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Systemrelevanz

Frän­ki­scher Theatersommer

„Sind wir wich­tig? – Wir sind es“

Leicht haben es Pan­de­mie und staat­li­ches Des­in­ter­es­se der Kul­tur­sze­ne nicht gemacht, aber die ober­frän­ki­sche Lan­des­büh­ne des Frän­ki­schen Thea­ter­som­mers – kom­men­des Wochen­en­de noch mit zwei Stü­cken in der KUFA in Bam­berg zu Gast – hat sich im zurück­lie­gen­den Jahr nicht unter­krie­gen las­sen. Mit Jan Burd­in­ski, Dar­stel­ler und Inten­dant des Frän­ki­schen Thea­ter­som­mers, haben wir über Sys­tem­re­le­vanz, Hei­ter­keit in unhei­te­ren Zei­ten und die Rück­kehr zur Nor­ma­li­tät gesprochen.

Am 30. Mai haben Sie in Bay­reuth die Sai­son mit dem Stück „Emmas Glück“ eröff­net. Wie sahen die Rück­mel­dun­gen aus?

Jan Burd­in­ski: Wir waren über­rascht. Obwohl der Ter­min nur sehr kurz­fris­tig vor­her bekannt gege­ben wer­den konn­te, waren 80 Zuschau­er da. Die Zuschau­er reagier­ten auf die groß­ar­ti­ge schau­spie­le­ri­sche Leis­tung der Dar­stel­le­rin mit viel Applaus und Begeis­te­rung. Wunderbar!


Hät­te es, wenn die Inzi­denz­wer­te die Auf­füh­rung nicht zuge­las­sen hät­ten, eine Alter­na­ti­ve gegeben?

Jan Burd­in­ski: Wir hät­ten die Auf­füh­rung auf einen spä­te­ren Ter­min ver­le­gen müs­sen, wie wir es zuvor schon mit der Pre­mie­re, die eigent­lich in Alten­kunst­adt Mit­te Mai vor­ge­se­hen war, prak­ti­zie­ren mussten.


Für die Pre­mie­re haben Sie das Solo­stück „Emmas Glück“, eine Komö­die über die ver­schul­de­te Bäue­rin Emma, aus­ge­wählt. Warum?

Jan Burd­in­ski: Das war der Wunsch der Dar­stel­le­rin der Emma – Rebek­ka Herl. Immer wenn eine neue schau­spie­le­ri­sche Kraft Teil des Ensem­bles des Frän­ki­schen Thea­ter­som­mers wer­den möch­te, soll­te sie ein Solo eige­ner Wahl spie­len. Das hat zwei Vor­tei­le. Ers­tens kann ich so die Per­sön­lich­keit der Schau­spie­le­rin oder des Schau­spie­lers inten­si­ver ken­nen­ler­nen. Und zwei­tens stärkt die Her­aus­for­de­rung eines Solo-Stücks die künst­le­ri­sche Per­sön­lich­keit. Das ist eine Schwerst­auf­ga­be, die Frau Herl glän­zend bestan­den hat.


Steckt in der Tat­sa­che, die Schau­spie­le­rin zum ers­ten Mal mit so einer gro­ßen Her­aus­for­de­rung, anstatt in einer klei­ne­ren wie einer Neben­rol­le, vor Publi­kum spie­len zu las­sen, nicht ein gro­ßes
Risi­ko?

Jan Burd­in­ski: Ja, das ist ein Risi­ko. Aber man hat ja schon wäh­rend der Pro­ben Zeit, ein Stück gründ­lich zu erar­bei­ten und vor­zu­be­rei­ten. Natür­lich haben alle Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler vor so einer Pre­mie­re Selbst­zwei­fel, aber die wische ich aus den Köp­fen. Und es hat funk­tio­niert – das Publi­kum war sprachlos.

Gut Kut­zen­berg, die Heim­stät­te des Frän­ki­schen Thea­ter­som­mers in Ebensfeld.

