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ZeDeSch

In Zecken­dorf, Dem­mels­dorf und Scheßlitz

Pro­jekt „ZeDeSch“ endet mit Ver­le­gung von Stolpersteinen

Seit letz­tem Jahr ver­sucht Maria S. Becker, der ehe­ma­li­gen jüdi­schen Bevöl­ke­rung von Scheß­litz und sei­ner bei­den Orts­tei­le Dem­mels­dorf und Zecken­dorf anhand von Vor­trä­gen und Füh­run­gen Sicht­bar­keit zu ver­lei­hen. Nun möch­te sie das Erin­ne­rungs­pro­jekt „ZeDeSch“ mit der Ver­le­gung von 32 Stol­per­stei­nen abschlie­ßen und der Erin­ne­rung gleich­zei­tig eine bis­her feh­len­de jüdi­sche Per­spek­ti­ve geben.

Stol­per­stei­ne gel­ten als das größ­te nicht­zen­tra­le Mahn­mal der Welt. Die etwa zehn mal zehn mal zehn Zen­ti­me­ter mes­sen­den Wür­fel wur­den bereits ein­hun­dert­tau­send­fach in Stra­ßen und Geh­we­gen Deutsch­lands und zusätz­lich in mehr als 30 Län­dern Euro­pas verlegt.

Alle­samt geden­ken sie Opfern des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Oft fin­det man sie im Pflas­ter vor Wohn­häu­sern ein­ge­las­sen, aus denen Men­schen von der NS-Dik­ta­tur ver­schleppt wur­den. Auf ihren mes­sing­be­schla­ge­nen Ober­sei­ten sind die Namen die­ser Men­schen, ihre Geburts­da­ten und oft töd­li­chen Schick­sa­le ein­ge­prägt. Der Urhe­ber der Stol­per­stei­ne und Initia­tor die­ses Gedenk­pro­jekts ist der Ber­li­ner Künst­ler Gun­ter Dem­nig, der 1992 den ers­ten Stein ver­leg­te. In Zecken­dorf, Dem­mels­dorf und Scheß­litz im nörd­li­chen Bam­ber­ger Land­kreis wer­den nun 32 wei­te­re Stol­per­stei­ne zum euro­pa­wei­ten Mahn­mal hinzukommen.

Sicht­bar­keit für die ehe­ma­li­ge jüdi­sche Bevölkerung

Eine gro­ße jüdi­sche Gemein­de leb­te bis in die 1940er Jah­re hin­ein in Scheß­litz und sei­nen bei­den Orts­tei­len Dem­mels­dorf und Zecken­dorf. Mit ihren Syn­ago­gen, einem Rab­bi­nat und einer zeit­wei­li­gen jüdi­schen Bevöl­ke­rungs­mehr­heit han­del­te es sich um über­re­gio­nal bedeut­sa­me jüdi­sche Zentren.

Bis 1942 hat­te die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Dik­ta­tur alle Jüdin­nen und Juden der drei Orte jedoch ent­we­der ermor­det oder zur Flucht gezwun­gen. Heu­te erin­nern ledig­lich der Zecken­dor­fer jüdi­sche Fried­hof und ein in den 1990er Jah­ren auf­ge­stell­ter Gedenk­stein an der Stra­ße zwi­schen Dem­mels­dorf und Zecken­dorf an die­se Menschen.

Die­ses unzu­rei­chen­de Geden­ken ver­sucht die Päd­ago­gin und Musi­ke­rin Maria S. Becker, seit eini­gen Jah­ren zu ver­grö­ßern. Begon­nen hat sie – unter täti­ger orga­ni­sa­to­ri­scher Mit­hil­fe der VHS Bam­berg Land und ihres Lei­ters Joa­chim Schön – im Jahr 2021. In die­sem Jahr beging das gan­ze Land das Jubi­lä­um „1700 Jah­re jüdi­sches leben in Deutschland“.

Beim orga­ni­sie­ren­den, gleich­na­mi­gen Köl­ner Ver­ein konn­ten sich Orga­ni­sa­tio­nen, Städ­te oder Kom­mu­nen damals um För­de­rung für ent­spre­chen­de Pro­jek­te bewer­ben. So gelang es Becker, Rebek­ka Denz von der Uni­ver­si­tät Bam­berg und der VHS-Bam­berg Land, ver­schie­de­ne Ver­an­stal­tun­gen, Kon­zer­te oder Vor­trä­ge von Autoren wie Ronen Stein­ke oder Max Czol­lek in Bam­berg auf die Bei­ne zu stellen.

