Immer mehr junge Menschen leiden an Depressionen. Das „Würzburger Bündnis gegen Depression“ möchte über die Krankheit aufklären und sie enttabuisieren. Dazu hat Schirmherrin und Sängerin Viola nun eine Chorversion des Mutmachsongs „Enter the Fray“ veröffentlicht.
Das „Würzburger Bündnis gegen Depression“, das der Stiftung Deutsche Depressionshilfe zugehörig ist, startet eine Digitaloffensive, die vor allem junge Menschen ansprechen soll. Sängerin und Songwriterin Viola Tamm aus Aschaffenburg, Künstlerinnenname Viola, hat als neue Schirmherrin der Regionalgruppe im Februar 2021 einen Song zum Thema veröffentlicht, den es jetzt auch als Chorversion gibt.
Über zwei Monate hinweg hat Viola Stimmen gesammelt. Rund 70 Sängerinnen und Sänger im Alter von zehn bis 74 Jahren sind ihrem Aufruf bei Facebook gefolgt und haben mitgemacht. Ob als Berufs- oder Hobbysänger, mit professioneller Tonaufnahme oder per Handyvideo. Zusammen mit ihrem Schlagzeuger und Tontechniker hat Viola über 150 Gesangsspuren aufgenommen und gemixt. „Herausgekommen ist ein Chor, der so echt, eindringlich und laut klingt, einfach unglaublich stark“, sagt die 39-Jährige.
Mit Song gegen Krankheit kämpfen
In ihrem Lied „Enter the Fray“, was so viel meint wie „Begib dich ins Gefecht“, der wie auch die Chorversion auf allen Streaming-Diensten sowie auf YouTube abrufbar ist, beschreibt Viola eindringlich, wie wichtig es ist, bei der Krankheit Depression nicht weg zu schauen, sondern dagegen anzukämpfen.
„Wüsstest du jetzt, dass du nur noch einen Tag zu leben hast, würdest du dann darum kämpfen, die Zeit glücklich zu verbringen?“, fragt sie. Als ihr bester Freund sich mit gerade einmal 16 Jahren das Leben nahm, hatte sie keine Ahnung, wieso und weshalb das passieren konnte.
Dann, Jahre später, als sie mit ihrem ersten Kind schwanger war, entwickelte auch sie eine Depression. „Ich habe es anfangs selbst nicht bemerkt, dass es eine Depression sein könnte. Erst als meine Schlafstörungen so schlimm wurden, dass mein Körper nicht mehr herunterfahren konnte, habe ich Hilfe gesucht.“
Mit ihrem Engagement als Schirmherrin wünscht sie sich mehr Aufmerksamkeit und Offenheit im Umgang mit psychischen Erkrankungen. „Betroffene trauen sich oft nicht in eine Beratung, weil sie Angst haben, belächelt zu werden oder im Job schlecht da zu stehen“, sagt Viola. Sie möchte die Leute wachrütteln und sie dazu bewegen, offen darüber zu sprechen. „Es ist ganz wichtig, auch für sich und seine eigene seelische Gesundheit zu sorgen und nicht nur vorzugeben zu funktionieren.“
Viola erhebt Stimme gegen Depression
Schon seit jungen Jahren steht Viola mit ihrer Band und eigenen Songs und Texten, in denen sie ihre Geschichte verarbeitet, auf der Bühne. In ihrem Blog „Balsam für die Seele“ schreibt sie zudem über Höhen und Tiefen, ihren Umgang mit der Krankheit und andere Themen, die sie bewegen. Ihre Message klingt dabei simpel und ist doch tiefgründig: „Achtet aufeinander, schaut genau hin, lest die Zeichen und sprecht offen über alles.“
Sie möchte weiter ihre Stimme gegen das Tabuthema Depression erheben. „Wenn man eine dunkle Phase hat, weil man nur noch überfordert ist, das Gefühl hat, nicht mehr arbeiten zu können, und eine die Aufgabe, wie eine E‑Mail zu schreiben, einem vorkommt, als würde man den Mount Everest besteigen, lohnt es sich immer, sich auf eine Behandlung einzulassen. Es muss nicht sein, dass man sich schlecht fühlt – es gibt so tolle Hilfen.“
Zunahme von psychischen Erkrankungen
Vor fast zwei Jahren hat Sarah Kittel-Schneider die Leitung der Regionalgruppe „Würzburger Bündnis gegen Depression“, die es seit 2004 gibt, übernommen. Kittel-Schneider ist Professorin für Entwicklungspsychiatrie und stellvertretende Direktorin der Psychiatrischen Klinik am Universitätsklinikum Würzburg.
Seit mehrere Corona-Wellen das Land erfassen, stehen die Telefone bei ihr in der Klinikabteilung nicht mehr still. „Bei uns melden sich junge Familien, die erschöpft und verzweifelt sind oder Studierende mit Depressions- und Angstsymptomen, deren Familien weiter weg leben und Patientinnen mit Schwangerschafts- und Postpartalen Depressionen“, sagt die Medizinerin.
