Seit letztem Jahr versucht Maria S. Becker, der ehemaligen jüdischen Bevölkerung von Scheßlitz und seiner beiden Ortsteile Demmelsdorf und Zeckendorf anhand von
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In Zeckendorf, Demmelsdorf und Scheßlitz
Projekt „ZeDeSch“ endet mit Verlegung von Stolpersteinen
Seit letztem Jahr versucht Maria S. Becker, der ehemaligen jüdischen Bevölkerung von Scheßlitz und seiner beiden Ortsteile Demmelsdorf und Zeckendorf anhand von Vorträgen und Führungen Sichtbarkeit zu verleihen. Nun möchte sie das Erinnerungsprojekt „ZeDeSch“ mit der Verlegung von 32 Stolpersteinen abschließen und der Erinnerung gleichzeitig eine bisher fehlende jüdische Perspektive geben.
Stolpersteine gelten als das größte nichtzentrale Mahnmal der Welt. Die etwa zehn mal zehn mal zehn Zentimeter messenden Würfel wurden bereits einhunderttausendfach in Straßen und Gehwegen Deutschlands und zusätzlich in mehr als 30 Ländern Europas verlegt.
Allesamt gedenken sie Opfern des Nationalsozialismus. Oft findet man sie im Pflaster vor Wohnhäusern eingelassen, aus denen Menschen von der NS-Diktatur verschleppt wurden. Auf ihren messingbeschlagenen Oberseiten sind die Namen dieser Menschen, ihre Geburtsdaten und oft tödlichen Schicksale eingeprägt. Der Urheber der Stolpersteine und Initiator dieses Gedenkprojekts ist der Berliner Künstler Gunter Demnig, der 1992 den ersten Stein verlegte. In Zeckendorf, Demmelsdorf und Scheßlitz im nördlichen Bamberger Landkreis werden nun 32 weitere Stolpersteine zum europaweiten Mahnmal hinzukommen.
Sichtbarkeit für die ehemalige jüdische Bevölkerung
Eine große jüdische Gemeinde lebte bis in die 1940er Jahre hinein in Scheßlitz und seinen beiden Ortsteilen Demmelsdorf und Zeckendorf. Mit ihren Synagogen, einem Rabbinat und einer zeitweiligen jüdischen Bevölkerungsmehrheit handelte es sich um überregional bedeutsame jüdische Zentren.
Bis 1942 hatte die nationalsozialistische Diktatur alle Jüdinnen und Juden der drei Orte jedoch entweder ermordet oder zur Flucht gezwungen. Heute erinnern lediglich der Zeckendorfer jüdische Friedhof und ein in den 1990er Jahren aufgestellter Gedenkstein an der Straße zwischen Demmelsdorf und Zeckendorf an diese Menschen.
Dieses unzureichende Gedenken versucht die Pädagogin und Musikerin Maria S. Becker, seit einigen Jahren zu vergrößern. Begonnen hat sie – unter tätiger organisatorischer Mithilfe der VHS Bamberg Land und ihres Leiters Joachim Schön – im Jahr 2021. In diesem Jahr beging das ganze Land das Jubiläum „1700 Jahre jüdisches leben in Deutschland“.
Beim organisierenden, gleichnamigen Kölner Verein konnten sich Organisationen, Städte oder Kommunen damals um Förderung für entsprechende Projekte bewerben. So gelang es Becker, Rebekka Denz von der Universität Bamberg und der VHS-Bamberg Land, verschiedene Veranstaltungen, Konzerte oder Vorträge von Autoren wie Ronen Steinke oder Max Czollek in Bamberg auf die Beine zu stellen.
Als das „1700 Jahre“-Jahr vorbei war, wollten Becker und Schön darum aber nicht mit derartigen Veranstaltungen aufhören. „Also dachten wir“, sagt Maria S. Becker, „jetzt, wo wir so viel angestoßen haben, wollen wir auch Nachhaltigkeit. Diese ist gut, bei allem, was man tut, auch bei politischer und Aufklärungsarbeit.“
Projekt „ZeDeSch“
Also entwickelte Maria S. Becker weitere Vorträge und Führungen über die jüdische Geschichte Bambergs und des Landkreises. Diese Arbeit fand Anfang dieses Jahres einen vorläufigen Höhepunkt mit dem Projekt „ZeDeSch“. Akronymisiert steht der Name für Zeckendorf-Demmelsdorf-Scheßlitz, das Projekt für mehr beziehungsweise überhaupt Sichtbarkeit und Gedenken für die ehemalige jüdische Bevölkerung der drei Orte.