Als das „1700 Jahre“-Jahr vor­bei war, woll­ten Becker und Schön dar­um aber nicht mit der­ar­ti­gen Ver­an­stal­tun­gen auf­hö­ren. „Also dach­ten wir“, sagt Maria S. Becker, „jetzt, wo wir so viel ange­sto­ßen haben, wol­len wir auch Nach­hal­tig­keit. Die­se ist gut, bei allem, was man tut, auch bei poli­ti­scher und Aufklärungsarbeit.“

Pro­jekt „ZeDeSch“

Also ent­wi­ckel­te Maria S. Becker wei­te­re Vor­trä­ge und Füh­run­gen über die jüdi­sche Geschich­te Bam­bergs und des Land­krei­ses. Die­se Arbeit fand Anfang die­ses Jah­res einen vor­läu­fi­gen Höhe­punkt mit dem Pro­jekt „ZeDeSch“. Akro­ny­mi­siert steht der Name für Zecken­dorf-Dem­mels­dorf-Scheß­litz, das Pro­jekt für mehr bezie­hungs­wei­se über­haupt Sicht­bar­keit und Geden­ken für die ehe­ma­li­ge jüdi­sche Bevöl­ke­rung der drei Orte.

„Gera­de im Rah­men des „1700 Jahre“-Jahres“, sagt Joa­chim Schön, „haben wir sehr vie­le Erkennt­nis­se dar­über gewon­nen, was für ein unglaub­lich rei­ches und star­kes jüdi­sches Leben es in Bam­berg und in vie­len Orten des Land­krei­ses gab. Die­ses wur­de dann aber aus­ge­löscht und heu­te fehlt die Erin­ne­rung dar­an.“ In ande­ren Regio­nen des Lan­des ist man längst viel wei­ter im Geden­ken an die Ermor­de­ten oder Depor­tier­ten. „Wir in Bam­berg und Umge­bung haben da noch eini­ges nachzuholen.“

Also recher­chier­ten Maria S. Becker und Joa­chim Schön, wo im Land­kreis beson­ders vie­le Jüdin­nen und Juden gelebt hat­ten. „Wir hät­ten zum Bei­spiel auch Asch­bach süd­lich von Ebrach neh­men kön­nen“, sagt Becker. „Aber als ich eines Tages mit einer Freun­din und ihrem Hund in Dem­mels­dorf spa­zie­ren ging und an einem Gebäu­de Mesus­a­lö­cher ent­deck­te, begann ich genau­er hin­zu­schau­en, wer dort frü­her leb­te.“ Bei einer Mesusa han­delt es sich um eine klei­ne Kap­sel, die in tra­di­tio­nel­len jüdi­schen Häu­sern an Tür- oder Fens­ter­rah­men ange­bracht ist und ein klei­nes hand­ge­schrie­be­nes Per­ga­ment ent­hält, auf dem ein Bibel­zi­tat steht. Befes­tigt wer­den die Kap­seln unter ande­rem mit Schrau­ben, die ent­spre­chend Schrau­ben­lö­cher nötig machen. Ver­bin­dun­gen an die Uni­ver­si­tät Bam­berg und Ein­sicht in die Stadt­ar­chi­ve von Scheß­litz und Bam­berg, in das Staats­ar­chiv Bam­berg, das Arol­sen Archiv oder in die Doku­men­ten­samm­lung der Holo­caust-Gedenk­stät­te Yad Vas­hem gaben Maria S. Becker in der Fol­ge Auf­schluss über die frü­he­ren Bewohner:innen der Gebäude.

ZeDeSch
Maria S. Becker bei einer Stol­per­stein­füh­rung in Bam­berg, Foto: Esther Graz
Tag der Ver­le­gung am 14. Oktober

So ent­stan­den für „ZeDeSch“ wei­te­re Vor­trä­ge und Füh­run­gen – inklu­si­ve Spen­den. Anhand die­ser wird Becker das Pro­jekt nun abschlie­ßen kön­nen und in den drei Orten Stol­per­stei­ne für 32 Men­schen ver­le­gen. Eine Mög­lich­keit, die aller­dings nicht allen, die die­se Stei­ne ver­le­gen wol­len, zuteil­wird. Denn zuerst muss man sich die Erlaub­nis der jewei­li­gen Gemein­den ein­ho­len. „Gemein­den sind dazu näm­lich nicht ver­pflich­tet“, sagt Maria S. Becker, „und kön­nen Bedin­gun­gen stel­len. Scheß­litz hat aber kei­ne gestellt und sofort, in Per­son des Bür­ger­meis­ters Roland Kau­per, zuge­stimmt. Das ist ein kla­res Statement.“

Dann gilt es, einen ent­spre­chen­den Antrag bei Gun­ter Dem­nig und sei­ner Stol­per­stein-Stif­tung zu stel­len und anhand zwei­fels­frei recher­chier­ter bio­gra­fi­scher Daten die Iden­ti­tät der­je­ni­gen, derer mit den Stei­nen gedacht wer­den soll, zu bewei­sen. Und dann braucht man noch das rich­ti­ge Timing. Denn auf der Home­page der Stif­tung heißt es der­zeit, dass vor 2025 kei­ne wei­te­ren Ver­le­gun­gen mög­lich sind. Der Grund ist: Dem­nig lässt es sich trotz sei­ner mitt­ler­wei­le 77 Jah­re nicht neh­men, bei Erst­ver­le­gun­gen die Stei­ne selbst in den Boden einzusetzen.

