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Wirtschaft - Page 2

Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten

„Es gibt hier ganz klar einen Ziel­kon­flikt, um den ich kei­nen Poli­ti­ker beneide“

Immer deut­li­cher und drän­gen­der wur­den in den ver­gan­ge­nen Wochen For­de­run­gen aus der Wirt­schaft, die gesell­schaft­li­chen Beschrän­kun­gen sobald wie mög­lich wie­der auf­zu­he­ben. Doch auch nun, nach­dem die­se Beschrän­kun­gen nach und nach gelo­ckert wer­den, bleibt das Dilem­ma bestehen, dass die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung und die der Wirt­schaft wohl nicht gleich­zei­tig garan­tiert wer­den kön­nen. Dr. Björn Asde­cker ist wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter am Lehr­stuhl für Pro­duk­ti­on und Logis­tik an der Uni­ver­si­tät Bam­berg. Mit ihm haben wir über die­sen Kon­flikt, Hams­ter­käu­fe und die Zukunft des Bam­ber­ger Han­dels gesprochen.
Die Maß­nah­men, die in Deutsch­land zur Ein­däm­mung der Coro­na-Infek­ti­ons­zah­len ver­hängt wur­den, haben nicht nur per­sön­li­che, son­dern auch wirt­schaft­li­che Ein­schrän­kun­gen zur Fol­ge. Wie und in wel­chem Umfang lei­det die baye­ri­sche Wirt­schaft darunter?

Björn Asde­cker: Fra­gen über die Höhe des ent­stan­de­nen Scha­dens las­sen sich zum jet­zi­gen Zeit­punkt nicht seri­ös beant­wor­ten. Klar gibt es aktu­ell Ver­dienst- und Erlös­aus­fäl­le, aber die Kon­se­quen­zen der Kri­se gehen weit dar­über hin­aus. Coro­na stellt die gesam­te Lebens­wei­se auf den Kopf. Wobei ich beto­nen möch­te, dass dies lang­fris­tig nicht immer schlecht sein muss, son­dern vie­le über­fäl­li­ge Ent­wick­lun­gen beschleu­nigt. Ich glau­be bei­spiels­wei­se, dass man künf­tig nicht mehr schief ange­schaut wird, wenn man ger­ne mehr aus dem Home-Office arbei­ten möchte.

Hät­ten Sie eine ande­re Vor­ge­hens­wei­se, die nicht auf Beschnei­dung per­sön­li­cher Frei­hei­ten, Schlie­ßun­gen und sozia­le Distanz, son­dern unter ande­rem auf ver­mehr­te Tests und indi­vi­du­el­le Iso­lie­rung setzt, vorgezogen?

Björn Asde­cker: Ich bin kein Viro­lo­ge. Des­we­gen möch­te ich kei­ne Wer­tung zur Vor­ge­hens­wei­se ver­schie­de­ner Staa­ten vor­neh­men. Es ist aus mei­ner Sicht zudem nicht sinn­voll, weil zu vie­le Para­me­ter mit hin­ein­spie­len. Die asia­ti­schen Staa­ten haben bei­spiels­wei­se ande­re Erfah­rungs­wer­te bezüg­lich der Aus­brei­tung von Virus­in­fek­tio­nen, wes­halb die Bevöl­ke­rung War­nun­gen erns­ter nimmt und sich an kom­mu­ni­zier­te Emp­feh­lun­gen bezie­hungs­wei­se Ver­hal­tens­re­geln hält. Nach­dem man gese­hen hat, wie leicht­fer­tig wei­te Tei­le der Bevöl­ke­rung Mit­te bis Ende März in Bam­berg mit der The­ma­tik umge­gan­gen sind, bin ich der Mei­nung, dass man um die jet­zi­gen sehr stren­gen Rege­lun­gen fast schon gebet­telt hat und dass es da auch kei­ne rea­lis­ti­sche Alter­na­ti­ve gab.

Wie kann Ihrer Mei­nung nach das Dilem­ma gelöst wer­den, dass, je län­ger der Lock­down andau­ert, des­to mehr scha­det es der Wirt­schaft, je frü­her die Beschrän­kun­gen aber auf­ge­ho­ben wer­den, umso grö­ßer ist das Risi­ko für die Gesundheit?

Björn Asde­cker: Gar nicht. Da muss man nicht lan­ge um den hei­ßen Brei reden. Es gibt hier ganz klar einen Ziel­kon­flikt, um den ich kei­nen Poli­ti­ker beneide.

Wie sehen Sie die soge­nann­ten Hamsterkäufe?

