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Bufdi

Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst

Fürs Leben lernen

Nach­dem 2011 die Wehr­pflicht und damit auch der Zivil­dienst aus­ge­setzt wur­den, ergab sich vor allem im sozia­len Sek­tor, der auf die Arbeits­leis­tung von Min­dest­lohn­kräf­ten ange­wie­sen ist, ein Man­gel an Per­so­nal. Um dem gegen­zu­steu­ern, wur­de unter ande­rem der Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst (BFD) ein­ge­führt. In die­ser Initia­ti­ve des Bun­des­am­tes für Fami­lie und zivil­ge­sell­schaft­li­che Auf­ga­ben enga­gie­ren sich Bun­des­frei­wil­li­ge (Buf­dis) in ver­schie­de­nen gesell­schaft­li­chen Bereichen.
Juli­us Rosiwal
Im Juli letz­ten Jah­res wur­de der Bam­ber­ger För­der­ver­ein gool­kids als Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst-Ein­satz­stel­le aner­kannt. Seit Sep­tem­ber 2019 beschäf­tigt der Ver­ein, der sich mit sport­li­chen Mit­teln für die Inte­gra­ti­on von Men­schen mit Behin­de­rung, sozi­al benach­tei­lig­ten Kin­dern und Jugend­li­chen und Geflüch­te­ten ein­setzt, mit Juli­us Rosi­wal (19 Jah­re) sei­nen ers­ten Buf­di. Wir haben ihn und gool­kids-Pro­jekt­lei­ter Robert Bartsch zum Inter­view getroffen.

War­um unter­hält gool­kids eine Bundesfreiwilligendienst-Stelle?

Robert Bartsch: Ganz ein­fach, wir haben viel­fäl­ti­ge Auf­ga­ben im sozia­len Bereich, bei denen wir Unter­stüt­zung brau­chen und sei­tens des Vor­stands tut uns der Kon­takt zu jun­gen Men­schen wie Juli­us gut, um zu sehen, wo deren Inter­es­sen lie­gen. Der BFD ist eine her­vor­ra­gen­de Schnitt­stel­le für unse­re Jugend­an­ge­bo­te. Wir ergän­zen uns gegen­sei­tig. Es gibt außer­dem vie­le Tätig­kei­ten im sport­li­chen Bereich, bei denen es hilf­reich ist, einen jun­gen Men­schen dabei zu haben, der sport­af­fin ist und in die jewei­li­gen sport­li­chen Akti­vi­tä­ten mit­ein­ge­bun­den wer­den kann. Das macht den Teil­neh­mern auch mehr Spaß, als wenn ich dort mit rum­tur­nen wür­de. Es gibt Auf­ga­ben, die wir Juli­us anver­trau­en und die er ver­ant­wor­tungs­voll über­neh­men kann. Er hat die Man­power und Fähig­kei­ten dazu.

Juli­us, war­um haben Sie sich für das ein­jäh­ri­ge Enga­ge­ment beim BFD ent­schie­den und war­um bei goolkids?

Juli­us Rosi­wal: Ich bin schon immer sport­lich aktiv gewe­sen. Auch sozi­al bin ich sehr inter­es­siert und woll­te mich schon län­ger in der Hil­fe für Geflüch­te­te und für Men­schen mit Behin­de­rung enga­gie­ren. Ich habe selbst einen Fall im Freun­des­kreis. Und da kam es per­fekt, dass gool­kids an mei­ner Schu­le eines Tages ihre Pro­jek­te vor­ge­stellt hat. Außer­dem habe ich einen Cou­sin, der bei gool­kids tätig war und mir den Ver­ein emp­foh­len hat. Ich woll­te, bevor ich ein Stu­di­um anfan­ge, prak­ti­sche Erfah­run­gen sam­meln, weil es für mich kei­nen Sinn ergibt, über­haupt zu stu­die­ren, bevor ich nicht weiß, wie es in der Berufs­welt aus­sieht oder was mich da erwar­ten könnte.

Wie sehen die Vor­aus­set­zun­gen für die Stel­le aus?

Bartsch: Man soll­te sozi­al und sport­lich inter­es­siert sein – und im bes­ten Fal­le auch sport­lich aktiv. Und mensch­lich und gesell­schaft­lich offen soll­te man sein, weil wir mit sozi­al benach­tei­lig­ten und ver­hal­ten­so­ri­gi­nel­len Kin­dern und Jugend­li­chen zu tun haben, mit Geflüch­te­ten und Men­schen mit Behinderung.

Rosi­wal: Da auch vie­le orga­ni­sa­to­ri­sche Auf­ga­ben anfal­len, braucht es auch eine gewis­se Krea­ti­vi­tät, um Lösun­gen zu fin­den. Ich habe schon viel gelernt, was mir die Schu­le nicht bei­gebracht hat, viel fürs Leben. Ein ein­fa­ches Bei­spiel wäre, wie man gemäß DIN-Norm einen Brief­kopf rich­tig beschriftet.

