Seit fünf Jahren widmet die Bamberger Hilfsorganisation Seek and Care zusammen mit der indischen Hilfsorganisation Imcares ihre Kräfte der Verbesserung der Lebensumstände in Mumbai. Zwar haben sich in dieser Zeit die teilweise extreme Armut und die menschenunwürdigen Lebensumstände in der Metropole verändert, aber die Not ist weiterhin allgegenwärtig. Verschlimmert wurden die Zustände noch durch die Corona-Pandemie. Rebekka Kircher ist die 1.Vorsitzende von Seek and Care. Wir haben sie per E‑Mail interviewt.
Frau Kircher, warum wurde Seek and Care vor fünf Jahren gegründet?
Rebekka Kircher: Ich kenne die Organisation Imcares India in Mumbai schon seit 2011. Über die Jahre und durch meine regelmäßigen Besuche konnte ich immer tiefer in die Arbeit dort eintauchen. Dadurch wurde mein Wunsch, dies nachhaltig zu unterstützen, größer. Es kam also der Gedanke ins Rollen, einen Verein zu gründen, der es ermöglicht öffentlich, transparent und langfristig Spenden zu sammeln und aktiv mit zu gestalten. So entstand Seek and Care.
Was wollten Sie bei der Gründung erreichen, was davon haben Sie erreicht und sind neue Ziele hinzugekommen?
Rebekka Kircher: Das Hauptziel bei der Gründung war es vor allem, Spenden zu sammeln, die die Gehälter der Sozialarbeiter, Pädagogen und weiteren Mitarbeiter unserer Partnerorganisation sichern. Denn nur durch deren Arbeitsplatzsicherung können die Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, mit medizinischen und pädagogischen Projekten erreicht werden.
Dieses Ziel besteht nach wie vor. Und wie man auch auf unserer Website sehen kann, können wir mit Stolz einen stetigen Spendenanstieg verzeichnen. 2015 haben wir Spendeneinnahmen von 6.055 Euro für unseren Partner in Indien sammeln können. 2019 waren es bereits 41.864 Euro. Und im ersten Halbjahr 2020 haben wir diese Marke vom Vorjahr schon überschritten. Wenn das so weitergeht, können wir langfristig gesehen sogar noch neue Arbeitsplätze unterstützen.
Das zweite Ziel war es, einen Austausch nach Indien zu ermöglichen. Meist denkt man dabei an Schulabgänger, Studenten oder das so genannte Sabbat-Jahr. In den vergangenen Jahren haben wir drei Abiturientinnen und einen Abiturienten aussenden können. Sie leisteten dort ihren Freiwilligendienst. 2019 konnten wir, in Zusammenarbeit mit dem Therapiezentrum Rombach in Regensburg, eine Ergo- und eine Physiotherapeutin für drei Wochen nach Indien schicken. Sie gaben dort ihr therapeutisches Wissen weiter und behandelten Kinder mit Behinderung aus bettelarmen Familien. An diesem Punkt wünsche ich mir, dass es uns gelingt, noch mehr Fachpersonal über unser Programm „ITHA“ (Interkultureller Therapeuten Austausch) auszusenden. Darüber hinaus träume ich außerdem davon, rüstige Rentner als helfende Hände nach Mumbai zu senden. Sie haben so viel Lebenserfahrung und ein breites Wissen in ihrem Fach. Das kann alles sein, vom medizinischen, pädagogischen bis hin zum handwerklichen und buchhalterischen Bereich. Somit wird das zweite Ziel bereits zu fünfzig Prozent erfüllt. Ansonsten ertappe ich mich immer wieder, weitere Ideen zu spinnen. Doch bevor die ersten zwei Ziele nicht zum Selbstläufer geworden sind, halte ich die anderen Ideen in meiner Ideensammelkiste fest.
Wie kam die Zusammenarbeit mit Imcares zustande?
Rebekka Kircher: Im Grunde genommen basiert die Zusammenarbeit auf einer tiefen Freundschaft. Der Leiter von Imcares und dessen Frau waren 2011 in Deutschland, um Vorträge zu halten. Durch eine gemeinsame deutsche Freundin habe ich die beiden kennen gelernt. Unsere Gespräche gingen bald über das Thema ihrer Arbeit hinaus. Ich habe sie persönlich kennen und schätzen gelernt. Und damit auch ihr Herz für die ganze Arbeit. Das und die Erfahrungen vor Ort in Mumbai, haben mich zu dem Entschluss gebracht, hier unterstützen zu wollen.
