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Mürsbach

Aus­stel­lung zur Mongolei

THE­gal­lery: Post-Noma­di­sche Erfah­rung in Mürsbach

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Mon­go­li­sche Kunst­wer­ke zeigt „THE­gal­lery“ ab 6. Juli in Mürs­bach. Die Aus­stel­lung „Die Post-Noma­di­sche Erfah­rung – Kul­tur, Natur und Nach­hal­tig­keit“ soll das Natur­ver­ständ­nis der ehe­mals noma­di­schen Kul­tur der Mon­go­lei näher­brin­gen. Beglei­tend ver­an­stal­tet Kura­tor Tho­mas Eller zwei Kunst­camps – eines in Mürs­bach, eines in der mon­go­li­schen Steppe.

Tho­mas Eller ist kul­tu­rell her­um­ge­kom­men. Seit mehr als 30 Jah­ren ist er in der Kunst­welt aktiv, zuerst als Künst­ler, nun als Kura­tor. Nach zehn Jah­ren in New York half er, die Nie­der­las­sung der Kunst­han­dels­platt­form „art­net“ in Deutsch­land auf­zu­bau­en, ehe er ab Ende 2008 als Direk­tor die Tem­po­rä­re Kunst­hal­le Ber­lin lei­te­te. Nach­dem er spä­ter eine Aus­stel­lung zu jun­ger Kunst aus Peking in Ber­lin kura­tiert hat­te, sie­del­te Eller dort­hin um, wo er 2017 das Gal­lery Weekend Bei­jing gründete.

Nach sechs Jah­ren in der chi­ne­si­schen Haupt­stadt kehr­te er 2021 nach Deutsch­land zurück und eröff­ne­te in Mürs­bach bei Rat­tels­dorf in einer alten Müh­le aus Fami­li­en­be­sitz am Flüss­chen Itz sei­ne eige­ne Gale­rie, genannt „THE­gal­lery“. „THE“ steht für Tho­mas Eller. Nach Sta­tio­nen in meh­re­ren Welt­städ­ten und Kunst­zen­tren auf den ers­ten Blick ein unge­wöhn­li­cher Schritt.

THEgallery
Tho­mas Eller, Foto: Privat

„Ich habe mich tat­säch­lich viel her­um­ge­trie­ben“, sagt Tho­mas Eller, „aber wer uns in Mürs­bach besu­chen kommt, ver­steht, war­um ich dort eine Gale­rie eröff­ne­te. Es ist ein schö­nes Haus, ich ken­ne es seit mei­ner Kind­heit, und ich dach­te schon immer, wenn ich älter wer­de, will ich da mal woh­nen. Dann habe ich fest­ge­stellt: Ich bin jetzt lang­sam älter und, wenn ich aus dem Haus noch etwas machen will, habe ich jetzt noch gute zehn Jah­re, um etwas aufzubauen.“

Damit meint Eller natür­lich, einen neu­en Ort für Kunst auf­zu­bau­en. „Ich bin ein neu­gie­ri­ger Mensch und die Gale­rie in Mürs­bach ist nun so etwas wie eine neue Häu­tung.“ Um die Räum­lich­kei­ten der alten Müh­le zu fül­len, will er aber nicht den ein­fa­chen und offen­sicht­li­chen Weg gehen und ein­fach in sei­nem Adress­buch nach alten Kon­tak­ten aus den USA suchen. „Denn ich fin­de die dor­ti­ge Kunst­sze­ne zur­zeit nur wenig attrak­tiv. Da ist nicht mehr viel Krea­ti­vi­tät im Vor­der­grund, denn es geht fast nur noch um Markt und Geld und nicht mehr wirk­lich um Leu­te, die ver­su­chen, sich neu zu erfinden.“

Ent­spre­chend hat er sich für die künst­le­ri­schen Pro­gram­me in Mürs­bach ent­schlos­sen, sich an die Sei­te derer zu stel­len, die noch nicht all­zu bekannt sind oder ande­ren kul­tu­rel­len, vor allem asia­ti­schen Hin­ter­grün­den ent­stam­men – „von denen wir aber viel­leicht noch etwas ler­nen kön­nen, über uns sel­ber – wie in einem frem­den Spie­gel.“ So waren bis­her Wer­ke von Künstler:innen aus Deutsch­land, Mexi­ko oder Chi­le in Mürs­bach zu sehen. Und für die Schau­en „The First North Korea Micro­film Fes­ti­val 2013“ und „1 EARTH – Tel­lu­ri­an Abs­trac­tion“ brach­te Tho­mas Eller Kunst­schaf­fen­de aus Chi­na ins Fränkische.