Wie kam die Koope­ra­ti­on mit der KUFA, der Kul­tur­ein­rich­tung der Lebens­hil­fe Bam­berg, zustande?

Jan Burd­in­ski: Wer wen ange­spro­chen hat, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall fin­den wir die Inklu­si­ons­aus­rich­tung der KUFA groß­ar­tig. Die Lebens­hil­fe konn­te dort einen inclu­si­ven Kunst- und Thea­ter­be­trieb ein­rich­ten, der sei­nes­glei­chen sucht. Bei unse­ren Gast­spie­len wer­den wir sogar beim Cate­ring von der KUFA unter­stützt. Wir ver­fol­gen im thea­ter­päd­ago­gi­schen Ange­bot des Frän­ki­schen Thea­ter­som­mer sel­ber einen inklu­si­ven Ansatz.


Der Frän­ki­sche Thea­ter­som­mer hat, wie fast alle kul­tu­rel­len Insti­tu­tio­nen, ein Jahr vol­ler Ent­beh­run­gen hin­ter sich. Hat sich die­se Zeit auf sei­ne Denk­wei­se aus­ge­wirkt? Sind Sie vor­sich­ti­ger geworden?

Jan Burd­in­ski: Wir haben uns den Schneid nicht abkau­fen las­sen. Zwi­schen ers­tem und zwei­tem Lock­down hat­ten wir über 80 Auf­füh­run­gen, obwohl das nur die Hälf­te des ursprüng­lich geplan­ten Pro­gram­mes war. Außer­dem muss­ten wir beson­ders teu­re Pro­duk­tio­nen, wie „Der Som­mer­nachts­traum“ oder „Der flie­hen­de Hol­laen­der“ in die jet­zi­ge Spiel­zeit ver­schie­ben. Das Ensem­ble bekam dadurch aber die beru­hi­gen­de Gewiss­heit, dass wir uns nicht unter­krie­gen las­sen. Wir haben unse­re Zeit nicht damit ver­bracht, per­ma­nent angst­er­füllt an Coro­na zu den­ken. Wir hat­ten immer die nächs­te Spiel­zeit im Blick.


Kul­tur, das ist im zurück­lie­gen­den Jahr deut­lich gewor­den, scheint doch nicht den sys­tem­re­le­van­ten Stand zu genie­ßen, der ihr zuge­schrie­ben wird. Inwie­weit gibt das kul­tu­rel­len Insti­tu­tio­nen zu den­ken? Stel­len sich Ernüch­te­rung und Zwei­fel über die Berufs­wahl ein?

Jan Burd­in­ski: Fast das Gegen­teil. Unser Beruf, Thea­ter in einem rei­chen kul­tu­rel­len Umfeld machen zu kön­nen, ist schon ein Luxus und Pri­vi­leg. Zwei­fel an der Rele­vanz gab es des­halb eher vor Coro­na. Sind wir wirk­lich so wich­tig? Die Pan­de­mie hat uns gezeigt: Ja, wir sind wich­tig! Und die Reak­tio­nen des Publi­kums haben uns gezeigt, wie sehr die Leu­te Kul­tur brau­chen – wie sehr sie Kul­tur ver­bin­den mit Zusam­men­kom­men, Atmen­kön­nen und Kom­mu­ni­ka­ti­on. Auch wenn die­se Tat­sa­che unser Selbst­ver­trau­en gestärkt hat, kei­ne Sor­ge: Wir wer­den des­halb nicht überheblich.


Auf dem Spiel­plan der Sai­son 2021/​/​2022 ste­hen Komö­di­en, Musi­cals, Kaba­rett und Chan­sons. Wer­den Sie sich insze­na­to­risch dar­in auch der Pan­de­mie annehmen?

Jan Burd­in­ski: Vor ein paar Mona­ten hät­te ich das noch ver­neint und gesagt, dass Coro­na uns der­ma­ßen im Griff hat, dass ich nicht auch noch ein Stück dar­über insze­nie­ren möch­te. Aber jetzt muss ich sagen, dass es in der einen oder ande­ren Insze­nie­rung durch­aus zu klei­nen Exkur­sen zur Pan­de­mie kom­men wird – inklu­si­ve einer Tanz­ein­la­ge mit FFP‑2 Masken.


