Bundesweit finden, in aufgeheiztem gesellschaftlichen Klima, vom 14. bis 27. März unter dem Motto „Haltung zeigen“ die 10. Internationalen Wochen gegen Rassismus
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Bamberger Migrantinnen- und Migrantenbeirat im Interview
10. Internationale Wochen gegen Rassismus
Bundesweit finden, in aufgeheiztem gesellschaftlichen Klima, vom 14. bis 27. März unter dem Motto „Haltung zeigen“ die 10. Internationalen Wochen gegen Rassismus statt. Womöglich taten sie noch nie so Not wie heute. Zwar haben Achtsamkeit und Sensibilität gegenüber Diskriminierung und Rassismus zugenommen – jedoch ohne gleichzeitigen Schwund der Diskriminierungen und rassistischer Vorfälle.
Seit einigen Monaten schickt der Bamberger Migrantinnen- und Migrantenbeirat (MIB) verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Personen Einladungen zu, sich an den Internationalen Wochen gegen Rassismus zu beteiligen, die mit Kooperationspartner*innen aus Stadt und Landkreis organisiert werden. Vorträge, Filmvorführungen, Lesungen, Konzerte, Gesprächs- oder Diskussionsrunden – die Möglichkeiten, einen Teil zum Programm der Wochen beizutragen, sind vielfältig. Die Rückmeldungen und Zusagen ebenfalls.
„Wir wollen“, sagen Mitra Sharifi und Dr. Karin Gehrer, Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende des MIB, „gemeinsam mit möglichst vielen Organisationen und Institutionen die Möglichkeit anbieten, für das Thema Rassismus zu sensibilisieren, rassistische Strukturen und Denkweisen offenzulegen und Zeichen für Solidarität, Respekt und die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu setzen.“
Ein besonderer thematischer Schwerpunkt liegt auch in diesem Jahr auf dem Angebot für Kinder und Jugendliche. So wird es beispielsweise erneut einen Plakat- und Filmwettbewerb, aber auch den Projekttag mit zahlreichen Workshops für Schulen geben. Außerdem beteiligt sich auch der Landkreis an den Aktivitäten der Wochen.
Wir haben mit Mitra Sharifi und Karin Gehrer über die Internationalen Wochen gegen Rassismus, Sensibilisierung, Fußgängerdemos und die antidemokratische Situation in Bamberg gesprochen.
Frau Sharifi, Frau Gehrer, was verbinden Sie mit dem Motto der 10. Internationalen Wochen gegen Rassismus „Haltung zeigen“?
Mitra Sharifi: Wir finden es sehr wichtig, dass sich die Stadtgemeinschaft bewusst ist, wie vielfältig sie ist. Man muss einen Blick haben für die Vielfalt und gleichzeitig sensibilisiert sein für die Diskriminierungen, die stattfinden. Das heißt auch, dass wir gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung Position beziehen und Haltung zeigen müssen.
Karin Gehrer: Für mich heißt Haltung zeigen, einen gewissen Widerstand zu leisten. Stay Awake zum Beispiel sollte nicht einfach ignoriert werden. Es sollte nicht toleriert werden, weil wir keinen Rechtsextremismus, Hetze und Desinformation tolerieren. Wir sind für ein positives Miteinander verschiedener gesellschaftlicher Gruppen.
Wie sensibilisiert für Rassismus und Diskriminierung ist die Bamberger Stadtgesellschaft?
Mitra Sharifi: Ganz positiv finde ich in Bamberg, dass wir eine vielfältige und lebendige Zivilgesellschaft haben. Es gibt viele Gruppierungen und Einzelpersonen, die sich in verschiedenen Bereichen umeinander kümmern und durchaus mit Zivilcourage schauen, dass Minderheiten nicht in Bedrängnis kommen und diskriminiert werden. Aber das ist natürlich nicht bei allen der Fall. Egal, ob mit oder Migrationshintergrund, es gibt immer wieder Diskriminierung und rassistische Vorfälle – teilweise bewusst und absichtlich, teilweise unbewusst. Wir wachsen alle in zum Teil von rassistischen Vorurteilen geprägten Kulturen auf. Europäischer Kolonialismus und dafür erfundene Rassen-theorien wirken fort, wenn wir uns nicht damit auseinander setzen. Dafür ein Bewusstsein zu entwickeln, ist sehr wichtig, sich also zu fragen, was man bei einer anderen Person möglicherweise anrichtet, ob man sie möglicherweise verletzt, indem man ein Wort benutzt, das diskriminierend ist, auch wenn man es selbst nicht so sieht.
Karin Gehrer: Ich stimme voll und ganz zu, habe aber auch ein gewisses „aber“. Ich oder wir alle, denke ich, nehmen wahr, dass diese Coronaleugner-Strömungen, die durch die Corona-Bedingungen ganz stark geworden sind, eine ehemals angenommene stille bürgerliche Mitte politisch auf einen ganz anderen Weg gebracht hat. Bis vor zwei Jahren dachte ich noch, die schweigende Mehrheit entwickelt sich, was die Sensibilisierung angeht, in eine positive Richtung. Nun sehe ich, wie Teile Seite an Seite mit dem Dritten Weg oder dergleichen laufen. Diese rechtsextreme Schleife, die diese Coronaleugnerdemos nehmen, beunruhigt mich.
Stimmen Sie pauschalen Verurteilungen derjenigen als rechts zu, die bei diesen Demonstrationen mitlaufen, ohne etwas dagegen zu haben, das zusammen mit Rechtsextremen zu tun?
Mitra Sharifi: Ich gehe davon aus, dass es bei den Demos kaum noch Naive gibt. Trotzdem würde ich auch nicht gleich alle als rechtsradikal bezeichnen. Dass es da keine Kontaktscheu, mit Rechten zu laufen, gibt, ist schrecklich genug. Aber ich hoffe, dass wir es verhindern können, dass all diese Menschen nach rechts überlaufen. Ich hoffe, dass diese Leute irgendwann feststellen, dass sie in der solidarischen gesellschaftlichen Gemeinschaft besser aufgehoben sind. Dabei sollte man aber auch sozialpolitische Zustände nicht vergessen. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen, die es in Deutschland nun einmal gibt, bereitet oft eine Basis dafür, Menschen zu verunsichern, ihnen das Gefühl der Benachteiligung zu geben und sie zu leichter Beute für rechts zu machen.
Karin Gehrer: Vielleicht gibt es Menschen, die wirklich bei diesen Demonstrationen, den sogenannten Spaziergängen, noch nicht erkennen, wer da bei ihnen mitläuft – vielleicht sind sie teilweise noch nicht richtig informiert darüber, genießen einfach das Mitlaufen mit Trommeln und Gesängen oder fallen auf die „gute Stimmung“ rein. Fake News und Soziale Medien machen das Erkennen oft schwer.
Welche Entwicklung hat die gesellschaftliche Sensibilisierung beim Thema Rassismus seit den ersten Internationalen Wochen gegen Rassismus genommen?
Mitra Sharifi: Ich denke, dass in den Bereichen Wahrnehmung von und Notwendigkeit einer rassismuskritischen Haltung insgesamt in Deutschland Fortschritte gemacht wurden. Leider sind diese Fortschritte oft mit ganz schrecklichen Ereignissen verbunden, zum Beispiel der Mord an Walter Lübcke oder die Anschläge in Hanau und Halle. Aber sie haben Politik und Bevölkerung wachgerüttelt. Leider hat sich auch die undemokratische Gegenbewegung verstärkt, durch Populisten und Rechtsextreme. Diese Gefahr muss man wahrnehmen, man kann nicht einfach zuschauen. Man muss sich um den Schutz der Demokratie bemühen. Das Thema Rassismus ist dabei eines der Themen, das am nachhaltigsten bearbeitet werden muss, weil Rassismus die Grundlage von rechten und antidemokratischen Ideologien ist.
Karin Gehrer: Wobei dabei auch alles ineinandergreift: Rassismus, Antiziganismus, Antisemitismus, Diskriminierung von Frauen und queeren Menschen. Strukturell und im Denken sind Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen immer noch da. Uns als MIB ist es darum ein Anliegen, Vorurteile vor allem im persönlichen Austausch, sei es mit den Internationalen Wochen im Frühjahr oder den Interkulturellen Wochen im Herbst, abzubauen.
Mitra Sharifi: Das ist ein Prozess, der auch im Alltag jeden Tag stattfinden muss – im Privaten, auf der Arbeit, in der Nachbarschaft. Je mehr Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen, desto weniger Chance für Rassismus.
Wie hat sich die antidemokratische Situation in Bamberg in den vergangenen zehn Jahren entwickelt?
Mitra Sharifi: Ich würde sagen, dass auch hier die beiden Strömungen ausgemacht werden können, die wir schon angesprochen haben. Auf der einen Seite sind rassistische rechte Strukturen lauter und sichtbarer geworden. Aber auf der anderen Seite ist auch die Sensibilität für das Thema gestiegen. Ich finde, wir haben heute viel mehr sozusagen Bündnispartner, viel mehr Leute und Organisationen, die mitmachen, dagegenhalten und Solidarität zeigen. Außerdem ist unter den von Rassismus und Diskriminierung Betroffenen das Selbstbewusstsein gestiegen. Strukturell hat sich in Bamberg allerdings noch nicht viel getan. Es gibt seit Kurzem einen Antisemitismusbeauftragten, was wir begrüßen, aber wir hoffen nach wie vor, dass Bamberg irgendwann auch eine Anti-Diskriminierungsstelle bekommt. Die Universität hat schon eine und geht mit gutem Beispiel voran.
In welchem Umfang nehmen Sie Antisemitismus in Bamberg wahr?
Mitra Sharifi: Antisemitismus ist eine sehr alte Form von Rassismus, die sich trotz aller Erfahrung, trotz aller Gedenkarbeit gehalten hat und wieder zunimmt. Zum Beispiel durch Verschwörungstheorien, wie sie auf Corona-Demos verbreitet sind. Die Synagogen in Deutschland müssen wieder polizeilich geschützt werden. Das ist schlimm.
Wie viele antisemitische Vorfälle gab es im letzten Jahr in Bamberg?
Mitra Sharifi: Wir haben leider keine Zahlen, weil es eben keine Stelle gibt, die sie erhebt.
Wie sind Rassismus und Diskriminierung in migrantischen Gruppen ausgeprägt?
Mitra Sharifi: Das ist ein Punkt, der auf jeden Fall auch zu unseren Themen gehört. Man muss aber unterscheiden. Man spricht von Rassismus bei Diskriminierung innerhalb von Machtstrukturen. Das heißt, um Rassismus auszuüben, muss man in einer Machtposition gegenüber der Partei sein, über die man ihn ausübt. Aber rassistische Denkmuster, Vorurteile, Hierarchien zwischen bestimmten Gruppen oder ganz klar faschistische Gruppen gibt es auch unter den Migrant*innen. Aufklärung und Sensibilisierung sind in der ganzen Gesellschaft notwendig. Wobei eigene Diskriminierungserfahrungen eine Grundlage dafür sein können, die Diskriminierung anderer besser zu erkennen und sein Verhalten zu ändern.
Wird es zum zehnjährigen Jubiläum der Internationalen Wochen gegen Rassismus etwas Besonderes geben?
Karin Gehrer: Es gibt immer etwas Besonderes! Jede Veranstaltung ist besonders. Auf jeden Fall ungewöhnlich gegenüber anderen Jahren ist, dass auch dieses Jahr einige der Veranstaltungen wieder online stattfinden müssen.
Mitra Sharifi: Was gut, wichtig und in diesem Jahr stärker ausgeprägt ist, ist die Kooperation mit dem Landkreis. Auch dort beobachten wir, dass Aufklärung und Stärkung des Zusammenhalts nottun.
Das Programm der Internationalen Wochen gegen Rassismus besteht unter anderem aus Filmvorführungen, Workshops, einem großen Angebot für Kinder und Jugendliche und Podiumsdiskussionen. Laden Sie zu diesen Diskussionen auch Personen aus dem rechten Lager ein?
Mitra Sharifi: Wir diskutieren nicht mit Antidemokraten. Im Vorfeld der Bundestagswahl hatten wir eine Diskussionsveranstaltung, zu der wir auch die örtliche AfD eingeladen hatten. Bei den Wahlen musste der MIB als städtisches Gremium neutral bleiben.
Haben Sie bei diesen Leuten trotzdem noch die Hoffnung, dass sie sich irgendwann eines Besseren besinnen und umdenken oder den Ausstieg aus rechten Strukturen suchen?
Mitra Sharifi: Ausstiege passieren schon immer wieder und dafür braucht es Begleitung und Unterstützung. Das ist wichtig, weil es nicht leicht ist, aus solchen ja teilweise auch gewalttätigen Strukturen auszusteigen. Aber eigentlich müssen wir schauen, dass Leute in solche Strukturen gar nicht erst reingeraten. Deshalb ist Präventionsarbeit auch so wichtig.
