Neue Zeiten sollen in der Pflege anbrechen. Die Caritas gGmbH St. Heinrich und Kunigunde hat ein Konzept entwickelt, das Pflege individueller und
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„Dass es in der Pflege nicht mehr fünf vor, sondern fünf nach zwölf ist, ist keine Frage“
Neustrukturierung Pflege in Caritas-Altenhilfeeinrichtungen
Neue Zeiten sollen in der Pflege anbrechen. Die Caritas gGmbH St. Heinrich und Kunigunde hat ein Konzept entwickelt, das Pflege individueller und attraktiver machen soll – für BewohnerInnen und Mitarbeitende. In einem Pilotprojekt plant der Träger, das neue Konzept schrittweise in seinen 15 Altenheimen umzusetzen. Kern der neuen Arbeitsweise soll sein, BewohnerInnen und ihre individuellen Bedürfnisse und Wünsche mehr in den Mittelpunkt der Pflege zu stellen.
„Wenn die Politik uns keine Lösungen gibt, schauen wir selber, was wir tun können“, sagt Barbara Blecha, Leiterin der Caritas-Altenhilfeeinrichtung St. Otto. Zusammen mit Projektleiter Sascha Reichel und Joachim Gebhardt vom Caritas-Marketing ist sie Teil eines Teams, das die neue Organisation in den Heimen der Caritas gGmbH umsetzt. Demografischer Wandel, Personalmangel in der Pflege und die gleichzeitige hohe Nachfrage nach Pflegeplätzen waren Anlass, diesen Schritt zu unternehmen. Wir haben Barbara Blecha, Sascha Reichel und Joachim Gebhardt zum Interview getroffen.
Warum haben Sie sich entschieden, die Arbeitsweise in Ihren Einrichtungen neu zu organisieren?
Sascha Reichel: Die Organisationskonzepte von Altenheimen mit ihren Wohnbereichen und Schichtsystemen funktionieren nicht mehr. Die Pandemie hat verstärkt gezeigt, welche Schwachstellen es gibt: Zu wenig Personal, zu viele Ausfälle und gesetzliche Auflagen. Die Pflege ist ein sehr regulierter Bereich. Zum Beispiel muss jede zweite Pflegekraft eine Fachkraft sein. Das lässt sich aufgrund des Personalmangels nicht immer sicherstellen und darum können wir Pflegeplätze, die frei sind, manchmal nicht belegen.
Barbara Blecha: Außerdem hat unsere Klientel sich verändert. Vor zehn oder 15 Jahren sind unsere BewohnerInnen beim Einzug teilweise noch mit dem Auto vorgefahren, mit der Tasche unter dem Arm hereinspaziert. Heute ziehen immer mehr Menschen bei uns ein, die extrem pflegebedürftig sind.
Joachim Gebhardt: Der Politik ist klar, dass das Pflegesystem so nicht mehr funktioniert und sucht nach Lösungen. Eine Erleichterung wird es ab Juli 2023 geben. Dann können wir deutlich mehr Pflegehelfer einsetzen, die die Fachkräfte entlasten.
Was macht das neue Pflegekonzept der Caritas in Bamberg aus?
Barbara Blecha: Mit unserem Konzept betrachten wir die BewohnerInnen ganz in ihrer Individualität und richten die Pflege daran aus. Jeder bringt seine eigene Geschichte mit. Wenn wir die Biografien der BewohnerInnen kennen und wissen, was die individuellen Bedürfnisse und Wünsche sind, können wir besser auf die Personen eingehen. Es kann zum Beispiel sein, dass ein Bewohner um 6 Uhr aufstehen möchte, weil er es schon immer so gemacht hat, ein anderer aber bis 10 Uhr schlafen will. Auch beim Essen und bei den Freizeit-Aktivitäten können so ganz unterschiedliche Tagesabläufe entstehen.
Und wie wird das in der Organisation abgebildet?