Auch nach den Schwie­rig­kei­ten und Unsi­cher­hei­ten des letz­ten Jah­res bedie­nen Sie eher die leich­te Muse. Kön­nen Sie das immer noch in vol­ler Über­zeu­gung tun oder ist in Ihnen der Wunsch erwach­sen, in den Insze­nie­run­gen oder in der Stü­cke­aus­wahl der Här­te der Rea­li­tät etwas mehr Rech­nung zu tragen?

Jan Burd­in­ski: Hei­ter­keit wird bei uns schon sehr groß geschrie­ben. Aber so man­ches Stück bewegt sich durch­aus auf dem schma­len Grat zwi­schen Tra­gö­die und Komö­die. Was die Ver­wer­tung der Rea­li­tät angeht, kommt es immer auf die Per­spek­ti­ve an. Selbst die här­tes­te Rea­li­tät kann aus einem hei­te­ren Blick­win­kel betrach­tet wer­den. Ich lie­be es, auch Schreck­li­ches eher aus einem sol­chen Blick­win­kel anzu­ge­hen. Ich glau­be, man begibt sich zu stark ins Mis­sio­na­ri­sche, wenn man zu sehr das Schreck­li­che anpran­gern will. Da wird man ganz schnell zum Bes­ser­wis­ser. Ich möch­te kein Bes­ser­weis­ser sein, son­dern es dem Publi­kum über­las­sen, hin­ter dem Hei­te­ren das Tra­gi­sche zu ent­de­cken und zu erken­nen. Das ist nicht selbst­ver­ständ­lich. Unter einer poli­ti­schen Dik­ta­tur – ich den­ke aktu­ell an die Ent­wick­lun­gen in Bela­rus – kann die­se künst­le­ri­sche Frei­heit, die wir hier genie­ßen kön­nen, sehr schnell ver­lo­ren gehen.


Tra­gi­sches hei­ter zu prä­sen­tie­ren, um es so viel­leicht erträg­li­cher zu machen, ist ein sati­ri­scher Ansatz. Ist der Frän­ki­sche Thea­ter­som­mer eigent­lich ein sati­ri­sches Projekt?

Jan Burd­in­ski: Auch, aber nicht in Gän­ze. Die Antriebs­fe­der von Miguel Cer­van­tes, als er „Don Qui­jo­te“ schrieb, ein Stück des aktu­el­len Spiel­plans, war Sati­re. Er woll­te sich lus­tig machen über die schlech­te Roman­li­te­ra­tur sei­ner Zeit des 16. Jahr­hun­derts. Ein sol­ches Werk, das im Geist der Sati­re ent­stand, auf die Büh­ne zu brin­gen, lockt mich. Die Sati­re hat den Vor­zug, die Wider­sprüch­lich­keit der Welt lachend dar­zu­stel­len. Sol­cher­lei Per­spek­tiv­wech­sel hält unse­ren Geist fit. Die­se Art von Opti­mis­mus möch­te ich durch­aus von der Büh­ne senden.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen unter

http://www.theatersommer.de

Sys­tem­re­le­vanz der Kultur

„Für vie­le Frei­be­ruf­li­che ist die Coro­na-Pan­de­mie zur Exis­tenz­fra­ge geworden“

Mar­ti­na Hüm­mer ist Sopra­nis­tin mit klas­si­schem Reper­toire und Gesangs­päd­ago­gin an der Kreis­mu­sik­schu­le Bam­berg. Wie so vie­le ande­re Kul­tur­schaf­fen­de auch, hadert sie mit den erneu­ten har­ten Beschrän­kun­gen, die dem Kul­tur­be­trieb im Zuge des zwei­ten Lock­downs auf­er­legt wur­den. Wir haben mit ihr über die Sys­tem­re­le­vanz der Kul­tur, den Zustand der Bam­ber­ger kul­tu­rel­len Sze­ne und die jüngs­ten kul­tur­po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen des Rat­hau­ses gesprochen.
Frau Hüm­mer, war­um ist Kul­tur systemrelevant?