Ein Thema, das stark von rechts vereinnahmt wird, ist das der Corona-Impfung. Werden Sie bei den Wochen gegen Rassismus auf das Thema eingehen, vielleicht sogar mit Impfaufruf?
Mitra Sharifi: Haben wir schon. Der Beirat hat sich dazu schon sehr früh positioniert. Wir haben mehrsprachige Impfaufrufe gemacht.
Wie steht es um Impf-Skepsis in migrantischen Gruppen?
Mitra Sharifi: Es wurde Migrant*innen teilweise vorgeworfen, weniger impf-affin zu sein. Zum Teil ist die Impfquote der Migran*innen tatsächlich etwas niedriger im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, aber da muss man verschiedene Aspekte berücksichtigen. Zum einen ist die migrantische Bevölkerung viel jünger. Nach den neuesten Studien ist die Impfbereitschaft unter bestimmten Gruppen sogar höher als bei der Gesamtbevölkerung, Iraner*innen, Türk*innen und Afghan*innen zum Beispiel. Bei osteuropäischen Migrant*innen scheint sie niedriger zu sein. Die Frage ist also auch, was wir zur Überwindung von sprachlichen Barrieren bei der Aufklärung zur Impfung machen können, damit die Betroffenen nicht nur Falschinformationen ausgeliefert sind.
Was haben Sie in den zehn Jahren der Internationalen Wochen gegen Rassismus erreicht?
Karin Gehrer: Wir haben erreicht, dass die Internationalen Wochen ein fester Bestandteil der städtischen Kultur geworden sind und zur gesellschaftlichen Veranstaltungsdiversität beigetragen haben. Mit den Wochen im Frühjahr und im Herbst organisieren wir zwei für die Stadt wichtige Termine – auf ehrenamtlichen Schultern.
Mitra Sharifi: Ich freue mich darüber und finde es sehr wichtig, dass der Kreis an Organisationspartnern, also der Jugendmigrationsdienst der SkF, der Stadtjugendring, der Ja:ba oder die Medienzentrale der Diözese Bamberg und das Bamberger Bündnis gegen Rechtsextremismus, die die Wochen mit uns organisieren, immer größer geworden ist. Das sind Akteur*innen, die ihrerseits in ihrer Arbeit diese beiden Termine fest verankert haben.
Welchen Erfolg erhoffen Sie sich von den Wochen 2022?
Mitra Sharifi: Dass das ganze Jahr Internationale Wochen sind! Wenn das ganze Jahr über die Thematik und die Solidarität mit Menschen, die von Rassismus betroffen sind, nicht vergessen wird.
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„Alle anders, alle gleich – stoppt Rassismus“
Ausstellung zum Plakatwettbewerb im Rahmen der Interkulturellen Wochen 2021
Der Migrantinnen- und Migrantenbeirat der Stadt Bamberg (MIB) zeigt bis zum 17. Juli im Schaufenster des Bürgerlabors in der Hauptwachstraße 3 Bilder des Plakatwettbewerbs „Alle anders, alle gleich – stoppt Rassismus“.
Zusammen mit Stadtjugendring, SkF-Jugendmigrationsdienst, dem Senioren- und Generationsmanagement, ja:ba – Offene Jugendarbeit, Medienzentrale der Erzdiözese Bamberg und dem Landkreis Bamberg hatte der MIB im Rahmen der Interkulturellen Wochen im Frühjahr 2021 Kinder und Jugendliche dazu aufgerufen, kreativ zu werden. Und zwar zum Thema Vielfalt und Toleranz. Um das Engagement der Schüler:innen zu würdigen, werden die eingereichten Plakatentwürfe jetzt im Bürgerlabor ausgestellt und sollen dann in einer Wanderausstellung an verschiedenen Orten präsentiert werden.
Gezeigt werden sieben Plakate, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema auseinandersetzen – jedes einzelne für sich ist ein kleines Kunstwerk. „Es ist toll zu sehen, welche Gedanken sich die Schülerinnen und Schüler gemacht haben und wie sie das Thema künstlerisch umgesetzt haben“, freut sich Bürgermeister und Sozialreferent Jonas Glüsenkamp und wünscht sich, „dass möglichst viele Menschen in den nächsten Tagen vor dem Bürgerlabor einen Moment innehalten und sich ihre eigenen Gedanken beim Betrachten der Bilder machen – gerade in Zeiten, in denen Respekt und Toleranz nicht mehr selbstverständlich sind.“
Im Namen von Stadt und Landkreis betonte Glüsenkamp weiter, dass Integration und das Engagement gegen Rassismus wichtige Daueraufgaben einer Stadtgesellschaft seien, in der jeder unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Religion seinen Lebensmittelpunkt finden können soll. „Darum freue ich mich, dass der Plakatwettbewerb immer wieder aufs Neue ausgerichtet wird. Die Akteur:innen leisten damit einen wichtigen Beitrag für die Stadtgesellschaft.“
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Neuer Vorstand des MIB
“Die Herausforderungen der Integration werden nicht kleiner”
Der Migrantinnen- und Migrantenbeirat der Stadt Bamberg (MIB) hat seinen neuen Vorstand gewählt. Seit Anfang März leiten, wie sie es im zurückliegenden Jahr bereits kommissarisch taten, Mitra Sharifi und Marco Depietri als Doppelspitze den MIB. Wir haben mit den beiden über die kommenden Aufgaben, die Auswirkungen der Pandemie auf Integration und Identitätspolitik gesprochen.
Frau Sharifi, Herr Depietri, wieso sind Sie zur Wahl als Doppelspitze angetreten?
Mitra Sharifi: Als unser ehemaliger Vorsitzender Mohamed Addala 2018 zurückgetreten ist, habe ich den Vorschlag gemacht, mit einer Doppelspitze weiterzumachen. Erstens weil ich finde, dass der Vorsitz des MIB eine Aufgabe ist, die sich auch gut von zwei Leuten machen lässt und zweitens, weil wir auch im Vorstand, und in unseren Strukturen, Diversität haben möchten. Und in der Zeit, in der Herr Depietri und ich als Doppel gearbeitet haben, haben wir festgestellt, dass diese Konstellation sehr gut funktioniert. Wir ergänzen uns und können gut miteinander. Deshalb wurde die Satzung des MIB dahingehend geändert, dass auch zwei Leute den Vorstand innehaben können, und wir haben uns gemeinsam zur Wahl gestellt.