„Gerade im Rahmen des „1700 Jahre“-Jahres“, sagt Joachim Schön, „haben wir sehr viele Erkenntnisse darüber gewonnen, was für ein unglaublich reiches und starkes jüdisches Leben es in Bamberg und in vielen Orten des Landkreises gab. Dieses wurde dann aber ausgelöscht und heute fehlt die Erinnerung daran.“ In anderen Regionen des Landes ist man längst viel weiter im Gedenken an die Ermordeten oder Deportierten. „Wir in Bamberg und Umgebung haben da noch einiges nachzuholen.“
Also recherchierten Maria S. Becker und Joachim Schön, wo im Landkreis besonders viele Jüdinnen und Juden gelebt hatten. „Wir hätten zum Beispiel auch Aschbach südlich von Ebrach nehmen können“, sagt Becker. „Aber als ich eines Tages mit einer Freundin und ihrem Hund in Demmelsdorf spazieren ging und an einem Gebäude Mesusalöcher entdeckte, begann ich genauer hinzuschauen, wer dort früher lebte.“ Bei einer Mesusa handelt es sich um eine kleine Kapsel, die in traditionellen jüdischen Häusern an Tür- oder Fensterrahmen angebracht ist und ein kleines handgeschriebenes Pergament enthält, auf dem ein Bibelzitat steht. Befestigt werden die Kapseln unter anderem mit Schrauben, die entsprechend Schraubenlöcher nötig machen. Verbindungen an die Universität Bamberg und Einsicht in die Stadtarchive von Scheßlitz und Bamberg, in das Staatsarchiv Bamberg, das Arolsen Archiv oder in die Dokumentensammlung der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem gaben Maria S. Becker in der Folge Aufschluss über die früheren Bewohner:innen der Gebäude.

Tag der Verlegung am 14. Oktober
So entstanden für „ZeDeSch“ weitere Vorträge und Führungen – inklusive Spenden. Anhand dieser wird Becker das Projekt nun abschließen können und in den drei Orten Stolpersteine für 32 Menschen verlegen. Eine Möglichkeit, die allerdings nicht allen, die diese Steine verlegen wollen, zuteilwird. Denn zuerst muss man sich die Erlaubnis der jeweiligen Gemeinden einholen. „Gemeinden sind dazu nämlich nicht verpflichtet“, sagt Maria S. Becker, „und können Bedingungen stellen. Scheßlitz hat aber keine gestellt und sofort, in Person des Bürgermeisters Roland Kauper, zugestimmt. Das ist ein klares Statement.“
Dann gilt es, einen entsprechenden Antrag bei Gunter Demnig und seiner Stolperstein-Stiftung zu stellen und anhand zweifelsfrei recherchierter biografischer Daten die Identität derjenigen, derer mit den Steinen gedacht werden soll, zu beweisen. Und dann braucht man noch das richtige Timing. Denn auf der Homepage der Stiftung heißt es derzeit, dass vor 2025 keine weiteren Verlegungen möglich sind. Der Grund ist: Demnig lässt es sich trotz seiner mittlerweile 77 Jahre nicht nehmen, bei Erstverlegungen die Steine selbst in den Boden einzusetzen.
Maria S. Becker, ausgestattet mit allen nötigen Informationen, und Gunter Demnig waren sich aber rechtzeitig einig. „Ende August hat er die Steine nun hergestellt“, sagt sie, „und bringt sie am Tag der Verlegung mit. Der Termin dafür ist der 14. Oktober.“
Ablauf in Würde
Der Beginn der Stolpersteinverlegung ist für 9 Uhr in Scheßlitz geplant. In der Woche zuvor wird das Straßenbauamt bereits die nötigen Löcher ins Pflaster des Gehwegs vor der Hauptstraße 1 gehämmert haben. Dann kann der angereiste Gunter Demnig die ersten Steine des Tages einfügen. Diese werden Kathi, Ludwig, Berthold-Karl und Semi Hausmann, die 1940 ermordet wurden, gewidmet sein.