Maria S. Becker, aus­ge­stat­tet mit allen nöti­gen Infor­ma­tio­nen, und Gun­ter Dem­nig waren sich aber recht­zei­tig einig. „Ende August hat er die Stei­ne nun her­ge­stellt“, sagt sie, „und bringt sie am Tag der Ver­le­gung mit. Der Ter­min dafür ist der 14. Oktober.“

Ablauf in Würde

Der Beginn der Stol­per­stein­ver­le­gung ist für 9 Uhr in Scheß­litz geplant. In der Woche zuvor wird das Stra­ßen­bau­amt bereits die nöti­gen Löcher ins Pflas­ter des Geh­wegs vor der Haupt­stra­ße 1 gehäm­mert haben. Dann kann der ange­reis­te Gun­ter Dem­nig die ers­ten Stei­ne des Tages ein­fü­gen. Die­se wer­den Kathi, Lud­wig, Bert­hold-Karl und Semi Haus­mann, die 1940 ermor­det wur­den, gewid­met sein.

Wei­te­re Stol­per­stei­ne erhal­ten im Lauf des Vor­mit­tags die Fami­lie Roll­mann, eben­falls aus Scheß­litz, die Fami­li­en Wurzin­ger, Mann­hei­mer, Heimann und Berg aus Dem­mels­dorf sowie die Fami­li­en Gerst, Rosen­baum und Haus­mann aus Zeckendorf.

Die Zahl von 32 Stei­nen ent­spricht aber natür­lich nicht annä­hernd der Anzahl an Juden und Jüdin­nen, die in den 1940er Jah­ren aus den drei Orten ver­trie­ben und ver­schleppt wur­den. Dar­um hat sich Maria S. Becker auf Per­so­nen kon­zen­triert, von denen sie in ihrer Recher­che­ar­beit nach­wei­sen konn­te, dass ihre Fami­li­en teil­wei­se bereits seit hun­der­ten Jah­ren dort gewohnt hat­ten, aber heu­te im all­ge­mei­nen Gedächt­nis der dor­ti­gen Bevöl­ke­rung nicht mehr prä­sent sind. „Wenn man mit der Bevöl­ke­rung spricht, tau­chen ihre Namen nicht auf und sind in Ver­ges­sen­heit gera­ten. Ich woll­te Leu­te ans Licht holen, an die sich trotz ihrer Ver­wur­ze­lung, nie­mand mehr erinnert.“

Um 12 Uhr des 14. Okto­bers soll eine Gedenk­fei­er im Zecken­dor­fer Gemein­de­haus den offi­zi­el­len Teil der Ver­le­gung beschlie­ßen. Ein­ge­la­den sind unter ande­rem Vertreter:innen jüdi­scher Gemein­den, der His­to­ri­ker Andre­as Ulmann, der in Bam­berg selbst bereits Stol­per­stein­ver­le­gun­gen initi­iert hat, Land­rat Johann Kalb, Bay­erns Anti­se­mi­tis­mus-Beauf­trag­ter Lud­wig Spaen­le und Patrick Nitz­sche, in glei­cher Funk­ti­on für die Stadt Bam­berg tätig. Wer möch­te, kann sich spä­ter um 13 Uhr außer­dem zu einem Emp­fang in der Mit­tel­schu­le Scheß­litz einfinden.

Damit bei die­sem eng getak­te­ten Ablauf aber nicht die nöti­ge Wür­de und Fei­er­lich­keit zu kurz kommt, fügen Maria S. Becker und Joa­chim Schön jeder Sta­ti­on der Ver­le­gung einen kul­tu­rel­len Rah­men hin­zu. Zu jeder der 32 Per­so­nen wer­den Daten genannt und bei man­chen auch Foto­gra­fien gezeigt, außer­dem gestal­ten Schüler:innen der Musik­schu­le Stadt und Land, der Chor der Scheß­lit­zer Mit­tel­schu­le und Stu­den­tin­nen der Uni­ver­si­tät Bam­berg die Ver­le­gung mit. Susan­ne Tal­abar­don und Keren Pre­sen­te von der Juda­is­tik der Uni­ver­si­tät Bam­berg und Frau Becker wer­den ihrer­seits Musik bei­steu­ern, genau wie Micha­el Hamann, Mit­glied der Bam­ber­ger Sym­pho­ni­ker. Und ansons­ten sagt Becker: „Der Ablauf klappt, ich kann gut organisieren.“

