KennerInnen klassischer Musik schauen in diesen Tagen voller Vorfreude nach Bamberg. Denn zwischen 7. und 15. Juli tragen die Bamberger Symphoniker zum siebten Mal den weltweit bestdotierten Dirigier-Wettbewerb „The Mahler Competition“ aus. Wir haben den Modus und die Bedeutung des Wettbewerbs näher betrachtet und mit Intendant Marcus Rudolf Axt über das diesjährige Repertoire und seinen Anspruch gesprochen.
Der Dirigier-Wettbewerb „The Mahler Competition“ dient der Förderung junger DirigentInnen mit Schwerpunkt auf den Werken von Gustav Mahler und internationaler zeitgenössischer Musik. Er wurde 2004 erstmals zu Ehren des Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler von den Bamberger Symphonikern und ihrem damaligen Chefdirigenten Jonathan Nott veranstaltet und findet seither alle drei Jahre statt. Gustav Mahlers Enkelin Marina Mahler ist die Schirmherrin und Ehrenmitglied der Jury.
Auf dem Programm stehen Kompositionen von Gustav Mahler, in diesem Jahr etwa die „Symphonie Nr. 7“, sowie andere klassische Werke wie Joseph Haydns „Symphonie Nr. 92“, „Sieben frühe Lieder“ von Alban Berg oder das „Konzert für Violine und Orchester in D“ von Igor Strawinski. Auch eine zeitgenössische Neuheit soll heuer im Wettbewerbsrepertoire gespielt und dirigiert werden. Es ist ein „Neues Werk für Orchester“ von Bernd Richard Deutsch in einer Uraufführung, das von den Bamberger Symphonikern als moderne Komposition eigens in Auftrag gegeben wurde. Die beste Performance des Werks wird mit zusätzlich 7.500 Euro aus der „Mahler Foundation“ ausgezeichnet.
Die Auswahl im Wettbewerb erfolgt unterdessen in vier Runden. Bereits von Beginn an hat das internationale Renommee der zu einer Art Castingshow für junge DirigentInnen avancierten Veranstaltung mehr und mehr zugenommen und inzwischen weltweite Bekanntheit erreicht. So winken den GewinnerInnen ansehnliche Preisgelder.
Für den ersten Platz und das Dirigat des finalen Konzerts sind es 30.000 Euro, der Zweitplatzierte erhält 20.000 Euro und der dritte Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Die Aussicht auf weitere Aufträge und eine (Welt-) Karriere besteht dank der namhaften internationalen Jury ebenso.
Diese setzt sich aus 15 hochkarätigen MusikkennerInnen zusammen. Darunter DirigentInnen, KomponistInnen, MusikmanagerInnen und Mitglieder der Bamberger Symphoniker selbst sowie Intendant Marcus Rufolf Axt und Chefdirigent Jakub Hrůša. Letzterer leitet das Bamberger Orchester seit der Saison 2016/2017. Beim Wettbewerb gibt er seine wichtige Position am Pult vor einem groß besetzten Orchester vorübergehend aber an den Nachwuchs ab. Eine Herausforderung, auch für die Orchestermitglieder, die sich schnell auf die einzelnen KandidatInnen und ihre musikalischen Interpretationen einstellen.
Bewerbung per Video
20 junge Talente haben es in diesem Jahr in die Vorauswahl der Jury der „The Mahler Competition“ geschafft. Sie kommen aus Belarus, Polen, USA, Ukraine, England, Italien, Russland, Norwegen, Korea, Israel, Peru, Taiwan und natürlich aus Deutschland. 16 Männer und 4 Frauen, deutlich mehr als in den letzten Wettbewerbsjahren, konnten einen der begehrten Plätze in Bamberg ergattern.
Die jüngste Teilnehmerin ist 21 Jahre alt und stammt aus der Ukraine, die ältesten Teilnehmer sind 35 Jahre und in Deutschland und Russland beheimatet. Per Online-Formular und Video mit Aufnahmen von aussagekräftigen Dirigaten unterschiedlicher Werke konnte man sich bewerben.
Haben Audio- und Bildqualität sowie andere Anforderungen gestimmt, war ihnen ein Reiseticket nach Bamberg sicher. Hier verpflichten sie sich im Rahmen des Wettbewerbs zur Teilnahme an sämtlichen Proben und Konzerten in der Konzerthalle mit und ohne Publikum.
Gesucht werden im Wettbewerb weniger eigenwillige NotenleserInnen oder schnelle TaktschlägerInnen, sondern vielmehr bestenfalls Leute, die die Musik schweben lassen und dem Publikum zu verstehen geben, warum auch ein Spitzenorchester unbedingt DirigentInnen braucht. Neben der Begabung zählt also der Umgang mit der Musik und dem Orchester gleichermaßen.
Dabei werden die Leistungen, bei denen sich die KünstlerInnen von den ersten Auftritten in den Vorrunden bis hin zum Finale entwickeln, nicht nur von der Jury bewertet, sondern auch von einem interessierten Publikum und von Fachleuten aus aller Welt im Livestream eingeordnet.
Erster Bamberger Jungstar Dudamel
Dass eine Teilnahme am Wettbewerb und vor allem ihn zu gewinnen förderlich für den Karriereweg ist, hat sich bereits für den ersten Gewinner aus dem Jahr 2004 gezeigt. Gustavo Dudamel aus Venezuela, damals 23 Jahre alt, wurde als Jungstar in Bamberg gekürt und ist heute Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic Orchestra.
Lahav Shani aus Israel, der 2013 „The Mahler Competition“ gewann, ist Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra und Kahchun Wong aus Singapur, der Gewinner des Wettbewerbs von 2016, ist Chefdirigent des Tokyo Philharmonic Orchestra.