Weitere Stolpersteine erhalten im Lauf des Vormittags die Familie Rollmann, ebenfalls aus Scheßlitz, die Familien Wurzinger, Mannheimer, Heimann und Berg aus Demmelsdorf sowie die Familien Gerst, Rosenbaum und Hausmann aus Zeckendorf.
Die Zahl von 32 Steinen entspricht aber natürlich nicht annähernd der Anzahl an Juden und Jüdinnen, die in den 1940er Jahren aus den drei Orten vertrieben und verschleppt wurden. Darum hat sich Maria S. Becker auf Personen konzentriert, von denen sie in ihrer Recherchearbeit nachweisen konnte, dass ihre Familien teilweise bereits seit hunderten Jahren dort gewohnt hatten, aber heute im allgemeinen Gedächtnis der dortigen Bevölkerung nicht mehr präsent sind. „Wenn man mit der Bevölkerung spricht, tauchen ihre Namen nicht auf und sind in Vergessenheit geraten. Ich wollte Leute ans Licht holen, an die sich trotz ihrer Verwurzelung, niemand mehr erinnert.“
Um 12 Uhr des 14. Oktobers soll eine Gedenkfeier im Zeckendorfer Gemeindehaus den offiziellen Teil der Verlegung beschließen. Eingeladen sind unter anderem Vertreter:innen jüdischer Gemeinden, der Historiker Andreas Ulmann, der in Bamberg selbst bereits Stolpersteinverlegungen initiiert hat, Landrat Johann Kalb, Bayerns Antisemitismus-Beauftragter Ludwig Spaenle und Patrick Nitzsche, in gleicher Funktion für die Stadt Bamberg tätig. Wer möchte, kann sich später um 13 Uhr außerdem zu einem Empfang in der Mittelschule Scheßlitz einfinden.
Damit bei diesem eng getakteten Ablauf aber nicht die nötige Würde und Feierlichkeit zu kurz kommt, fügen Maria S. Becker und Joachim Schön jeder Station der Verlegung einen kulturellen Rahmen hinzu. Zu jeder der 32 Personen werden Daten genannt und bei manchen auch Fotografien gezeigt, außerdem gestalten Schüler:innen der Musikschule Stadt und Land, der Chor der Scheßlitzer Mittelschule und Studentinnen der Universität Bamberg die Verlegung mit. Susanne Talabardon und Keren Presente von der Judaistik der Universität Bamberg und Frau Becker werden ihrerseits Musik beisteuern, genau wie Michael Hamann, Mitglied der Bamberger Symphoniker. Und ansonsten sagt Becker: „Der Ablauf klappt, ich kann gut organisieren.“

Unangenehme Wahrheiten
Bei der Gedenkfeier hat Maria S. Becker zudem vor, eine Rede zu halten und ein paar unangenehme Wahrheiten anzusprechen. Dabei möchte sie näher auf den bereits erwähnten Umstand der Vergessenheit eingehen, in die die ehemaligen jüdischen Bürger:innen der „ZeDeSch“-Orte geraten sind. Beziehungsweise auf die völlig fehlende jüdische Perspektive in Erzählungen über das Zusammenleben von jüdischen und nicht-jüdischen Bevölkerungsteilen während der Zeiten vor und nach der Naziherrschaft. Denn 1946 war es aufgrund der großen jüdischen Vorkriegsgemeinden dazu gekommen, dass in Scheßlitz und Zeckendorf kurzzeitig wieder Jüdinnen und Juden lebten. Denn die US-Armee hatte zwei Kibbuzim eingerichtet, in denen Shoaüberlebende aus dem Osten für einige Monate eine Wohnstätte fanden.