Mar­ti­na Hüm­mer: Wir brau­chen Kul­tur. Sie ist für Men­schen unver­zicht­bar, beglei­tet uns von Kin­des­bei­nen an, prägt, formt, erfreut, trös­tet und bil­det uns. Sie macht unser Mensch­sein aus.
Richard von Weiz­sä­cker sag­te: „Kul­tur ist kein Luxus, den wir uns ent­we­der leis­ten oder nach Belie­ben auch strei­chen kön­nen, son­dern der geis­ti­ge Boden, der unse­re inne­re Über­le­bens­fä­hig­keit sichert.“ Dem stim­me ich abso­lut zu, denn Kul­tur ist exis­ten­ti­el­ler Bestand­teil unse­rer Gesell­schaft, weil sie von Men­schen für Men­schen geschaf­fen wird. Wir wis­sen in der aktu­el­len Zeit der Coro­na-Pan­de­mie nicht, wann wir wie­der arbei­ten dür­fen, aber ich bewah­re mir den­noch ein posi­ti­ves Den­ken, über­zeugt davon, dass Musik und Kunst wesent­li­che Ret­tungs­an­ker sind.

Systemrelevanz der Kultur
Mar­ti­na Hüm­mer, Foto: Privat
Die Beschlüs­se des aktu­el­len Lock­downs sehen unter ande­rem vor, frei­en Kul­tur­schaf­fen­den 75 Pro­zent ihres Ein­kom­mens aus dem Novem­ber 2019 oder 75 Pro­zent des durch­schnitt­li­chen Ein­kom­mens von 2019 zu erstat­ten. Was hal­ten Sie davon?

Mar­ti­na Hüm­mer: Das wäre ein guter Anfang, um vie­len frei­be­ruf­li­chen Künstler*innen vor Exis­tenz­not zu helfen.

Wel­che Bot­schaft sen­det die erneu­te Still­le­gung des Kul­tur­be­triebs trotz all der Bemü­hun­gen der zurück­lie­gen­den Mona­te, wie dem Aus­ar­bei­ten von Hygie­ne­kon­zep­ten, um zumin­dest einen redu­zier­ten Betrieb auf­recht­erhal­ten zu kön­nen, und den rela­tiv gerin­gen Infek­ti­ons­zah­len im kul­tu­rel­len Bereich, an die Kul­tur aus?

Mar­ti­na Hüm­mer: Es ist nun ein­mal so, dass in Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen wie Kon­zer­ten, vie­le Men­schen zusam­men kom­men. Trotz all der guten Kon­zep­te, basie­rend auf den seit lan­ger Zeit kon­ti­nu­ier­lich pro­pa­gier­ten Maß­nah­men explo­die­ren die Infek­ti­ons­zah­len, fül­len sich die Inten­siv­bet­ten, kapi­tu­lie­ren die Gesund­heits­äm­ter und erschwe­ren die der­zeit ein­zi­ge Mög­lich­keit der Pan­de­mie­be­kämp­fung, der Kon­takt­nach­ver­fol­gung, oder machen die­se schlicht zuneh­mend unmög­lich. Das der­zeit kaum mehr kon­trol­lier­ba­re Infek­ti­ons­ge­sche­hen ver­wehrt eine kla­re Sepa­rie­rung ein­deu­tig zuzu­wei­sen­der Verbreitungsorte.

Zudem dür­fen in die­sem Kon­text auch die Anfahrts‑, Gar­de­ro­ben- und Pau­sen­mo­men­te nicht außer Acht gelas­sen wer­den, wo die gut­ge­mein­ten Kon­zept­kri­te­ri­en schnell mal zumin­dest teil­wei­se in Ver­ges­sen­heit gera­ten, um sich dann nach der Pau­se wie­der unter Beach­tung von Abstand und der­glei­chen in den Kon­zert­sä­len ein­zu­fin­den. Lei­der habe ich selbst vie­ler­orts sol­che Beob­ach­tun­gen in Opern, Kon­zert­sä­len und Kir­chen gemacht. Die Poli­tik tut hof­fent­lich das Rich­ti­ge. Ich stau­ne, wie vie­le Leu­te sich Urtei­le anma­ßen, obwohl sie die Zusam­men­hän­ge nicht ken­nen oder je nach Kon­text ein­fach mal ausblenden.

