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Roman

Buch-Rezen­si­on

Tom Liehr: Die Wahr­heit über Metting

Tom Lieh­rs neu­er Roman „Die Wahr­heit über Mett­ing“ ist ein über­ra­schend tief­grün­di­ger Text über The­men wie das Her­an­wach­sen, Ver­gäng­lich­keit, Anders­ar­tig­keit und die Wahl des eige­nen Lebensweges.

Der Prot­ago­nist Tom wächst in den 70er Jah­ren in der Klein­stadt Mett­ing auf. Er hat einen heim­lich homo­se­xu­el­len Vater, eine alko­hol­kran­ke Mut­ter und er wohnt, dem Job sei­ner Eltern geschul­det, in einem Alters­heim. Nicht die bes­te Vor­aus­set­zung, um sich in einer spie­ßi­gen Klein­stadt zu behaup­ten. Tom aber geht sei­nen Weg und im zwei­ten Teil des Buches, wel­cher 30 Jah­re spä­ter mit der Rück­kehr Toms in die Pro­vinz­stadt beginnt, schließt sich der Kreis der Erzäh­lung und auch der Leser erfährt die Wahr­heit über Mett­ing. Fein­füh­lig beglei­tet Liehr sei­nen Prot­ago­nis­ten auf des­sen Lebens­weg, lie­fert immer wie­der Über­ra­schun­gen und Emo­tio­nen an den nöti­gen Stellen.

Schrift­stel­ler Pablo L.T. Noval

Gothic Fic­tion

Der spa­ni­sche Schrift­stel­ler Pablo L.T. Noval lebt seit zehn Jah­ren in Bam­berg. Die Stadt mach­te ihn zum Roman­au­tor, er mach­te sie zur Prot­ago­nis­tin sei­ner Erst­ver­öf­fent­li­chung. „Die Stadt der Ver­ges­se­nen“ gehört der Span­nungs­li­te­ra­tur an und ver­eint Mys­tery-Ele­men­te mit einer Familiengeschichte.

All die nied­li­chen Fas­sa­den Bam­bergs sind auf den ers­ten Blick nicht unbe­dingt mit dem abgrün­di­gen Bild, das zahl­rei­che Lokal­k­ri­mis von der Stadt zeich­nen, ver­ein­bar: Doch hin­ter Stuck, Fach­werk und Schnör­kel scheint es düs­ter zuzu­ge­hen. Oder zumin­dest scheint das unsicht­ba­re Dahin­ter­lie­gen­de die Fan­ta­sie in der­ar­ti­ge Rich­tun­gen zu lenken.

So geschah es mög­li­cher­wei­se schon E.T.A. Hoff­mann, als er Inspi­ra­ti­on für sei­ne schau­ri­gen Erzäh­lun­gen such­te. Auf Pablo L. T. Noval hat Bam­berg einen sol­chen Ein­druck auf jeden Fall gemacht. „Ich fin­de Bam­berg ist eine gute lite­ra­ri­sche Grund­la­ge, vor allem in sei­nen klei­nen düs­te­ren Gas­sen und gera­de im Win­ter“, sagt er. Beson­ders die wink­li­ge Con­cor­dia­stra­ße hat einen blei­ben­den Ein­druck auf Noval hin­ter­las­sen. Dort fand er Inspi­ra­ti­on für die „Stadt der Ver­ges­se­nen“ und ließ die Haupt­fi­gur Max Dress­len sei­ne Bam­ber­ger Wohn­adres­se beziehen.

Pablo L.T. Noval

Pablo López

1984 in A Coru­ña im spa­ni­schen Gali­zi­en gebo­ren, kam Pablo López, so sein bür­ger­li­cher Name, schon früh mit Lite­ra­tur in Berüh­rung – einer lese­wü­ti­gen Mut­ter sei es gedankt. „Mei­ne Mut­ter hat sehr vie­le Bücher zuhau­se und liest jede Woche min­des­tens eines.“

Ers­te eige­ne Schreib­ver­su­che waren nur eine Fra­ge der Zeit, die Inspi­ra­ti­on dazu kind­li­che Schwär­me­rei­en. „Ich habe schon als Kind klei­ne Gedich­te geschrie­ben. Für Mädels. Ich habe sie aber für mich behal­ten. Das war kit­schi­ges Zeug.“

Erst im Umfeld einer uni­ver­si­tä­ren Thea­ter­grup­pe an der Uni­ver­si­tät Bam­berg gab er Selbst­ver­fass­tes dem Licht der Öffent­lich­keit preis. Nach einem Stu­di­um der Tou­ris­mus­wirt­schaft und eini­ger Zeit in Bar­ce­lo­na hat­te es ihn 2010 hier­her ver­schla­gen. „Ich hat­te vor­her über­haupt kei­ne Bezie­hung zu Deutsch­land. Die­se fing erst in Bar­ce­lo­na, wo ich drei Jah­re gelebt habe und Leu­te von der Uni Bam­berg kann­te. Und der letzt­end­li­che Grund für den Umzug nach Ober­fran­ken hat­te lan­ge Bei­ne, grü­ne Augen und hieß Claudia.“

Wäh­rend die­se Ver­bin­dung die Zeit nicht über­dau­er­te, ent­stand am Bam­ber­ger Wohn­ort eine neue, die bis heu­te anhält. „Bam­berg gefällt mir seit mei­nem ers­ten Besuch wahn­sin­nig gut.“ Die Arbeits­stel­le als Sprach­leh­rer, die ihm das Sprach­zen­trum der Uni­ver­si­tät damals anbot und die er bis heu­te aus­füllt, trug zur Stär­kung des Ver­hält­nis­ses bei.

