Die Arbeitsgemeinschaft chronisch-kranker und behinderter Menschen e.V. – kurz ARGE – vertritt in Bamberg die Belange von Menschen, deren Leben durch körperliche Beeinträchtigungen oder Krankheit eingeschränkt ist. Seit der Gründung im Jahr 1992 hat der Verein bereits einige Forderungen gegenüber der Stadt und dem Landkreis Bamberg in Sachen Barrierefreiheit umsetzen können – einiges bleibt aber auch noch zu tun. Am 3. September feierte die ARGE ihr 30-jähriges Jubiläum.
Einen Hotspot der Behindertenunfreundlichkeit und Barriereunfreiheit macht die ARGE seit ihrer Gründung vor 30 Jahren im Domplatz beziehungsweise der Alten Hofhaltung aus. Das Gebäude-Ensemble und die alte Bausubstanz sind schön, für Leute, die auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind, aber nur aus der Ferne genießbar.
Der Grund: Das ebenfalls alte, aber deswegen auch aus einer Zeit als an Barrierefreiheit noch nicht zu denken war stammende Kopfsteinpflaster. „Das Kopfsteinpflaster ist grausam“, sagt Rudolf Zahn, 1. Vorsitzender der ARGE und von Geburt an querschnittsgelähmt. „In der Alten Hofhaltung gibt es, dafür haben wir uns eingesetzt, zwar schon eine Behindertentoilette, aber was nutzt mir die, wenn ich mit dem Rollstuhl nicht hinkomme.“ Die barrierefreie Pflasterung in der Alten Hofhaltung zu den Toiletten wurde erst im Mai 2021 fertiggestellt – aber der Hintereingang zur Alten Hofhaltung ist immer noch holprig und nicht barrierefrei zu erreichen.
Die Bepflasterung der Bamberger Straßen und Plätze mag zeitlich noch etwas weiter zurückliegen als die Anfänge der ARGE – die herrschende Geisteshaltung, soll heißen das politisch oder gesellschaftlich herrschende Desinteresse an den Belangen behinderter Menschen, war zum jeweiligen Zeitpunkt aber sicherlich ähnlich ausgeprägt.
„Als wir uns 1992 gegründet haben war die Situation Behinderter und chronisch Kranker in Bamberg viel schlechter als heute. Es gab nirgends Barrierefreiheit und die Notwendigkeit dazu hat man von städtischer Seite aus auch nicht gesehen.“
Heute ist das anders. Die Stadt hat mit Nicole Orf eine Behindertenbeauftragte und ein Amt für Inklusion und mit der ARGE eine Interessenvertretung, die Forderungen nach Barrierefreiheit der Stadt gegenüber einbringt und dabei auf offene Ohren stößt, wenn auch nicht immer offene Kassen, und deren Mitglieder durchaus auf Erfolg ihrer Anliegen hoffen können.
Ziele der ARGE
Etwa 25 Selbsthilfegruppen haben sich der ARGE im Lauf der Zeit angeschlossen. Die oberfränkische Bezirksgruppe des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds, der Förderkreis goolkids, die Selbsthilfegruppe für Arm- und Beinamputierte, die Prostatakrebs-Selbsthilfegruppe oder die örtliche Niederlassung der Deutschen Parkinson-Vereinigung sind nur einige Beispiele.
„Unser Ziel“, sagt Rudolf Zahn, „ist nicht nur mehr Barrierefreiheit in der Stadt und im Landkreis zu schaffen. Wir fassen auch die Forderungen der uns angeschlossenen Selbsthilfegruppen zusammen, um sie der Stadt gebündelt vorlegen zu können. In unseren Sitzungen besprechen wir, was möglich ist, stellen Forderungen an die Stadt zusammen und kriegen dann Rückmeldung, was gemacht werden kann. So muss nicht, wie früher, jede Gruppe für sich kämpfen. Wir können geschlossen auftreten und haben so größere Chancen auf Erfolg.“
Die erwähnte Behindertentoilette in der Alten Hofhaltung ist einer davon – die Umsetzung von flacher gepflastertem Untergrund an andere Stelle der Stadt ein weiterer. An den Seitenrändern der Fußgängerzone zwischen Langer Straße und Maxplatz wurden so auf Betreiben der ARGE rechts und links ebenmäßigere Asphaltstreifen eingezogen.
Dieser Untergrund erleichtert Menschen in Rollstühlen und an Rollatoren, oder auch an Kinderwägen, das Vorankommen und bietet ihnen eine Alternative zur beschwerlichen Buckelpistenfahrt über das Kopfsteinpflaster.
„Diese Streifen haben wir in Kooperation mit der Stadt erstellen lassen. Die alte Bepflasterung schaut schön aus und wir möchten uns nicht an Bambergs Baukultur vergreifen. Aber es braucht einen Mittelweg zwischen ihr und der nötigen Barrierefreiheit. Es sollen nämlich alle die Möglichkeit haben, das kulturelle Leben der Stadt genießen und an ihm teilhaben zu können.“
Barrierefreiheit in mehrere Richtungen gedacht
Barrierefreiheit müsse aber in verschiedene Richtungen gedacht werden, so Rudolf Zahn, und nicht nur an den Bedürfnissen gehbehinderter Menschen festgemacht werden. „Der Blinden- und Sehbehindertenbund, eines unserer Mitglieder, hat andere Forderungen an Barrierefreiheit als Rollstuhlfahrer.“
So setzt sich die ARGE auch für die Einrichtung von Induktionsanlagen in öffentlichen Gebäuden ein. Das sind technische Vorrichtungen, die Audiosignale an schwerhörige Menschen beziehungsweise an ihre Hörgeräte übertragen. Auch wurden, zum Beispiel im Bamberger Bahnhofsgebäude, Führungsstreifen installiert. Diese können Sehbehinderte zur Orientierung mit ihrem Blindenstock ertasten.
Wieder andere Forderungen haben chronisch Kranke. Zum Beispiel geht es der Bamberger Kontaktperson der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) neben dem Ausbau der Barrierefreiheit vor allem um die Förderung der Erforschung von muskulären Erkrankungen, durch die Betroffene manchmal auf Rollstuhl, Aufzug in der Wohnung oder Assistenz angewiesen sind.
Auch auf die Vereinfachung des Zugangs zu Informationen über derartige Erkrankungen für Angehörige der Patientinnen und Patienten pocht die DGM.
Die Regionalgruppe des Landesverbands Niere Bayern setzt sich ihrerseits für eine bessere Versorgung von Dialysepatientinnen und ‑patienten ein. Auch oder vor allem die Förderung der Bereitschaft zur Organspende ist dem Verband wichtig.
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft ist in Bamberg ebenfalls vertreten und Mitglied der ARGE. Ihre Wünsche an Barrierefreiheit und Lebenserleichterung beziehen sich auf den Ausbau von Behandlungs‑, Beratungs- und Begleitungsangeboten für Betroffene und ihre Angehörigen.
Lobbyarbeit
Insgesamt gibt es in Bamberg über 1000 chronisch Kranke und Behinderte. Nicht alle davon haben sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen oder nehmen die Angebote dieser Organisationen in Anspruch. Und nicht alle der hiesigen Selbsthilfegruppen oder Vereinigungen Betroffener haben sich der ARGE angeschlossen, „aber wir werben um sie“, sagt Rudolf Zahn.
Der Vorteil der Gemeinschaft und des gemeinschaftlichen Vorgehens, das habe die Erfahrung gezeigt, liege in der besseren Aussicht auf Erfolg. Auch aus dem Grund, dass es noch andere Bewerber um Förderung gibt.
„Dadurch, dass wir mit den Behindertenbeauftragten von Stadt und Landkreis zusammenarbeiten, und vor allem Frau Orf Interesse an unseren Anliegen hat, sind die Chancen, dass unsere Forderungen umgesetzt werden, gut. Unsere Förderlage ist eigentlich zufriedenstellend, aber hin und wieder fehlt es natürlich schon an Geld und man muss Kompromisse eingehen. Aber wir weichen deshalb nicht von unseren Forderungen ab.“
Die Alte Hofhaltung ist auf dem Weg zu noch mehr Barrierefreiheit, der Domplatz steht auch auf dem Programm entsprechender städtebaulicher Bemühungen. Wo die ARGE ebenfalls dringend Handlungsbedarf für leichtere Wege für Gehbehinderte sieht, sind Bambergs Bushaltestellen und der Zentrale Omnibusbahnhof.
„An Bushaltestellen machen uns hohe Bordsteine und hohe Türrahmen der Busse Probleme. Außerdem muss der ZOB dringend umgebaut werden.“ Der Grund ist auch hier wieder die Bepflasterung. In den kommenden Jahren soll außerdem der Platz Geyerswörth umgebaut werden. Eine Chance für die ARGE diesmal von vorne herein darauf zu drängen, dass ein behindertenfreundlicherer Bodenbelag zum Einsatz kommt.
30-jähriges Jubiläum
Anfang September wurde aber erst mal gefeiert. Bei einem Festakt im Hegel-Saal der Konzerthalle beging die ARGE ihr 30-jähriges Jubiläum mit vielen Gästen. Darunter befanden sich Vertreterinnen und Vertreter von inzwischen 20 verschiedenen Bamberger Selbsthilfegruppen.
Umrahmt von der Musik von Sleeping Anne, der inklusiven Band der KUFA Bamberg, begrüßten Bambergs 2. Bürgermeister Jonas Glüsenkamp, Nicole Orf und Rudolf Zahn das Publikum.
Ehrengast und Inklusions-Aktivist Raúl Krauthausen ging in seinem Vortrag auf die gesellschaftliche Stellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung und auf den Stand der Barrierefreiheit im öffentlichen Leben ein. Rudolf Zahn beendete letztlich die Veranstaltung mit der Aufforderung zum weiteren Einstehen für die Rechte von Menschen mit Behinderung und sagte: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, rechnet weiter mit uns!“