Die Anzahl der Fälle habe in letzter Zeit zugenommen. Gerade jetzt im Winter, wenn das Wetter kälter und die Tage früher dunkler werden, steige zudem der Aufnahmedruck. „Die Verunsicherung der Menschen ist groß. Viele vermissen die Kontrolle, in der Krise aktiv etwas tun zu können und fallen in eine Depression. Auch für bereits Vorerkrankte fällt einiges, was sie selbst gegen ihre Krankheit tun können, wie zum Beispiel Sport, Zusammentreffen in Gruppen oder andere Freizeitangebote, zeitweise wieder weg“, sagt Kittel-Schneider, „hinzu kommen neu aufgetretene Psychosen, die sich in der Corona-Pandemie entwickelt habe. Das hat sich vor allem im vergangenen Sommer gezeigt, in dem wir mehr jüngere Leute mit erstmaligen psychischen Erkrankungen behandeln mussten.“
In die Sonne gehen und sich etwas Gutes tun
Die Krankheit Depression ist sehr vielgestaltig. Zwar ist nicht jede Stimmungsschwankung sofort eine Depression, aber auch kein Grund zur Verharmlosung. „In der Medizin unterscheiden wir leichte, mittelschwere und schwere Depressionen“, erklärt Kittel-Schneider. „Je nach Schweregrad der Erkrankung stellt sich der Behandlungserfolg bereits nach wenigen Wochen ein, wenn sich Betroffene an uns wenden.“
Für die Behandlung werden Medikamente und weitere, nicht medikamentöse Therapien wie zum Beispiel Psychotherapie eingesetzt. Aber auch einfache Dinge können helfen, wenn die Krankheit nicht so schwer ist. „Beispiele dafür sind positive Nachrichten und ein wenig Ablenkung, sei es durch Sport, Spaziergänge an der frischen Luft oder Gesprächen mit Familie und Freunden“, sagt Kittel-Schneider. „In jedem Fall wichtig ist ein kontrollierter Medienkonsum, in die Sonne gehen, sich etwas Gutes tun und das Aufrechterhalten sozialer Kontakte.“ Zumindest für den Moment. Wer dennoch mindestens zwei Wochen in extrem gedrückter Stimmung verbringt, keine Freude empfindet und keine Interessen mehr aufbringt, sollte sich bei einem Arzt, einem Psychotherapeuten oder der Telefonseelsorge Hilfe holen. Wer Suizidgedanken hat, sollte sofort in die nächstgelegene Klinik gehen.
Neuer Videopodcast und weitere Projekte
„Wir sind sehr glücklich, dass Viola uns als Schirmherrin beim Würzburger Bündnis unterstützt“, sagt Sarah Kittel-Schneider. Neben der Veröffentlichung ihres Songs und der Choraufnahme, zu der es auf Violas Homepage auch Merchandising-Artikel geben wird, deren Verkauf zum Teil dem Bündnis zu Gute kommen soll, stehen noch mehr Projekte an. So sind weitere Songs, Videopodcasts mit Betroffenen und auch bekannten Personen, beispielsweise aus dem künstlerischen Bereich, zu verschiedenen Themen geplant.
„Für viele ist der Weg in eine Klinik oft schwer. Sich zuhause anonym damit zu beschäftigen, fällt leichter“, sagt Kittel-Schneider. Auftakt zur YouTube-Podcast-Reihe machte bereits ein Videopodcast von Prof. Dr. Sarah Kittel-Schneider und Viola mit dem Titel „Wenn die Seele erkrankt. Teil 1: Depression in Schwangerschaft und Stillzeit“.
Corona-Krise und Depression
Gerade in der Corona-Zeit ist der Fokus auf die seelische Gesundheit von großer Bedeutung. Von einem planbaren Alltag, etwa in der Klinik sind selbst das Personal und auch der Sozialpsychiatrische Dienst inzwischen abgekommen. Zwischen den Vorgaben der Regierung und der Umsetzung der Maßnahmen in der Klinik liegen oft nur ein bis zwei Tage. Das sei durchaus problematisch für die Patienten und das Team.
„Wir sind alle etwas maßnahmenmüde und die Belastungssituation wird auch für die Mitarbeiter nicht weniger. Die Anspannung ist deutlich spürbar“, so die Professorin Kittel-Schneider , „dennoch haben wir viel gelernt, so dass wir mit den Herausforderungen gut umgehen können.“ Für die Rückkehr in einen normalen Modus sei es allerdings zu früh. „Es ergibt keinen Sinn, einfach darauf zu hoffen, dass sich das Virus bald erledigt hat. Deshalb wollen wir auf neuen Wegen etwas tun für die Leute.“
Die Regionalgruppe „Würzburger Bündnis gegen Depression“ will mit ihren Angeboten Betroffenen Mut machen, Hoffnung geben und zur Enttabuisierung beitragen, auch im virtuellen Raum. Da habe sich in den vergangen Monaten viel bewegt. „Mit unseren Online-Formaten möchten wir verschiedene Therapieangebote wie Videosprechstunden und vieles mehr, die wir erstmals ausprobiert haben, dauerhaft weiterführen“, sagt Kittel-Schneider. „Es wird in diesem Winter noch einmal anstrengend, aber man hat auch die Möglichkeit, sich selbst auszuprobieren und zu stärken und anderen Mut zu machen.“
Und der nächste Sommer kommt bestimmt. Mit dem Chor zu „Enter the Fray“ auch einmal auf einer echten Bühne zu stehen, ist Violas erklärtes Ziel. „Die Zustimmung durch den Chor war wirklich enorm und sehr wertvoll. Das finden wir so toll, dass wir in jedem Fall auch an einem Live-Konzept für Sommer 2022 arbeiten.“
Haben Sie Suizidgedanken? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Sie können sich jederzeit an eine psychiatrische Klinik wenden oder die folgenden Telefonnummern anrufen, um passende Hilfe zu bekommen: