Seit 30 Jahren ist Jochen Seggelke im Handwerk für Holzblasinstrumente als Klarinettenbauer tätig. Mit dem Stadtecho erinnert er sich an die Anfänge
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Seit 30 Jahren
Bamberger Klarinettenbauer: Jochen Seggelke im Porträt
Seit 30 Jahren ist Jochen Seggelke im Handwerk für Holzblasinstrumente als Klarinettenbauer tätig. Mit dem Stadtecho erinnert er sich an die Anfänge seiner Werkstatt in Bamberg und gibt Einblicke in Veränderungen und Zukunftspläne.
Dynamische Klarinetten-Klänge erfüllen den Raum im ersten Stock des Hinterhofgebäudes in der Oberen Königstraße 15. Es ist eine beschwingte, fröhliche Melodie. Dann folgt eine schnelle Tonleiter hinauf und wieder hinunter, noch eine andere, kurze Melodie und Auszüge aus einer weiteren. Mehrere Minuten dauert das Spiel.
Von dem kleinen Besprechungsraum aus, in dem wir Jochen Seggelke treffen, ist die Spielerin oder der Spieler nicht zu sehen, nur das Instrument zu hören. In jedem Fall sind es aber Mitarbeiter von Seggelke Klarinetten, die in der Werkstatt nebenan gerade ein Instrument testen. Nach rund eineinhalbjähriger Bauzeit wird die neue, gerade angespielte Klarinette in Kürze das Haus verlassen. Die Originalgravur auf dem Instrument garantiert ein handgefertigtes Unikat.
Jochen Seggelke ist Klarinettenbauer aus Leidenschaft. Als Meister der Intonation übernimmt er das Finetuning und die Endkontrolle jeder Klarinette vor der Übergabe selbst. „Die Anspannung bei der Abholung des Instruments ist schon deutlich zu spüren“, erzählt er, „für die Musiker ist das ein Festtag, da freue ich mich immer mit.“ Haben sie das Instrument dann eingespielt, betreuen Seggelke und sein Team sie stetig weiter, um je nach individuellem Empfinden das eine oder andere zu verbessern.
Das wandlungsfähige Instrument Klarinette wird überwiegend in der klassischen Musik gespielt, kann aber auch nach fränkischer Volksmusik, türkischer Folklore oder orientalischen Tönen klingen. „Innovating Sonority“ ist das Stichwort für Klangfarben, die derzeit neu- oder wiederentdeckt werden. Die Bandbreite an Ausdrucksformen und die Varianz in den Musikrichtungen wie etwa Jazz oder Ethno ist groß. „Die Leute haben ganz genaue Vorstellungen. Bei sehr ausgefallenen Klangwünschen fällt mir manchmal nicht gleich etwas ein, aber meist habe ich noch eine Idee“, sagt Jochen Seggelke, der in München geboren und in Südbaden aufgewachsen ist, und lacht.
Buchsbaumrohlinge als Trend
Damit eine Klarinette aus seiner Werkstatt den speziellen Wünschen von Klarinettisten aus aller Welt entsprechend gebaut werden kann, ist viel Zeit nötig. Zwölf bis 20 Jahre lagern die Holzrohlinge im Schnitt, bevor sie weiterverarbeitet werden können. Seggelke bezieht seine Tonhölzer, bestehend aus dem klassischen Material Grenadill, aber auch Mopane oder Cocobolo aus Ost-Afrika und auch aus Buchsbaum aus der Türkei. Mit den Holzrohlingen aus Buchsbaum hat er vor einigen Jahren einen Trend gesetzt. „Es ist schon 30 Jahre her, dass ich die ersten Buchsbaumstämme verarbeitet habe. Das hat sich mit viel Geduld entwickelt. Tatsächlich setzt sich dieses Material heute mehr und mehr durch“, sagt Seggelke.