Warum haben Sie Mumbai als Ziel-Ort Ihrer Tätigkeiten gewählt?
Rebekka Kircher: Nach Mumbai bin ich eher zufällig geraten. Eben, weil dort Imcares tätig ist. Ich habe dennoch auch eine andere Arbeit an der Ostküste Indiens kennen gelernt. Trotz der idyllischen ländlichen Lage dort, hat es mich nach Mumbai gezogen. Ich bin absolut kein Stadtmensch. Und schon gar nicht für eine Metropole wie Mumbai gemacht. Doch irgendetwas hat mein Herz dort ergriffen. Ich glaube, es sind die Menschen dort. Und auch wenn es für Außenstehende absurd klingen mag: Ich fühle mich dort mittlerweile sehr sicher. Wenn ich heute nach Mumbai reise, dann ist es wie ein zweites zu Hause, das so völlig gegenteilig zu meinem Leben im malerischen Allgäu ist.
Welche Zustände haben Sie vor fünf Jahren in Mumbai vorgefunden, wie sehen diese heute aus? Können Sie Verbesserungen der Lebensumstände verzeichnen?
Rebekka Kircher: Das ist eine sehr spannende Frage! Ich reise ja seit 2012 einmal im Jahr nach Mumbai. Das sind nun bereits acht Reisen. Ich konnte eine Verbesserung der Sauberkeit auf den Straßen beobachten. Die Kinder gehen selbstverständlicher zur Schule. Das war vor circa 15 Jahren noch nicht üblich. Meistens hielten sie die Eltern zu Hause, damit sie zum Lebensunterhalt beitragen konnten. Die Armut zwang sie dazu. Zwar hat sich die Armut nicht gravierend verbessert, doch der Umgang mit Ressourcen hat sich gewandelt. Dank der Arbeit von Imcares haben die Eltern verstanden, was Schulbildung langfristig bewirken kann. Imcares bietet Tageszentren an, damit die Mütter für ein paar Stunden entlastet werden und zur Arbeit gehen können. Dadurch wird der Lebensunterhalt der Familie aufgebessert. Und wenn ich noch weiter zurück blicke, auf die dreißig Jahre, in denen Imcares nun mittlerweile in zweiter Generation aktiv ist, hat sich die Situation extrem gewandelt.
Vor 30 Jahren wurden Projekte gestemmt, die das Überleben zum Ziel hatten. Das heißt, es wurde medizinische Versorgung in entlegene Gebiete gebracht, Lebensmittelpakete verteilt, kranke Menschen betreut. Heute sind dies zwar noch immer die Ziele, doch Grundlagen dazu werden oft durch die Regierung abgedeckt. Es gibt Essensversorgung für Bedürftige, kostenlose Medikamente und staatliche Schulen. Jetzt besteht die Aufgabe darin, den Ärmsten der Armen den Zugang zu diesen Ressourcen zu verschaffen. Denn durch Armut und mangelnde Bildung und auch durch fehlende Mobilität können viele der Bedürftigen nicht zu den angebotenen Hilfen gelangen. Und wenn diese Regierungshilfen nicht in Anspruch genommen werden, dann werden die Angebote wieder zurückgefahren.
Damit das nicht passiert, müssen also diese bettelarmen Menschen zu den Ressourcen gebracht werden. Und das ist das Ziel mit Hilfe der Sozialarbeiter, Pädagogen und dem medizinischen Personal von Imcares. Wie sieht es aber heute, also im Oktober 2020, aus? Die Coronakrise hat ein riesiges Loch in diese Erfolge gerissen. Der Leiter unserer Partnerorganisation sagte uns vor einigen Wochen in einer Zoom-Konferenz, er sehe sich der Situation von vor 30 Jahren ausgesetzt. Das ist schockierend. Durch die Ausgangssperre haben unzählige Menschen ihre Arbeit verloren. Bewohner aus den Slums und Heimatlose hatten Tagelöhner-Jobs. Sie besitzen keine Arbeitsverträge und haben somit von heute auf morgen jegliches Einkommen verloren. Die Folge: Eine Hungersnot und die Ausbreitung weiterer Krankheiten. Imcares leistet somit aktuell wieder ganz grundlegende Hilfe zum Überleben. Es werden Medikamente verteilt und Essenspakete geschnürt. Auch Hygieneartikel werden in die Slums und zu heimatlosen Menschen auf der Straße gebracht. Es ist erschütternd. Es herrscht ein absoluter Notstand an grundlegenden Mitteln zum Überleben.