Was sind die täg­li­chen Auf­ga­ben eines Buf­dis bei goolkids?

Rosi­wal: Nach­mit­tags bin ich immer bei Pro­jek­ten und Akti­vi­tä­ten dabei. Das heißt, beim Fußball‑, Vol­ley­ball- oder Bas­ket­ball­trai­ning, oder im Fit­ness-Stu­dio, wo wir mit Men­schen mit Behin­de­rung hin­ge­hen. Da fun­gie­re ich als Trai­ner und Ansprech­part­ner. Vor­mit­tags geht es vor allem ums Orga­ni­sa­to­ri­sche der Groß­pro­jek­te, wie das anste­hen­de inklu­si­ve Sport­fest, das im Som­mer zum ers­ten Mal statt­fin­det. Wel­che sport­li­chen oder tech­ni­schen Fak­to­ren müs­sen berück­sich­tigt wer­den, was brau­chen wir fürs Unter­hal­tungs­an­ge­bot und vie­les mehr.

Bartsch: Wir haben von Anfang an ver­sucht, Juli­us mit ein­zu­bau­en, indem wir ihn über­all­hin mit­neh­men. Er ist immer in mei­ner Nähe, damit er die Mög­lich­keit hat zu ler­nen, wie man so einen Pro­jekt­tag, so ein Fest orga­ni­siert, um irgend­wann völ­lig eigen­stän­dig Ver­an­stal­tun­gen durch­zie­hen zu kön­nen. Jede Ver­an­stal­tung ver­hält sich nach dem­sel­ben Mus­ter. Man muss wis­sen, was man wann machen will und was man dazu braucht. Nur die Anfor­de­run­gen sind unterschiedlich.

Rosi­wal: Da gool­kids vor mir noch kei­nen ande­ren Buf­di hat­te, gab es kei­ne Auf­ga­ben, die klar für mich vor­ge­ge­ben gewe­sen waren. Am Anfang mei­ner Zeit hier war es also ein gemein­sa­mes Ler­nen, bei dem wir raus­fin­den woll­ten, was ich kann und was man mir anver­trau­en kann. Für mich hieß das, dass ich mein Auf­ga­ben­ge­biet sel­ber mit­de­fi­nie­ren konn­te, anstatt es, wie ich es von ande­ren Buf­di-Stel­len gehört habe, ein­fach vor­ge­klatscht zu bekom­men. Das bedeu­tet auch viel Abwechs­lung im Tages­ab­lauf, bei dem immer neue Din­ge dazu kom­men und ich immer dazu ler­nen kann. Und ich kann auch Eigen­in­itia­ti­ve ergrei­fen und eige­ne Ideen einbringen. 

Der BFD wur­de 2011 als Kom­pen­sa­ti­on unbe­setz­ter, aber nöti­ger Stel­len im sozia­len Bereich, die 2011 nach dem Weg­fall des ver­pflich­ten­den Zivil­diens­tes ent­stan­den sind, ein­ge­führt. Funk­tio­niert das?

Bartsch: Bei gool­kids kön­nen wir dazu nichts sagen, weil wir vor Juli­us kei­nen Buf­di hat­ten. Aber gesamt­ge­sell­schaft­lich hat das Ende des Zivil­diens­tes schon ein gewis­ses Loch auf­ge­ris­sen. Es gibt unbe­strit­ten vie­le Arbeits­be­rei­che, die ohne frei­wil­li­ge Diens­te nur schwer zurecht­kom­men würden. 

Wie sehr sind Orga­ni­sa­tio­nen wie gool­kids bezie­hungs­wei­se der sozia­le Bereich auf frei­wil­li­ge Diens­te wie den BFD angewiesen?

Bartsch: Hän­de­rin­gend. Gene­rell wür­den die Struk­tu­ren des sozia­len Wesens in ihrer jet­zi­gen Form ohne BFD oder das Frei­wil­li­ge Sozia­le Jahr zusam­men­bre­chen. Nur mit einer dras­ti­schen Erhö­hung der Per­so­nal­kos­ten könn­ten Frei­wil­li­ge durch Fest­an­ge­stell­te ersetzt werden.

Rosi­wal: Nor­ma­ler­wei­se sieht die Defi­ni­ti­on des BFD vor, das er nur ein Aus­hilfs-Dienst ist. Eigent­lich müss­te die Orga­ni­sa­ti­on also auch ohne den BFD sehr gut lau­fen kön­nen. Unab­hän­gig davon, dass dem, wie Robert sagt, nicht so wäre, möch­te ich auch mehr als eine Aus­hil­fe sein. Ich möch­te mich ein­brin­gen und Ver­ant­wor­tung über­neh­men können.