Björn Asde­cker: Die Fra­ge ist, wie man „Hams­tern“ defi­niert. Klar, es gibt Nega­tiv­bei­spie­le, bei denen man nur mit dem Kopf schüt­teln kann. Aber abge­se­hen davon habe ich im Lebens­mit­tel­ein­zel­han­del vor allem Bevor­ra­tungs­käu­fe beob­ach­tet. Auch ich habe mei­ne Vor­rä­te auf­ge­stockt, weil ich in der aktu­el­len Lage nicht mehr­mals wöchent­lich in den Super­markt möch­te. Das ist aus mei­ner Sicht kein aso­zia­les Hams­tern, son­dern ein ver­nünf­ti­ger Bei­trag zur Wah­rung der phy­si­schen Distanz. Außer­dem ist es aktu­ell nicht so, dass das Ange­bot an Lebens­mit­teln grund­sätz­lich gefähr­det ist, wir also hun­gern müss­ten. Des­halb sehe ich die Hams­ter­käu­fe – sofern man sie denn unbe­dingt so nen­nen mag – als nicht dra­ma­tisch an. Ich bit­te außer­dem dar­um, die Din­ge rich­tig ein­zu­ord­nen. Es gibt aktu­ell wahr­lich grö­ße­re Pro­ble­me als wenn man tat­säch­lich vor einem lee­ren Regal steht und nach Alter­na­ti­ven suchen muss.

Man­che Händ­ler haben zum Bei­spiel im Fall von Toi­let­ten­pa­pier ver­an­lasst, dass pro Kun­de nur ein Pack gekauft wer­den darf, ande­re Händ­ler haben mit Preis­er­hö­hun­gen ab dem zwei­ten Pack reagiert. Was hal­ten Sie von sol­chen Maßnahmen?

Björn Asde­cker: Das sind durch­aus Maß­nah­men, die dazu bei­tra­gen kön­nen, Nach­fra­ge­schwan­kun­gen zu glät­ten, um die kurz­fris­ti­ge Waren­ver­füg­bar­keit zu ver­bes­sern. Als kun­den­freund­li­che­re Alter­na­ti­ve emp­fin­de ich aller­dings die Defi­ni­ti­on von Höchst­ab­ga­be­men­gen. Eine Staf­fe­lung mit stei­gen­den Prei­sen erweckt bei mir eher den Ein­druck als gin­ge es dem Händ­ler nicht pri­mär um die Auf­recht­erhal­tung des Waren­an­ge­bots, son­dern viel­mehr um die Maxi­mie­rung sei­nes Gewinns.

Was bedeu­tet die Kri­se für das Ver­hält­nis zwi­schen Online- und sta­tio­nä­rem Kon­sum? Wird ers­te­rer noch wei­ter zunehmen?

Björn Asde­cker: Abso­lut. Ich bin davon über­zeugt, dass der lang­fris­ti­ge Gewin­ner der Online­han­del ist. Wir sehen die­se Ver­schie­bung von Umsät­zen aus dem sta­tio­nä­ren Han­del in den Online­han­del ja bereits seit Jah­ren. Es ist ein­fach so, dass das Geschäfts­mo­dell des Inter­net­han­dels in vie­ler­lei Hin­sicht dem sta­tio­nä­ren Han­del über­le­gen ist. Dazu tra­gen die unbe­schränk­ten Öff­nungs­zei­ten, die grö­ße­re Aus­wahl, die bes­se­re Preis­trans­pa­renz und die recht­lich gesi­cher­ten Rück­ga­be­mög­lich­kei­ten bei. Die Aus­gangs­be­schrän­kun­gen füh­ren nun dazu, dass vie­le zurück­hal­ten­de Bevöl­ke­rungs­grup­pen den Online­han­del aus­pro­bie­ren. Und wenn die Kun­den erst­mal ver­lo­ren sind, wird es für den sta­tio­nä­ren Han­del auf­grund der genann­ten struk­tu­rel­len Nach­tei­le schwer, die­se zurück­zu­ge­win­nen. Je län­ger die Pha­se der Geschäfts­schlie­ßun­gen dau­ert, des­to grö­ßer wird die Pro­ble­ma­tik. Trotz­dem gibt es auch im Online­han­del Licht und Schatten.

Wel­che Bran­chen wer­den da spe­zi­ell pro­fi­tie­ren, wel­che weni­ger oder gar nicht?

