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Zeitgenössische Musik

“Wir wer­den mas­siv Klang in die Kir­che setzen”

“infer­NO!” von nonoise

Für das neu­es­te Werk sei­nes Ensem­bles nonoi­se hat sich Kom­po­nist Jochen Neu­r­a­th der “Gött­li­chen Komö­die” von Dan­te Ali­ghie­ri (1265 bis 1321) ange­nom­men. Der Todes­tag des ita­lie­ni­schen Dich­ters jährt sich 2021 zum 700. Mal. Zusam­men mit neun Dar­stel­le­rin­nen und Dar­stel­lern und sie­ben Mit­glie­dern des Posau­nen­chors von St. Ste­phan prä­sen­tiert nonoi­se am 8. und 9. Okto­ber in St. Otto eine gewohnt unge­wöhn­li­che musi­ka­lisch-zeit­ge­nös­si­sche Bear­bei­tung von Dan­tes Beschrei­bung der Jen­seits­rei­se durch Höl­le, Fege­feu­er und Para­dies. Wir haben Jochen Neu­r­a­th interviewt.
Herr Neu­r­a­th, war­um haben Sie für Ihre jüngs­te Kom­po­si­ti­on von nonoi­se “Die Gött­li­che Komö­die” von Dan­te Ali­ghie­ri zur Grund­la­ge genommen?

Jochen Neu­r­a­th: Ein­mal gibt es einen äußer­li­chen Anlass, sich dem Werk zu wid­men, denn 2021 jährt sich Dan­tes Todes­tag zum 700. Mal. Ich fin­de aller­dings, dass die­ses Datum – zumin­dest in Deutsch­land – öffent­lich rela­tiv wenig Wider­hall fin­det. Das macht es für mich aber umso inter­es­san­ter. “Die gött­li­che Komö­die” ist Dan­tes Haupt­werk, das Werk, das ihn berühmt gemacht hat und einen sehr frü­hen Gip­fel der euro­päi­schen Lite­ra­tur dar­stellt. Die Fas­zi­na­ti­on die­ses Gedichts liegt nicht nur ein­fach in sei­nen Beschrei­bun­gen dras­ti­scher Höl­len­stra­fen und des Infer­nos, son­dern auch in dem unglaub­lich stren­gen for­ma­len Auf­bau. Das gesam­te Gedicht ist in drei Tei­le geglie­dert – Höl­le, Fege­feu­er und Para­dies –, die wie­der­um in Grup­pen von drei Tei­len auf­ge­baut sind, von denen jeder wie­der­um 33 Ein­zel­tei­le, bezie­hungs­wei­se Ein­zel­ge­sän­ge, hat. Ich glau­be, ohne die­se Glie­de­rung wäre das Gedicht ledig­lich ein inter­es­san­ter lite­ra­ri­scher Bei­trag aus dem spä­ten Mit­tel­al­ter, den nur die Lite­ra­tur­wis­sen­schaft kennt. Durch die­se Struk­tur und die sehr zen­tra­le Rol­le der Zahl 3 wird der Text auch als Grund­la­ge für eine musi­ka­li­sche Kom­po­si­ti­on von nonoi­se reiz­voll. Für das Stück haben wir den Auf­bau in sehr vie­le Aspek­te ein­ge­hen las­sen. Das Stück besteht auch aus drei Tei­len, die sich an der Struk­tur des Tex­tes ori­en­tie­ren. Die Zahl 3 kommt immer wie­der vor: Wir haben neun, also drei mal drei, Dar­stel­le­rin­nen und Dar­stel­ler, und bestimm­te Din­ge pas­sie­ren genau dreimal.

Wie stellt man die Höl­le musi­ka­lisch dar?