ZeDeSch
In Scheß­litz wer­den neben ande­ren der Fami­lie Roll­mann Stol­per­stei­ne gewid­met, Foto: Andre­as Loh­was­ser Archiv
Unan­ge­neh­me Wahrheiten

Bei der Gedenk­fei­er hat Maria S. Becker zudem vor, eine Rede zu hal­ten und ein paar unan­ge­neh­me Wahr­hei­ten anzu­spre­chen. Dabei möch­te sie näher auf den bereits erwähn­ten Umstand der Ver­ges­sen­heit ein­ge­hen, in die die ehe­ma­li­gen jüdi­schen Bürger:innen der „ZeDeSch“-Orte gera­ten sind. Bezie­hungs­wei­se auf die völ­lig feh­len­de jüdi­sche Per­spek­ti­ve in Erzäh­lun­gen über das Zusam­men­le­ben von jüdi­schen und nicht-jüdi­schen Bevöl­ke­rungs­tei­len wäh­rend der Zei­ten vor und nach der Nazi­herr­schaft. Denn 1946 war es auf­grund der gro­ßen jüdi­schen Vor­kriegs­ge­mein­den dazu gekom­men, dass in Scheß­litz und Zecken­dorf kurz­zei­tig wie­der Jüdin­nen und Juden leb­ten. Denn die US-Armee hat­te zwei Kib­bu­zim ein­ge­rich­tet, in denen Sho­a­über­le­ben­de aus dem Osten für eini­ge Mona­te eine Wohn­stät­te fanden.

„Bei Bege­hun­gen für die Ver­le­gung der Stol­per­stei­ne sprach ich mit ver­schie­de­nen Leu­ten aus den drei Orten, auch mit Zeit­zeu­gen“, sagt Maria S. Becker über die­se Zei­ten von vor mehr als 80 Jah­ren. „Dabei hat­te ich oft den Ein­druck, dass die Fak­ten, die sie mir ver­mit­tel­ten, einst aus der Täter­per­spek­ti­ve her­aus ent­stan­den sein müs­sen. Natür­lich kann es nicht anders sein, aber in die­sen Berich­ten gab es kei­ne jüdi­sche Per­spek­ti­ve mehr.“

So sei ihr immer wie­der erzählt wor­den, wie har­mo­nisch das Zusam­men­le­ben der bei­den Bevöl­ke­rungs­grup­pen in der Zeit vor den Nazis stets gewe­sen sei. Dies habe sich bei ihren Recher­chen zwar durch­aus auch ein ums ande­re Mal wie­der bewahr­hei­tet. Gleich­zei­tig stieß Becker aber auch immer wie­der auf Hin­wei­se auf anti­se­mi­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung oder Über­grif­fe. Zwi­schen­fäl­le, die über die Jahr­zehn­te aber in Ver­ges­sen­heit gerie­ten und die sich in den heu­ti­gen Erzäh­lun­gen über jene Zei­ten ent­spre­chend nicht gehal­ten haben. „Die ört­li­che Gesell­schaft hat sich auf eine Art und Wei­se ent­wi­ckelt, dass eige­ne Erzäh­lun­gen ent­stan­den sind, weil es eben kei­ne Gegen­stim­men mehr gab. Das ist nur logisch, aber das sind eben auch die Erzäh­lun­gen, die heu­te gel­ten. Was mir in mei­ner Arbeit und in den Begeg­nun­gen also noch­mal deut­lich auf­ge­fal­len ist: Wir brau­chen einen kom­plett ande­ren Blick auf die­se Geschich­ten und zwar einen jüdischen.“

Ein Unter­fan­gen, bei dem Maria S. Becker aber auch die jüdi­sche Sei­te in die Pflicht neh­men will. „Als ich Anfang des Jah­res für die „ZeDeSch“-Vorträge recher­chier­te, hat­te ich noch nicht den kla­ren Über­blick wie heu­te, ich sam­mel­te noch. Heu­te sage ich aber, und da for­de­re ich auch die jüdi­sche Com­mu­ni­ty auf: Man hat sich zu sehr ange­passt, es muss mehr Klar­text gere­det werden.“