Wenn aber der Markt in den USA zu kom­mer­zia­li­siert ist, ist dann der in Chi­na nicht zu über­wacht von der dor­ti­gen Dik­ta­tur? „Das kann ich nur anek­do­tisch beant­wor­ten“, sagt Tho­mas Eller. So habe er sich wäh­rend sei­ner Zeit in Chi­na mehr­mals mit dem Dis­si­den­ten und Künst­ler Ai Wei­wei unter­hal­ten, der das chi­ne­si­sche Regime mit regie­rungs­kri­ti­schen Äuße­run­gen gegen sich auf­ge­bracht hat­te. „Und er sag­te, dass das chi­ne­si­sche Sys­tem unheim­lich gut dar­in ist, Grau­zo­nen zu erzeu­gen, in denen die Künst­ler arbei­ten kön­nen, ohne dass sie die Regie­rung belangt. Erst wenn die Leu­te in die­ser Zone zu viel Auf­merk­sam­keit bekom­men, erhal­ten sie Besuch vom Regime.“

Gale­rie­the­men

Ein wei­te­rer Grund für Tho­mas Eller, in Mürs­bach eine Gale­rie zu eröff­nen, besteht dar­in, an die­sem ers­ten eige­nen Ort auf inhalt­li­che The­men set­zen zu kön­nen, die vor­her andern­orts nicht all­zu oft mög­lich waren. „Die The­men, die sich in Mürs­bach direkt auf­drän­gen, sind Din­ge wie Natur­ver­ständ­nis, Nach­hal­tig­keit oder Ener­gien der Kunst – The­men, die mich umtreiben.“

Denn betrach­tet er ein Kunst­werk, stellt sich ihm die Fra­ge: „Wel­ches Anlie­gen ver­mit­telt jemand in sei­ner Kunst? Spü­re ich da eine Ener­gie, die ich nach­voll­zie­hen kann – emo­tio­nal oder exis­ten­zi­ell? Das kann bei kom­plett unter­schied­li­chen Wer­ken der Fall sein, ganz ohne sti­lis­ti­sche Zuordnung.“

Den Wer­ken der nächs­ten Aus­stel­lung bezie­hungs­wei­se des Kunst­pro­jekts „Die Post-Noma­di­sche Erfah­rung – Kul­tur, Natur und Nach­hal­tig­keit“ rech­net Tho­mas Eller sogar eine beson­ders ursprüng­li­che Ener­gie­haf­tig­keit zu. Auch muss­te in ihre Orga­ni­sa­ti­on deut­lich mehr Auf­wand gesteckt wer­den als in die Aus­stel­lun­gen zuvor. Der Umfang des Unter­fan­gens setz­te sogar die Grün­dung eines Ver­eins voraus.

Baa­tar­zorig Bat­jar­gal: „Grey Mou­se“, 2024, Acryl auf Holz, Foto: Baa­tar­zorig Batjargal
50 Jah­re diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen zwi­schen Deutsch­land und der Mongolei

Um grö­ße­re Pro­jek­te stem­men zu kön­nen, grün­de­te Tho­mas Eller mit Freun­den aus der Kunst­welt 2023 den gemein­nüt­zi­gen Ver­ein ZEI­GE­NeV. Die Moti­va­ti­on dahin­ter ist die­sel­be wie die der Gale­rie: Es geht um die För­de­rung inter­kul­tu­rel­ler Zusam­men­ar­beit im kul­tu­rel­len Zusam­men­hang. „Aber wir tren­nen das strikt“, sagt Tho­mas Eller. „Mit dem Ver­ein hof­fen wir nun, ein biss­chen mehr bewe­gen zu kön­nen. Denn bestimm­te Din­ge, wie ein so gro­ßes, aus öffent­li­chen Mit­teln finan­zier­tes Pro­jekt, wie jetzt mit der Mon­go­lei, umzu­set­zen, kann man aus einer klei­nen pri­va­ten Gale­rie her­aus nicht machen. Die Gale­rie ist dar­um dies­mal auch nur der Aus­tra­gungs­ort. Der Ver­ein als gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­ti­on aber kann Zuwen­dun­gen emp­fan­gen und viel mehr bewe­gen, was in die­sem Fall auch der Völ­ker­ver­stän­di­gung und der Inklu­si­vi­tät dient.“

Mit „Pro­jekt mit der Mon­go­lei“ meint Eller meh­re­re Din­ge. Ein­mal geht es um die aktu­el­le Aus­stel­lung „Die Post-Noma­di­sche Erfah­rung – Kul­tur, Natur und Nach­hal­tig­keit“, die ab 6. Juli in Mürs­bach läuft. In die­sem Rah­men wer­den Künstler:innen aus Deutsch­land, aber vor allem aus der Mon­go­lei ihre Wer­ke bei „ZEI­GE­NeV“ und unter dem Dach von „THE­gal­lery“ ausstellen.