Die Haus­halts­pla­nun­gen der Stadt Bam­berg sehen eine Kür­zung der Finanz­mit­tel für die freie Kul­tur­sze­ne um 25 Pro­zent vor. Hät­ten Sie, auch im Ange­sicht von 40 Mil­lio­nen Euro städ­ti­scher Schul­den und Auf­la­gen der Regie­rung von Ober­fran­ken zum Schul­den­ab­bau, Ver­ständ­nis für die­se Entscheidung?

Mar­ti­na Hüm­mer: Ich fin­de, gera­de für Bam­berg als Kul­tur­stadt soll­ten Kunst und Musik wesent­lich sein. Jedes Thea­ter oder Kon­zert­er­eig­nis ist ein kul­tu­rel­ler Raum des Erle­bens, der Ori­en­tie­rung und Erken­nens der Welt aus neu­en Per­spek­ti­ven, den wir heu­te mehr denn sonst brau­chen. Die Wei­ter­ga­be des Kön­nens und Wis­sen die­ses imma­te­ri­el­len Kul­tur­er­bes gestal­tet unse­re Zukunft mit. Künstler*innen sind leben­di­ge Kul­tur­ak­teu­rin­nen und ‑akteu­re in ihrer Regi­on und tra­gen damit nicht nur wesent­lich zur loka­len und regio­na­len Iden­ti­täts­bil­dung bei, son­dern sind eine Kraft­quel­le der Inte­gra­ti­on. Ich glau­be nicht, dass man mit Kür­zun­gen im Kul­tur­be­reich einen Haus­halt sanie­ren kann. Kul­tur ist nicht nur ein Stand­ort­fak­tor, son­dern Aus­druck von Iden­ti­tät. Dar­an wer­den wir gemes­sen. Unse­re ein­zig­ar­ti­ge Kul­tur­land­schaft even­tu­el­len Ein­spa­run­gen zu opfern, wäre ein zwei­ter, unbe­dingt zu ver­mei­den­der Sieg des Virus.

Kön­nen Sie ein­schät­zen, in wel­chem wirt­schaft­li­chen Zustand sich die Bam­ber­ger kul­tu­rel­le Sze­ne befin­det? Und herrscht noch Opti­mis­mus, irgend­wann wie­der wie vor der Pan­de­mie arbei­ten und wirt­schaf­ten zu kön­nen, oder hat sich bereits Resi­gna­ti­on eingestellt?

Mar­ti­na Hüm­mer: Für vie­le frei­be­ruf­li­che Künstler*innen und frei­en Kul­tur­ein­rich­tun­gen sind die Fol­gen der Coro­na-Pan­de­mie zur Exis­tenz­fra­ge gewor­den. Auch für Laienmusiker*innen und Ensem­bles wird die Kri­se eine gro­ße Her­aus­for­de­rung sein. Kul­tur kann Leben ver­än­dern. Ich bin vol­ler Hoff­nung und es besteht seit März bei mir unein­ge­schränk­ter Opti­mis­mus, gestärkt durch die­se Kri­se zu kom­men und wie­der wie zuvor arbei­ten zu können.