Sind die Hölzer zu Blöcken zugeschnitten und der Klangkörper gedrechselt und oberflächenbehandelt, braucht es noch einige weitere Arbeitsschritte, wie Tonlöcher bohren, Metallklappen anpassen und Birnen und Mundstücke aufsetzen, in denen zudem immer wieder Ruhepausen für das Instrument notwendig werden. Zwischen 80 bis 150 Arbeitsstunden stecken in einer Klarinette, bis sie den Auslieferungszustand erreicht hat. Bei einer Bassklarinette sind es sogar über 200 Arbeitsstunden.
Rund 150 Klarinetten aller Stilrichtungen bekommen den Stempel „handmade“ pro Jahr. Sie gehen nach Europa, Amerika und Kanada sowie nach China und Japan. Das Team bilden aktuell 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die meisten von ihnen kommen aus dem Holzblasinstrumentenbau, oder aus dem Schreiner- und Lackiererhandwerk. Bei den Fertigungsschritten setzen sie moderne Methoden ein.
„Inzwischen arbeiten wir überwiegend mit computergestützten CNC-Maschinen und CAD-Programmen“, erklärt Seggelke. „Wir erstellen unsere Modelle auch mit dem 3D-Drucker, beispielsweise für die Klappen. Anschließend werden sie aus Metall gegossen und auf das Instrument aufgesetzt.“ Neue, leichte Materialien wie Titan seien überdies zunehmend interessant im Klarinettenbau. „Wir haben derzeit mehrere spannende Projekte, an denen wir uns ausprobieren“, verrät er.
Junge Leute wieder für Musik begeistern
Schülerklarinetten für den Einstieg hält Seggelke ebenfalls bereit. Diese können online selbst konfiguriert werden. „Bei den Schülerklarinetten arbeiten wir mit F. Arthur Uebel aus Markneukirchen zusammen, die uns fertige Instrumente liefern. Diese bauen wir dann je nach gewünschter Konfiguration entsprechend um“, so der Firmenchef. Die Nachfrage nach Schülerklarinetten nehme allerdings seit der Corona-Zeit ab. Bekannterweise war gemeinschaftliches Musizieren, vor allem mit Blasinstrumenten, in der Coronazeit nur schwer möglich. Das habe aber Spuren hinterlassen. Junge Leute seither wieder mehr für das gemeinsame Musizieren zu begeistern, sei schwierig.
„Lehrpläne und Unterrichtszeiten haben sich zudem scheinbar so verdichtet, dass kaum noch Luft für das Erlernen eines Instruments bleibt“, mutmaßt Seggelke und appelliert: „Da muss dringend etwas getan werden!“ Zwar könne man sich mit Apps auf dem Handy vieles selbst beibringen. Das Spielen eines Instruments zusammen mit anderen und entsprechenden realen Kontakten in die Musikwelt ersetzten diese aber nicht.
Werkstatträume einer ehemaligen Lederwarenfabrik
Die Klarinettenbauwerkstatt Seggelke ist unterdessen nicht nur auf den Bau moderner und historischer Klarinetten spezialisiert, sondern auch Anlaufstelle für Reparaturen von Klarinetten aller Art.
„Bis zu 600 Instrumente bekommen wir jährlich in die Reparatur“, so Seggelke. Um alte Instrumente nachzubearbeiten, kämen oft auch Maschinen von früher zum Einsatz. „Wir können nahezu jede Klarinette wieder auf Vordermann bringen, damit sie auch beim Festumzug und im Konzertsaal wieder schön klingt“, so der Experte.