Lässt sich ein­schät­zen, wie aus­ge­prägt die gesell­schaft­li­che Bereit­schaft ist, frei­wil­li­ge, also gering oder unbe­zahl­te, sozia­le Diens­te zu leisten?

Rosi­wal: Das fin­de ich schwer ein­zu­schät­zen, aber ich den­ke, es wür­de viel mehr Frei­wil­li­ge geben, wenn Ange­bo­te wie der BFD zum Bei­spiel an Schu­len viel stär­ker bewor­ben wer­den wür­den. An Schu­len wird im Gegen­teil aber eigent­lich davon abge­ra­ten, vor dem Stu­di­um noch ein Jahr Erfah­run­gen zu sam­meln, statt so schnell wie mög­lich in die Arbeits­welt einzusteigen.

Bartsch: Ich über­trei­be jetzt, aber ein Pro­blem liegt dar­in, dass Jugend­li­che in der Schu­le nichts fürs Leben ler­nen, aber danach sofort arbei­ten sol­len. Dafür feh­len ihnen aber prak­ti­sche Erfah­run­gen. Da ist ein sozia­les Jahr die Chan­ce, außer­halb der Arbeits­welt inne­zu­hal­ten, für sich selbst den Weg zu fin­den und auch ein biss­chen was Prak­ti­sches zu lernen.

Wird frei­wil­li­ges Enga­ge­ment aus­rei­chend durch die Poli­tik gefördert?

Bartsch: Die Poli­tik sieht die Sache unter ande­ren Gesichts­punk­ten. Ihre För­de­rung geht eher der Fra­ge nach, wie das Per­so­nal-Defi­zit im sozia­len Bereich durch die För­de­rung frei­wil­li­gen Enga­ge­ments auf­ge­fan­gen wer­den könn­te. Das heißt, der Staat, die Kom­mu­ne, auch Bam­berg, ver­su­chen unheim­lich viel auf die frei­wil­li­ge Schie­ne abzu­wäl­zen, um mit kos­ten­güns­ti­gen Frei­wil­li­gen die glei­chen Leis­tun­gen zu errei­chen wie mit Festangestellten.

Kann es nicht fahr­läs­sig sein, wenn Ver­ant­wor­tung, die eigent­lich aus­ge­bil­de­tes Per­so­nal über­neh­men soll­te, auf unge­lern­te Frei­wil­li­ge abge­wälzt wird?

Bartsch: Ja, man braucht unge­fähr vier Frei­wil­li­ge, um fach­lich, sach­lich und zeit­ori­en­tiert eine gelern­te Kraft zu erset­zen. Bei uns oder der Inno­va­ti­ven Sozi­al­ar­beit Bam­berg geht es ja noch. Aber in Berei­chen wie Alten- oder Kran­ken­pfle­ge sieht es anders aus.

Juli­us, haben Sie das Gefühl, sich durch den BFD bei gool­kids weiterzuentwickeln?

Rosi­wal: Auf jeden Fall. Zum Bei­spiel von Men­schen mit Behin­de­rung kann man ganz viel ler­nen. Sie haben in ihrem Leben gro­ße Pro­ble­me, die ande­re nicht haben, strah­len aber gleich­zei­tig so eine Lebens­freu­de aus. Da wer­den die eige­nen Pro­ble­me klei­ner. Das bil­det den Cha­rak­ter. Oder: Tele­fo­nie­ren mit Selbst­ver­trau­en – wenn ich zum Bei­spiel bei Schu­len anru­fe, um gool­kids vor­zu­stel­len – muss man auch erst­mal können.

Bartsch: Das ist natür­lich nur ein klei­ner Lern­in­halt, aber doch ein Effekt. Juli­us ist ein eher zurück­hal­ten­der Mensch, der jetzt aber kein Schü­ler mehr, son­dern auf ein­mal Trai­ner und Betreu­er, also ver­ant­wort­lich für eine Sport­stun­de ist. Da ist der Moment erreicht, wo nicht ihm etwas gesagt wird, son­dern wo er die Anwei­sun­gen gibt und sich auch mal durch­set­zen muss.

Was sind die schöns­ten Momen­te der Arbeit als Bufdi?

Rosi­wal: Der Umgang mit den Men­schen und wenn ich sehe, dass die Leu­te in mei­nen Trai­nings­grup­pen selbst­stän­di­ger wer­den und Fort­schrit­te machen. Und auf der orga­ni­sa­to­ri­schen Sei­te ist es schön dabei zu sein, wenn die Pro­jek­te, bei deren Pla­nung ich mit­ge­macht habe und auf deren Umset­zung man lan­ge hin­ge­ar­bei­tet hat, For­men anneh­men und funktionieren.