Marco Depietri: Ich muss sagen, dass ich am Anfang ein bisschen skeptisch gegenüber der Satzungsänderung war, weil wenn immer zwei Leute zur Wahl antreten müssen, aber der Fall eintritt, dass sie sich nicht verstehen, müsste man die Satzung wieder zurückändern. Eine Doppelspitze kann nur funktionieren, wenn man sich gut versteht. Darum sieht die Satzung jetzt vor, dass auch andere Szenarien ohne Doppel möglich sind und bei Bedarf eine Person Vorsitzende*r werden kann.
Wer hat welche Aufgaben?
Mitra Sharifi: Ganz genau haben wir die Aufgaben noch nicht festgelegt. Aber Herr Depietri übernimmt zum Beispiel schon jetzt sehr viel unsere Online-Arbeit. Gerade in der Pandemie hat er uns damit sehr geholfen. Auch im Bereich Stadtteilarbeit, in dem wir noch mehr machen wollen, ist stärker Marcos Aufgabe. Die Organisation der Internationalen Wochen gegen Rassismus, die gerade zu Ende gegangen sind, habe hingegen ich übernommen. Abgesehen von uns zwei haben wir im Vorstand sehr kompetente und engagierte Kolleg*innen, mit denen wir die Aufgaben teilen werden.
Bei der Wahl gab es keine Gegenkandidat*innen. Trotzdem gingen, bei einer ungültigen Stimme, nur 13 von 20 Stimmen an Sie. Sechs Personen haben also gegen Sie gewählt. Wie gehen Sie mit dieser Ablehnung um?
Mitra Sharifi: Ich glaube, dass diese sechs Leute im MIB immer noch starke Probleme mit dem Wahlbrief der SPD von 2019 haben, der möglicherweise gegen den Datenschutz verstoßen hat. Dieser mögliche Verstoß hat aber nichts mit dem MIB zu tun. Der Beirat hatte nichts falsch gemacht, sondern die Stadtverwaltung hatte die Daten an die SPD gegeben. Das ist nach dem Wahlgesetz erlaubt, allerdings nur nach Alter und Adresse sortiert. Verwaltung und Oberbürgermeister hatten angenommen, dass die Sortierung von Adressen auch nach dem Merkmal der Nationalität erlaubt sei, was nun von einem Gericht anders gesehen wurde. Aber der MIB hatte mit dem Ganzen gar nichts zu tun. Im Übrigen war Herr Addala auch mit 13 Stimmen gewählt worden.
Werden Sie versuchen, diese sechs Leute umzustimmen?
Marco Depietri: Das ist auf jeden Fall unser Wunsch. Ob wir das hinkriegen, wird sich zeigen. Aber das Vertrauen wieder herzustellen, ist keine Einbahnstraße – es muss auch etwas von diesen Leuten kommen. Wir werden aber nicht versuchen, die kritischen Stimmen zu isolieren. Es gibt viel zu tun und wir können unsere Aufgabe nur gemeinsam bewältigen.
Mitra Sharifi: Wir haben uns darum bemüht, die Bedenken dieser Kolleg*innen auszuräumen. Leider haben wir das noch nicht geschafft. Mir scheint, dass sich die Verhältnisse bei diesem Thema ein bisschen festgefahren haben. Es gab auch Forderungen, Marco solle nicht zur Wahl antreten oder die Wahl zu verschieben, bis der Prozess gegen den OB geklärt ist. Aber eine große Mehrheit im Beirat hat dies abgelehnt und will nach vorne schauen. Wir arbeiten daran, dass Vertrauen wieder entsteht. Ich hoffe, dass Marco an seinen Taten beurteilt wird und Stadtrat, Parteien und Medien uns die Chance geben, unsere Arbeit zu machen.
Aber finden Sie die Bedenken beziehungsweise Anschuldigungen an sich falsch?
Marco Depietri: Ich habe die Sache schon in der öffentlichen Sitzung vom April 2020 erläutert und geklärt und mich für die Irritationen entschuldigt. Das habe ich dann auch in anderen Sitzungen sowie zuletzt in der Wahlsitzung wiederholt. Man konnte im Vorfeld nicht wissen, welche Auswirkungen der Wahlbrief hat. Es gibt im MIB zwar auch Mitglieder, die den Brief nicht für einen Fehler halten, aber ich habe auch gesagt, dass jede Irritation eine Irritation zuviel ist. Es ist natürlich berechtigt, dass andere anders denken. Aber ich habe in langen Sondersitzungen jede Frage zum Thema beantwortet und wir möchten es beenden und im MIB ein neues Kapitel aufschlagen.
Vorher haben Sie die Doppelspitze des MIB kommissarisch ausgefüllt, jetzt sind Sie wirklich an der Macht. Was hat sich seit der Wahl geändert?
Mitra Sharifi: Eigentlich nicht viel. Aber man wird vom MIB mehr hören – auch in der Kommunalpolitik. Wir haben uns vorgenommen, weil wir ja auch unsere Ausschüsse neu gewählt haben, mehr Themen gründlicher zu bearbeiten und auch mehr Anträge in der Politik einzubringen, um die Interessen von Migrant*innen noch deutlicher zu artikulieren.
Marco Depietri: Mitra hat es schon erwähnt – die Stadtteilarbeit wird in den nächsten Jahren grundlegend für uns. Wir wollen nicht, dass die Migrant*innen zu uns kommen müssen, sondern wir kommen zu ihnen.
Was sind die drängendsten Probleme, die der MIB angehen will?
Mitra Sharifi: Wir stellen fest, dass politische Entwicklungen, und auch Corona, die gesellschaftliche Spaltung zwischen migrantischen und nicht-migrantischen Bevölkerungsteilen vertiefen. Zum Beispiel im Bildungsbereich. Das ist zwar kein rein kommunales Problem, sondern ein strukturelles, aber hier werden wir aktiv werden. Kinder mit Migrationsgeschichte stehen noch zu oft vor strukturellen Barrieren, die ihnen den Zugang zu Bildung erschweren. Wir wollen den Zusammenhalt stärken und auf kommunaler Ebene die Möglichkeiten ausschöpfen, damit Kinder mehr Chancengleichheit haben. Ein anderer wichtiger Bereich, ist der Einsatz für eine Antidiskriminierungsstelle, damit Rassismus und Diskriminierung ernster genommen werden. Wir möchten Betroffene stärken, ihnen mehr Sichtbarkeit und Selbstbewusstsein in der Stadtgesellschaft ermöglichen und grundlegend mehr präventive Arbeit machen. Die Stadtteilarbeit wäre wieder ein gutes Beispiel. Gerade in der Begegnung zwischen Kulturen kann man Vorurteile abbauen und Menschen erreichen, die sonst vielleicht von Rechtspopulisten erreicht werden würden. Wir wollen auch die Mehrheitsgesellschaft ansprechen und gerade in den Stadtteilen ist es nicht so wichtig, woher man kommt, sondern was ein Stadtviertel braucht, um das Leben dort besser zu machen.
Aber wie sind Begegnungen in der begegnungslosen Pandemiezeit möglich?
Mitra Sharifi: Unmöglich ist es nicht. Wir haben uns fast ohne Pause in der ganzen Pandemiezeit digital getroffen und Veranstaltungen durchgeführt. Aber natürlich haben wir die Hoffnung, dass es bald wieder besser wird. Allerdings habe ich die Sorge, dass das ohnehin begrenzte Budget für Anti-Diskrimininierungs-Projekte oder im sozialen Bereich durch Corona noch kleiner wird. Integration ist eine freiwillige Aufgabe und solche Dinge sind immer die ersten, die gestrichen werden, wenn gespart werden muss.
Macht die Pandemie Integration schwieriger?
Mitra Sharifi: Die Herausforderungen der Integration werden nicht kleiner. Wir wissen, dass Migrant*innen von Corona und den wirtschaftlichen Folgen der Pandemiebekämpfung stärker betroffen sind, weil sie viel öfter in beengten Wohn- und prekären Arbeits-Verhältnissen leben und keine Reserven haben. Auch Schüler*innen mit Migrationsgeschichte, die noch Sprachförderung brauchen, aber kaum Zugang zu digitalen Unterrichtsmöglichkeiten haben, haben ein verlorenes Jahr hinter sich. Wir machen uns große Sorgen, wie diese Lücken geschlossen werden können.
Das zuletzt ratlos wirkende und nur wenig wirkungsvolle Vorgehen der Bundesregierung in der Pandemiebekämpfung wird auch noch begleitet von einem Hin und Her der konkreten Maßnahmen und der Kommunikation. Wie kommt das politische Vorgehen in migrantischen Kreisen an?
Mitra Sharifi: Am Anfang der Pandemie waren die Leute sehr dankbar, dass es hier klarere und bessere Regelungen gab als in ihren Heimatländern. Aber man hat auch in migrantischen Kreisen begonnen, die deutschen Maßnahmen mit denen anderer Länder zu vergleichen und sieht, wie langsam zum Beispiel die Impfkampagne vorankommt. Allgemeine Regeln wie das Tragen von Masken oder Abstandhalten zu kommunizieren ist kein Problem. Wenn wir aber spezifische Regelungen weitergeben wollen, die an lokalen Zuständen oder Inzidenzen festgemacht und alle paar Tage angepasst werden müssen, wird es schwerer. Wir haben beim bayerischen Staatsministerium versucht, schnell Informationen in verschiedenen Sprachen über Regeln, die sich schnell ändern, zu bekommen. Da gibt es zum Teil immer noch Probleme.
Ein Thema, das in den letzten Wochen einen großen Teil der Berichterstattung ausmachte, ist die sogenannte Identitätspolitik. Die einen loben sie als emanzipatorische Bewegung diskriminierter Gruppen, die Menschen eine Stimme und Einfluss verleiht, die geschichtlich unterdrückt waren und ihre Bedürfnisse und Forderungen bisher politisch-gesellschaftlich nicht einbringen konnten. Andere kritisieren sie als debattenfeindlich, weil sie die Gültigkeit von Argumenten zu oft an Betroffenheit von Diskriminierung und/oder Hautfarbe anstatt am Inhalt der Argumente festmacht. Wie stehen Sie zur Identitätspolitik?
Mitra Sharifi: Ich freue mich darüber, dass Rassismus seit einigen Monaten viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommt und viel deutlicher angeprangert wird – dass auch marginalisierte und von Diskriminierung betroffene Gruppen ihre Stimme erheben können. Es gibt gesellschaftliche Macht-Strukturen, die Benachteiligung verursachen. Diese Strukturen muss eine Gesellschaft sehen und anerkennen, um sie ändern zu können. Wenn Menschen allerdings nur über ihre Merkmale, seien es Geschlecht, Hautfarbe oder Sexualität, definiert werden und derart extrem getrennt wird, dass über, zum Beispiel, Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe nur mitreden darf, wer davon betroffen ist, finde ich das nicht gut. Ich finde es gut, wenn man, wie aktuell beim Beispiel der Übersetzung des Textes von Amanda Gorman, zuerst schaut, ob es für die Aufgabe nicht eine schwarze Übersetzerin gibt. Schlecht ist aber, wenn Hautfarbe oder Geschlecht die Identität alleine bestimmen. Wir befinden uns noch in einer solchen gesellschaftlichen Ungleichheit, dass wir noch eine ganze Zeit lang Gleichstellungspolitik machen müssen. Diese Politik bedeutet unter anderem, ein gesellschaftliches Bewusstsein der strukturellen Ungleichheit zu entwickeln und strukturell benachteiligte Gruppen zu fördern. Dafür müssen diskriminierte Gruppen ihre Stimme erheben und ihre Identität behaupten, während gesellschaftlich privilegierte Gruppen diese Bestrebungen aushalten und akzeptieren müssen, einen Teil ihrer Privilegien abzugeben. So, hoffe ich, kann man eine Gesellschaft dahingehend ändern, dass alle Menschen gleich sein können.
Marco Depietri: Menschen mit bestimmten Merkmalen, wie nicht-weißer Hautfarbe, machen andere Erfahrungen im Leben als Weiße. Wir müssen ihnen zuhören und offen für ihre Sicht sein. Deshalb finde ich es gut, wenn diese Leute ihre Rechte verlangen. Aber nicht alle gegen alle, sondern gemeinsam.
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9. Internationale Wochen gegen Rassismus in Bamberg
„Wer zuschaut oder gar Parteien unterstützt, die Rassismus und Ausgrenzung propagieren, macht sich mitschuldig”
Ab heute bis 28. März veranstalten der Migrantinnen- und Migrantenbeirat (MIB), die Jugendarbeit Bamberg (ja:ba), der Stadtjugendring (SJR), der Jugendmigrationsdienst des SkF, die Medienzentrale der Erzdiözese, die Seniorenbeauftrage der Stadt Bamberg, das Bamberger Bündnis gegen Rechtsextremismus und das Bayrische Bündnis für Toleranz sowie der Landkreis Bamberg zum 9. Mal die Internationalen Wochen gegen Rassismus in Bamberg. Schirmherren sind Oberbürgermeister Andreas Starke und der Landrat Johann Kalb.
Zusammen mit Vereinen, Organisationen, Institutionen, Schulen und engagierten Ehrenamtlichen wurde ein abwechslungsreiches Programm rund um die Themen Rassismus und Diskriminierung erstellt, das die Auseinandersetzung mit Rassismus und Ausgrenzung im Alltag und in Strukturen einerseits und Vielfalt, Begegnung und Menschwürde sowie Empowerment der vom Rassismus betroffenen Menschen zum Ziel hat.
Kundgebung zum Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März
Am Freitag, dem 19. März, bieten die Organisierenden einen Online-Projekttag für Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrkräfte mit 12 Workshops zu verschiedenen Aspekten der Themen Rassismus und Diskriminierung an. Die Anmeldungen für die 12 Schülerworkshops, die von iSo e.V. und MIB organisiert und von der Partnerschaft für Demokratie im Rahmen des Bundesprogrammes „Demokratie leben“ gefördert werden, sind bereits abgeschlossen. Es nehmen rund 230 Schüler*innen teil. Der Lehrerworkshop zum Thema „Demokratischer Umgang mit Populismus und Stammtischparolen“ wurde für alle interessierten pädagogischen Fachkräfte geöffnet. Anmeldungen dafür sind bis 17.03. an jan.ammensdoerfer@iso-ev.de will-kommen.
Wichtiger Höhepunkt der Wochen gegen Rassismus ist die Aktion am Sonntag, 21. März, dem von den UN ausgerufenen Internationalen Tag gegen Rassismus ab 14.30 Uhr auf dem Maxplatz. Dazu sind alle Bamberger*innen eingeladen, unter den Mottos „Rassismus und Nationalismus kommen mir nicht in die Tüte“ sowie „Solidarität grenzenlos“ gemeinsam ein Zeichen gegen rassistische Diskriminierung und Gewalt zu setzen. Redebeiträge kommen unter anderem von Oberbürgermeister Andreas Starke, Landrat Johann Kalb und Mitra Sharifi vom Vorstand des MIB, die auch die Preisübergabe an die Gewinner*innen des Schüler-Plakatwettbewerbs „Alle anders, alle gleich – gemeinsam gegen Rassismus“ vornehmen. Abgerundet wird das Programm durch Musik und Poetry.
„Wir wollen die Bemühungen der Schulen und der Zivilgesellschaft stärken und bedanken uns für die Beiträge der engagierten Schulen, Initiativen und Institutionen in Stadt und Landkreis. Wenn sich rassistische Denkweisen und Handlungen bis zu Terror wie ein gefährliches Virus ausbreiten, dann sind nicht nur jüdische und muslimische oder schwarze Menschen bedroht, sondern die Demokratie insgesamt, weil jedes Mal die Würde des Menschen und die Seele des friedlichen Zusammenlebens verletzt werden. Wer zuschaut oder gar Parteien unterstützt, die Rassismus und Ausgrenzung propagieren, macht sich mitschuldig“, so Mitra Sharifi und Marco Depietri, Vorsitzende des MIB.
Der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb laden der Migrant*innenbeirat der Stadt Bamberg und seine Kooperationspartner alle Bamberger*innen mit und ohne Migrationshintergrund herzlich ein, sich an den Internationalen Wochen gegen Rassismus zu beteiligen, um sich mit einem wichtigen gesellschaftlichen Thema auseinanderzusetzen, Gesicht zu zeigen und Farbe zu bekennen.
Weitere Informationen und das vollständige Programmheft sind zu finden unter http://www.mib.stadt.bamberg.de
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„Der Kampf gegen Rassismus ist eine endlose Geschichte“
Migranten- und Integrationsbeirat der Stadt Bamberg
Im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung haben Diskriminierungs- und Rassismus-Erfahrungen von Menschen mit Migrationsgeschichte in den letzten Monaten in Deutschland vermehrt öffentliche Aufmerksamkeit gewonnen und – wichtiger noch – darauf aufmerksam gemacht, wie tief Rassismus in gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland verankert ist. Der Migranten- und Integrationsbeirat der Stadt Bamberg kämpft seit über 25 Jahren für ein besseres Miteinander und gegen Diskriminierung, hat aber in dieser Zeit auch eine Zunahme von Rassismus festgestellt.
Im Juni musste der Migranten- und Integrationsbeirat (MIB) mit dem Tod seines ehemaligen Vorsitzenden Mohamed Hédi Addala einen schweren Schlag hinnehmen. Seit dessen Rücktritt im Februar sitzen Mitra Sharifi-Neystanak und Dr. Marco Depietri dem Beirat vor. Täglich kümmern sie sich mit ihrem 20-köpfigen Team um die Belange von Menschen mit Migrationsgeschichte in Bamberg. Dazu gehören Unterstützung bei der Wohnungssuche, im Umgang mit Bürokratie, das Einwirken auf die Stadtverwaltung, um diese interkulturell zu öffnen, und Hilfe bei Diskriminierungsfällen. Jährlich veranstaltet der MIB die Internationalen Wochen gegen Rassismus und die Interkulturellen Wochen, alle zwei Jahre auch ein großes Fest der Vielfalt in der Stadtmitte. Wir haben mit der Doppelspitze Mitra Sharifi-Neystanak und Dr. Marco Depietri gesprochen.

Als Interessensvertretung der Bamberger Migrantinnen und Migranten setzen Sie sich für ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen in Bamberg ein. Wie steht es um das Zusammenleben?
Sharifi-Neystanak: Wir finden, dass es in Bamberg schon relativ friedlich ist. Es gibt ja schon seit Jahrzehnten Bemühungen und vielfältiges Engagement, um Dialog und Begegnung zu organisieren und Hürden auf dem Weg des Zusammenwachsens abzubauen. Allerdings gibt es aufgrund verschiedener Strukturen durchaus auch Spannungen, Konflikte und Rassismus. Wir wissen, dass wir gemeinsam dran bleiben müssen.
Wie sieht die Arbeitsweise des MIB aus?
Marco Depietri: Bamberg ist als ziemlich internationale Stadt ein guter Boden für ein vielfältiges Miteinander, aber der Beirat ist da, um unsere Anliegen in der Stadt und im Rathaus immer vorzubringen. Wir initiieren Projekte und Initiativen gegen Diskriminierung und stellen der Stadt Handlungsempfehlungen aus.
Sharifi-Neystanak: Wir sitzen in zahlreichen Gremien, in denen wir versuchen, die Sicht und Eigenerfahrungen der Migrantinnen und Migranten einzubringen, auf Defizite aufmerksam zu machen, um Integrationsmaßnahmen zu optimieren. Wir wissen, wie es den Leuten geht, wenn sie neu in der Stadt sind und sie eine Wohnung oder Arbeit suchen. Wir wollen, dass Vielfalt als Chance und Zukunftsressource begriffen wird.
Können Sie ein Beispiel Ihrer Arbeit nennen?
Sharifi-Neystanak: Wir schreien zum Beispiel seit zwei Jahren ganz laut, dass die fehlenden Kindergartenplätze dazu führen, dass Kinder von neu zugewanderten Familien zum Teil keinen Kindergartenplatz kriegen oder fehlende Räume und Personal in den Schulen dazu führen, dass eine integrationsfördernde ganztägige Bildung nicht möglich ist. Und solche Missstände haben Konsequenzen für die Integration der gesamten Familie und für die Entwicklung der Kinder. Grundlegend sind wir im Kontakt zu verschiedenen Communities – unsere Mitglieder stammen aus 20 verschiedenen Nationen – und versuchen rauszufinden, wo es Probleme gibt und wo die Ressourcen, die die Menschen mitbringen, verloren gehen. Im Moment gibt es auch durch Corona bedingte finanzielle Engpässe bei Vereinen.
Wenn Sie mit öffentlichen Stellen über Probleme der Migrantinnen und Migranten sprechen, stoßen Sie damit auf offene Ohren oder eher Desinteresse?
Sharifi-Neystanak: Unterschiedlich. Unsere Arbeit ist schon ein Bohren dicker Bretter. Im Prinzip ist man offen. Aber wenn es darum geht, das Gewöhnte zu ändern oder gar Geld zu investieren, wird es schwieriger. Aber ich stelle auch Veränderungen fest. Wir finden, die Stadtverwaltung sollte interkulturell geöffnet und unter anderem mehr Menschen mit Migrationsgeschichte beschäftigt werden. Damit soll das Außenbild der Stadt der bunten Bevölkerung mehr entsprechen und alle Bambergerinnen und Bamberger sollen sich mehr mit der Stadt identifizieren können. Es gab Zeiten, da fanden wir kaum Gehör. Mittlerweile ist die Sensibilität gewachsen. Aufgrund unserer Vorschläge wird das Thema Integration in der Personalentwicklung besser beachtet und zum Beispiel bei Stellenausschreibungen soll dazugeschrieben werden: ‚Bewerbungen von Migrantinnen und Migranten werden begrüßt‘. Dafür gab es zuerst Ablehnung, aber der Oberbürgermeister war dafür. Umgesetzt worden ist es allerdings noch nicht.
2007 erklärte OB Starke die Integration zur Chefsache. Hat er seinen Worten seitdem Taten folgen lassen?
Sharifi-Neystanak: Ich finde ihn schon engagiert und fand es schon immer gut, dass er bei diesem Thema eine klare Sprache gesprochen hat, mit klaren Positionen – zum Beispiel bei der Flüchtlingskrise – und sehr oft betont, dass er will, dass alle Menschen sich unabhängig von ihrer Herkunft in Bamberg wohlfühlen. Was Entwicklungen in der Verwaltung angeht, könnte mehr passieren. Integration braucht Ressourcen und Personal, um bearbeitet werden zu können. Und es geht nicht nur darum, Menschen mit Migrationsgeschichte in den unteren Gehaltsbereichen unterzubringen, sondern auch in Entscheidungspositionen und im höheren Dienst. Wenn die Stadt nur Leute anstellt, die über die Verwaltungslaufbahn kommen, und keine Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger zulässt, ist die Chance, dass Menschen mit Migrationsgeschichte berücksichtigt werden, geringer.
Depietri: Bei einigen Stellen, wie zum Beispiel an der Infothek im Neuen Rathaus, wäre eine Migrationsgeschichte wünschenswert, weil interkulturelle Kompetenz hier sehr wichtig ist. Die Ohren für solche Änderungen sind zwar offen, aber es folgen darauf zu oft Ausflüchte mit ‚ja, aber…‘.
Sharifi-Neystanak: Manchmal sind die Kriterien nicht richtig gesetzt. Wenn man zum Beispiel Kenntnisse der Sprachen und Kulturen von großen ethnischen Gruppen in der Bevölkerung in Vorstellungsprozessen zu einer Qualifikation erklärt, hätten Mitglieder dieser Gruppen ganz andere Chancen. Solche Kompetenzen könnten in der Verwaltung sehr vieles vereinfachen, würden Identifikationsfläche bieten und können für die effektive Verwaltung einer modernen Stadt notwendig sein.
Depietri: Eine eigene Geschäftsstelle, die vor allem dabei helfen würde, die Koordination zwischen den Ehrenamtlichen zu verbessern, ist uns vom MIB schon seit längerem versprochen.
Als Beirat haben Sie eine beratende Funktion. Wünschen Sie sich mehr politische Einflussmöglichkeit?
Sharifi-Neystanak: Immer!
Depietri: Es ist ja nicht so, dass wir politisch nicht vertreten sind. Die Fraktionen hören uns zu. Aber ja, ein bisschen mehr Einfluss wäre gut.
Sharifi-Neystanak: Auf der formalen Ebene der Entscheidungsfindung sind wir nicht so gut ausgestattet. Wir wünschen, in den Entscheidungsprozessen früh und verbindlich einbezogen zu werden und dass man uns bei integrationsrelevanten Entscheidungen aktiv miteinbezieht.
Seit einigen Monaten, angefacht durch die Ereignisse in den USA und die Black Lives Matter-Bewegung, wird über den Rassismus in der deutschen Gesellschaft diskutiert. Vereinfacht diese Diskussion Ihre Arbeit?
Sharifi-Neystanak: Dadurch, dass das Thema Rassismus jetzt einfach präsenter ist und die Perspektive der Betroffenen deutlicher wird, bekommt das Thema mehr Aufmerksamkeit. Ob das unsere Arbeit aber einfacher macht, weiß ich nicht. Es ist aber zumindest mehr Rückenwind da. Wobei man auch sagen muss, dass die Herausforderungen in den letzten Jahren größer geworden sind. Rassismus, rassistischer Hass und Gewalt haben neue Dimensionen bekommen.
Depietri: Rückenwind, ja, aber wir fragen uns auch, wie lange das anhält. Wie sieht es in zwei Jahren aus? Man weiß ja, dass es in der Aufmerksamkeit immer wieder Höhepunkte gibt, die aber auch schnell wieder abnehmen.