Aller­dings fügt Joa­chim Schön an, dass die­ser Klar­text in Beckers Vor­trä­gen bereits durch­aus den Ton bestimmt – und nicht ohne Erfolg. „Die Vor­trä­ge und Füh­run­gen in Dem­mels­dorf und Zecken­dorf gehö­ren zu den best­be­such­tes­ten Ver­an­stal­tun­gen, die wir im letz­ten VHS-Semes­ter hat­ten. Teil­wei­se nah­men 100 Leu­te teil. Die­ser Zuspruch könn­te zwar auch im Bereich eines Wohl­fühl­ge­den­kens lie­gen, aber Inter­es­se ist da. Und da kann man die Leu­te auch mal konfrontieren.“

Zecken­dorf, Dem­mels­dorf und Scheßlitz

Pro­jekt „ZeDeSch“: Sicht­bar­keit für die frü­he­re jüdi­sche Bevölkerung

Die Päd­ago­gin und Musi­ke­rin Maria S. Becker hat in den letz­ten Jah­ren unter Mit­hil­fe der VHS Bam­berg-Land zur frü­he­ren jüdi­schen Bevöl­ke­rung Zecken­dorfs, Dem­mels­dorfs und Scheß­litz‘ recher­chiert. Mit die­sem Pro­jekt, dem sie den Namen „ZeDeSch“ gege­ben hat, möch­te sie die Erin­ne­rung an die Ermor­de­ten sicht­bar machen.

In der Stadt Scheß­litz, gele­gen im nörd­li­chen Bam­ber­ger Land­kreis, leb­te bis in die 1940er Jah­re hin­ein eine gro­ße jüdi­sche Gemein­de. Vor allem die bei­den Orts­tei­le Dem­mels­dorf und Zecken­dorf gal­ten mit ihren Syn­ago­gen, einem Rab­bi­nat und einer zeit­wei­li­gen jüdi­schen Bevöl­ke­rungs­mehr­heit als über­re­gio­nal bedeut­sa­me jüdi­sche Zentren.

Die Nazi­dik­ta­tur sorg­te jedoch dafür, dass bis 1945 alle Jüdin­nen und Juden der drei Orte ent­we­der ermor­det oder zur Flucht gezwun­gen wor­den waren. Heu­te erin­nern ledig­lich der Zecken­dor­fer jüdi­sche Fried­hof und ein in den 1990er Jah­ren auf­ge­stell­ter Gedenk­stein an der Stra­ße zwi­schen Dem­mels­dorf und Zecken­dorf an die­se Menschen.

Ein Geden­ken, das die Päd­ago­gin und Musi­ke­rin Maria S. Becker unzu­rei­chend fin­det und der­zeit zu erwei­tern ver­sucht. So forscht und recher­chiert sie seit eini­ger Zeit unter ande­rem in den Stadt­ar­chi­ven Scheß­litz‘ und Bam­bergs, genau wie im Staats­ar­chiv Bam­berg oder der Doku­men­ten­samm­lung der Holo­caust-Gedenk­stät­te Yad Vas­hem zur frü­he­ren jüdi­schen Bevöl­ke­rung der drei Orte. „Als regio­na­les Zeug­nis des ehe­ma­li­gen jüdi­schen Lebens dient bis­her gän­gi­ger­wei­se der Zecken­dor­fer Fried­hof“, sagt sie. „Es gab aber auch ein jüdi­sches Leben vor der Shoa in den drei Orten, das lei­der im Bewusst­sein der Leu­te vor Ort kaum prä­sent ist. Obwohl es dazu eini­ge Ver­öf­fent­li­chun­gen gibt.“

Mehr Sicht­bar­keit möch­te Maria S. Becker dem frü­he­ren jüdi­schen Leben in Scheß­litz, Dem­mels­dorf und Zecken­dorf, akro­ny­mi­siert „ZeDeSch“, ver­lei­hen. „Sicht­bar­ma­chung, auch wenn dies sowohl für Opfer als auch Täter unan­ge­nehm ist, wäre viel­leicht ein Anfang auf dem Weg zur Hei­lung. Wobei Hei­lung das fal­sche Wort ist. Zu schön klingt der Begriff, aber er geht zumin­dest in die rich­ti­ge Rich­tung. Das frü­he­re jüdi­sche Leben muss ans Licht geholt wer­den, auch aus Schutz vor Wie­der­ho­lung. Dafür das zu ver­hin­dern, tra­gen wir Nach­ge­bo­re­nen die Verantwortung.“

ZeDeSch
Maria S. Becker und Joa­chim Schön, Foto: Sebas­ti­an Quenzer
Zusam­men­ar­beit mit der VHS Bamberg-Land