Dabei sein wer­den unter ande­rem Gemäl­de, Skulp­tu­ren und Instal­la­tio­nen von Franz Acker­mann, Hei­ke Bara­now­sky, Karl Heinz Jeron, Simo­ne Kör­ner, A.R. Penck sowie Nadi­ne Ren­nert und für die mon­go­li­sche Sei­te Baa­tar­zorig Bat­jar­gal, Munkht­set­seg Bat­munkh, Nomin Bold, Enkhza­ya Erde­nebi­leg, Gerelk­huu Gan­bold und Dash­de­med Sampil.

Die Wer­ke der Aus­stel­lung sol­len das Natur­ver­ständ­nis der ehe­ma­li­gen noma­di­schen Kul­tur der Mon­go­lei ver­deut­li­chen, bezie­hungs­wei­se ihren heu­ti­gen Umgang damit. „Die Aus­stel­lung fokus­siert auf die Wirk­kräf­te der Natur im visu­el­len Gedächt­nis der Mon­go­lei, die mit den Aus­wir­kun­gen der Moder­ne in Wider­streit tre­ten“, heißt es in der Ankün­di­gung. Die deut­schen Künstler:innen, die ver­tre­ten sind, nähern sich dem The­ma jeweils aus eher west­li­cher Sicht.

Der Grund, die Mon­go­lei künst­le­risch zu prä­sen­tie­ren, liegt dabei einer­seits in Tho­mas Ellers Bekannt­schaft mit dem Land und sei­ner Kunst­sze­ne und ande­rer­seits im 50-jäh­ri­gen Bestehen von diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen zwi­schen Deutsch­land und der zen­tral­asia­ti­schen Nati­on. Auch das eige­ne ener­gie­ba­sier­te Natur­ver­ständ­nis des Kura­tors spielt eine Rol­le: „Die­se The­men“, sagt Eller, „haben in der Mon­go­lei näm­lich einen Ort.“

Sie anzu­zap­fen, ist eines der wei­te­ren Zie­le der „Post-Noma­di­schen Erfah­rung“. Denn wäh­rend die Aus­stel­lung noch bis zum 15. Okto­ber läuft, fin­den zwei zusätz­li­che, eher per­for­ma­ti­ve Tei­le des Pro­jekts statt. So tun sich die betei­lig­ten Künstler:innen aus Deutsch­land und der Mon­go­lei vom 17. Juni bis zum 7. Juli im Art Camp Bava­ria in Mürs­bach zusam­men. In die­ser kom­mu­nen­ar­ti­gen Zusam­men­kunft wol­len sie an wei­te­ren Wer­ken arbei­ten, die in die Aus­stel­lung ein­ge­hen, und den Aus­tausch suchen über Natur­er­fah­run­gen und Nach­hal­tig­keit – jeweils aus der Sicht des eige­nen kul­tu­rel­len Hin­ter­grunds und sei­ner Prägung.

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Hei­ke Bara­now­ski: „Peri­me­ter“, 2020, Cya­no­ty­pie, Foto: Hei­ke Baranowski
Art Camp Mongolia

Ist das Kunst­camp in Bay­ern vor­über, tref­fen sich die Betei­lig­ten vom 25. Juli bis zum 11. August erneut, dann zum Art Camp Mon­go­lia. Die­ses wird statt­fin­den in der Step­pe der Pro­vinz Bul­gan. Die­se liegt im Nor­den der Mon­go­lei, deren Flä­che etwa fünf­mal so groß ist wie die Deutsch­lands, bei ledig­lich 3 Mil­lio­nen Einwohner:innen.

Ohne Strom, Was­ser und Inter­net möch­te die Grup­pe Kul­tur­schaf­fen­der in einer Noma­den­sied­lung leben. Die dazu­ge­hö­ri­ge, sicher­lich ent­beh­rungs­rei­che Natur­er­fah­rung soll außer­dem einen Kon­trast zu den eher urba­nen Krei­sen dar­stel­len, in denen sich die Kunst hier­zu­lan­de bewegt. „Das unbe­ding­te Ziel ist aber nicht“, sagt Tho­mas Eller, „dass am Ende ein Dut­zend neue Wer­ke ent­stan­den sind. Es soll viel­mehr um die Begeg­nung der Kul­tu­ren und der Men­schen gehen.“ Auch Auf­ent­hal­te an his­to­risch und archäo­lo­gisch rele­van­ten Orten der Gegend Bul­gans sind geplant – bis hin zum Besuch hei­li­ger Ber­ge in der Step­pe. „Dort kann man unter­schied­li­che Ener­gien spü­ren, wur­de mir ver­spro­chen“, sagt Tho­mas Eller.

Hier könn­te man ein­wen­den, dass bei der „Post­no­ma­di­schen Erfah­rung“ eine gewis­se eso­te­ri­sche Anschluss­fä­hig­keit vor­zu­lie­gen scheint. Bezie­hungs­wei­se: Einem west­li­chen Publi­kum, kon­takt­los zu sei­nen vor­ge­schicht­li­chen Wur­zeln wie es ist, Erzäh­lun­gen von Hei­li­gen Ber­gen vor­zu­set­zen, könn­te schnell als eso­te­risch wahr­ge­nom­men werden.

Oder liegt hier ein Kunst­pro­jekt vor, das mit öst­li­chen, natur­ver­bun­de­ne­ren und dar­um auf gewis­se Wei­se erha­be­ne­ren Mit­teln Stel­lung bezieht gegen eine Hal­tung der west­li­chen Kunst? Näm­lich der durch­aus auch reiz­vol­le, aber mitt­ler­wei­le über­stra­pa­zier­te und letzt­lich hoh­le, weil sich immer in sich selbst flüch­ten­de Ansatz, allem Erha­be­nen iro­ni­sie­rend oder mit pein­li­cher Berüh­rung und Scheu gegenüberzustehen?

Folgt man Tho­mas Ellers Inter­es­se an Ener­gien, lau­tet die Ant­wort: Ja. Er selbst sagt dazu das: „Ich habe vor vie­len Jah­ren Reli­gi­ons­wis­sen­schaft stu­diert. Dabei ging es unter ande­rem um die Fra­ge, was in einem Glau­bens­sys­tem ist Sys­tem, also gewollt, und was ist der meta­phy­si­sche Anteil? So kann man auch Kunst betrach­ten. Was wird in einem Werk gewollt, was ist die Wil­lens­äu­ße­rung in einem Werk und was ist der ver­dräng­te Rest? Wie wur­de, anders aus­ge­drückt, aus Rea­li­tät Kunst? Wie kam man, reli­gi­ons­his­to­risch gese­hen, viel­leicht vom Tier­op­fer an einem Hei­li­gen Berg zur sym­bo­li­schen Hand­lung, die das nur noch dar­stel­len muss und nicht voll­zie­hen? Wie wur­de Rea­li­tät in der Kunst ent­schärft, damit sie erleb­bar wur­de? Es geht dar­um, Phä­no­me­ne zu zei­gen und Anschluss zu fin­den etwa durch einen Ver­ste­hens­pro­zess. Ener­gien müs­sen getra­gen wer­den. Des­we­gen ist die Aus­stel­lung trotz ihrer eso­te­ri­schen Anmu­tung, ernst gemeint und soll­te nicht als iro­nisch betrach­tet werden.“

Rah­men­pro­gramm

Den Abschluss des Pro­jekts „Die Post-Noma­di­sche Erfah­rung“ und der bei­den Camps wird ab 14. August die Aus­stel­lung „The post-noma­dic expe­ri­ence“ im Zan­a­ba­zar Muse­um in der mon­go­li­schen Haupt­stadt Ula­an­baa­tar mar­kie­ren. Dort sol­len gesam­mel­te Erfah­run­gen und ent­stan­de­ne Wer­ke zusam­men­ge­führt werden.

Auch ein Rah­men­pro­gramm im hei­mi­schen Mürs­bach haben Tho­mas Eller und sein Team ent­wor­fen. So steht unter ande­rem ein Vor­trag zu Frau­en in der mon­go­li­schen Gesell­schaft auf dem Pro­gramm, eine Demons­tra­ti­on tra­di­tio­nel­ler mon­go­li­scher Tän­ze und Musik und das Deutsch-Mon­go­li­sche Naa­dam-Fest. Bei die­sem Natio­nal­fest wür­digt die Mon­go­lei ihre natio­na­le Iden­ti­tät durch sport­li­che Wett­kämp­fe, Tanz und Kulinarik.