Eine posi­ti­ve Lebens­ein­stel­lung ist für mich als Künst­le­rin und auch als Päd­ago­gin sehr wich­tig, denn, um den hei­li­gen Augus­ti­nus zu zitie­ren, in mir muss bren­nen, was ich in ande­ren ent­zün­den möch­te. Die­ses Feu­er dür­fen wir nicht aus­ge­hen las­sen, son­dern müs­sen über­le­gen, wie wir Men­schen, Lie­der und Orte mit­ein­an­der ver­bin­den. Ich bin sehr froh, dass ich an der Kreis­mu­sik­schu­le Bam­berg unter­rich­te und füh­le mich von der Lei­tung sehr gut durch die­se Kri­se geführt. Mit gro­ßem Enga­ge­ment, enor­men Kraft­auf­wand aller ist es uns bis jetzt gelun­gen, gut durch die­se Zeit zu kom­men und hat uns gezeigt, dass wir als Musi­ker ein gro­ßes Poten­ti­al an krea­ti­ven Wegen suchen, um unse­ren wun­der­ba­ren Beruf aus­üben zu kön­nen und unse­re Schüler*innen für Musik zu begeis­tern. Die­ses Ver­trau­en wün­sche ich allen der Kul­tur­bran­che Bamberg.

Wie glau­ben Sie, wird die Sze­ne aus dem Lock­down hervorgehen?

Mar­ti­na Hüm­mer: Vie­le mei­ner frei­schaf­fen­den Kolleg*innen ste­hen vor exis­ten­ti­el­len Schwie­rig­kei­ten. Ich bin mir aber sicher, dass Kunst und Kul­tur immer über­le­ben wer­den. Wie das für den ein­zel­nen Künstler*innen aus­sieht, ist schwer zu beant­wor­ten. Man muss eben sehr krea­ti­ve Wege fin­den und in sol­chen Zei­ten auch fle­xi­bel sein. Für gro­ße Opern­häu­ser oder Sym­pho­nie­or­ches­ter wird es sicher leich­ter sein, als für frei­be­ruf­li­che Musiker*innen. Kri­sen kön­nen auch immer Anlass zu Ent­wick­lung und Chan­ce auf Wachs­tum sein. Die Pan­de­mie for­dert von uns, neue und krea­ti­ve Wege und Lösun­gen zu suchen. Kul­tur ist ein wesent­li­cher Bestand­teil unse­res Lebens. Kon­zer­te und kul­tu­rel­le Ver­an­stal­tun­gen wer­den auch wei­ter­hin die Men­schen erfreu­en. Viel­leicht wird Live-Musik dann noch mehr geschätzt als vorher.

Mit wel­chen Gefüh­len haben Sie die Nach­richt eines zwei­ten Lock­downs zur Kennt­nis genommen?

Mar­ti­na Hüm­mer: Als Künst­le­rin reflek­tie­re ich die­se Zeit und die Aus­wir­kung auf unser aller Leben sehr ein­ge­hend. Kein Tag ver­geht, an dem es nicht irgend­wo eine Men­schen­ket­te oder einen Auf­ruf zur Ret­tung der Kul­tur gibt. Man­che üben dif­fe­ren­zier­te Kri­tik an den Maß­nah­men der Bun­des- und Staats­re­gie­rung oder sehen sich zu Unrecht in ihrer Berufs­aus­übung beschränkt. Ande­re sehen die Rol­le der Kul­tur in der Gesell­schaft grund­sätz­lich gefähr­det oder wün­schen sich gerech­te­re Ver­tei­lung von Gel­dern. Der zwei­te Lock­down war zu erwar­ten und ich hät­te ihn ange­sichts der stei­gen­den Zah­len schon frü­her ver­mu­tet. Was für den Einen „Lock­down light“ ist, bedeu­tet für uns Musiker*innen immer noch Berufs­ver­bot. Das Kul­tur­le­ben befin­det sich wie­der in einer Zwangs­pau­se und steht still. Ein klei­nes Virus zeigt uns, dass wir die Welt nicht so unter Kon­trol­le haben, wie wir das ger­ne hät­ten oder oft auch von uns erwar­tet wird.