„Bei Begehungen für die Verlegung der Stolpersteine sprach ich mit verschiedenen Leuten aus den drei Orten, auch mit Zeitzeugen“, sagt Maria S. Becker über diese Zeiten von vor mehr als 80 Jahren. „Dabei hatte ich oft den Eindruck, dass die Fakten, die sie mir vermittelten, einst aus der Täterperspektive heraus entstanden sein müssen. Natürlich kann es nicht anders sein, aber in diesen Berichten gab es keine jüdische Perspektive mehr.“
So sei ihr immer wieder erzählt worden, wie harmonisch das Zusammenleben der beiden Bevölkerungsgruppen in der Zeit vor den Nazis stets gewesen sei. Dies habe sich bei ihren Recherchen zwar durchaus auch ein ums andere Mal wieder bewahrheitet. Gleichzeitig stieß Becker aber auch immer wieder auf Hinweise auf antisemitische Diskriminierung oder Übergriffe. Zwischenfälle, die über die Jahrzehnte aber in Vergessenheit gerieten und die sich in den heutigen Erzählungen über jene Zeiten entsprechend nicht gehalten haben. „Die örtliche Gesellschaft hat sich auf eine Art und Weise entwickelt, dass eigene Erzählungen entstanden sind, weil es eben keine Gegenstimmen mehr gab. Das ist nur logisch, aber das sind eben auch die Erzählungen, die heute gelten. Was mir in meiner Arbeit und in den Begegnungen also nochmal deutlich aufgefallen ist: Wir brauchen einen komplett anderen Blick auf diese Geschichten und zwar einen jüdischen.“
Ein Unterfangen, bei dem Maria S. Becker aber auch die jüdische Seite in die Pflicht nehmen will. „Als ich Anfang des Jahres für die „ZeDeSch“-Vorträge recherchierte, hatte ich noch nicht den klaren Überblick wie heute, ich sammelte noch. Heute sage ich aber, und da fordere ich auch die jüdische Community auf: Man hat sich zu sehr angepasst, es muss mehr Klartext geredet werden.“
Allerdings fügt Joachim Schön an, dass dieser Klartext in Beckers Vorträgen bereits durchaus den Ton bestimmt – und nicht ohne Erfolg. „Die Vorträge und Führungen in Demmelsdorf und Zeckendorf gehören zu den bestbesuchtesten Veranstaltungen, die wir im letzten VHS-Semester hatten. Teilweise nahmen 100 Leute teil. Dieser Zuspruch könnte zwar auch im Bereich eines Wohlfühlgedenkens liegen, aber Interesse ist da. Und da kann man die Leute auch mal konfrontieren.“
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Zeckendorf, Demmelsdorf und Scheßlitz
Projekt „ZeDeSch“: Sichtbarkeit für die frühere jüdische Bevölkerung
Die Pädagogin und Musikerin Maria S. Becker hat in den letzten Jahren unter Mithilfe der VHS Bamberg-Land zur früheren jüdischen Bevölkerung Zeckendorfs, Demmelsdorfs und Scheßlitz‘ recherchiert. Mit diesem Projekt, dem sie den Namen „ZeDeSch“ gegeben hat, möchte sie die Erinnerung an die Ermordeten sichtbar machen.
In der Stadt Scheßlitz, gelegen im nördlichen Bamberger Landkreis, lebte bis in die 1940er Jahre hinein eine große jüdische Gemeinde. Vor allem die beiden Ortsteile Demmelsdorf und Zeckendorf galten mit ihren Synagogen, einem Rabbinat und einer zeitweiligen jüdischen Bevölkerungsmehrheit als überregional bedeutsame jüdische Zentren.
Die Nazidiktatur sorgte jedoch dafür, dass bis 1945 alle Jüdinnen und Juden der drei Orte entweder ermordet oder zur Flucht gezwungen worden waren. Heute erinnern lediglich der Zeckendorfer jüdische Friedhof und ein in den 1990er Jahren aufgestellter Gedenkstein an der Straße zwischen Demmelsdorf und Zeckendorf an diese Menschen.
