Sharifi-Neystanak: Wir sitzen in zahlreichen Gremien, in denen wir versuchen, die Sicht und Eigenerfahrungen der Migrantinnen und Migranten einzubringen, auf Defizite aufmerksam zu machen, um Integrationsmaßnahmen zu optimieren. Wir wissen, wie es den Leuten geht, wenn sie neu in der Stadt sind und sie eine Wohnung oder Arbeit suchen. Wir wollen, dass Vielfalt als Chance und Zukunftsressource begriffen wird.
Können Sie ein Beispiel Ihrer Arbeit nennen?
Sharifi-Neystanak: Wir schreien zum Beispiel seit zwei Jahren ganz laut, dass die fehlenden Kindergartenplätze dazu führen, dass Kinder von neu zugewanderten Familien zum Teil keinen Kindergartenplatz kriegen oder fehlende Räume und Personal in den Schulen dazu führen, dass eine integrationsfördernde ganztägige Bildung nicht möglich ist. Und solche Missstände haben Konsequenzen für die Integration der gesamten Familie und für die Entwicklung der Kinder. Grundlegend sind wir im Kontakt zu verschiedenen Communities – unsere Mitglieder stammen aus 20 verschiedenen Nationen – und versuchen rauszufinden, wo es Probleme gibt und wo die Ressourcen, die die Menschen mitbringen, verloren gehen. Im Moment gibt es auch durch Corona bedingte finanzielle Engpässe bei Vereinen.
Wenn Sie mit öffentlichen Stellen über Probleme der Migrantinnen und Migranten sprechen, stoßen Sie damit auf offene Ohren oder eher Desinteresse?
Sharifi-Neystanak: Unterschiedlich. Unsere Arbeit ist schon ein Bohren dicker Bretter. Im Prinzip ist man offen. Aber wenn es darum geht, das Gewöhnte zu ändern oder gar Geld zu investieren, wird es schwieriger. Aber ich stelle auch Veränderungen fest. Wir finden, die Stadtverwaltung sollte interkulturell geöffnet und unter anderem mehr Menschen mit Migrationsgeschichte beschäftigt werden. Damit soll das Außenbild der Stadt der bunten Bevölkerung mehr entsprechen und alle Bambergerinnen und Bamberger sollen sich mehr mit der Stadt identifizieren können. Es gab Zeiten, da fanden wir kaum Gehör. Mittlerweile ist die Sensibilität gewachsen. Aufgrund unserer Vorschläge wird das Thema Integration in der Personalentwicklung besser beachtet und zum Beispiel bei Stellenausschreibungen soll dazugeschrieben werden: ‚Bewerbungen von Migrantinnen und Migranten werden begrüßt‘. Dafür gab es zuerst Ablehnung, aber der Oberbürgermeister war dafür. Umgesetzt worden ist es allerdings noch nicht.
2007 erklärte OB Starke die Integration zur Chefsache. Hat er seinen Worten seitdem Taten folgen lassen?
Sharifi-Neystanak: Ich finde ihn schon engagiert und fand es schon immer gut, dass er bei diesem Thema eine klare Sprache gesprochen hat, mit klaren Positionen – zum Beispiel bei der Flüchtlingskrise – und sehr oft betont, dass er will, dass alle Menschen sich unabhängig von ihrer Herkunft in Bamberg wohlfühlen. Was Entwicklungen in der Verwaltung angeht, könnte mehr passieren. Integration braucht Ressourcen und Personal, um bearbeitet werden zu können. Und es geht nicht nur darum, Menschen mit Migrationsgeschichte in den unteren Gehaltsbereichen unterzubringen, sondern auch in Entscheidungspositionen und im höheren Dienst. Wenn die Stadt nur Leute anstellt, die über die Verwaltungslaufbahn kommen, und keine Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger zulässt, ist die Chance, dass Menschen mit Migrationsgeschichte berücksichtigt werden, geringer.
Depietri: Bei einigen Stellen, wie zum Beispiel an der Infothek im Neuen Rathaus, wäre eine Migrationsgeschichte wünschenswert, weil interkulturelle Kompetenz hier sehr wichtig ist. Die Ohren für solche Änderungen sind zwar offen, aber es folgen darauf zu oft Ausflüchte mit ‚ja, aber…‘.
Sharifi-Neystanak: Manchmal sind die Kriterien nicht richtig gesetzt. Wenn man zum Beispiel Kenntnisse der Sprachen und Kulturen von großen ethnischen Gruppen in der Bevölkerung in Vorstellungsprozessen zu einer Qualifikation erklärt, hätten Mitglieder dieser Gruppen ganz andere Chancen. Solche Kompetenzen könnten in der Verwaltung sehr vieles vereinfachen, würden Identifikationsfläche bieten und können für die effektive Verwaltung einer modernen Stadt notwendig sein.
