Mit über 80 Jahren nach vorne gehen und noch einmal zurückschauen auf die Karriere und die Erfolge im Sport – ein Blick
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Im Porträt
Manfred Hojer – Mit dem Herzen noch immer bei der Equipe
Mit über 80 Jahren nach vorne gehen und noch einmal zurückschauen auf die Karriere und die Erfolge im Sport – ein Blick auf das Lebenswerk des altehrwürdigen Fechtmeisters Manfred Hojer.
Manfred Hojer empfängt gerne Gäste. In seinem schmucken Wohnzimmer mit Ess- und Besprechungsbereich in Baunach mit sonnendurchfluteter Balkonfront und Blick auf das weitläufige Baunachtal hat nicht nur eine gemütliche Sofaecke Platz, sondern auch ein großer, ovaler Tisch. Auf dem weißen Deckenventilator über dem Sofa fährt ein kleiner weißer Teddybär mit. Er dreht sich schnell. Man muss konzentriert hinsehen, um immer wieder einen Blick auf ihn zu erhaschen.
Hojer mag alles, was schnell ist. Schnelle Autos und vor allem Sport. Im Oktober 2019 feierte Manfred Hojer seinen 80. Geburtstag. Kaum zu glauben, begegnet man dem Mann mit klassischem weißen Hemd und schicker Hose, dessen Dynamik und Energie vielmehr an einen Manager erinnern als an einen Pensionär.
Trainer in der „Floretthochburg Bamberg”
Hojer war zeitlebens Manager. Beruflich zuletzt als Vorstand bei einer Krankenversicherung und privat in seiner Freizeit im Fechtsport. Im Trainerkader der TSG05 Bamberg hat er in den Jahren 2008 bis 2014 als Diplom-Fechtlehrer junge Talente wie Max Bauer, Patrick Harman, Kira Schaller und andere mit seinem Wissen und Können gefördert und gefordert und zur Teilnahme an oberfränkischen, bayerischen und deutschen Meisterschaften ermutigt – mit Erfolg. Endlich wurden wieder Turniere, wie etwa die „Klingenspiele“ in Bamberg ausgefochten, die Fechtabteilung machte sich einen Namen und steigerte kontinuierlich ihre Mitgliederzahl. Bis heute gilt sie als „unangefochtene Floretthochburg“ in Oberfranken, wie der Verein selbst sein Aushängeschild auf seiner Internetseite beschreibt.
Zu Hojers Anfangszeit beim TSG 05 Bamberg war man über den plötzlichen starken Auftritt der Fechterinnen und Fechter überrascht. „Was da in Bamberg auf sie zugekommen war, hatten die oberfränkischen Verantwortlichen glatt unterschätzt“, hieß es etwa in einem Pressebericht über die Oberfränkische Meisterschaft im Florett-Wettbewerb 2011, bei der der TSG 05 Bamberg gleich zwei Titelträger und einen Vizemeister auf heimischem Boden präsentierte.
Hatte Hojer anfangs nicht nur als Übungsleiter gearbeitet, sondern auch Utensilien gebraucht besorgt und selbst die Fechtwaffen repariert, war über die Jahre hinweg ein eingespieltes Team aus Waffenmeistern, Helfern, Übungsleitern und Organisatoren entstanden, das am Erfolg der Fechtabteilung aktiv mitarbeitete. Auf deren Höhepunkt gab er 2013 mit 74 Jahren seinen Rücktritt vom Trainerkader bekannt. „Hojer legt die Waffen nieder“, titelte die Presse. Bis dato hatte er nicht nur bei der TSG 05 Bamberg, sondern auch für sich persönlich alles erreicht.
Fechten gesellschaftlich schön
Am großen, ovalen Tisch blättert der Pensionär in den Erinnerungen. Seine ganz eigene Fechtchronik von den Anfängen bis zur Gegenwart füllt zwei dicke Ordner mit Fotos und Zeitungsartikeln. Für die Pausen steht ein Teller mit Kuchen und Keksen bereit, den er in der Küche vorbereitet hat.
Der Karriereweg des in Nürnberg geborenen Fechtmeisters zog sich quer durch Deutschland und begann lange bevor er nach Bamberg kam in Bremerhaven. „Ich war gerade 18, als mich ein Freund ansprach, er würde fechten gehen, ob ich nicht einmal mitkommen wolle“, erzählt Hojer, „eigentlich waren wir beide Leichtathleten, aber ich probierte es aus und nach drei Monaten habe ich meine erste Ausrüstung gekauft.“ Wie sich später herausstellte, hatte der Freund primär ein hübsches Mädchen im Fechtclub im Auge. Eine nette Begleiterscheinung des Sports – auch Manfred Hojer hat seine Frau Sigrid, mit der er nunmehr seit 55 Jahren verheiratet ist, damals im Fechtclub kennengelernt. „Fechten ist nicht nur gut für Körper und Geist, sondern auch gesellschaftlich schön“, sagt er rückblickend und schmunzelt. „Fechter sind gleich per Du, man erkundigt sich immer nach dem Wohl des anderen und es macht viel Spaß.“
Hojer war in kurzer Zeit im Sportfechten erfolgreich und durfte sich mit 21 Jahren bereits Niedersachsen-Meister nennen. Ein paar Jahre später gründete er seinen eigenen Fechtclub in Uelzen/Niedersachsen, wohin es ihn beruflich geführt hatte. Anschließend wechselte er nach Pinneberg in den hohen Norden zum dortigen VfL, einem der größten Sportvereine Deutschlands. Er engagierte sich weiter in seinem Sport und auch im Verein und war von 1993 bis 1999 Vorsitzender des VfL. Zu dieser Zeit zählte der Verein rund 5000 Mitglieder. „Da waren Top-Leute in allen Abteilungen“, erzählt Hojer, „wie beispielsweise Michael Stich im Tennis.“ In Pinneberg hat er viel bewegt, auch wirtschaftlich, und war natürlich weiter aktiv in der Fechtabteilung dabei.