Ein Gedenken, das die Pädagogin und Musikerin Maria S. Becker unzureichend findet und derzeit zu erweitern versucht. So forscht und recherchiert sie seit einiger Zeit unter anderem in den Stadtarchiven Scheßlitz‘ und Bambergs, genau wie im Staatsarchiv Bamberg oder der Dokumentensammlung der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zur früheren jüdischen Bevölkerung der drei Orte. „Als regionales Zeugnis des ehemaligen jüdischen Lebens dient bisher gängigerweise der Zeckendorfer Friedhof“, sagt sie. „Es gab aber auch ein jüdisches Leben vor der Shoa in den drei Orten, das leider im Bewusstsein der Leute vor Ort kaum präsent ist. Obwohl es dazu einige Veröffentlichungen gibt.“
Mehr Sichtbarkeit möchte Maria S. Becker dem früheren jüdischen Leben in Scheßlitz, Demmelsdorf und Zeckendorf, akronymisiert „ZeDeSch“, verleihen. „Sichtbarmachung, auch wenn dies sowohl für Opfer als auch Täter unangenehm ist, wäre vielleicht ein Anfang auf dem Weg zur Heilung. Wobei Heilung das falsche Wort ist. Zu schön klingt der Begriff, aber er geht zumindest in die richtige Richtung. Das frühere jüdische Leben muss ans Licht geholt werden, auch aus Schutz vor Wiederholung. Dafür das zu verhindern, tragen wir Nachgeborenen die Verantwortung.“

Zusammenarbeit mit der VHS Bamberg-Land
Unterstützung erhält Frau Becker von der VHS Bamberg-Land, namentlich von ihrem Leiter Joachim Schön. „Entstanden ist das „ZeDeSch“-Projekt“, sagt Joachim Schön, „als wir 2021 „1700 Jahre jüdisches leben in Deutschland“ begingen. Damals ergab sich eine Art Initiation, sich mit jüdischen Themen im Landkreis zu beschäftigen. Und gerade durch die Recherche von Maria wurde uns bei der VHS klar, auch wenn es eigentlich schon vorher relativ offensichtlich war, wie wenig diese Themen bisher, gerade im nördlichen Landkreis, aufgearbeitet worden waren.“
Also entschied sich die VHS, Frau Becker und ihre Recherche mit einem institutionellen Rahmen zu unterstützen. So kann sie die gewonnenen Informationen immer wieder in Vorträgen vorstellen, die sie online, in der Region und in den drei Orten hält. Auch die Judaistik der Bamberger Universität und die Mittelschule Scheßlitz sind eingebunden.
Neben dem Ziel, die Ermordeten und Vertriebenen in den Vorträgen für heutige Generationen sichtbar zu machen und in Erinnerung zu halten, soll das Projekt außerdem in einer für Oktober geplanten Verlegung von Stolpersteinen in den drei Orten münden. „Und ein weiteres Ziel unserer Arbeit wäre“, sagt Frau Becker, „dass sich der Landkreis Gelder beschafft und eine Forschungsstelle zur ehemaligen jüdischen Bevölkerung einrichtet. Die Region hinkt im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland was das angeht hinterher. Aber das ist Zukunftsmusik.“
„156 Seelen und 166 Juden“
Begonnen hat der jüdische Zuzug nach Zeckendorf, Demmelsdorf und Scheßlitz etwa im 17. Jahrhundert. Wobei, wie so oft in der jüdischen Geschichte, Freiwilligkeit oder Bewegungsfreiheit dabei kaum eine Rolle spielten. „Der Grund waren unter anderem Vertreibungen aus den Städten und entsprechende Ansiedlungen auf dem Land. Die Leute schauten, wohin sie gehen konnten, beziehungsweise welche Landesherren ihnen Schutz gewähren würden. Bis ins 18. Jahrhundert hinein konnten Juden sich nur schwer ihren Ansiedlungsort aussuchen. Das änderte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts.“
Von Zeckendorf aus breitete sich die jüdische Bevölkerung in die anderen beiden Orte aus. So gab es jeweils eine jüdische Schule und eine Synagoge in Zeckendorf und eine Schule und Synagoge in Demmelsdorf. Aus der 1833 erschienenen „Geographischen Beschreibung des Erzbisthums Bamberg“ von Joseph Anton Eisenmann geht zudem hervor, dass in Zeckendorf mehr Juden als Christen, beziehungsweise, wie es in den Dokumenten heißt, 156 Seelen und 166 Juden, lebten. Fast überflüssig zu sagen, dass in anderen Dokumenten Beschwerden der Minderheit über diese Bevölkerungsverteilung festgehalten sind.
Über die Jahrhunderte entwickelte sich jedoch ein gemeinschaftliches Zusammenleben zwischen Christen und Juden. So findet man etwa in Zeckendorfer Gemeinderechnungen von 1700 die Vergütung des Juden Seligman, der die Gemeinde im Prozess gegen einen Müller in Bamberg vertritt. Oder 1912 saßen im Gemeinderat von Zeckendorf zwei Juden, Samuel Rosenbaum und Karl Heimann. Samuel Rosenbaum wurde später in der Shoa ermordet. „Diese Dokumente zeigen“, sagt Joachim Schön, „dass die Beziehungen zwischen den Juden und Christen in den drei Orten ganz gut waren. Aus diesem Grund, so könnte man annehmen, haben einige jüdische Familien nach der Machtergreifung vielleicht auch so lange mit ihrer Auswanderung gewartet, zu lange, bis es zu spät war. Sie konnten sich wohl nicht vorstellen, dass drei Jahrhunderte tiefer familiärer Verwurzelung in der Region einfach keine Rolle mehr spielten und sie vom Tod bedroht waren.“
Die Familien Hausmann, Gerst und Mannheimer
Begonnen hat Maria S. Beckers Forschungsinteresse in die jüdische Vergangenheit der drei Orte nach einem Spaziergang. „Im Sommer 2019 ging ich mit mit einer Freundin von der Uni in Demmelsdorf spazieren und entdeckte an zwei Gebäuden Mesusalöcher.“ Bei einer Mesusa handelt es sich um eine kleine Kapsel, die in traditionellen jüdischen Häusern an Tür- oder Fensterrahmen angebracht ist und ein kleines handgeschriebenes Pergament enthält, auf dem ein Bibelzitat steht. Befestigt werden die Kapseln unter anderem mit Schrauben, die entsprechend Schraubenlöcher nötig machen.
„Als ich diese Löcher in den Türpfosten von zwei gegenüberliegenden Häusern sah, wurde ich neugierig und wollte mehr wissen.“ So fing Frau Becker an, sich in verschiedenen Archiven über diese Häuser und ihre früheren jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner zu informieren. Auch fragte sie Leute aus den Orten nach der Vergangenheit. „Dabei bin ich allerdings oft auf Ablehnung gestoßen. So wurde mir bei einer Nachfrage der Satz hingeknallt: Ach, lassen sie mich bloß mit den Juden in Ruhe.“
Trotzdem gelang es ihr anhand der gefundenen Informationen, ein immer genaueres Bild der früheren jüdischen Bevölkerung der „ZeDeSch“-Orte zu zeichnen. In ihren Vorträgen verdeutlicht sie diese anhand von Familiengeschichten.
So lebte in Zeckendorf etwa die Familie Hausmann. Seit mehr als drei Jahrhunderten war sie dort ansässig gewesen. Ihre letzten Vertreter waren Semi und Kathie Hausmann und ihre beiden Kinder Berthold und Ludwig. Semi starb 1940 in St. Getreu in Bamberg, Mutter Kathie und die Söhne, die zu diesem Zeitpunkt 17 und 13 Jahre alt waren, wurden in der Shoa ermordet.
Auch die Familie Gerst war jahrhundertelang in Zeckendorf ansässig. Wie viele andere jüdische Familien besaß sie ein Anwesen, ein Waldstück und Ländereien und prägte den Ort entsprechend. „Heute erinnert in Zeckendorf jedoch nichts mehr an das weit verzweigte Familienleben der Gersts“, sagt Maria S. Becker.
Die Familie Mannheimer, auf die Frau Beckers Vorträge ebenfalls eingehen, wohnte in Demmelsdorf und war im Viehhandel tätig. Vater Max und Mutter Marta hatten ebenfalls zwei Kinder, Trude und Walter. Aus einem Zeitzeugenbericht geht hervor, dass Max Mannheimer in der Pogromnacht 1938 gezwungen wurde, die Torarollen der Demmelsdorfer Synagoge auf seinem Pferdewagen auf den Acker seines Schwiegervaters zu fahren, um sie dort zu verbrennen. Wenige Jahre danach wurde auch die Familie Mannheimer in der Shoa ermordet.
