Stefanie Brehm aus Bamberg ist die aktuelle Trägerin des Volker-Hinniger-Preises ihrer Heimatstadt. Ihre leuchtend bunt gefärbten Skulpturen aus Keramik und Kunststoff vereinen
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Unschärferelation
Künstlerin Stefanie Brehm
Stefanie Brehm aus Bamberg ist die aktuelle Trägerin des Volker-Hinniger-Preises ihrer Heimatstadt. Ihre leuchtend bunt gefärbten Skulpturen aus Keramik und Kunststoff vereinen Malerei und Bildhauerei und führen beide auf einer höheren, assoziativen Ebene zusammen.
Der Wunsch, Künstlerin zu sein, bestand schon früh, in Jugendtagen – nur war Stefanie Brehm nicht von Anfang an klar, welches Ausdrucksmittel am besten zu den kreativen Absichten passen könnte.
Während der Schulzeit, auf dem Schulweg in der Gegend des Markusplatzes ergab es sich. Der tägliche Anblick des Ateliers von Porzellankünstlerin Christiane Toewe, das sich damals noch an diesem Ort befand, ließ die Erkenntnis reifen, es ebenfalls mit Keramik zu versuchen.
Ihre erste größere Schaffensphase durchlief sie, weit weg von der künstlerischen Halbwelt der Gebrauchskeramik, mit der Herstellung bunt bemalter Keramik-Säulen in unterschiedlichen Größen. Hierbei erweitert und transzendiert sie Farbgewohnheiten und die Möglichkeiten der Formbarkeit des Werkstoffs Keramik.
Mittlerweile sind zweidimensionale Arbeiten aus Polyurethan, einem leicht elastischen Kunststoff, sowie seit 2020 Malereien auf Flachglas dazugekommen. Diese Werke bringen ihre Farben mit noch nicht oft gesehener Intensität zum Leuchten.
Heute lebt und arbeitet Stefanie Brehm in Röbersdorf bei Hirschaid. Einen vorläufigen Karrierehöhepunkt stellte 2020 die Auszeichnung mit dem Volker-Hinniger-Preis der Stadt Bamberg dar. „Dadurch, dass ich aus Bamberg bin, hat dieser Preis großen Wert für mich. Es ist für Künstlerinnen und Künstler immer besonders, von der Heimat ausgezeichnet zu werden“, sagt sie.
Man sieht Form und Farbe, aber man sieht sie nicht gleichzeitig
Der tägliche Anblick der Arbeiten anderer, in diesem Fall von Christiane Toewe, liefert aber natürlich nur eine äußere und oberflächliche Motivation, es selbst künstlerisch zu versuchen. Erst durch das Zustandekommen einer innerlichen Verbindung zum Werkstoff – ein mentales von ihm Angezwinkertwerden sozusagen – wird die Grundlage geschaffen, sich seiner anzunehmen. „Mich spricht die Weichheit des Materials an“, sagt Stefanie Brehm, „die Möglichkeit, Keramik, beziehungsweise dem Ton, verschiedenste Formen geben zu können.“
Die vornehmliche Form, für die sich Stefanie Brehm in ihrer ersten Schaffensphase entschieden hat, ist eine zylindrisch-säulenartige. Ihre Keramiksäulen sind mal kleiner und passen in eine Hand – „Neues ausprobieren geht bei den Kleinen besser“ – meistens sind sie aber so groß wie ein erwachsener Mensch, wobei sie mit bis zu 120 Kilogramm Gewicht deutlich mehr auf die Waage bringen.
Auf einer rotierenden Töpferscheibe entstehen sie unter den Händen der Künstlerin. Tonwulst um Tonwulst wird aufeinandergesetzt und beim Drehen in eine runde, gleichmäßige Form gebracht. So wachsen die Brehms‘schen Säulen pro Tag um etwa 15 Zentimeter. Ist der Rohling nach oft mehrwöchiger Bearbeitung fertig, wird er zum ersten Mal gebrannt. Dann trägt Stefanie Brehm mit Pinsel oder Sprühpistole die Glasurfarben auf. Der zweite Brennvorgang, bei etwa 1.240 Grad im Brennofen, verleiht den Skulpturen Glanz und schließt die Arbeit ab.
Künstlerisch wäre eine rohe Tonskulptur in zylindrischer Form allerdings nur wenig reizvoll. Ihre Bemalung macht den Unterschied. Bei der Auswahl der Farben geht Stefanie Brehm expressionistisch, also innerlichen Eingebungen folgend, vor. „Die Entscheidung, welche Farben ich in welcher Anordnung auftrage, folgt selten einem vorher gefassten Plan. Es sind eher instinktive Entscheidungen, ein Hinspüren, in das, was im jeweiligen Moment Stimmigkeit ergibt. Ich habe die leere Säule vor mir und frage mich, was sie braucht, was sie will. Wenn ich davor Farben sehr gestisch und impulsiv aufgetragen habe, spüre ich, dass jetzt womöglich etwas Ruhigeres, Flächigeres für Ausgleich sorgt.“
Dieses Spüren, dieses Verlagern der Bedeutung, in diesem Fall der Farbe ins Assoziative, überträgt sich auf die Säulen – und letztendlich auf die Rezeption seitens des Publikums. Stefanie Brehms Skulpturen schütteln die Fesseln ihrer Materialität aber ab, indem sie sich in einem Zwischenraum zwischen Malerei und Skulptur bewegen.
Die Dreidimensionalität der Säulen verleiht den Farben etwas, das sie sonst nicht haben, nämlich räumliche Geltung, während gleichsam der Glanz und die expressionistische Ausdrucksstärke der Kolorierung die Grenzen der Keramik vergessen macht.
Auf einmal ist Bewegung drin, auf einmal bewegen sich beide auf einer höheren künstlerischen Ebene – im Assoziativen. „Die Form der Säulen ist zugegebenermaßen ruhend und einfach“, sagt Stefanie Brehm, „das Zusammenspiel mit den Farben ist für mich aber wie ein gegenseitiges Sprungbrett, das in beide Bewegung reinbringt.“
Diese Bewegung lässt sich als ein ständiges Fließen von Farbwerten und Kontrasten um die runde Form der Säulen herum beschreiben. Offensichtliche Themen oder Aussagen, die angesprochen, oder getroffen werden sollen, gibt es dabei nicht. Kann es vielleicht nicht geben – zu einschränkend könnten sie sein.
„Nein, meine Säulen stehen nicht für dies oder das. Ich liebe die Offenheit des Ausdrucks, in die man nichts hineinlegen muss oder kann. Aber ich stelle mir vor, wie die Farben bei den Leuten, die sie betrachten, innerlich andocken. Das ist Kommunikation zwischen meinem Publikum und dem, was ich spürte, als ich die Farben auftrug.“
Hinzu kommt, dass die Kreisform des Querschnitts der Skulpturen einerseits dem betrachtenden Auge keinen Anfangs- und Endpunkt fürs Betrachten gibt und andererseits verhindert, dass man die rundherum aufgetragenen Farbflächen vollständig sehen kann. Eine Seite der Säulen ist immer abgewendet.
In der Physik gibt es den Begriff der Unschärferelation, der, kurz gesagt, die Beziehung von Eigenschaften subatomarer Teilchen bezeichnet, die man einzeln, aber nicht in Kombination messen kann. Zum Beispiel Ort und Geschwindigkeit. Die Festellung dessen war einst ein großer Erkenntnisgewinn in den Naturwissenschaften.
Bei den Skulpturen von Stefanie Brehm verhält es sich ähnlich: Man sieht die Form, man sieht die Farbe, aber man kann nicht beides gleichzeitig sehen – zumindest nicht vollständig. Diese Undefiniertheit öffnet ihrerseits assoziative Räume und Material, Form und Farbe in ihrer Kombination, aber eben nur in ihrer Kombination, gewinnen an Tiefe.
„Ich gehe gerne in Bereiche, die wir nicht sehen, aber wahrnehmen können. Farben können trotz ihrer Formlosigkeit über ihre bloße Sichtbarkeit hinausgehen, indem sie Emotionen oder Assoziationen auslösen.“
Farbe an sich
In ihrem zweiten künstlerischen Betätigungsfeld geht Stefanie Brehm noch einen Schritt weiter und widmet sich sozusagen der Befreiung der Farbe. Ihre mehrere Quadratmeter großen, reliefartigen, in diesem Fall also flächigen und zweidimensionalen Gemälde aus Polyurethan haben, so wirkt es zumindest, überhaupt keine Materialität mehr. Sie lösen die Farbe von ihrer Verhaftung auf einem materiellen Untergrund.
Durch ihren oft neonfarbigen Glanz und durch transparente Flächen erwecken sie den Anschein zu schweben. Mühelos und leicht sind die Farben ganz bei sich und scheinen von innen heraus zu leuchten. Die millimeterdünnen, aber reißfesten Kunststoffflächen können nach der Herstellung tatsächlich von ihrem Untergrund abgezogen werden und als Werk ohne Trägermaterial, nur aus Farbe bestehend, existieren.
„Mit Polyurethan habe ich angefangen zu arbeiten, weil es, genau wie die Glasuren meiner Säulen, diesen Glanz besitzt, der die Leuchtkraft der Farben extrem verstärkt. Außerdem kann ich beim Arbeiten mit Kunststoff eine noch größere Farbpalette mit Neontönen in Einsatz bringen, die für Keramik nicht existieren.“
Auch hier wird eher die Assoziationsfähigkeit des Publikums angezwinkert. „Farben und Formen dienen als eine Art Transportmittel menschlicher Energie. Sie schaffen die Möglichkeit sich zu verbinden und Gleichklang zu empfinden. Bei abstrakter Kunst, die speziell Farbe in den Mittelpunkt stellt, findet die Begegnung auf der Ebene des Spürens und der Anziehung statt. Es ist eine Tatsache, dass man sich angezogen fühlt von glänzenden Farben“, sagt Stefanie Brehm.
Da scheint etwas dran zu sein: Die Ausstellung anlässlich der Auszeichnung mit dem Volker-Hinniger-Preis, die Anfang Oktober in der Villa Dessauer zu Ende ging, war gut besucht. Stefanie Brehms nächste Schau gibt es im Dezember in der Kunststation Kleinsassen in der Rhön bei Fulda zu sehen.