An der Uni­ver­si­tät schloss sich Pablo López einer Thea­ter­grup­pe an, zu deren Koor­di­na­tor er bald auf­stieg. Und der Ein­fach­heit hal­ber begann er, auch Stü­cke für den Thea­ter­be­trieb zu schrei­ben – erst zusam­men mit einem Spa­nisch­leh­rer-Kol­le­gen, dann allein. „Vier Stü­cke sind damals ent­stan­den. Alle gin­gen in die Rich­tung von Mon­ty Python-arti­ger, absur­der Come­dy. Ande­re Thea­ter­grup­pe haben immer ver­sucht, etwas mit Tie­fe zu schrei­ben. Ich woll­te lie­ber lus­ti­ge Stücke.“

Einem der Stü­cke liegt eine Kri­tik von Online-Dating und die Auf­for­de­rung, doch lie­ber „in der Knei­pe zu flir­ten“ zugrun­de. Ein ande­res han­delt von einem Spa­nisch­leh­rer in Bam­berg, das drit­te basiert auf einer gali­zi­schen Legen­de, die von den Geis­tern Ermor­de­ter erzählt, die eine leben­di­ge Per­son brau­chen, um her­aus­zu­fin­den, wer der Kil­ler war. Auch wenn damals Come­dy-Ele­men­te In Pablo López‘ Schrei­ben vor­herrsch­ten, zeich­ne­ten sich doch bereits Span­nungs­mo­ti­ve ab, die er in „Die Stadt der Ver­ges­se­nen“ umfäng­li­cher aus­brei­ten soll­te. Auch das vierte

Thea­ter­stück, über ein absur­des Jen­seits, „eine Art „Ali­ce in Won­der­land“, nur ein biss­chen dunk­ler“, ging in die­se Richtung.

Die Stadt der Vergessenen

Bevor Pablo López 2013 mit der Aus­ar­bei­tung von „Die Stadt der Ver­ges­se­nen“ begann, leg­te er sich jedoch erst ein­mal den Künst­ler­na­men Pablo L.T. Noval zu. „Vom Namen Pablo López gibt es in Spa­ni­en Mil­lio­nen, das ist wie Micha­el Mül­ler in Deutsch­land. L und T ste­hen für mei­nen voll­stän­di­gen Nach­na­men, López-Tato, und Noval stammt aus dem Gali­zi­schen und lässt sich mit „im Tal“ über­set­zen. Außer­dem klingt Noval schö­ner als López.“

Etwa sie­ben Mona­te saß und schrieb Pablo Noval an sei­ner Erst­ver­öf­fent­li­chung. Die Zeit der Über­set­zung vom Spa­ni­schen ins Deut­sche dazu gerech­net, ver­gin­gen ins­ge­samt zwei Jah­re zwi­schen Kon­zep­ti­on und Veröffentlichung.

Das Gedan­ken­spiel, der Wunsch, das Gen­re der Mys­tery-Span­nungs­li­te­ra­tur zu bedie­nen und eine eige­ne lite­ra­ri­sche Welt zu erschaf­fen, ent­stand bereits in der müt­ter­li­chen Pri­vat­bi­blio­thek, als ihm eine Aus­ga­be von „Der Herr der Rin­ge“ in die Hän­de fiel. Den Ent­schluss, sich an den Ver­such eines eige­nen Romans zu wagen, flüs­ter­te ihm Bam­berg ein. 

Ange­tan von der Stadt und stän­dig umge­ben von den schie­fen „ETA-Hoff­mann- oder Edgar-Allen-Poe-arti­gen“ Fas­sa­den der Con­cor­dia­stra­ße, die ohne all­zu gro­ße lite­ra­ri­sche Ver­zer­rung auch den mor­bi­den Hin­ter­grund von Schau­er­ro­ma­nen oder soge­nann­ter Gothic Fic­tion des 19. Jahr­hun­derts hät­ten abge­ben kön­nen, ent­warf Pablo Noval eine ver­schlun­ge­ne Geschich­te über eine Ver­schwö­rung, Ver­gan­gen­heits­er­for­schung und das Studentenleben.

