Der Kulturverein „Kunst- und Kulturbühne Hirschaid e.V.“ zeigt in Schloss Sassanfahrt noch bis Juni die Ausstellung „Erinnerungsteile – Erinnerung teilen. Bilder einer
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Ausstellung Hirschaid
Ruth Schreiber stellt in Schloss Sassanfahrt aus
Der Kulturverein „Kunst- und Kulturbühne Hirschaid e.V.“ zeigt in Schloss Sassanfahrt noch bis Juni die Ausstellung „Erinnerungsteile – Erinnerung teilen. Bilder einer jüdischen Familiengeschichte“. Darin verarbeitet die israelische Künstlerin Ruth Schreiber das Schicksal ihrer aus Sassanfahrt stammenden Großeltern.
Die Großeltern von Ruth Schreiber, Minna und Samuel Merel, lebten bis 1939 in Sassanfahrt. Auf der Flucht vor Nazi-Terror wurden sie im selben Jahr gefangen genommen. Samuel wurde in Auschwitz ermordet, Minna starb in einem Gefangenenlager in Frankreich. Ihre fünf Kinder überlebten. Drei waren bereits 1939 nach England gebracht worden, die beiden jüngsten, zwei Mädchen, Jenny und Sophie, konnten aus dem Lager, in dem ihre Mutter starb, befreit und in die Schweiz gerettet werden.
„Knapp 80 Jahre später“, sagt Robert Schäfer, 1. Vorsitzender der Kunst- und Kulturbühne Hirschaid, „hat ein sehr rühriger Lokalhistoriker aus Sassanfahrt, Rainer Zeh, während der Recherche für ein Buch, das er über die Familie schrieb, Kontakt mit den noch lebenden Enkelkindern der Merels aufgenommen. Dabei erfuhr er, dass eine der Enkelinnen, Ruth Schreiber, Künstlerin ist. Eine Künstlerin, die einen kompletten Zyklus von Werken über ihre Großeltern aus Sassanfahrt geschaffen hat mit dem Titel „Letters from my Grandparents““.
Eine Ausstellung am passenden Ort
So entstand im Kulturverein zusammen mit Rainer Zeh die Idee, diese Ausstellung in den Hirschaider Gemeindeteil Sassanfahrt zu holen. „Obwohl es das Naheliegendste der Welt gewesen wäre, sie in Sassanfahrt zu zeigen, wo die Merels lebten, hatten wir anfangs gar nicht in diese Richtung geplant.“
Man kann insofern von Glück sprechen, dass die Museen der Region, an die man sich zuerst wendete aus mangelndem Interesse oder fehlender Kapazität ablehnten. Dann rückte nämlich Schloss Sassanfahrt als Ausstellungsraum ins Zentrum der Planungen. „Es ist ja eigentlich der grundlegende Reiz an der Sache, die Werke hierher zu holen, weil sich so gewissermaßen ein Kreis schließt.“
Die heiße Phase der Ausstellungsplanung begann im Frühjahr 2020. Die „Kunst- und Kulturbühne Hirschaid“ hatte mittlerweile Kontakt zu Partnern und Förderern aufgenommen, um um Unterstützung für die Organisation der Schau zu ersuchen. Die Professur für Judaistik der Universität Bamberg griff dem Kulturverein in Person von Dr. Rebekka Denz genauso unter die Arme wie der Verein „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Nach über 80-jähriger Vorgeschichte und einem etwa eineinhalbjährigen Vorlauf konnte im November 2021 Eröffnung gefeiert werden.
„Das war eine relativ lange Vorgeschichte“, sagt Robert Schäfer. „Nicht nur deswegen ist die Ausstellung ein Projekt in einer Größenordnung, wie wir sie in der Vereinsgeschichte bisher noch nicht hatten. Mehr als 20 Kunstwerke mussten von Israel nach Deutschland gebracht und eine Künstlerin betreut werden.“
Grund genug, die Dauer von „Erinnerungsteile – Erinnerung teilen. Bilder einer jüdischen Familiengeschichte“ über das ursprünglich angedachte Ende im Januar hinaus bis in den Juni zu verlängern. Ein weiterer Grund – natürlich – Corona.
„Wir haben erst seit Mitte Januar wieder geöffnet. Es kommen einige Leute, wir haben für das schwere Thema eine relativ erfreuliche Publikumszahl. Aber der eigentliche Grund für die Verlängerung war letztenendes die unsichere pandemische Lage – wir wussten nicht, ob und wie lange wir noch einmal die Ausstellung würden schließen müssen. Daher stammte der Entschluss, die Laufzeit zu verlängern, um so vielen Leuten wie möglich die Gelegenheit zu einem Besuch zu geben.“
Aussicht einer Dauerleihgabe
Wenn alles glatt läuft, könnte es sich sogar derart entwickeln, dass die Ausstellung Sassanfahrt oder Hirschaid dauerhaft erhalten bleibt. „Nachdem sie 2011 bereits in New York und Philadelphia zu sehen waren, war es eine umso größere Überraschung für uns, dass Ruth Schreiber uns die Werke als Dauerleihgabe überlassen hat. Die Auflage, die sie gestellt hat, lautet, dass wir innerhalb von fünf Jahren einen dauerhaften, geeigneten und würdigen Platz für die Ausstellung finden müssen. Im Schloss Sassanfahrt können wir sie nämlich nicht für immer behalten.“
Dies und weiteres wurde am Abend der Eröffnung im November 2021 besprochen. Per Stream konnten auch Ruth Schreibers über die Welt verteilte Angehörige in Israel, England und den USA teilnehmen. „Und auch schon während den Planungen hatten wir einen regen Austausch mit der Künstlerin. Das gestaltet sich in Zeiten von Zoom und Skype ja relativ einfach. Um die Ausstellung mit aufzubauen und für die Eröffnung kam sie dann persönlich nach Sassanfahrt.