Björn Asde­cker: Schwer getrof­fen sind aktu­ell bei­spiels­wei­se die Mode­ver­sen­der. Durch die Aus­gangs­be­schrän­kun­gen ist die Moti­va­ti­on gering, sich neue Beklei­dung und Schu­he anzu­schaf­fen. Wozu auch? Man kann sie ja schließ­lich nicht aus­füh­ren. Einen ech­ten Boom erle­ben Onlineapo­the­ken, der Lebens­mit­tel­ver­sand und alle Shops, die das Zurück­zie­hen in die eige­nen vier Wän­de bedie­nen. Dar­un­ter fällt dann alles von Spie­le­kon­so­len über Han­teln, bis zu hin zum Kochzubehör.

Wel­che Chan­cen sehen Sie für den Bam­ber­ger Han­del, nach der Kri­se wie­der auf die Bei­ne zu kommen?

Björn Asde­cker: Ich bin kein Freund von Hor­ror­sze­na­ri­en. Ich glau­be nicht, dass es nach der Kri­se plötz­lich kei­nen Bam­ber­ger Ein­zel­han­del mehr geben wird. Für mich ist die Coro­na­kri­se ein Kata­ly­sa­tor. Ein Ereig­nis, das die Ver­än­de­rungs­ge­schwin­dig­keit erhöht. Das, was wir nun in ein bis zwei Jah­ren sehen wer­den, hät­te unter nor­ma­len Umstän­den viel­leicht fünf bis zehn Jah­re gebraucht. Es geht nun also schnel­ler, aber gekom­men wäre vie­les sowie­so. Ich glau­be das Schlimms­te, was man aktu­ell machen kann, ist, sich zurück­zu­leh­nen und abzu­war­ten – in der Hoff­nung, dass alles wie­der so wird wie vor der Kri­se. Han­del ist Wan­del. Das war schon immer so, nur geht es jetzt noch­mal deut­lich schneller.

Wel­che Maß­nah­me könn­te der Bam­ber­ger Han­del dazu selbst ergrei­fen, wel­che Maß­nah­men von außen könn­ten helfen?

Zunächst ein­mal soll­te jeder natür­lich bei sich selbst anfan­gen. In gewis­ser Wei­se heißt es des­halb ja auch „SELBST­stän­dig­keit“. Eine solch ein­schnei­den­de Kri­se zer­stört vie­les Bekann­tes, bie­tet aber gleich­zei­tig Chan­cen, neue Wege zu gehen bezie­hungs­wei­se neue Ansät­ze zu ver­fol­gen. Blei­ben Sie bei­spiels­wei­se mit Ihren Kun­den über Whats­App, Face­book und Co. in Kon­takt, erlau­ben Sie tele­fo­ni­sche Bestel­lun­gen, set­zen Sie sich mit den viel­fäl­ti­gen Online-Ver­kaufs­platt­for­men aus­ein­an­der, pro­bie­ren Sie die­se aus, ver­su­chen Sie ein loka­les Lie­fer­mo­dell zu eta­blie­ren. Es gibt dies­be­züg­lich in Bam­berg eini­ge Best Prac­ti­ce-Bei­spie­le, an denen man sich ori­en­tie­ren kann. Ich möch­te zum Bei­spiel auf die Buch­hand­lung Col­li­bri ver­wei­sen, die trotz Ama­zon als sta­tio­nä­rer Händ­ler nicht erst seit Coro­na aus­lie­fert. Eben­so ver­dient das Bam­ber­ger Pro­jekt „Liefert.Jetzt“ eine loben­de Erwäh­nung, das dar­über infor­miert, wel­che sta­tio­nä­ren Händ­ler in Bam­berg zusätz­lich aus­lie­fern. Dar­über hin­aus rückt man in Kri­sen­zei­ten bekannt­lich enger zusam­men. Viel­leicht ergibt sich die Mög­lich­keit für unge­wöhn­li­che Koope­ra­tio­nen. Vie­le haben ja ähn­li­che Pro­ble­me. Könn­te man bei­spiels­wei­se die Bam­ber­ger Taxi­un­ter­neh­men dafür gewin­nen, statt Per­so­nen nun Waren zu beför­dern? Even­tu­ell kön­nen an die­ser Stel­le die loka­le Poli­tik und die IHK Impul­se geben und die ent­spre­chen­den Kon­takt­punk­te schaffen.

Was machen Sie als ers­tes, wenn die Aus­gangs­be­schrän­kung auf­ge­ho­ben ist?

Ich freue mich rie­sig, aus dem Home-Office wie­der in mein Büro zurück­zu­keh­ren. Das hat jetzt weni­ger mit mei­nem Büro zu tun, als mit dem Umstand, dass ich mei­ne Stu­die­ren­den wirk­lich ver­mis­se. Ich hof­fe instän­dig, dass dies kei­ne ein­sei­ti­ge Wahr­neh­mung ist, son­dern auf Gegen­sei­tig­keit beruht.