So riss die Diktatur nach und nach die jüdische Bevölkerung aus dem Leben der drei Orte. Im Rahmen eines der Vorträge kam eine Zeitzeugin auf Frau Becker zu und berichtete von einem Vorfall, der womöglich sogar den Abschluss dieser sogenannten Säuberungen durch die Nazis in Zeckendorf markierte. „Sie, die damals Kind war, erzählte wie, wahrscheinlich im Jahr 1942 vor der Bäckerei Schmittinger, die es heute noch gibt, ein LKW hielt, und die restlichen Juden, die damals noch nicht ausgewandert, weggezogen oder deportiert worden waren, abholte.“
Kurzzeitige Rückkehr nach „ZeDeSch“
Einige Zeit später, nach Kriegsende, ergab sich jedoch eine kurzzeitige Situation, in der wieder Jüdinnen und Juden in Scheßlitz und Zeckendorf lebten. Denn 1946 richtete die US-Armee zwei Kibbuzim ein, in denen Shoaüberlebende aus dem Osten für einige Monate eine Wohnstätte fanden. „Dies geschah aus dem Grund, dass die Amerikaner festgestellt hatten, dass es in der Gegend vor der Diktatur viele Juden gegeben hatte. Sie nutzten die ehemaligen jüdischen Anwesen zur Unterbringung der Shoaüberlebenden.
Dort konnten sie sich Kompetenzen in der Landwirtschaft aneignen, um für das neue Leben, das sie später wo auch immer beginnen würden, gewappnet zu sein.“ Denn bleiben wollten die Überlebenden im Land der Täter nicht. So wurde im April 1948 erst der Scheßlitzer und im September desselben Jahres der Zeckendorfer Kibbuz wieder geschlossen. „Heute weiß in Zeckendorf aber auch darüber kaum jemand mehr etwas. Auch das möchte ich ändern.“
Zusammenarbeit mit der Mittelschule Scheßlitz
Ein Vorhaben, das bisher nicht ohne Erfolg zu sein scheint. „Der Vortrag in Zeckendorf“, sagt Joachim Schön, „war mit mehr als 80 Leuten einer der bestbesuchten Vorträge der VHS Bamberg-Land in den letzten Jahren. Wir hatten mit etwa 20 gerechnet.“ Trotz wiederkehrender Ablehnung in der Bevölkerung sind Frau Becker und Herr Schön mit dem Anklang der Vorträge entsprechend zufrieden. „Es flutscht“, sagt Maria S. Becker, „die Informationen werden mehr und es melden sich immer wieder Leute und geben uns weitere Auskünfte. Es scheint ein Interesse an unserer Arbeit da zu sein. Und“, fügt sie an, „wir bekommen Spenden.“
Diese finanziellen Zuwendungen werden Mitte des Jahres wichtig. Dann planen Becker und Schön in den drei Orten, etwa 30 Stolpersteine zu verlegen. Dabei soll der drei erwähnten Familien Hausmann, Gerst und Mannheimer genau wie weiteren ermordeten Familien gedacht werden.
Für diese Sichtbarmachung erhält das Projekt „ZeDeSch“ zusätzliche Unterstützung von der Mittelschule Scheßlitz. „Eine Lehrerin der Schule war bei einem meiner Vorträge und nahm Kontakt auf“, sagt Frau Becker. „Nun arbeite ich schon das ganze Schuljahr mit Klassen und Lehrkräften der Schule zusammen und jetzt wird sie sich an der Stolperstein-Verlegung finanziell beteiligen.“
Ist dieses Ziel erreicht, will Maria S. Becker die Arbeit am „ZeDeSch“-Projekt allerdings beenden. „Die Recherche ist psychisch sehr anstrengend. Viele der Dokumente, die ich finde, geben detailliert Auskunft über die Schicksale der Deportierten und Ermordeten, das ist für mich auf Dauer nur schwer auszuhalten. Aber bis dahin bringen wir etwas ans Licht und das ist gut für alle.“
Vortrag Maria S. Becker:
Jüdische Geschichte in der Region Bamberg
22. Februar, 19 Uhr, Stephanshof, Stephansplatz 5