Mit 74 Jahren WM-Zweiter
2004 ging er schließlich beruflich in Pension. Seine anfängliche Auszeit führte ihn für ein halbes Jahr nach Spanien, wo er fortan regelmäßig in Nerja, einem Ort in der Provinz Malaga an der Costa del Sol, in der Fechthalle anzutreffen war. „Um die Leute auch da weiter zum Training anzuregen, bin ich einmal im Monat eine Woche nach Spanien geflogen“, sagt Hojer gelassen.
Sein internationales Engagement stieß in Schleswig-Holstein auf offene Ohren und so wurde er 2005 zum Präsidenten des Fechterverbandes ernannt. Zwischen Kassel und Nürnberg wollte er sich schließlich mit seiner Frau einen Altersruhesitz bauen und kam 2007 zum ersten Mal zufällig zum Kirchweihfest nach Baunach, wo es ihnen beiden prompt gefallen hat. 2008 sind sie in ihr neues Haus dort eingezogen.
Doch Hojer war nicht nur Funktionär. Seine sportlichen Erfolge verzeichnen eine prall gefüllte Tabelle und seine Urkunden und Medaillen eine ganze Wand in seinem Büro gleich neben dem Eingang. Sie klimpern hell und schön, streicht man mit der Hand vorsichtig darüber.
Über 15 Jahre war er Mitglied der deutschen Senioren-Nationalmannschaft und dabei zumeist führend in der Equipe. Rund 50 Titel bei Landesmeisterschaften von 1985 bis 2012 gehen auf das Konto des Profis. Dazu wurde er dreimal Norddeutscher Meister (1996, 1997 und 2006), zweimal Deutscher Meister (1994 und 2002) sowie einmal Europameister (2001). Kurz vor seinem Trainer-Abschied bei der TSG 05 Bamberg holte er schließlich noch die Silbermedaille bei der WM 2011 in Porec/Kroatien im Florett-Fechten der Senioren – die Krönung einer aktiven, fechterischen Laufbahn. Gegen seinen stärksten Gegner, Gregory Avtandilov, konnte er zwar in der Vorrunde punkten, nicht aber im Finale. „Wenn man mit über 70, wie ich damals schon war, gegen einen 65-Jährigen antritt, kommt man trotz sportlichem Ehrgeiz an seine Grenzen“, erinnert er sich.
Der Abschied von der Fechterei fällt Hojer nur scheinbar leicht. Viel zu sehr war er Profi, um ganz aufzuhören. Besonders jungen Besuchern erklärt er gerne, was eine Parade ist oder wie ein Angriff aussieht, zeigt ein paar Techniken und den Ausfallschritt, den es sich bei jeder Gelegenheit, wie etwa beim Zähneputzen, zu üben empfiehlt. In seinem Hof hat er für Kinder zur Ferienzeit schon Schnuppertage organisiert und Fechtbahnen aufgebaut.
Immer einen Tick schneller sein
Im Dachgeschoss seines Hauses befindet sich sein kleines, aber feines Fechtatelier. Hier hat er seine Florette und seine Ausrüstung von der Nationalmannschaft mit dem Bundesadler-Emblem aufgereiht, daneben steht eine Fechtbahn. Da lässt es sich durchaus üben, einen vom Balken fallenden Handschuh zu treffen.
„Gar nicht so einfach“, findet die 9‑Jährge Kim und startet gleich mehrere Versuche. „Man muss schnell sein und im richtigen Moment schneller sein als der Gegner“, sagt Hojer und lacht. Auch dürfe man im Wettkampf anfangs nicht zu viel von sich preisgeben, um den Gegnern die Stärken und Schwächen nicht gleich auf dem Silbertablett zu präsentieren. „Das wahre Potenzial zeigt sich immer erst in der Endrunde“, weiß der Stratege.
„Fechten ist gut für die Konzentration und die Koordination in jedem Alter“, sagt Hojer. Galt der Fechtsport früher mit seinen Kodexen der Kameradschaft und Ritterlichkeit vorwiegend elitär, habe er heute damit nicht allzu viel zu tun. Wer Fechten lernen will, muss Kraft, Ausdauer und Humor mitbringen, sich auf Analysegespräche einlassen und die Technik in vielen Trainingsstunden üben. „Vor allem Kinder ab 10 Jahren, wenn sie gewinnen wollen“, findet der Profi. Der sportliche Ehrgeiz übertrage sich dabei durchaus auf die schulischen Leistungen oder den späteren beruflichen Erfolg. Dass die Sportart sehr teuer ist, sei zudem längst überholt. „Nahezu jeder Verein hat einen Fundus mit Masken, Floretten und Handschuhen, die man sich zunächst ausleihen und erst nach drei Monaten entscheiden kann, ob man sich eine Ausrüstung für etwa 140 Euro zulegt.“ Zeitintensiv ist Fechten aber allemal. Um sich auf Wettkämpfe vorzubereiten, stehe nicht nur intensives Training, sondern auch viel Videoarbeit an.
Seit einiger Zeit, jetzt im hohen Alter, versucht Manfred Hojer dem Wettkampfmodus zu entgehen. „Ich habe mich entschieden, dass es ein Leben nach dem Fechten gibt“, sagt er. Einfach zu relaxen, die Zweisamkeit zu genießen, Gartenarbeit zu machen oder zu verreisen wann und wohin man möchte, stehe ihm inzwischen mehr im Sinn. Sein Herz schlägt aber weiterhin für den Fechtsport und die Equipe – nur etwas ruhiger und nicht mehr ganz so schnell.