Unter­stüt­zung erhält Frau Becker von der VHS Bam­berg-Land, nament­lich von ihrem Lei­ter Joa­chim Schön. „Ent­stan­den ist das „ZeDeSch“-Projekt“, sagt Joa­chim Schön, „als wir 2021 „1700 Jah­re jüdi­sches leben in Deutsch­land“ begin­gen. Damals ergab sich eine Art Initia­ti­on, sich mit jüdi­schen The­men im Land­kreis zu beschäf­ti­gen. Und gera­de durch die Recher­che von Maria wur­de uns bei der VHS klar, auch wenn es eigent­lich schon vor­her rela­tiv offen­sicht­lich war, wie wenig die­se The­men bis­her, gera­de im nörd­li­chen Land­kreis, auf­ge­ar­bei­tet wor­den waren.“

Also ent­schied sich die VHS, Frau Becker und ihre Recher­che mit einem insti­tu­tio­nel­len Rah­men zu unter­stüt­zen. So kann sie die gewon­ne­nen Infor­ma­tio­nen immer wie­der in Vor­trä­gen vor­stel­len, die sie online, in der Regi­on und in den drei Orten hält. Auch die Juda­is­tik der Bam­ber­ger Uni­ver­si­tät und die Mit­tel­schu­le Scheß­litz sind eingebunden.

Neben dem Ziel, die Ermor­de­ten und Ver­trie­be­nen in den Vor­trä­gen für heu­ti­ge Gene­ra­tio­nen sicht­bar zu machen und in Erin­ne­rung zu hal­ten, soll das Pro­jekt außer­dem in einer für Okto­ber geplan­ten Ver­le­gung von Stol­per­stei­nen in den drei Orten mün­den. „Und ein wei­te­res Ziel unse­rer Arbeit wäre“, sagt Frau Becker, „dass sich der Land­kreis Gel­der beschafft und eine For­schungs­stel­le zur ehe­ma­li­gen jüdi­schen Bevöl­ke­rung ein­rich­tet. Die Regi­on hinkt im Ver­gleich zu ande­ren Regio­nen in Deutsch­land was das angeht hin­ter­her. Aber das ist Zukunftsmusik.“

„156 See­len und 166 Juden“

Begon­nen hat der jüdi­sche Zuzug nach Zecken­dorf, Dem­mels­dorf und Scheß­litz etwa im 17. Jahr­hun­dert. Wobei, wie so oft in der jüdi­schen Geschich­te, Frei­wil­lig­keit oder Bewe­gungs­frei­heit dabei kaum eine Rol­le spiel­ten. „Der Grund waren unter ande­rem Ver­trei­bun­gen aus den Städ­ten und ent­spre­chen­de Ansied­lun­gen auf dem Land. Die Leu­te schau­ten, wohin sie gehen konn­ten, bezie­hungs­wei­se wel­che Lan­des­her­ren ihnen Schutz gewäh­ren wür­den. Bis ins 18. Jahr­hun­dert hin­ein konn­ten Juden sich nur schwer ihren Ansied­lungs­ort aus­su­chen. Das änder­te sich erst Mit­te des 19. Jahrhunderts.“

Von Zecken­dorf aus brei­te­te sich die jüdi­sche Bevöl­ke­rung in die ande­ren bei­den Orte aus. So gab es jeweils eine jüdi­sche Schu­le und eine Syn­ago­ge in Zecken­dorf und eine Schu­le und Syn­ago­ge in Dem­mels­dorf. Aus der 1833 erschie­ne­nen „Geo­gra­phi­schen Beschrei­bung des Erz­bisth­ums Bam­berg“ von Joseph Anton Eisen­mann geht zudem her­vor, dass in Zecken­dorf mehr Juden als Chris­ten, bezie­hungs­wei­se, wie es in den Doku­men­ten heißt, 156 See­len und 166 Juden, leb­ten. Fast über­flüs­sig zu sagen, dass in ande­ren Doku­men­ten Beschwer­den der Min­der­heit über die­se Bevöl­ke­rungs­ver­tei­lung fest­ge­hal­ten sind.

Über die Jahr­hun­der­te ent­wi­ckel­te sich jedoch ein gemein­schaft­li­ches Zusam­men­le­ben zwi­schen Chris­ten und Juden. So fin­det man etwa in Zecken­dor­fer Gemein­de­rech­nun­gen von 1700 die Ver­gü­tung des Juden Selig­man, der die Gemein­de im Pro­zess gegen einen Mül­ler in Bam­berg ver­tritt. Oder 1912 saßen im Gemein­de­rat von Zecken­dorf zwei Juden, Samu­el Rosen­baum und Karl Heimann. Samu­el Rosen­baum wur­de spä­ter in der Shoa ermor­det. „Die­se Doku­men­te zei­gen“, sagt Joa­chim Schön, „dass die Bezie­hun­gen zwi­schen den Juden und Chris­ten in den drei Orten ganz gut waren. Aus die­sem Grund, so könn­te man anneh­men, haben eini­ge jüdi­sche Fami­li­en nach der Macht­er­grei­fung viel­leicht auch so lan­ge mit ihrer Aus­wan­de­rung gewar­tet, zu lan­ge, bis es zu spät war. Sie konn­ten sich wohl nicht vor­stel­len, dass drei Jahr­hun­der­te tie­fer fami­liä­rer Ver­wur­ze­lung in der Regi­on ein­fach kei­ne Rol­le mehr spiel­ten und sie vom Tod bedroht waren.“