Depietri: Eine eigene Geschäftsstelle, die vor allem dabei helfen würde, die Koordination zwischen den Ehrenamtlichen zu verbessern, ist uns vom MIB schon seit längerem versprochen.
Als Beirat haben Sie eine beratende Funktion. Wünschen Sie sich mehr politische Einflussmöglichkeit?
Sharifi-Neystanak: Immer!
Depietri: Es ist ja nicht so, dass wir politisch nicht vertreten sind. Die Fraktionen hören uns zu. Aber ja, ein bisschen mehr Einfluss wäre gut.
Sharifi-Neystanak: Auf der formalen Ebene der Entscheidungsfindung sind wir nicht so gut ausgestattet. Wir wünschen, in den Entscheidungsprozessen früh und verbindlich einbezogen zu werden und dass man uns bei integrationsrelevanten Entscheidungen aktiv miteinbezieht.
Seit einigen Monaten, angefacht durch die Ereignisse in den USA und die Black Lives Matter-Bewegung, wird über den Rassismus in der deutschen Gesellschaft diskutiert. Vereinfacht diese Diskussion Ihre Arbeit?
Sharifi-Neystanak: Dadurch, dass das Thema Rassismus jetzt einfach präsenter ist und die Perspektive der Betroffenen deutlicher wird, bekommt das Thema mehr Aufmerksamkeit. Ob das unsere Arbeit aber einfacher macht, weiß ich nicht. Es ist aber zumindest mehr Rückenwind da. Wobei man auch sagen muss, dass die Herausforderungen in den letzten Jahren größer geworden sind. Rassismus, rassistischer Hass und Gewalt haben neue Dimensionen bekommen.
Depietri: Rückenwind, ja, aber wir fragen uns auch, wie lange das anhält. Wie sieht es in zwei Jahren aus? Man weiß ja, dass es in der Aufmerksamkeit immer wieder Höhepunkte gibt, die aber auch schnell wieder abnehmen.
Sharifi-Neystanak: Für die gesamte Arbeit für Integration und gegen Rassismus reicht es nicht, immer nur punktuell etwas zu machen, sondern es ist wichtig, dass es Strukturen gibt, die am Thema dranbleiben, daran arbeiten und so Nachhaltigkeit schaffen. Der Kampf gegen Rassismus ist eine endlose Geschichte. Man kann das nur machen, wenn man Ressourcen und Netzwerke dafür hat. Die Anerkennung des Migranten- und Integrationsbeirats ist groß, aber wir und alle zivilgesellschaftlichen Kräfte, die dagegen arbeiten, brauchen Ressourcen. Integrationsarbeit ist kein Nebenbei- oder Luxusthema mehr, sondern wird die Zukunft der Stadt mitprägen.
Wie weit ist Rassismus in der Bamberger Stadtgesellschaft verbreitet? Wie haben sich Fallzahlen in den letzten Jahren entwickelt?
Sharifi-Neystanak: Solche Zahlen kann man nur erheben, wenn man eine Antidiskrimnierungsstelle hat, die Erhebungen macht. Aber auch so eine Stelle fehlt. Wir bekommen jedoch natürlich einiges mit und können sagen, dass rassistische Vorfälle zugenommen haben, auch in Bamberg.
Woran liegt die Zunahme?
Sharifi-Neystanak: An der Veränderung des gesellschaftlichen Klimas, das rauer geworden ist. Die Leute trauen sich mehr, ihre rassistischen Positionen laut zu vertreten. Eine langjährige Bekannte von mir, die immer Kopftuch trug, hat dieses letztes Jahr abgelegt. Sie ist der Meinung, es sich und ihrer Familie nicht mehr zumuten zu können, ständig auf der Straße angegangen oder sogar angespuckt zu werden. Ich hoffe, dass wegen der jetzigen Diskussion über gesellschaftlichen Rassismus auch die von Rassismus oder Diskriminierung nicht direkt betroffenen Menschen anfangen nachzuspüren, was Opfer von Diskriminierung durchmachen. Wenn man weiß ist, europäisch aussieht und nicht für einen Muslim, Juden, Roma oder einen Flüchtling gehalten wird, kriegt man solche Dinge wahrscheinlich weniger mit, als wenn man etwas anders aussieht.