Das war eine große Ehre für uns. Denn es ist für sie natürlich nicht einfach, nach Deutschland zu kommen beziehungsweise hierher nach Sassanfahrt.“
Der Titel der Ausstellung „Erinnerungsteile – Erinnerung teilen. Bilder einer jüdischen Familiengeschichte“ geht auf einen Vorschlag von Rebekka Denz zurück. Eigentlich heißt sie „Letters from my Grandparents“. So lautet auch der Name eines Buches, das Ruth Schreiber auf der Grundlage der noch erhaltenen Briefe von Samuel und Minna Merel über ihre Großeltern geschrieben hat.
Für den Einzug im Schloss gab man ihr aber einen neuen Titel und erweiterte den bestehenden Zyklus um umfangreiche Texte zur Geschichte der Familie Merel, denn „wir waren auf Anhieb begeistert von Frau Denz’ Idee. Es geht ja darum, Erinnerungen wachzuhalten und Erinnerungsteile, die sie ja buchstäblich auch sind, mit anderen zu teilen. Es sind Werke zu sehen, die sich allesamt um die Geschichte der Großeltern ranken, diese Briefe zum Gegenstand haben und immer wieder auf das Schicksal, dass die Großeltern erlitten haben, hinweisen.“
Quer durch alle Kunstgattungen – „das spricht mich als Kunsthistoriker besonders an“, sagt Robert Schäfer – ist Ruth Schreiber in allen Disziplinen zuhause. Sie zeigt Malereien, Grafiken, Skulpturen und als größtes Objekt dutzende an der Wand hängende Papier-Masken.
Dabei handelt es sich um Abdrücke der Gesichter ihrer Kinder. Auf jedem dieser Exponate sind zudem Auszüge aus den Briefen der Großeltern abgedruckt. Diese Briefe, diese Beschreibungen des Lebens der Großeltern vor Deportation und Ermordung, sind der rote Faden der „Erinnerungsteile“.
Die Geschichte der Großeltern wird fortgeschrieben in der Geschichte der Urenkel: als Abfolge der Generationen einer Familie und als möglicherweise fortbestehendes Familientrauma. Und im Gegenzug wird die Familiengeschichte auf den Ausstellungsstücken auch rückwärts fortgeschrieben und führt so immer wieder zurück zu diesen Briefen. Ein Kreisschluss, dem die Ausstellung, die an den Ursprungsort der Familie zurückkehrt, zusätzlich eine äußere Entsprechung verleiht.
Ähnlich lassen sich zwei Mädchenkleider, die die Ausstellung zeigt, einordnen. Sie veranschaulichen, wie klein die beiden jüngsten Töchter, Jenny und Sophie, waren, als sie deportiert wurden. Und auf ihrem Stoff kann man erneut Zeilen aus den großelterlichen Briefen lesen.
Die Ausstellung ist auf zwei Räume verteilt. In der Mitte des einen davon steht ein weiteres Objekt, in diesem Fall eine Installation. Zu sehen ist dort ein Tisch, gedeckt mit mehreren Tellern. Auf der Tischdecke sind wiederum Briefstellen und zusätzlich Fotos aus Familienalben der Merels aufgedruckt.
„Das ist eine weitere Art der Ausstellung, der Familie ein Gesicht zu verleihen“, sagt Robert Schäfer. „Hier ergab sich übrigens ein netter Zufall. Ruths Schreiber hat einen Teil der Teller auf Flohmärkten gekauft. Ein paar davon stammen von einem Unternehmen, das auch in Oberfranken beheimatet ist. Das war ihr nicht bewusst. Solche inneren Zusammenhänge, natürlich genau wie die geografisch-geschichtlichen und die der Briefe, machen die Ausstellung lebendig. Ihre zyklische Gesamtkonstellation ergibt ein sehr bewegendes und stimmiges Bild.“
Die Reaktionen des Publikums fasst Robert Schäfer entsprechend so zusammen: „Die Kombination von Werken, die Bezug nehmen auf ein konkretes Schicksal, und dann auch noch am Ort des Geschehens dieses Schicksals zeigen, macht die Ausstellung für viele sehr berührend.“
Bis zum vorläufigen Ende der Ausstellung in Schloss Sassanfahrt soll außerdem ein Begleitband veröffentlicht werden. „Schön aufbereitet in einem Kunstverlag und der Geschichte angemessen.“