Die Fami­li­en Haus­mann, Gerst und Mannheimer

Begon­nen hat Maria S. Beckers For­schungs­in­ter­es­se in die jüdi­sche Ver­gan­gen­heit der drei Orte nach einem Spa­zier­gang. „Im Som­mer 2019 ging ich mit mit einer Freun­din von der Uni in Dem­mels­dorf spa­zie­ren und ent­deck­te an zwei Gebäu­den Mesus­a­lö­cher.“ Bei einer Mesusa han­delt es sich um eine klei­ne Kap­sel, die in tra­di­tio­nel­len jüdi­schen Häu­sern an Tür- oder Fens­ter­rah­men ange­bracht ist und ein klei­nes hand­ge­schrie­be­nes Per­ga­ment ent­hält, auf dem ein Bibel­zi­tat steht. Befes­tigt wer­den die Kap­seln unter ande­rem mit Schrau­ben, die ent­spre­chend Schrau­ben­lö­cher nötig machen.

„Als ich die­se Löcher in den Tür­pfos­ten von zwei gegen­über­lie­gen­den Häu­sern sah, wur­de ich neu­gie­rig und woll­te mehr wis­sen.“ So fing Frau Becker an, sich in ver­schie­de­nen Archi­ven über die­se Häu­ser und ihre frü­he­ren jüdi­schen Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner zu infor­mie­ren. Auch frag­te sie Leu­te aus den Orten nach der Ver­gan­gen­heit. „Dabei bin ich aller­dings oft auf Ableh­nung gesto­ßen. So wur­de mir bei einer Nach­fra­ge der Satz hin­ge­knallt: Ach, las­sen sie mich bloß mit den Juden in Ruhe.“

Trotz­dem gelang es ihr anhand der gefun­de­nen Infor­ma­tio­nen, ein immer genaue­res Bild der frü­he­ren jüdi­schen Bevöl­ke­rung der „ZeDeSch“-Orte zu zeich­nen. In ihren Vor­trä­gen ver­deut­licht sie die­se anhand von Familiengeschichten.

So leb­te in Zecken­dorf etwa die Fami­lie Haus­mann. Seit mehr als drei Jahr­hun­der­ten war sie dort ansäs­sig gewe­sen. Ihre letz­ten Ver­tre­ter waren Semi und Kathie Haus­mann und ihre bei­den Kin­der Bert­hold und Lud­wig. Semi starb 1940 in St. Getreu in Bam­berg, Mut­ter Kathie und die Söh­ne, die zu die­sem Zeit­punkt 17 und 13 Jah­re alt waren, wur­den in der Shoa ermordet.

Auch die Fami­lie Gerst war jahr­hun­der­te­lang in Zecken­dorf ansäs­sig. Wie vie­le ande­re jüdi­sche Fami­li­en besaß sie ein Anwe­sen, ein Wald­stück und Län­de­rei­en und präg­te den Ort ent­spre­chend. „Heu­te erin­nert in Zecken­dorf jedoch nichts mehr an das weit ver­zweig­te Fami­li­en­le­ben der Gersts“, sagt Maria S. Becker.

Die Fami­lie Mann­hei­mer, auf die Frau Beckers Vor­trä­ge eben­falls ein­ge­hen, wohn­te in Dem­mels­dorf und war im Vieh­han­del tätig. Vater Max und Mut­ter Mar­ta hat­ten eben­falls zwei Kin­der, Tru­de und Wal­ter. Aus einem Zeit­zeu­gen­be­richt geht her­vor, dass Max Mann­hei­mer in der Pogrom­nacht 1938 gezwun­gen wur­de, die Tora­rol­len der Dem­mels­dor­fer Syn­ago­ge auf sei­nem Pfer­de­wa­gen auf den Acker sei­nes Schwie­ger­va­ters zu fah­ren, um sie dort zu ver­bren­nen. Weni­ge Jah­re danach wur­de auch die Fami­lie Mann­hei­mer in der Shoa ermordet.