Jochen Neu­r­a­th: Der Höl­le und dem Fege­feu­er habe ich Dis­so­nan­zen und 12-Ton-Rei­hen zuge­ord­net, dem Para­dies Kon­so­nan­zen bis hin zum har­mo­ni­schen Drei­klang. Es geht uns aber eigent­lich nicht um die kon­kre­te Dar­stel­lung von Höl­le oder Para­dies. Im Grun­de ist es eine musi­ka­li­sche Fan­ta­sie und Medi­ta­ti­on über die “Gött­li­che Komö­die”. Und hier kommt ein ganz zen­tra­ler Punkt zum Tra­gen: So sehr ich das Stück als Lite­ra­tur bewun­de­re, so sehr habe ich an einem bestimm­ten Punkt Schwie­rig­kei­ten. Denn Dan­te maßt sich an, sozu­sa­gen an Got­tes Stel­le, ver­schie­de­ne Per­so­nen der Höl­le, dem Fege­feu­er und dem Para­dies zuzu­tei­len. Die­se Lust am Bestra­fen und Ver­ur­tei­len tei­le ich nicht. So kommt auch der Titel zustan­de, bei dem wir das “no” von “Infer­no” groß schrei­ben. Wir neh­men also auch eine kri­ti­sche Hal­tung zum Begriff der Sün­de ein, die bestraft wer­den müss­te. Aber auch wenn wir in der Höl­le Dis­so­nan­zen haben und die Dar­stel­ler etwas Nega­ti­ves aus­drü­cken, ist es eher all­ge­mein mensch­lich gedacht und nicht in dem Sin­ne, dass wir die Ewig­keit der Höl­len­stra­fe dar­stel­len. Umge­kehrt sind im Para­dies sehr posi­ti­ve Zustän­de dar­ge­stellt, aber eben auf rein mensch­li­cher Ebe­ne – nicht im Him­mel mit Engeln mit Harfe.

Mit wel­chen Wor­ten haben Sie zu Beginn der Pro­ben die­se, Ihre Absich­ten mit der “Gött­li­chen Komö­die” Ihrem Ensem­ble beschrieben?

Jochen Neu­r­a­th: Tat­säch­lich haben wir nicht mit dem Inhalt­li­chen ange­fan­gen, son­dern mit einer ganz ande­ren Her­aus­for­de­rung. Es gibt bei nonoi­se sehr ver­schie­de­ne Aspek­te, von denen wir aus­ge­hen. Das ist ein­mal die lite­ra­ri­sche Vor­la­ge, ande­rer­seits die Men­schen, die mit­wir­ken und drit­tens der Raum, in die­sem Fall die St.-Otto-Kirche, in dem wir spie­len. Der Innen­raum die­ser Kir­che ist sehr groß. Die Her­aus­for­de­rung zu Beginn der Pro­ben war: Wie fül­len wir die­sen Raum? Das war der Ansatz des Stücks. Erst­mal muss­ten wir den Raum erobern. Wie muss sich das Ensem­ble bewe­gen, wie das Stück klin­gen, damit sie in die­sem Rie­sen­raum wahr­nehm­bar sind?

Ist das Stück somit auf die räum­li­chen Vor­rau­set­zun­gen der Kir­che zugeschnitten?

Jochen Neu­r­a­th: Ja. Das Stück wäre in sei­ner jet­zi­gen Form nie ent­stan­den, wenn es nicht in der Otto-Kir­che ent­stan­den wäre. Beim Kom­po­nie­ren saß ich sehr oft in der Kir­che und habe mir ver­sucht vor­zu­stel­len, was ich dort sehen und hören möch­te und wel­che Klän­ge ich emp­fin­de, wenn ich in der Kir­che bin. Vie­le archi­tek­to­ni­sche Details der Kir­che, ihre Grö­ße und Atmo­sphä­re, sind mit­ein­be­zo­gen und flie­ßen ins Stück ein. Ihre Akus­tik ist sehr spe­zi­ell. Der Nach­hall ist zum Bei­spiel sehr lang. Für Klän­ge, die im Raum ver­schwe­ben sol­len, ist das wun­der­bar, aber für die Spra­che – klei­ne Aus­schnit­te aus Dan­tes Text ver­wen­den wir im Stück auch – ist es eine gro­ße Herausforderung.