Ich ver­pflich­te mich als Künst­le­rin aber auch zu einer gewis­sen Ver­ant­wor­tung und Vor­bild­funk­ti­on. Wir müs­sen ler­nen, unser eige­nes Ver­hal­ten vor uns selbst und unse­rem Gewis­sen zu recht­fer­ti­gen. Und gera­de als Künstler*in soll­te man Mensch­lich­keit und Moral in sich tra­gen, sonst hat man auf der Büh­ne nichts zu sagen. Ich begrei­fe Kul­tur als zutiefst huma­nis­ti­sche, den Men­schen die­nen­de Ver­pflich­tung, um Lud­wig van Beet­ho­ven zu zitie­ren, und ich sehe es gera­de jetzt als Pflicht an, das Wohl und die Gesund­heit der Men­schen in die­sem Land als höchs­te Prio­ri­tät zu begrei­fen. Men­schen, die jetzt ihre eige­nen Inter­es­sen und Ego­is­men zurück­set­zen, kol­le­gi­al und soli­da­risch gemäß der nöti­gen Vor­ga­ben unter Beach­tung von Vor­sicht und Nächs­ten­lie­be die Wür­de eines jeden Men­schen­le­ben ach­ten und mit ihrem Ver­hal­ten Leben ret­ten, sind für mich die Hel­den die­ser Zeit.

Wie wirkt sich der Lock­down auf Ihre Arbeit als Gesangs­leh­re­rin und Künst­le­rin aus?

Mar­ti­na Hüm­mer: Dass aus­ge­rech­net das Sin­gen als ältes­te, am längs­ten prak­ti­zier­te und natür­lichs­te künst­le­ri­sche Äuße­rung durch die Coro­na­kri­se zur – bis­wei­len sogar töd­li­chen – Gefahr wird, ist eine grau­sa­me geschicht­li­che Poin­te, an der wir alle im Moment schwer zu tra­gen haben. Es ist sehr trau­rig, dass ich mei­ner Beru­fung der­zeit nicht nach­ge­hen kann und alle mei­ne Kon­zer­te, Opern­auf­füh­run­gen und Lie­der­aben­de bis auf wei­te­res abge­sagt wur­den. Doch jetzt zu pro­tes­tie­ren, wo es mit weni­gen Aus­nah­men abso­lut allen Men­schen in Deutsch­land sehr schlecht geht, ist das wirk­lich sinn­voll? Für uns Berufssänger*innen sind die Per­spek­ti­ven der­zeit lei­der schlecht, denn die Infek­ti­ons­ge­fähr­dung wäh­rend des Sin­gens durch Aero­so­le wird von Fach­leu­ten als sehr hoch eingeschätzt.

Als Mit­glied im Bun­des­ver­band Deut­scher Gesangs­päd­ago­gen bin ich mit vie­len Kollegen*innen über aktu­el­le Stu­di­en im Aus­tausch und infor­miert, wann und wie wir unse­ren Beruf wie­der aus­üben kön­nen. Als Sän­ge­rin ist man es gewöhnt, mit sich und sei­nem Instru­ment, dem eige­nen Kör­per, zu arbei­ten, aber natür­lich fehlt die Büh­ne, denn als Künst­ler muss man sich künst­le­risch aus­drü­cken, um sich leben­dig zu spü­ren. Wir alle brau­chen die rea­le Inter­ak­ti­on mit Men­schen. Dabei mei­ne ich aber kei­ne Event­kul­tur, son­dern eine Rück­kehr zum tie­fen, ursprüng­li­chen und ele­men­ta­ren Ver­ständ­nis von Kunst.

Sie geben der­zeit Gesangs­un­ter­richt online. In wel­cher Hin­sicht kann die­ses Online­an­ge­bot Prä­senz-Gesangs­un­ter­richt nicht ersetzen?