Sascha Reichel: Kleine Teams, die aus Mitarbeitenden der Pflege, der Hauswirtschaft und der Betreuung bestehen, formieren sich um die BewohnerInnen. Sie kennen die Person genau und wissen, was sie braucht. Jeder Mitarbeitende kommt mit seinen Kompetenzen an die Stelle, an der sie oder er gebraucht wird. Es wird für jede Bewohnerin und jeden Bewohner eine zugeordnete Pflegefachkraft geben, die Ansprechperson für alle persönlichen und pflegerischen Belange ist. Dies organisatorisch abzubilden, ist ein langer Prozess, den alle Mitarbeitenden selbst gestalten sollen. Natürlich werden sie dafür in vielen Schulungen und Workshops umfassend qualifiziert. Dazu geben wir uns drei Jahre Zeit.
Wieso fangen Sie mit der neuen Organisation erst jetzt an, wenn der Pflegenotstand schon länger bekannt ist?
Barbara Blecha: Weil wir aufgrund einer neuen Personalsituation jetzt die Chance dazu haben. Im Juli 2023 wird es eine neue Personalbemessungsgrundlage geben, durch die Pflegefachhelfer vermehrt eingesetzt werden können. Dass es in der Pflege aber nicht mehr fünf vor, sondern fünf nach zwölf ist, ist keine Frage. Jetzt müssen wir es angehen.
Würden Sie es derzeit empfehlen, sich, wenn man pflegebedürftig wird, in eine Pflegeeinrichtung zu begeben oder sollte man sich, wenn es geht, besser zuhause pflegen lassen?
Barbara Blecha: Manche alten Menschen sind zuhause, sitzen aber im zehnten Stock eines Hochhauses, den ganzen Tag alleine. Ist das Lebensqualität? Was ist das Schwierige daran, in eine Pflegeeinrichtung zu gehen, wo es eine Rundum-Versorgung gibt und die Angehörigen wissen, dass es den Pflegebedürftigen gut geht? Ich denke also, dass eine Pflegeeinrichtung eine sehr gute Alternative zur häuslichen Pflege ist.
Joachim Gebhardt: Die Politik propagiert zwar „ambulant vor stationär“, aber das passt nicht für alle pflegebedürftigen Menschen. Wenn jemand zuhause von einem ambulanten Dienst gepflegt werden kann, ist es natürlich in Ordnung. Aber oft geht das irgendwann nicht mehr und dann ist man froh, wenn es stationäre Einrichtungen gibt, die ein neues Zuhause bieten. Manche Leute blühen in einer Einrichtung nochmal richtig auf.
Wie hängt die Neustrukturierung mit den Umbauarbeiten, die Sie derzeit an St. Otto unternehmen, zusammen?
Barbara Blecha: Grundsätzlich hat der Umbau nichts mit der neuen Organisation zu tun. Die baulichen Änderungen und Erweiterungen, die wir zurzeit an St. Otto vornehmen, fallen aber zeitlich mit der Neuorganisation zusammen. Das Projekt geht über drei Jahre und ungefähr genauso lange dauert die Bauzeit am Ottoheim noch an. Dass wir durch den Umbau mehr Einzelzimmer haben werden, passt sehr gut zu unserer neuen Organisation. Es trifft sich einfach.
Wie kann man die Attraktivität des Pflegeberufs steigern?
Barbara Blecha: Wenn es Spaß macht, bei uns zu arbeiten, weil wir ein neuartiges Arbeitsumfeld und ‑klima schaffen, mit kleineren Gruppen, in denen die Mitarbeiter ihre Kompetenzen besser einbringen können, kann das ein Grund sein, zu uns zu kommen. Außerdem bilden wir auch aus. Allein in St. Otto haben wir derzeit 16 Azubis. Unser Ziel dabei ist, die nach der Ausbildung zu behalten und an uns zu binden. Der Pflegeberuf ist viel mehr als den ganzen Tag alte Leute zu waschen. Er hat viel mit Kommunikation und Mitdenken zu tun, mit Fachwissen und Kompetenzen. Der Pflegeberuf bringt viel mehr mit als das, was nach außen hin wahrgenommen wird.
Sascha Reichel: Ich bin seit 20 Jahren in der Pflege. In dieser Zeit haben wir einen Imagewechsel leider nicht geschafft. Aber auch das versuchen wir jetzt, mit unserer neuen Organisation zu ändern.