Mit “Infer­NO!” gehen Sie nach Fried­rich Höl­der­lin und Frie­de­ri­ke May­rö­cker zum drit­ten Mal auf das Werk einer Schrift­stel­le­rin bezie­hungs­wei­se eines Schrif­stel­lers ein. Gibt es Din­ge, die Sie musi­ka­lisch mit den ers­ten Bei­den nicht, aber mit Dan­te schon aus­drü­cken können?

Jochen Neu­r­a­th: Ich den­ke schon. Zum Bei­spiel die Grö­ße des The­mas hat das Ensem­ble und mich durch­aus zu künst­le­ri­schen Äuße­run­gen und Ele­men­ten inspi­riert, auf die ich vor­her wahr­schein­lich nicht gekom­men wäre. Die Klang­lich­keit ist sehr viel grö­ßer und mas­si­ver. Ich höre eini­ge Leu­te schon sagen “aber euer Ensem­ble heißt doch nonoi­se”, also “kein Geräusch”. Aber wir wer­den dies­mal schon mas­siv Klang in die Kir­che setzen.

Auch wenn Dan­tes 700. Todes­tag öffent­lich nur wenig began­gen wird, scheint “Die gött­li­che Komö­die” die Jahr­hun­der­te über­lebt zu haben. Wor­in besteht die Zeit­lo­sig­keit des Textes?

Jochen Neu­r­a­th: Ich weiß nicht, ob man wirk­lich von Zeit­lo­sig­keit spre­chen kann. Rela­tiv bald nach ihrem Erschei­nen, etwa ab 1400, geriet die “Gött­li­che Komö­die” in Ver­ges­sen­heit. Erst im Zuge der euro­päi­schen Auf­klä­rung im 18. Jahr­hun­dert trat Dan­te wie­der ins Bewusst­sein. Aus die­ser Zeit datie­ren auch die ers­ten Über­set­zun­gen in ande­re Spra­chen. Aber anschei­nend hat gera­de die ver­zwei­fel­te und sinn­ent­leer­te Lage, die Dan­te sei­nen Gestor­be­nen in der Höl­le zumu­tet, in der Lite­ra­tur des 20. Jahr­hun­derts viel Wider­hall gefun­den. Bei Samu­el Beckett zum Bei­spiel, der in unse­rer heu­ti­gen Exis­tenz eine ähn­li­che Sinn­lee­re wie in Dan­tes Höl­le vermutet.

In den Tex­ten Becketts wer­den dem Publi­kum kaum Mög­lich­kei­ten gege­ben, Sinn zu fin­den. Geben Sie dem Publi­kum Ver­ständ­nis­schlüs­sel der doch sehr abs­trakt anmu­ten­den nonoi­se-Bear­bei­tung an die Hand?

Jochen Neu­r­a­th: Wie gesagt ist “Infer­NO!” kei­ne Dar­stel­lung oder Abbil­dung bestimm­ter Sze­nen der “Gött­li­chen Komö­die”, son­dern eine musi­ka­li­sche Medi­ta­ti­on dar­über. Aber ich den­ke, wir geben dem Publi­kum vie­le Mög­lich­kei­ten, Asso­zia­ti­ons­li­ni­en zu fin­den und das Büh­nen­ge­sche­hen in ein inne­res Bild zu übersetzen.

Hat man mehr von dem Stück, wenn man die “Gött­li­che Komö­die” gele­sen hat?

Jochen Neu­r­a­th: Mit Sicher­heit ist das Lesen der “Gött­li­chen Komö­die” gene­rell ein gro­ßer Gewinn. Es gibt im Stück viel­leicht ein paar ein­zel­ne Ele­men­te, die vom Text inspi­riert sind, aber das grund­le­gen­de Wis­sen, wie der Text auf­ge­baut ist und was pas­siert, ist eigent­lich schon aus­rei­chend, um unser Stück genie­ßen zu können.

Was kön­nen die­je­ni­gen erfah­ren, die den Text nicht gele­sen haben?

Jochen Neu­r­a­th: Ich den­ke, die Gesamt­at­mo­sphä­re eines ernst­haf­ten Aus­ein­an­der­set­zens mit der End­lich­keit und mit den Fra­gen, was nach dem Tod kommt, ist auf jeden Fall spür­bar, auch wenn man den Text nicht gele­sen hat. Es geht um exis­ten­zi­el­le Fragen.