Mar­ti­na Hüm­mer: Ich betreue mei­ne Schüler*innen via Video-Chat, der jedoch den übli­chen Prä­senz­un­ter­richt in kei­ner Wei­se erset­zen kann. Es freut mich jedoch troz­dem ein wenig Gutes sowie posi­ti­ve Ener­gie an wei­ter­ge­ben zu kön­nen. Es war nicht ein­fach, plötz­lich onli­ner zu unter­rich­ten, und es brauch­te Zeit, dafür Wege zu fin­den, um die Begeg­nung mit den
Schüler*innen leben­dig und eben auf mei­ne Wei­se sinn­stif­tend zu gestal­ten. Ich habe aus dem Online-Unter­richt aber durch­aus Posi­ti­ves gewon­nen. Die Schüler*innen reflek­tier­ten ihre eige­ne inne­re Ein­stel­lung beim Üben, die Schu­lung der Kör­per­wahr­neh­mung, all­ge­mei­ne Hin­ter­grün­de zum The­ma Ler­nen – die­se Inhal­te und auch die Tat­sa­che, dass man die Auf­ga­ben machen konn­te, wann man woll­te und sich dann dar­über aus­tauscht, haben defi­ni­tiv einen Mehr­wert für das Sin­gen und das sän­ge­ri­sche Selbstbewusstsein.

Trotz der guten Sei­ten des Online-Unter­richts ist Gesangs­un­ter­richt natür­lich eine ganz­heit­li­che Sache. Es ist bes­ser, die Schüler*innen live zu spü­ren. Im Mit­tel­punkt mei­ner Arbeit als Künst­le­rin und Päd­ago­gin steht der sin­gen­de Mensch, in dem ich ein Höchst­maß an Authen­ti­zi­tät und Aus­druck ent­zün­den möch­te, was jedoch auf­grund feh­len­der Ein­schät­zung und Beur­tei­lung von Klang sowie mus­ku­lä­rer Abläu­fe auf sozia­ler Distanz nicht so ein­fach ist, es kos­tet mehr Kraft. Jedoch kön­nen und soll­ten wir drin­gend die Mög­lich­kei­ten sehen und nicht nur die Gren­zen. Dann kann Über­ra­schen­des und Berei­chern­des geschehen.

Wel­chen Stel­len­wert hat Musik in Ihrem Leben?

Mar­ti­na Hüm­mer: Als Sän­ge­rin ist es mein Beruf, mich mit Din­gen zu befas­sen, die über das hin­aus­ge­hen, was käuf­lich ist. Es ist mei­ne Auf­ga­be, die mensch­li­chen Bedürf­nis­se auf­zu­de­cken, die unter der Ober­flä­che lie­gen. Dafür ist Kunst da. Wir Künstler*innen öff­nen Räu­me, die ande­re Men­schen allei­ne meist gar nicht sehen oder zumin­dest nicht allein betre­ten kön­nen. Sowohl Kon­zert­be­su­chern als auch den­je­ni­gen, mit denen wir musik­päd­ago­gisch arbei­ten, ermög­li­chen wir, mit deren eige­nen inne­ren Wel­ten in Berüh­rung zu kom­men. Wir Musiker*innen haben da einen unglaub­lich kost­ba­ren Schatz. Wir tra­gen die Musik im Her­zen. Mei­ne Arbeit ist in die­ser Hin­sicht kein Job, son­dern ein Grund­be­dürf­nis, mein Leben.

Ich wün­sche mir, die Welt wie­der mit Gesang zu besee­len und zu berei­chern sowie Men­schen Hoff­nung, Trost und Lie­be durch die Musik zu schen­ken. Beson­ders Gesang macht die direk­te Ver­stän­di­gung der Men­schen und Her­zen auf ästhe­ti­scher Ebe­ne mög­lich, unab­hän­gig von Her­kunft, Reli­gi­on oder Haut­far­be, und kann in Kon­flikt­si­tua­tio­nen Brü­cken bau­en, wo die Spra­che an ihre Gren­zen stößt. So ist Musik nicht nur eine musi­ka­li­sche, son­dern auch eine hoch­so­zia­le Tätig­keit, iden­ti­täts­stif­tend und gemein­schafts­bil­dend. Musik ist eine Form des mensch­li­chen Mit­ein­an­ders und geht in ihrer Wahr­haf­tig­keit in unse­re Her­zen – das, was uns Men­schen aus­macht, die­se unse­re gemein­sa­me Spra­che der Menschheit.