Sie haben strukturellen Rassismus angesprochen. Was würden Sie Leuten entgegen, die sagen, es gebe ihn nicht?
Sharifi-Neystanak: Ich denke, wenn wir Strukturen haben, die insgesamt Menschen mit bestimmten Merkmalen immer wieder und wieder diskriminieren, dann spreche ich von strukturellem Rassismus. Vor allem dann, wenn das auch auf öffentlich-staatlicher Ebene passiert. Die sehr problematische Praxis des Racial Profiling der Polizei wäre hierfür ein gutes Beispiel, weil es die Sicht eines Polizisten in eine Richtung lenkt, die problematisch ist. Wenn ein Polizist die Angewohnheit hat, Menschen mit bestimmten Merkmalen zu kontrollieren, ist das problematisch. Ich will auf keinen Fall die Polizei unter Generalverdacht stellen. Ich finde, dass die Polizei in dem Bereich Unterstützung braucht. Wenn ein Beamter nur dann mit Migranten zu tun bekommt, wenn diese straffällig werden, begünstigt das die Entstehung von Vorurteilen. Deshalb sollten die betroffenen Beamten an dieser Stelle unterstützt werden. Sie brauchen Schulungen und Supervision und die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit Migrantinnen und Migranten praktisch zu diversifizieren. Sonst können sich selektive Erfahrungen zu rassistischen Einstellungen verfestigen.
Hat die Bamberger Polizei ein Rassismus-Problem?
Sharifi-Neystanak: Der Beirat arbeitet mit der Polizei ziemlich gut und vertrauensvoll zusammen, aber ich kann es nicht ausschließen, dass Menschen, die nicht weiß sind und womöglich in der Nähe der AEO wohnen, öfter als andere kontrolliert werden, oder nicht jede Begegnung vorurteilsfrei ist.
Welche Meinung haben Sie zur Auseinandersetzung zwischen der Zeitung „taz“, die eine satirische Kolumne, in der die Polizei vermeintlich verächtlich gemacht wird, veröffentlicht hat, und Innenminister Horst Seehofer?
Sharifi-Neystanak: Ich fand diese Kolumne nicht gut und grenzwertig. Ich denke, dass wir, gerade als Migranten, eine demokratische und gute Polizei brauchen, in die wir Vertrauen haben können. Wer sonst soll uns vor den Rechtsradikalen und ihrer rassistischen Gewalt schützen? Eine Demokratie braucht demokratische und kritische Sicherheitskräfte und diese sollen alle Unterstützung bekommen, damit sie ihre Arbeit gut machen können und damit sie die Chance haben, frei von Vorurteilen arbeiten zu können.
Im Juni ist der ehemalige MIB-Vorsitzender Mohamed Hédi Addala gestorben. Welches Erbe hat er hinterlassen?
Depietri: Ich kannte Mohamed schon lange bevor ich vor zwei Jahren auf sein Drängen hin eingewilligt habe, eines Tages für den Vorsitz des MIB zu kandidieren. Vorher hatte ich nicht die nötige Zeit dafür. Für diese zwei Jahre Zusammenarbeit mit ihm bin ich sehr dankbar und sie waren geprägt von großem Vertrauen. Rückblickend denke ich oft an die Eile, die er hatte, mir alles beizubringen. Er wollte mir alles zeigen und nichts für sich behalten.
Sharifi-Neystanak: Er hat immer gesagt ‚Das Licht soll hier nicht ausgehen‘. Er wollte, dass das, was er über 20 Jahre lang in Bamberg aufgebaut hat, dass Migranten in der Öffentlichkeit präsent sind, erhalten bleibt. Er hat dem Beirat mit wahnsinnigem persönlichem Einsatz und Engagement in vielen Kreisen Respekt verschafft. Er wollte, dass es friedlich ist in Bamberg und die Menschen gut zusammenleben. Er war auch stolz darauf, dass vieles in dieser Hinsicht erreicht wurde. Zum Beispiel der interreligiöse Dialog, der nicht überall selbstverständlich ist, funktioniert sehr gut und er hat großen Anteil daran. Wir alle können unendlich dankbar sein, dass er über all die Jahre so viel Zeit und Energie investiert hat. Wir werden versuchen, seinen Weg weiterzugehen. Wir sind froh, dass es in Bamberg viele engagierte Menschen und eine Zivilgesellschaft gibt, die wach ist und sich zusammenrauft, um Rassismus und Rechtsextremismus entgegenzutreten. Aber, wir müssen dran bleiben und kreativ und kritisch noch einiges ändern, damit es ein diskriminierungsfreies Miteinander gibt.