Wie es der Name schon andeu­tet, spielt bei der Musik von nonoi­se auch die Stil­le eine musi­ka­li­sche Rol­le. Wel­che ist es bei “Infer­NO!”?

Jochen Neu­r­a­th: Genau, die Stil­le ist bei nonoi­se immer zen­tral – so auch dies­mal. Sie wird manch­mal dadurch dar­ge­stellt, dass sich die Ensem­ble­mit­glie­der laut­los im Raum bewe­gen. Manch­mal ist sie auch ganz in ihrem Eigen­wert vor­han­den und ein Teil des Stücks. Ich sehe die Stil­le als eine wei­ße Lein­wand, auf die nach und nach die Far­ben und For­men unse­res musi­ka­li­schen Gemäl­des auf­ge­tra­gen werden.

Wel­che Rol­le wer­den Sie im Stück einnehmen?

Jochen Neu­r­a­th: Wäh­rend der Auf­füh­rung kei­ne. Wie bei den vor­he­ri­gen Stü­cken, bin ich auch hier nur Zuschauer.

Gibt es in der “Gött­li­chen Komö­die” eine Ent­spre­chung die­ser Rolle?

Jochen Neu­r­a­th: Dan­te wan­dert als Erzäh­ler des Tex­tes im Text mit ver­schie­de­nen Figu­ren durchs Jen­seits und beschreibt die Rei­se von außen. Die­se Rol­le habe ich sozu­sa­gen inne.

Sie spie­len das Stück zwei­mal. War­um nur so weni­ge Termine?

Jochen Neu­r­a­th: Weil die Otto-Kir­che rie­sig ist. Selbst mit Coro­na-Abstän­den haben wir etwa 120 Plät­ze zur Ver­fü­gung. Und außer­dem fin­de ich die Exklu­si­vi­tät, die ledig­lich zwei Auf­trit­te haben, gar nicht so schlecht.

Je abs­trak­ter ein Werk ist, umso schwie­ri­ger kann das Ver­ständ­nis des­sel­ben sein. Spie­gelt sich die­se Exklu­si­vi­tät in sei­ner Uner­gründ­lich­keit wider?

Jochen Neu­r­a­th: Nein, ich sehe die Exklu­si­vi­tät der Anzahl der Ter­mi­ne nicht im Sin­ne eines Aus­schlie­ßens, son­dern eher als etwas Beson­de­res. Ich ach­te als Kom­po­nist immer dar­auf, auch wenn ich Ele­men­te der Neu­en oder avant­gar­dis­ti­schen Musik benut­ze, dem Publi­kum klar zu machen, war­um es so klingt wie es klingt. Ich ver­su­che immer, das Publi­kum mit in die­se Welt zu neh­men, in der die­se Klän­ge mög­lich sind. Wenn das Publi­kum offen ist, das wahr­zu­neh­men, was es wahr­neh­men kann, und sich davon an die Hand neh­men lässt, hat es die Chan­ce, das Stück genie­ßen zu kön­nen und die inne­re Welt des Stücks sich ent­fal­ten zu sehen.

Ein Werk über eine Rei­se durch die Höl­le bie­tet zwangs­läu­fig ein gewis­ses Spek­ta­kel. Gilt das auch für “Infer­NO!”?

Jochen Neu­r­a­th: nonoi­se ver­sucht oft, sehr dezent mit sei­nen Mit­teln zu sein. Inner­halb die­ses Rah­mens kann man schon von einem Spek­ta­kel spre­chen. Wer aller­dings eine Light Show oder Pyro­tech­nik erwar­tet, wird ent­täuscht wer­den. Wenn man sich auf die lei­sen Töne ein­lässt und ihre Kraft auf sich wir­ken las­sen kann, wird es aber schon spektakulär.

nonoi­se
infer­NO!

8. und 9. Okto­ber
jeweils um 19.30
St. Otto Bamberg

www.nonoisemusic.de