Dem Lebens­weg des Autors zumin­dest zu Beginn der Geschich­te nicht unähn­lich, zieht der Stu­dent Max Dress­len in „Die Stadt der Ver­ges­se­nen“ nach Bam­berg in die Con­cor­dia­stra­ße und muss sich in der neu­en Stadt zurecht­fin­den. Der Tat­sa­che, dass sein Vor­mie­ter eini­ge Tage vor­her erst spur­los ver­schwun­den ist und dann tot in der Reg­nitz gefun­den wird, misst Max zuerst noch nicht so viel Bedeu­tung bei wie dem Bam­ber­ger Bier und einem grün­äu­gi­gen (zu etwa­igen lan­gen Bei­ne macht der Text kei­ne Aus­kunft) Schwarm namens Eliza­beth. Trotz die­sen und ande­ren Text-Par­al­le­len zum Leben des Autors, ist die „Die Stadt der Ver­ges­se­nen“ aber kein auto­bio­gra­fi­scher Roman.

Schnell stellt sich näm­lich her­aus, dass der Tote Eliza­beths Vater war und ermor­det wur­de. Und mit Max‘ Vater, den die­ser nie ken­nen­ge­lernt hat, bekannt war. Die anfäng­li­che detek­ti­vi­sche Lust, mit der Max und Eliza­beth die Zusam­men­hän­ge auf­de­cken wol­len, schlägt aller­dings bald in die Erkennt­nis um, in eine mör­de­ri­sche Ver­schwö­rung hin­ein­ge­ra­ten zu sein, die ihren Anfang Jahr­zehn­te zuvor auf einem Kreuz­fahrt­schiff genom­men hat­te und für die bei­den zuneh­mend gefähr­lich wird.

Auf dem Schiff lern­te Vater Dress­len einen Schrift­stel­ler ken­nen, der ein Rei­se­ta­ge­buch namens „Die Stadt der Ver­ges­se­nen“ geschrie­ben hat­te. Die­ses Werk hat die mys­te­riö­se Eigen­schaft, Ereig­nis­se, näm­lich die­je­ni­gen, die sich Jahr­zehn­te spä­ter in Bam­berg um Max her­um zutra­gen, vor­her­zu­se­hen. Ein kri­mi­nel­les Brü­der­paar ver­sucht, aus die­sen pro­phe­ti­schen Fähig­kei­ten des Werks Kapi­tal zu schla­gen, wobei ihnen die Ermitt­lun­gen von Max und Eliza­beth unan­ge­nehm in die Que­re kommen.

Bevor die Geschich­te ihr Hap­py End neh­men kann, die Bösen besiegt und Max und Eliza­beth sich näher­ge­kom­men sind, über­schla­gen sich die Ereig­nis­se. Erst taucht Max‘ Vater wie­der auf, um den Sohn zu war­nen, sich nicht mit den Brü­dern anzu­le­gen. Der Rat­schlag fin­det beim Stu­den­ten jedoch kein Gehör, die Gefahr nimmt zu und fin­det ihren vor­läu­fi­gen Höhe­punkt, als Max auf der Unte­ren Brü­cke von den Brü­dern mit einem Auto ange­fah­ren und in die Reg­nitz geschleu­dert wird. Dann kommt es für den Stu­den­ten wäh­rend des Show­downs in St. Ste­phan noch schlim­mer. In der Kir­che geben die Brü­der meh­re­re Schüs­se auf Max ab und er über­lebt nur durch das sich mitt­ler­wei­le in sei­nem Besitz und sei­ner Jacken­ta­sche befind­li­che Rei­se­ta­ge­buch von „Die Stadt der Ver­ges­se­nen“, das die Kugeln aufhält. 


Zweit­lings­werk „El Pasa­je­ro del Invierno“

Lässt man die­se action­rei­chen Pas­sa­gen außer Acht, könn­te „Die Stadt der Ver­ges­se­nen“ auch als Bam­ber­ger Rei­se­füh­rer fun­gie­ren. Nicht nur ist dem Text ein Stadt­plan der Innen­stadt vor­an­ge­stellt, auf dem der (orts­un­kun­di­ge) Leser die Schau­plät­ze der Hand­lung fin­den kann. Auch lässt Pablo Noval umfas­sen­de Infor­ma­tio­nen über die Stadt und ihre Geschich­te einfließen.

„Es klingt viel­leicht ein biss­chen kit­schig, aber Bam­berg ist die Prot­ago­nis­tin“, sagt er. Der Dom gibt genau­so einen Schau­platz ab, wie die Uni­ver­si­tät, die JVA in der Sand­stra­ße, die Fäss­la-Braue­rei oder der ehe­ma­li­ge Morph Club.

Auch in Pablo Novals nächs­ter, geplan­ter Ver­öf­fent­li­chung wird Bam­berg eine gro­ße Rol­le spie­len. Die genaue inhalt­li­che Aus­rich­tung der Kurz­ge­schich­ten­samm­lung „Pas­sa­gier des Win­ters“, auf Spa­nisch „El Pasa­je­ro del Invier­no“, will Noval aller­dings noch nicht verraten.