Die letzte Mahler Competition 2020 gewann der Brite Finnegan Downie Dear. Dass er sich beim Mahler-Wettbewerb durchsetzen konnte, verhalf ihm anschließend zu einem Karriereschub mit verschiedenen internationalen Konzertdebüts und Zusammenarbeiten, vor allem im Bereich der Oper. Heute ist er Musikdirektor des preisgekrönten Ensembles „Shadwell Opera“ in London und leitet Produktionen an internationalen Häusern.
Den Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb in der Konzerthalle Bamberg zu gewinnen, begünstigt aber nicht nur die Laufbahn. Das geforderte, hohe Qualitätsniveau mit einem anspruchsvollen Repertoire geht auch mit hochwertigen Arbeitsbedingungen einher. Durch dirigistisches Handwerk eine magische Klangwirkung zu erzielen, ist keine leichte Aufgabe. Komplexe Zusammenhänge der Musik gilt es zu erfassen und ein Gespür für die Atmosphäre ist ebenso notwendig. Ein gewisses Charisma der KandidatInnen schadet auch nicht, Ausdruckswillen und Überzeugungskraft sind ebenso vorteilhaft.
Für die Jury zählen außerdem die Schlagtechnik am Dirigierpult, das musikalische Empfinden und die Kommunikation mit dem Orchester. Diese findet heute mehr auf Augenhöhe statt, da DirigentInnen nicht mehr alleine für die Musik zuständig sind. Sie suchen die Balance, nehmen Anregungen auf und stimmen Klangmischungen ab, bis in die letzte Bläserreihe. Der Aufzug als Maestro und Maestra im Frack oder Kostüm ist überdies Geschichte und wird von vielen Nachwuchstalenten durch legere, auch avantgardistische Kleidung ersetzt. Etwas Starambiente darf bei den Konzerten und auch Drumherum aber durchaus sein, gerade für das dem Finale entgegenfiebernde Publikum.
Intendant Marcus Rudolf Axt
im Interview
Herr Axt, Insgesamt 20 TeilnehmerInnen werden beim Mahler-Wettbewerb versuchen, ihr Talent unter Beweis zu stellen. Welche besonderen Eigenschaften müssen sie zusätzlich zum Dirigieren mitbringen und was macht gute DirigentInnen aus Ihrer Sicht aus?
Marcus Rudolf Axt: Charisma. Man muss eine eigene Idee von der Musik haben, von dem Werk, das man dirigiert, und muss diese Idee ins Orchester kommunizieren. Aber auch das Publikum sollte verstehen, was man will. Ein tiefes Verständnis der Musik, gute Nerven, Belastbarkeit, Persönlichkeit vor allem, das suchen wir.
Die Jury ist mit namhaften ExpertInnen der klassischen Musik breit aufgestellt. Auf wen freuen sie sich besonders?
Marcus Rudolf Axt: Auf jeden und jede Einzelne! Unsere Jury ist sehr vielfältig, was den beruflichen Hintergrund betrifft. Neben Dirigenten wie Jakub Hrůša, Juanjo Mena und John Storgårds ist auch Barbara Hannigan dabei, die als Sängerin und als Dirigentin international erfolgreich ist. Dazu noch Persönlichkeiten aus dem Orchestermanagement, Dirigierprofessoren, ein Sänger, ein Komponist und eine Vertreterin des Orchesters. So wollen wir die KandidatInnen ganzheitlich bewerten: Ist ihre musikalische Arbeit überzeugend? Wie ist die Präsenz vor dem Orchester? Wie die Wirkung auf das Publikum? Ich freue mich, in Bamberg eine so hochkarätige internationale Jury zu haben, deren Mitglieder teilweise schon von Anfang an dabei sind, wie der Dirigent John Carewe, teilweise 2023 zum ersten Mal ihre Expertise einbringen wie Thomas Hampson, der berühmte Bariton und Mahler-Experte. Und wie immer wird es ein produktiver Austausch und eine angenehme Zusammenarbeit.
Wie hoch sind die Hürden im diesjährigen Wettbewerbsrepertoire?
Marcus Rudolf Axt: Das Repertoire in diesem Jahr ist meiner Meinung nach besonders anspruchsvoll. Nicht ohne Grund ist „The Mahler Competition“ der bedeutendste und bestdotierte Dirigentenwettbewerb weltweit. Jedes einzelne Stück birgt unterschiedliche Herausforderungen.
Welche Stücke machen das Repertoire aus?
Marcus Rudolf Axt: Das zeitgenössische Stück von Bernd Richard Deutsch ist ein Auftragswerk von uns und wird als Uraufführung in Bamberg gespielt. Hier muss man sich ganz auf die Partitur verlassen, es gibt keine Aufnahme und keine Vorerfahrungen. Gustav Mahlers „7. Symphonie“ ist ein Werk voller Gegensätze: strahlend, triumphal aber auch düster und grotesk. Und sie ist eine der am schwersten zugänglichen Symphonien Mahlers, die man wirklich musikalisch durchdringen muss, um diese Gegensätze zum Klingen zu bringen. Haydns Symphonien zeigen, ob man aus relativ einfach strukturierter Musik auch den Witz und die Originalität des Meisters, aber auch die Anspielungen der Entstehungszeit erkennen und alles ganz fein herausarbeiten kann. Der Star-Bariton Thomas Hampson wird im Wettbewerb Alban Bergs frühe Lieder singen. Es ist immer schwer, eine Gesangsstimme gegen die große Orchesterbesetzung in einem ausgewogenen Klang richtig zu balancieren. Das gleiche gilt für Strawinskis Violinkonzert, bei dem aber noch besonders die Schlagtechnik, Takt- und Tempowechsel, und eine ganz andere Klangsprache als die Mahlers im Fokus stehen.