Sharifi-Neystanak: Für die gesamte Arbeit für Integration und gegen Rassismus reicht es nicht, immer nur punktuell etwas zu machen, sondern es ist wichtig, dass es Strukturen gibt, die am Thema dranbleiben, daran arbeiten und so Nachhaltigkeit schaffen. Der Kampf gegen Rassismus ist eine endlose Geschichte. Man kann das nur machen, wenn man Ressourcen und Netzwerke dafür hat. Die Anerkennung des Migranten- und Integrationsbeirats ist groß, aber wir und alle zivilgesellschaftlichen Kräfte, die dagegen arbeiten, brauchen Ressourcen. Integrationsarbeit ist kein Nebenbei- oder Luxusthema mehr, sondern wird die Zukunft der Stadt mitprägen.
Wie weit ist Rassismus in der Bamberger Stadtgesellschaft verbreitet? Wie haben sich Fallzahlen in den letzten Jahren entwickelt?
Sharifi-Neystanak: Solche Zahlen kann man nur erheben, wenn man eine Antidiskrimnierungsstelle hat, die Erhebungen macht. Aber auch so eine Stelle fehlt. Wir bekommen jedoch natürlich einiges mit und können sagen, dass rassistische Vorfälle zugenommen haben, auch in Bamberg.
Woran liegt die Zunahme?
Sharifi-Neystanak: An der Veränderung des gesellschaftlichen Klimas, das rauer geworden ist. Die Leute trauen sich mehr, ihre rassistischen Positionen laut zu vertreten. Eine langjährige Bekannte von mir, die immer Kopftuch trug, hat dieses letztes Jahr abgelegt. Sie ist der Meinung, es sich und ihrer Familie nicht mehr zumuten zu können, ständig auf der Straße angegangen oder sogar angespuckt zu werden. Ich hoffe, dass wegen der jetzigen Diskussion über gesellschaftlichen Rassismus auch die von Rassismus oder Diskriminierung nicht direkt betroffenen Menschen anfangen nachzuspüren, was Opfer von Diskriminierung durchmachen. Wenn man weiß ist, europäisch aussieht und nicht für einen Muslim, Juden, Roma oder einen Flüchtling gehalten wird, kriegt man solche Dinge wahrscheinlich weniger mit, als wenn man etwas anders aussieht.
Sie haben strukturellen Rassismus angesprochen. Was würden Sie Leuten entgegen, die sagen, es gebe ihn nicht?
Sharifi-Neystanak: Ich denke, wenn wir Strukturen haben, die insgesamt Menschen mit bestimmten Merkmalen immer wieder und wieder diskriminieren, dann spreche ich von strukturellem Rassismus. Vor allem dann, wenn das auch auf öffentlich-staatlicher Ebene passiert. Die sehr problematische Praxis des Racial Profiling der Polizei wäre hierfür ein gutes Beispiel, weil es die Sicht eines Polizisten in eine Richtung lenkt, die problematisch ist. Wenn ein Polizist die Angewohnheit hat, Menschen mit bestimmten Merkmalen zu kontrollieren, ist das problematisch. Ich will auf keinen Fall die Polizei unter Generalverdacht stellen. Ich finde, dass die Polizei in dem Bereich Unterstützung braucht. Wenn ein Beamter nur dann mit Migranten zu tun bekommt, wenn diese straffällig werden, begünstigt das die Entstehung von Vorurteilen. Deshalb sollten die betroffenen Beamten an dieser Stelle unterstützt werden. Sie brauchen Schulungen und Supervision und die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit Migrantinnen und Migranten praktisch zu diversifizieren. Sonst können sich selektive Erfahrungen zu rassistischen Einstellungen verfestigen.
Hat die Bamberger Polizei ein Rassismus-Problem?
Sharifi-Neystanak: Der Beirat arbeitet mit der Polizei ziemlich gut und vertrauensvoll zusammen, aber ich kann es nicht ausschließen, dass Menschen, die nicht weiß sind und womöglich in der Nähe der AEO wohnen, öfter als andere kontrolliert werden, oder nicht jede Begegnung vorurteilsfrei ist.
Welche Meinung haben Sie zur Auseinandersetzung zwischen der Zeitung „taz“, die eine satirische Kolumne, in der die Polizei vermeintlich verächtlich gemacht wird, veröffentlicht hat, und Innenminister Horst Seehofer?
Sharifi-Neystanak: Ich fand diese Kolumne nicht gut und grenzwertig. Ich denke, dass wir, gerade als Migranten, eine demokratische und gute Polizei brauchen, in die wir Vertrauen haben können. Wer sonst soll uns vor den Rechtsradikalen und ihrer rassistischen Gewalt schützen? Eine Demokratie braucht demokratische und kritische Sicherheitskräfte und diese sollen alle Unterstützung bekommen, damit sie ihre Arbeit gut machen können und damit sie die Chance haben, frei von Vorurteilen arbeiten zu können.
Im Juni ist der ehemalige MIB-Vorsitzender Mohamed Hédi Addala gestorben. Welches Erbe hat er hinterlassen?
Depietri: Ich kannte Mohamed schon lange bevor ich vor zwei Jahren auf sein Drängen hin eingewilligt habe, eines Tages für den Vorsitz des MIB zu kandidieren. Vorher hatte ich nicht die nötige Zeit dafür. Für diese zwei Jahre Zusammenarbeit mit ihm bin ich sehr dankbar und sie waren geprägt von großem Vertrauen. Rückblickend denke ich oft an die Eile, die er hatte, mir alles beizubringen. Er wollte mir alles zeigen und nichts für sich behalten.
Sharifi-Neystanak: Er hat immer gesagt ‚Das Licht soll hier nicht ausgehen‘. Er wollte, dass das, was er über 20 Jahre lang in Bamberg aufgebaut hat, dass Migranten in der Öffentlichkeit präsent sind, erhalten bleibt. Er hat dem Beirat mit wahnsinnigem persönlichem Einsatz und Engagement in vielen Kreisen Respekt verschafft. Er wollte, dass es friedlich ist in Bamberg und die Menschen gut zusammenleben. Er war auch stolz darauf, dass vieles in dieser Hinsicht erreicht wurde. Zum Beispiel der interreligiöse Dialog, der nicht überall selbstverständlich ist, funktioniert sehr gut und er hat großen Anteil daran. Wir alle können unendlich dankbar sein, dass er über all die Jahre so viel Zeit und Energie investiert hat. Wir werden versuchen, seinen Weg weiterzugehen. Wir sind froh, dass es in Bamberg viele engagierte Menschen und eine Zivilgesellschaft gibt, die wach ist und sich zusammenrauft, um Rassismus und Rechtsextremismus entgegenzutreten. Aber, wir müssen dran bleiben und kreativ und kritisch noch einiges ändern, damit es ein diskriminierungsfreies Miteinander gibt.