So riss die Dik­ta­tur nach und nach die jüdi­sche Bevöl­ke­rung aus dem Leben der drei Orte. Im Rah­men eines der Vor­trä­ge kam eine Zeit­zeu­gin auf Frau Becker zu und berich­te­te von einem Vor­fall, der womög­lich sogar den Abschluss die­ser soge­nann­ten Säu­be­run­gen durch die Nazis in Zecken­dorf mar­kier­te. „Sie, die damals Kind war, erzähl­te wie, wahr­schein­lich im Jahr 1942 vor der Bäcke­rei Schmit­tin­ger, die es heu­te noch gibt, ein LKW hielt, und die rest­li­chen Juden, die damals noch nicht aus­ge­wan­dert, weg­ge­zo­gen oder depor­tiert wor­den waren, abholte.“

Kurz­zei­ti­ge Rück­kehr nach „ZeDeSch“

Eini­ge Zeit spä­ter, nach Kriegs­en­de, ergab sich jedoch eine kurz­zei­ti­ge Situa­ti­on, in der wie­der Jüdin­nen und Juden in Scheß­litz und Zecken­dorf leb­ten. Denn 1946 rich­te­te die US-Armee zwei Kib­bu­zim ein, in denen Sho­a­über­le­ben­de aus dem Osten für eini­ge Mona­te eine Wohn­stät­te fan­den. „Dies geschah aus dem Grund, dass die Ame­ri­ka­ner fest­ge­stellt hat­ten, dass es in der Gegend vor der Dik­ta­tur vie­le Juden gege­ben hat­te. Sie nutz­ten die ehe­ma­li­gen jüdi­schen Anwe­sen zur Unter­brin­gung der Shoaüberlebenden.

Dort konn­ten sie sich Kom­pe­ten­zen in der Land­wirt­schaft aneig­nen, um für das neue Leben, das sie spä­ter wo auch immer begin­nen wür­den, gewapp­net zu sein.“ Denn blei­ben woll­ten die Über­le­ben­den im Land der Täter nicht. So wur­de im April 1948 erst der Scheß­lit­zer und im Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res der Zecken­dor­fer Kib­buz wie­der geschlos­sen. „Heu­te weiß in Zecken­dorf aber auch dar­über kaum jemand mehr etwas. Auch das möch­te ich ändern.“

Zusam­men­ar­beit mit der Mit­tel­schu­le Scheßlitz

Ein Vor­ha­ben, das bis­her nicht ohne Erfolg zu sein scheint. „Der Vor­trag in Zecken­dorf“, sagt Joa­chim Schön, „war mit mehr als 80 Leu­ten einer der best­be­such­ten Vor­trä­ge der VHS Bam­berg-Land in den letz­ten Jah­ren. Wir hat­ten mit etwa 20 gerech­net.“ Trotz wie­der­keh­ren­der Ableh­nung in der Bevöl­ke­rung sind Frau Becker und Herr Schön mit dem Anklang der Vor­trä­ge ent­spre­chend zufrie­den. „Es flutscht“, sagt Maria S. Becker, „die Infor­ma­tio­nen wer­den mehr und es mel­den sich immer wie­der Leu­te und geben uns wei­te­re Aus­künf­te. Es scheint ein Inter­es­se an unse­rer Arbeit da zu sein. Und“, fügt sie an, „wir bekom­men Spenden.“

Die­se finan­zi­el­len Zuwen­dun­gen wer­den Mit­te des Jah­res wich­tig. Dann pla­nen Becker und Schön in den drei Orten, etwa 30 Stol­per­stei­ne zu ver­le­gen. Dabei soll der drei erwähn­ten Fami­li­en Haus­mann, Gerst und Mann­hei­mer genau wie wei­te­ren ermor­de­ten Fami­li­en gedacht werden.

Für die­se Sicht­bar­ma­chung erhält das Pro­jekt „ZeDeSch“ zusätz­li­che Unter­stüt­zung von der Mit­tel­schu­le Scheß­litz. „Eine Leh­re­rin der Schu­le war bei einem mei­ner Vor­trä­ge und nahm Kon­takt auf“, sagt Frau Becker. „Nun arbei­te ich schon das gan­ze Schul­jahr mit Klas­sen und Lehr­kräf­ten der Schu­le zusam­men und jetzt wird sie sich an der Stol­per­stein-Ver­le­gung finan­zi­ell beteiligen.“

Ist die­ses Ziel erreicht, will Maria S. Becker die Arbeit am „ZeDeSch“-Projekt aller­dings been­den. „Die Recher­che ist psy­chisch sehr anstren­gend. Vie­le der Doku­men­te, die ich fin­de, geben detail­liert Aus­kunft über die Schick­sa­le der Depor­tier­ten und Ermor­de­ten, das ist für mich auf Dau­er nur schwer aus­zu­hal­ten. Aber bis dahin brin­gen wir etwas ans Licht und das ist gut für alle.“

Vor­trag Maria S. Becker:
Jüdi­sche Geschich­te in der Regi­on Bamberg

22. Febru­ar, 19 Uhr, Ste­phans­hof, Ste­phans­platz 5