Worin besteht der größte Bedarf an Hilfe?
Rebekka Kircher: Aktuell ist unser größter Bedarf die Verteilung von Lebensmitteln, Medikamenten und Hygieneartikeln. Ein Problem dabei ist der Transportweg. Imcares hatte einen Pickup, um all die Hiflsgüter zu transportieren. Doch über die Jahre ist er nicht nur kaputt gegangen, sondern auch nicht mehr verkehrssicher. Wir wollen gemeinsam mit Unterstützern aus Irland einen neuen Geländewagen finanzieren, sodass die Hilfe schnell und sicher an ihr Ziel kommt: zu den Hungerleidenden und kranken Menschen in Mumbais Slums und auf der Straße.
Wie sehen Hilfsaktionen von Seek and Care genau aus?
Rebekka Kircher: Bei dieser Frage muss ich die Antworten splitten. Ein Teil betrifft Deutschland und einer Indien. Denn in beiden Ländern wird etwas bewegt. Mit dem gleichen Ziel, jedoch in verschiedener Weise.
In Indien geschieht die Arbeit direkt von Mensch zu Mensch, von Hand zu Hand. Die Mitarbeiter von Imcares sind den ganzen Tag auf dem Weg zu Familien, zu Kranken, zu Kindern und Erwachsenen, die auf Grund von bitterer Armut ausgegrenzt und vernachlässigt werden. Die Mitarbeiter von Imcares sind es, die die Menschen aus oft lebensbedrohlichen Zuständen herausholen und ihnen neue Perspektiven aufzeigen, um somit Hilfe zur Selbsthilfe zu sein. Diese Arbeit, inmitten der großen Armut dieser Metropole, ist sehr kräftezehrend, da diese Begleitung oft jahrelang andauert. Wer aus Deutschland einmal persönlich dabei war, kann dies bestätigen. Es ist mit Entbehrungen verbunden, gibt aber auch viel Freude zurück, wenn man die Erfolgsgeschichten im Leben Einzelner miterleben darf.
In Deutschland ist die Arbeit eine ganz andere. Denn hier sind wir nicht tagtäglich dieser tiefen Armut persönlich ausgesetzt. Hier konzentrieren sich unsere Aufgaben auf die Spendenakquise, Öffentlichkeitsarbeit und den Freiwilligendienst. Dabei wollen wir Aufklärung betreiben über diese völlig anderen Zustände auf unserem Erdenball. Mir ist es wichtig, dass Menschen aufgerüttelt werden und vielleicht auch ein bisschen erschüttert sind. Aber nur im ersten Moment. Im zweiten Moment sollen sie sehen, dass keine Lebenssituation hoffnungslos ist, und dass jeder, egal wo er oder sie lebt, etwas zu dieser Veränderung beitragen kann. Denn letztendlich sind wir alle eins. Globalisierung dürfen wir nicht nur wirtschaftlich betrachten oder als Reisefreiheit. Wir müssen auch unsere soziale Verantwortung darin sehen. Denn gerade wir, in den wohlhabenden Ländern, verlangen so viel von der Welt und geben doch so oft so wenig zurück. Daher empfinde ich unsere Arbeit von Deutschland aus ebenso als intensiv und herausfordernd. Es gibt immer Kritiker. Doch das gehört dazu und schärft den Blick. Denn nur durch das Hinterfragtwerden bleiben wir klar und können uns weiterentwickeln. Mir macht diese Arbeit, in all ihren Herausforderungen, vor allem Freude. Spendenakquise und Öffentlichkeitsarbeit stehen also in Deutschland im Vordergrund, um die Arbeit in Mumbai an den Menschen voran zu bringen.
Weitere Informationen unter:
Spendenkonto:
Seek and Care e. V.
Sparkasse Bamberg
IBAN DE71 7705 0000 0302 8603 41
BIC BYLADEM1SKB