Mit „früher“ meint Jochen Seggelke die Anfänge seiner Werkstatt in den 1990er Jahren und zeigt eine kleine schwarze Geldbörse aus Leder. Sie ist noch neu. „Die habe ich im Lederwarenverkauf der ehemaligen Lederwarenfabrik Paukner, die hier in diesen Räumen einmal war, erstanden“, erzählt er. Das alte, typische Gärtnergrundstück habe er damals mit dem Kauf dieses Geldbeutels entdeckt. 1998 sind Schwenk & Seggelke hier gestartet. „Nicht nur das Unternehmen hat sich seither gewandelt, auch das Erscheinungsbild der Königstraße.“
Im nächsten Jahr werden es bereits 30 Jahre, dass Jochen Seggelke im Klarinettenbau begonnen hat. Ebenso zufällig wie zu dem kleinen schwarzen Geldbeutel ist er ursprünglich auch zur Klarinette gekommen. „In meinem Heimatort Kirchzarten in Südbaden bin ich wegen meines Freundes, der viel Zeit im Musikverein im Ort verbrachte, auch einmal hingegangen und es war noch eine Klarinette frei. Ich probierte das Instrument aus und es hat mir gleich gefallen.“
Ein Studium der Klarinette in Mannheim sollte später folgen. Seggelke wurde danach Berufsmusiker in Orchestern in Köln und Berlin und Musiklehrer in Weil am Rhein. Auf einer Musikmesse in Frankfurt kam er erstmals mit historischen Klarinetten in Kontakt. Ein weiteres Feld, für das sein Interesse stetig wuchs. Er hängte ein Studium in Basel der Fachrichtung „Aufführungspraxis für alte Musikinstrumente“ an, machte im Anschluss eine weitere Ausbildung im Holzblasinstrumentenbau bei Guntram Wolf in Kronach und zog nach Franken. Dort lernte er Werner Schwenk kennen, ebenfalls Holzblasinstrumentenmacher, der eine eigene Firma in Tübingen gegründet hatte.
1996 schloss er sich mit Schwenk zusammen und mietete eine kleine Werkstatt in der Luitpoldstraße beim ehemaligen Möbelschreiner Kresser an, der im Keller für seine Holzrohlinge und Klarinetten Platz schaffte, bis er durch besagten Ledergeldbeutel zu der Werkstatt in der Oberen Königstraße kam.
Für die Zukunft neu aufgestellt
Seit 2009 ist Jochen Seggelke alleiniger Inhaber der Firma. Werner Schwenk verließ 2014 nach rund 60-jähriger Tätigkeit als Holzblasinstrumentenmacher das Unternehmen. 2020 hat Seggelke begonnen, dieses umzuwandeln und für die Zukunft neu auszurichten. „Ich möchte uns zukunftsfähig aufstellen, so dass wir in die nächste Generation kommen“, sagt Seggelke. „Sämtliche Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten haben wir daher durch Coaching und Workshops neu definiert. Wir haben auch eine neue Markenführung mit verschiedenen Produktmarken.“
Seine beiden Kinder, die in der Werkstatt aufgewachsen sind, stehen heute im jeweils eigenen Beruf beim Film und bei den Blechbläsern. Ob sie als Musikexperten in seine Fußstapfen treten, bleibe offen, meint er und lacht.
Um die Musik mit der Klarinette lebendig zu halten und den künstlerischen Dialog fortzusetzen, veranstaltet Seggelke Klarinetten in der hauseigenen „KLAngwerkstatt“ in der Oberen Königstraße regelmäßig über das Jahr hinweg Konzerte mit namhaften Künstlerinnen und Künstlern.
Ein Jubiläum im nächsten Jahr soll ebenfalls mit einem besonderen Programm in der „KLAngwerkstatt“ gefeiert werden. „Im Mai wird ein gedehntes Festwochenende stattfinden“, sagt Jochen Seggelke. Zum Jubiläumskonzertprogramm in der „KLAngwerkstatt“ und vielleicht auch im Innenhof erwartet er nationale, europäische und auch internationale Gäste. „Etwa wird Mingzhe Wang, ein bekannter Klarinettist und persönlicher Freund aus den USA, anreisen und wir begrüßen einige weitere, herausragende und langjährige Freunde des Hauses – darauf freue ich mich besonders.“